Inan Türkmen hat türkisch-kurdische Wurzeln, der Österreicher gehört der muslimischen Glaubensrichtung der Aleviten an. Vor zwei Jahren hat der Student viel Aufsehen erregt mit dem Büchlein „Wir kommen“. Darin droht er, dass die Türken auf ihrem Marsch nach Österreich nicht aufzuhalten seien. Das Buch war auch ein Bestseller, weil es vom tagtäglichen Rassismus gegen alle erzählt, die türkisch oder arabisch, irgendwie dunkel und fremd aussehen – und mutmaßlich Muslime sind.
Fast 600.000 Muslime leben in Österreich. In der Gemeinde Telfs mit ihren fast 15.000 Einwohnern steht seit 2006 das erste Minarett Tirols.
Das alles sei heute noch viel schlimmer geworden, betont er, seit der islamistische Terror Europa erreicht habe, seit der IS im Nahen Osten und Boko Haram in Afrika morde. Es gab die Attentate in Paris, Kopenhagen, Brüssel. Und die Behörden haben mit Entsetzen festgestellt, dass sich junge Muslime von Österreich aus überdurchschnittlich häufig dem Dschihad anschließen. Misstrauen überall.
Und nun wird an diesem Mittwoch im Wiener Parlament ein neues Islamgesetz beschlossen. Klar, dass es trotz guten Willens von allen Seiten vor allem unter einem Blickwinkel beleuchtet wird: Wie hält es Österreich mit seinen Muslimen?
Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, der für die große Koalition aus SPÖ und ÖVP spricht, betont demonstrativ: „Der Islam gehört zu Österreich.“ Das Gesetz sei keine kurzatmige Reaktion auf IS-Terror und Anschläge wie jene von Paris, sondern ein langfristiger Beitrag dazu, dass sich gläubige Muslime als selbstbewusste Österreicher fühlen könnten. Was da beschlossen werde, könne gar eine Vorreiterrolle für Europa haben. Und tatsächlich: In der CDU/CSU wird bereits darüber debattiert, was man übernehmen könnte.
In Österreich mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern leben heute etwa 570000 Muslime. Aber schon seit 1912, damals notwendig geworden durch Habsburgs Annexion von Bosnien-Herzegowina mit seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit, gibt es ein Islamgesetz. Es war damals einzigartig in Europa und erkannte die Muslime als Religionsgemeinschaft an und erlaubte ihnen die Selbstverwaltung. Aber es war stark renovierungsbedürftig, das bestätigt die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, (IGGiÖ), die seit 1979 als anerkannte Religionsvertretung Hauptansprechpartner des Staates ist.
Die Novelle enthält radikale Veränderungen und prägt damit das im Habsburger Reich der vielen Völker und vielen Religionen gewachsene Verhältnis von Muslimen und katholisch dominierter Mehrheit neu. Von einem „Misstrauensschleier“, der über den 33 Paragrafen ausgebreitet sei, spricht Richard Potz vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht in Wien, Experte und Gutachter in Sachen Islamgesetz: Muslime würden zu einem expliziten Bekenntnis zu Staat und Gesetz gezwungen. Das gelte so für keine andere Religion. Denn ein zentraler Satz lautet: „Es muss eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat bestehen.“ Eine Selbstverständlichkeit? In der Regierung heißt es, indem man den Vorrang des Staates vor der Scharia festschreibe, verhindere man, dass Islam und Islamismus in einen Topf geworfen würden.
Drei Vorgaben sind es vor allem, die eine heiße Debatte ausgelöst haben. In Zukunft dürfen islamische Einrichtungen sich nicht mehr auf Dauer aus dem Ausland finanzieren. Damit solle Kontrolle und Einfluss unterbunden werden, wie sie etwa die Religionsbehörde in Ankara ausübe. Derzeit etwa zahlt diese die Gehälter von mehr als 60 türkischen Imamen in Österreich. Spenden und Stiftungen nach österreichischem Recht seien aber weiter möglich, betont Kurz. Zudem sollen Imame in Zukunft in Österreich ausgebildet werden und dort ihren Lebensmittelpunkt haben; Imame, die oft nur für ein paar Monate „eingeflogen“ werden, soll es nicht mehr geben. Für die inländische Ausbildung sollen islamisch-theologische Studiengänge aufgebaut werden. Außerdem muss jede Religionsgemeinschaft eine „Darstellung ihrer Lehre und wesentlichen Glaubensinhalte“ vorlegen – und das auf Deutsch, denn das „sei nun mal Amtssprache“.
Wer so ein Gesetz zimmere, hieß es umgehend, der wolle Muslime ausgrenzen, nicht integrieren. Der zeige: Nur Muslime, die österreichisches Deutsch sprechen, die in einem auf Deutsch vorgelegten Koran lesen, die bei in Österreich ausgebildeten Imamen beten und in von einheimischem Geld finanzierte Moscheen gehen, seien gute Muslime. Auch Inan Türkmen hält das Gesetz für ein „Misstrauensvotum“. Für einen Kniefall vor den Rechtspopulisten. Einzelne Aspekte seien vernünftig, weil sie mehr Transparenz schafften und die Abhängigkeit von den türkischen Übervätern verminderten. Aber ihm ist nicht wohl.
Vielen ist nicht wohl. Der Schura-Rat der IGGiÖ hat am Sonntag eine letzte Stellungnahme erarbeitet, bevor an diesem Mittwoch über das Gesetz abgestimmt wird. Der Tenor: Ja, aber. Die Vorlage entspreche in zentralen Punkten nicht den Bedürfnissen der in Österreich lebenden Muslime. Aber: Das Papier sei ein Kompromiss, an dessen Ausarbeitung man beteiligt war. Außerdem sei zahlreichen Bedenken Rechnung getragen worden, daher stimme man zu – nach dem Motto: Mehr war nicht drin. Nach der finalen Abstimmung gab es internen Ärger, das Votum sei nicht einhellig gewesen, hieß es. Fuat Sanac, Präsident der IGGiÖ, ist deshalb erregt und deprimiert – nicht nur über „Heckenschützen“ im Verband, sondern über den Gang der Debatte insgesamt. „Terroristische Gruppen kommen und gehen, man darf sich davon nicht beeinflussen lassen.“
Letztlich aber sei das Gesetz eben doch „zum Nutzen der Muslime“. Denn, und hier klingt er ganz wie Minister Kurz, es enthalte ja nicht nur Pflichten, sondern auch neue Rechte: islamische Friedhöfe, Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, die Einhaltung von Speisevorschriften auch in staatlichen Stellen wie Bundesheer oder Krankenhäusern, islamische Feiertage. Sebastian Kurz in Wien formuliert das offensiver: Es brauche auch den Mut, unpopuläre Regeln zu schaffen. Und Probleme lösten sich nicht durch Wegschauen.
Die Union in Deutschland ist jedenfalls elektrisiert. Franz-Josef Jung, Vize-Fraktionschef und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften in der CDU/CSU, findet das Anliegen und die Zielrichtung des österreichischen Gesetzes im Grundsatz richtig. „Wir haben uns auch schon länger mit der Frage beschäftigt, ob Imame aus dem Ausland finanziert und von dort entsandt werden sollten.“ In Deutschland gebe es allerdings schon vier Lehrstühle für islamische Theologie; dieses Angebot müsse nur mehr angenommen werden, auch ohne entsprechendes Gesetz. Ähnlich wie im österreichischen Ansatz, so Jung, könne man deutschsprachige Predigten in Moscheen einfordern. „Denn die Moscheen haben selbst mit einer Sprachbarriere zu kämpfen, wenn die dritte Generation in Deutschland lebender Muslime die ursprüngliche Gebetssprache nicht mehr richtig spricht.“
Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte der Union im Bundestag, will die Ideen aus Österreich sogar in den Berliner Innenausschuss tragen. Inlandsfinanzierung, Ausbildung in Deutschland – das sei legitim und nütze auch den Muslimen. Man dürfe diesen Ansatz nur nicht zerreden und so tun, als ob die Regierung gegen die muslimische Community arbeite.
Fast 600.000 Muslime leben in Österreich. In der Gemeinde Telfs mit ihren fast 15.000 Einwohnern steht seit 2006 das erste Minarett Tirols.
Das alles sei heute noch viel schlimmer geworden, betont er, seit der islamistische Terror Europa erreicht habe, seit der IS im Nahen Osten und Boko Haram in Afrika morde. Es gab die Attentate in Paris, Kopenhagen, Brüssel. Und die Behörden haben mit Entsetzen festgestellt, dass sich junge Muslime von Österreich aus überdurchschnittlich häufig dem Dschihad anschließen. Misstrauen überall.
Und nun wird an diesem Mittwoch im Wiener Parlament ein neues Islamgesetz beschlossen. Klar, dass es trotz guten Willens von allen Seiten vor allem unter einem Blickwinkel beleuchtet wird: Wie hält es Österreich mit seinen Muslimen?
Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, der für die große Koalition aus SPÖ und ÖVP spricht, betont demonstrativ: „Der Islam gehört zu Österreich.“ Das Gesetz sei keine kurzatmige Reaktion auf IS-Terror und Anschläge wie jene von Paris, sondern ein langfristiger Beitrag dazu, dass sich gläubige Muslime als selbstbewusste Österreicher fühlen könnten. Was da beschlossen werde, könne gar eine Vorreiterrolle für Europa haben. Und tatsächlich: In der CDU/CSU wird bereits darüber debattiert, was man übernehmen könnte.
In Österreich mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern leben heute etwa 570000 Muslime. Aber schon seit 1912, damals notwendig geworden durch Habsburgs Annexion von Bosnien-Herzegowina mit seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit, gibt es ein Islamgesetz. Es war damals einzigartig in Europa und erkannte die Muslime als Religionsgemeinschaft an und erlaubte ihnen die Selbstverwaltung. Aber es war stark renovierungsbedürftig, das bestätigt die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, (IGGiÖ), die seit 1979 als anerkannte Religionsvertretung Hauptansprechpartner des Staates ist.
Die Novelle enthält radikale Veränderungen und prägt damit das im Habsburger Reich der vielen Völker und vielen Religionen gewachsene Verhältnis von Muslimen und katholisch dominierter Mehrheit neu. Von einem „Misstrauensschleier“, der über den 33 Paragrafen ausgebreitet sei, spricht Richard Potz vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht in Wien, Experte und Gutachter in Sachen Islamgesetz: Muslime würden zu einem expliziten Bekenntnis zu Staat und Gesetz gezwungen. Das gelte so für keine andere Religion. Denn ein zentraler Satz lautet: „Es muss eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat bestehen.“ Eine Selbstverständlichkeit? In der Regierung heißt es, indem man den Vorrang des Staates vor der Scharia festschreibe, verhindere man, dass Islam und Islamismus in einen Topf geworfen würden.
Drei Vorgaben sind es vor allem, die eine heiße Debatte ausgelöst haben. In Zukunft dürfen islamische Einrichtungen sich nicht mehr auf Dauer aus dem Ausland finanzieren. Damit solle Kontrolle und Einfluss unterbunden werden, wie sie etwa die Religionsbehörde in Ankara ausübe. Derzeit etwa zahlt diese die Gehälter von mehr als 60 türkischen Imamen in Österreich. Spenden und Stiftungen nach österreichischem Recht seien aber weiter möglich, betont Kurz. Zudem sollen Imame in Zukunft in Österreich ausgebildet werden und dort ihren Lebensmittelpunkt haben; Imame, die oft nur für ein paar Monate „eingeflogen“ werden, soll es nicht mehr geben. Für die inländische Ausbildung sollen islamisch-theologische Studiengänge aufgebaut werden. Außerdem muss jede Religionsgemeinschaft eine „Darstellung ihrer Lehre und wesentlichen Glaubensinhalte“ vorlegen – und das auf Deutsch, denn das „sei nun mal Amtssprache“.
Wer so ein Gesetz zimmere, hieß es umgehend, der wolle Muslime ausgrenzen, nicht integrieren. Der zeige: Nur Muslime, die österreichisches Deutsch sprechen, die in einem auf Deutsch vorgelegten Koran lesen, die bei in Österreich ausgebildeten Imamen beten und in von einheimischem Geld finanzierte Moscheen gehen, seien gute Muslime. Auch Inan Türkmen hält das Gesetz für ein „Misstrauensvotum“. Für einen Kniefall vor den Rechtspopulisten. Einzelne Aspekte seien vernünftig, weil sie mehr Transparenz schafften und die Abhängigkeit von den türkischen Übervätern verminderten. Aber ihm ist nicht wohl.
Vielen ist nicht wohl. Der Schura-Rat der IGGiÖ hat am Sonntag eine letzte Stellungnahme erarbeitet, bevor an diesem Mittwoch über das Gesetz abgestimmt wird. Der Tenor: Ja, aber. Die Vorlage entspreche in zentralen Punkten nicht den Bedürfnissen der in Österreich lebenden Muslime. Aber: Das Papier sei ein Kompromiss, an dessen Ausarbeitung man beteiligt war. Außerdem sei zahlreichen Bedenken Rechnung getragen worden, daher stimme man zu – nach dem Motto: Mehr war nicht drin. Nach der finalen Abstimmung gab es internen Ärger, das Votum sei nicht einhellig gewesen, hieß es. Fuat Sanac, Präsident der IGGiÖ, ist deshalb erregt und deprimiert – nicht nur über „Heckenschützen“ im Verband, sondern über den Gang der Debatte insgesamt. „Terroristische Gruppen kommen und gehen, man darf sich davon nicht beeinflussen lassen.“
Letztlich aber sei das Gesetz eben doch „zum Nutzen der Muslime“. Denn, und hier klingt er ganz wie Minister Kurz, es enthalte ja nicht nur Pflichten, sondern auch neue Rechte: islamische Friedhöfe, Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, die Einhaltung von Speisevorschriften auch in staatlichen Stellen wie Bundesheer oder Krankenhäusern, islamische Feiertage. Sebastian Kurz in Wien formuliert das offensiver: Es brauche auch den Mut, unpopuläre Regeln zu schaffen. Und Probleme lösten sich nicht durch Wegschauen.
Die Union in Deutschland ist jedenfalls elektrisiert. Franz-Josef Jung, Vize-Fraktionschef und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften in der CDU/CSU, findet das Anliegen und die Zielrichtung des österreichischen Gesetzes im Grundsatz richtig. „Wir haben uns auch schon länger mit der Frage beschäftigt, ob Imame aus dem Ausland finanziert und von dort entsandt werden sollten.“ In Deutschland gebe es allerdings schon vier Lehrstühle für islamische Theologie; dieses Angebot müsse nur mehr angenommen werden, auch ohne entsprechendes Gesetz. Ähnlich wie im österreichischen Ansatz, so Jung, könne man deutschsprachige Predigten in Moscheen einfordern. „Denn die Moscheen haben selbst mit einer Sprachbarriere zu kämpfen, wenn die dritte Generation in Deutschland lebender Muslime die ursprüngliche Gebetssprache nicht mehr richtig spricht.“
Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte der Union im Bundestag, will die Ideen aus Österreich sogar in den Berliner Innenausschuss tragen. Inlandsfinanzierung, Ausbildung in Deutschland – das sei legitim und nütze auch den Muslimen. Man dürfe diesen Ansatz nur nicht zerreden und so tun, als ob die Regierung gegen die muslimische Community arbeite.