Die Jungs sind gerade mal dreizehn, als die DDR verschwindet. Ein Schnitt – und das Land ist plötzlich weg. Gerade noch hatten Dani, Rico, Mark, Pitbull und Paul als Pioniere mit roten Halstüchern in der Schulbank gesessen und sich für eine Wehrkundeübung Schilder mit der Aufschrift „Bauchschuss“ oder „bewusstlos“ umgehängt, da rasen sie im nächsten Bild schon im geklauten Auto zu wummernden Beats durch die Stadt, abgefüllt womöglich mit Westbier.
Die Schauspieler Ruby O. Fee und Merlin Rose in einer Szene des Films "Als wir träumten"
„Die Bullen sind härter als früher, aber jetzt habe ich einen Verteidiger“, sagt einer. So pragmatisch kann man die Große Wende sehen. Dabei ist der doppelte Bruch enorm: von der Kindheit im geordneten Sozialismus zu einer Jugend im wiedervereinigten Deutschland, dessen Osten „wild“ genannt wird, weil die Fabriken geschlossen, Funktionäre gestürzt und neue Autoritäten noch nicht in Sicht sind.
Das meiste ist natürlich trotzdem längst entschieden, aber das weiß man oft nicht so genau, wenn man mittendrin steckt. Über die wilden Träume dieser Übergangszeit und die explosiven Umbrüche hatte Clemens Meyer seinen gefeierten Roman „Als wir träumten“ (2006) geschrieben. Ein scheißgutes Buch, wie die Jungs sagen würden, dessen hitzige Sprache und Wildheit dem Getriebensein der Figuren und der wilden Nachwendezeit entspricht. Aufregend auch, dass die durchweg schwierigen, wenn nicht schwererziehbaren Jungen nicht wie Sozialfälle wirken.
Andreas Dresen, der große Realist des deutschen Kinos, hat das Buch verfilmt, mit tollen Jungschauspielern, nach einem Drehbuch des 83-jährigen Wolfgang Kohlhaase. Dani (Merlin Rose) ist der Erzähler, ein hübscher Junge, dem das Gedichteaufsagen liegt, dessen unglaublich verhärmte Mutter (Melanie Straub) ihn schon mal „mein Unglück“ nennt. Rico (Julius Nitschkoff) ist ein talentierter Boxer, aber zu oft in Straßenprügeleien verwickelt; Mark (Joel Basman) liebt Musik, kommt irgendwann aber von den Drogen nicht mehr weg; Pitbull (Marcel Heuperman) ist ein wuchtig-träger Pragmatiker; und Paul (Frederic Haselon) hat Probleme mit den Mädchen. Dann gibt es noch Sternchen (Ruby O. Fee), die Schönste von allen, die in der Disco tanzt und Danis Stern wird.
Die Clique tanzt, taumelt, rast wie eine Gruppe von Schlafwandlern an der Abbruchkante der Geschichte entlang – dort, wo einmal die DDR war. Meyer hat die Heimatlosigkeit und das Driften in der Wendezeit in seiner rastlosen Sprache eingefangen, Dresen schafft es mit harten Schnitten und Zeitsprüngen. Ein aufregender Stoff ist das in jedem Fall, für den der Realist Dresen am Ende aber doch nicht der ideale Regisseur ist. Schon die Ordnung des Films in Kapitel irritiert.
Dresens Stärke ist die Beobachtung. Er ist ein Sammler von Lebenskleinigkeiten, die er auf eine so kunstvoll unauffällige Art und Weise arrangiert, dass das Ganze unserem Alltag verblüffend ähnlich sieht, selbst wenn es damit wenig zu tun hat. Etwa in „Wolke 9“, in dem zwei alte Menschen sich verlieben, oder in „Halt auf freier Strecke“, seinem großen Film übers Sterben. Auch eine Literaturverfilmung ist Dresen geglückt – „Willenbrock“, nach dem Roman von Christoph Hein, der von einem Deutschland erzählt, das noch einmal vom Aufbruch träumt. Die Parallelen zu dieser Literaturverfilmung liegen auf der Hand.
Der Jungscliquenstoff, die Großmäuligkeit von Dani, Rico und den anderen, ihre Prügeleien mit Glatzen auf der Straße, die Disco, die sie aufmachen, das „Eastend“, wo endlich auch die hübschen Mädchen auftauchen – das ist aber doch erkennbar nicht Dresens Welt. Wenn die Jungs in geklauten Autos herumdüsen oder zum Stroboskoplicht tanzen wie absolute Giganten, wirken die filmischen Mittel, das Gegenlicht, das Bier und der Beat geborgt wie aus einem Film von Sebastian Schipper.
Natürlich sind schon die Träume dieser Jungs Abziehbilder – aber sie glauben daran. Bei Dresen wirken viele dieser Gang- und Actionszenen nur wie fremdes Kino. Dieses Unbehagen spürt man schon in der Eröffnungsszene. Da trifft Dani in der Dunkelheit des alten Kinos Mark, der irgendwo in der Nacht verdämmert, ein Opfer der Drogen, die der Westen gebracht hat. Im Gegenlicht sehen wir Danis Hand – alle Träume sind ausgeträumt, von Anfang an. Diese Hand im dramatischen Licht, dazu Meyers wuchtige Sprache, sind in Kombination zu viel. Zudem baut die Eröffnung eine ungute Spannung auf, als liefe die Erzählung auf einen Höhepunkt zu.
Dani – auch das ist bemerkenswert – ist zwar der Erzähler des Films, fällt als Identifikationsfigur aber aus, als sein Freund Rico von einer Horde von Glatzen verfolgt wird und er sich feige versteckt, statt ihm die Tür zu öffnen. Das kostet ihn viel Sympathie, man kann seine Entscheidung aber auch verstehen. So eine gleichzeitig mitfühlende aber auch distanzierte Haltung hat Dresen immer wieder eingenommen, sie tut den grau schillernden Figuren seiner Filme gut.
Am besten ist „Als wir träumten“ immer dann, wenn Dresen nicht die großen Actionszenen inszeniert oder am Historiengemälde malt, sondern von den Details erzählt, die das Leben sind. Wenn ein Schuldirektor etwa von den Montagsdemos erzählt: Unverantwortlich sei das, die Brücke sei doch einsturzgefährdet. Oder wenn eine Mikrowelle aus dem Westen wie ein Ufo in einer DDR-Küche auftaucht. Die Jungen wollen das Gerät natürlich ausprobieren und legen ein rohes Ei hinein. Es dreht sich auf dem rotierenden Teller, bekommt Risse – und explodiert. Besser lässt sich das Experiment der Wende in einem Bild kaum beschreiben.
Als wir träumten, D 2015 – Regie: Andreas Dresen. Buch: Wolfgang Kohlhaase, nach dem Roman von Clemens Meyer. Kamera: Michael Hammon. Schnitt: Jörg Hauschild. Mit: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Ruby O. Fee. Verleih: Pandora, 117 Minuten.
Die Schauspieler Ruby O. Fee und Merlin Rose in einer Szene des Films "Als wir träumten"
„Die Bullen sind härter als früher, aber jetzt habe ich einen Verteidiger“, sagt einer. So pragmatisch kann man die Große Wende sehen. Dabei ist der doppelte Bruch enorm: von der Kindheit im geordneten Sozialismus zu einer Jugend im wiedervereinigten Deutschland, dessen Osten „wild“ genannt wird, weil die Fabriken geschlossen, Funktionäre gestürzt und neue Autoritäten noch nicht in Sicht sind.
Das meiste ist natürlich trotzdem längst entschieden, aber das weiß man oft nicht so genau, wenn man mittendrin steckt. Über die wilden Träume dieser Übergangszeit und die explosiven Umbrüche hatte Clemens Meyer seinen gefeierten Roman „Als wir träumten“ (2006) geschrieben. Ein scheißgutes Buch, wie die Jungs sagen würden, dessen hitzige Sprache und Wildheit dem Getriebensein der Figuren und der wilden Nachwendezeit entspricht. Aufregend auch, dass die durchweg schwierigen, wenn nicht schwererziehbaren Jungen nicht wie Sozialfälle wirken.
Andreas Dresen, der große Realist des deutschen Kinos, hat das Buch verfilmt, mit tollen Jungschauspielern, nach einem Drehbuch des 83-jährigen Wolfgang Kohlhaase. Dani (Merlin Rose) ist der Erzähler, ein hübscher Junge, dem das Gedichteaufsagen liegt, dessen unglaublich verhärmte Mutter (Melanie Straub) ihn schon mal „mein Unglück“ nennt. Rico (Julius Nitschkoff) ist ein talentierter Boxer, aber zu oft in Straßenprügeleien verwickelt; Mark (Joel Basman) liebt Musik, kommt irgendwann aber von den Drogen nicht mehr weg; Pitbull (Marcel Heuperman) ist ein wuchtig-träger Pragmatiker; und Paul (Frederic Haselon) hat Probleme mit den Mädchen. Dann gibt es noch Sternchen (Ruby O. Fee), die Schönste von allen, die in der Disco tanzt und Danis Stern wird.
Die Clique tanzt, taumelt, rast wie eine Gruppe von Schlafwandlern an der Abbruchkante der Geschichte entlang – dort, wo einmal die DDR war. Meyer hat die Heimatlosigkeit und das Driften in der Wendezeit in seiner rastlosen Sprache eingefangen, Dresen schafft es mit harten Schnitten und Zeitsprüngen. Ein aufregender Stoff ist das in jedem Fall, für den der Realist Dresen am Ende aber doch nicht der ideale Regisseur ist. Schon die Ordnung des Films in Kapitel irritiert.
Dresens Stärke ist die Beobachtung. Er ist ein Sammler von Lebenskleinigkeiten, die er auf eine so kunstvoll unauffällige Art und Weise arrangiert, dass das Ganze unserem Alltag verblüffend ähnlich sieht, selbst wenn es damit wenig zu tun hat. Etwa in „Wolke 9“, in dem zwei alte Menschen sich verlieben, oder in „Halt auf freier Strecke“, seinem großen Film übers Sterben. Auch eine Literaturverfilmung ist Dresen geglückt – „Willenbrock“, nach dem Roman von Christoph Hein, der von einem Deutschland erzählt, das noch einmal vom Aufbruch träumt. Die Parallelen zu dieser Literaturverfilmung liegen auf der Hand.
Der Jungscliquenstoff, die Großmäuligkeit von Dani, Rico und den anderen, ihre Prügeleien mit Glatzen auf der Straße, die Disco, die sie aufmachen, das „Eastend“, wo endlich auch die hübschen Mädchen auftauchen – das ist aber doch erkennbar nicht Dresens Welt. Wenn die Jungs in geklauten Autos herumdüsen oder zum Stroboskoplicht tanzen wie absolute Giganten, wirken die filmischen Mittel, das Gegenlicht, das Bier und der Beat geborgt wie aus einem Film von Sebastian Schipper.
Natürlich sind schon die Träume dieser Jungs Abziehbilder – aber sie glauben daran. Bei Dresen wirken viele dieser Gang- und Actionszenen nur wie fremdes Kino. Dieses Unbehagen spürt man schon in der Eröffnungsszene. Da trifft Dani in der Dunkelheit des alten Kinos Mark, der irgendwo in der Nacht verdämmert, ein Opfer der Drogen, die der Westen gebracht hat. Im Gegenlicht sehen wir Danis Hand – alle Träume sind ausgeträumt, von Anfang an. Diese Hand im dramatischen Licht, dazu Meyers wuchtige Sprache, sind in Kombination zu viel. Zudem baut die Eröffnung eine ungute Spannung auf, als liefe die Erzählung auf einen Höhepunkt zu.
Dani – auch das ist bemerkenswert – ist zwar der Erzähler des Films, fällt als Identifikationsfigur aber aus, als sein Freund Rico von einer Horde von Glatzen verfolgt wird und er sich feige versteckt, statt ihm die Tür zu öffnen. Das kostet ihn viel Sympathie, man kann seine Entscheidung aber auch verstehen. So eine gleichzeitig mitfühlende aber auch distanzierte Haltung hat Dresen immer wieder eingenommen, sie tut den grau schillernden Figuren seiner Filme gut.
Am besten ist „Als wir träumten“ immer dann, wenn Dresen nicht die großen Actionszenen inszeniert oder am Historiengemälde malt, sondern von den Details erzählt, die das Leben sind. Wenn ein Schuldirektor etwa von den Montagsdemos erzählt: Unverantwortlich sei das, die Brücke sei doch einsturzgefährdet. Oder wenn eine Mikrowelle aus dem Westen wie ein Ufo in einer DDR-Küche auftaucht. Die Jungen wollen das Gerät natürlich ausprobieren und legen ein rohes Ei hinein. Es dreht sich auf dem rotierenden Teller, bekommt Risse – und explodiert. Besser lässt sich das Experiment der Wende in einem Bild kaum beschreiben.
Als wir träumten, D 2015 – Regie: Andreas Dresen. Buch: Wolfgang Kohlhaase, nach dem Roman von Clemens Meyer. Kamera: Michael Hammon. Schnitt: Jörg Hauschild. Mit: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Ruby O. Fee. Verleih: Pandora, 117 Minuten.