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Die Rechnung, bitte

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Bei Starbucks läuft es ungefähr so: Ein Frappuccino geht über die Ladentheke, etwa in der Filiale in Berlin am Brandenburger Tor. Profit daraus fließt aber in die Niederlande. Dort hat die Kaffeehauskette zwei Firmen gegründet, die Starbucks Coffee EMEA BV und die Starbucks Manufacturing EMEA BV. Sie rösten Bohnen und liefern sie in die Nachbarländer – dafür muss die Filiale in Berlin bezahlen. Das Geld bleibt aber nicht in den Niederlanden. Die Starbucks Coffee EMEA BV muss wiederum Lizenzgebühren überweisen: an die Alki LP, eine britische Firma. Der Gesellschaft gehört das „intellektuelle Eigentum“ des Konzerns, also die Marke Starbucks und das Design, durch das Kaffee-Fans von Weitem den Laden am Brandenburger Tor erkennen.



Einige Großkonzerne machen es wie Starbucks: Durch Umwege entgehen sie der Steuerpflicht. Nun will die EU Kommission dagegen vorgehen

Gewinne fließen aus Deutschland in die Niederlande nach Großbritannien, durch viele Gesellschaften, hin und her – bis niemand mehr nachvollziehen kann, wie und ob Konzerne überhaupt noch Steuern zahlen. Das, was für normale Bürger absurd klingt, ist von den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht anders gewollt. In den nationalen Hauptstädten ist man bedacht, sich über Steuerwettbewerb möglichst viele Standortvorteile zu sichern. Über die Jahre hat dieser Steuerwettbewerb des rein rechnerisch größten Binnenmarktes der Welt ruinöse Züge angenommen. Die Staaten hatten ihre Grenze trotz allem nicht dafür geöffnet, damit große Unternehmen das Finanzamt prellen können. Doch genau das geschieht. Der Schaden umfasst jährlich zig Milliarden, sagen Experten.

Die Europäische Kommission will jetzt umfassend gegen die gewerblichen Steuertrickser vorgehen – und an diesem Mittwoch ein Gesetzespaket verabschieden, das den ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten einzudämmen hilft. Der Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Danach sollen die Mitgliedsstaaten einander künftig automatisch informieren, wenn eine nationale Finanzbehörde mit international tätigen Konzernen wie Starbucks eine Steuerabsprache trifft. Auch die Behörde muss informiert werden. Die Daten sollen vierteljährlich ausgetauscht werden. Genannt werden sollen die Namen der beteiligten Firmen im In- und Ausland, die wesentlichen Inhalte und die betroffenen Mitgliedsstaaten. Rechtlich geht es um Steuervorentscheide. Behörden legen darin fest, wie eine Firma voraussichtlich veranlagt wird, bevor das Geschäftsjahr abgelaufen ist und später der tatsächliche Steuerbescheid kommt. Die Finanzbeamten sollen erklären, wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen sind.

Die anderen Staaten können im Bedarfsfall ausführlichere Informationen verlangen. Die kompletten Steuervorentscheide will die Europäische Kommission nicht automatisch verschickt sehen – das sei zu aufwendig. Auf Anfrage muss ein betroffenes Land die zusätzlichen Daten innerhalb einer Frist liefern. Sieht sich ein Staat durch einen Steuer-Deal benachteiligt, kann es bilateral protestieren. Die Steuerpolitik bleibt weiterhin eine hoheitliche Entscheidung der einzelnen Länder. Tritt die EU-Richtlinie in Kraft, können Staaten, aus denen Gewinne abfließen, dank der dann verfügbaren Informationen möglicherweise auch die eigenen Gesetze besser anpassen, um Schlupflöcher zu schließen. Dabei hilft es, dass die Kommission auch über Altfälle informieren lassen will, die bis zu zehn Jahre zurückliegen.

Theoretisch können EU-Staaten diese Steuervorentscheide bereits austauschen, das wird jedoch nicht praktiziert. Deswegen ist es wichtig, dass der Gesetzesentwurf zum automatischen Datentausch verpflichtet. Dann liegen sie jedem Land zumindest vor. Handelt ein Konzern einen Deal mit einer europäischen Steueroase aus, ist dieser bisher für Außenstehende praktisch nicht zu durchschauen.
Der Entwurf könnte zum ersten Mal strenge europäische Standards auf dem Gebiet der Konzernbesteuerung setzen. Doch den Vorschlägen aus Brüssel müssen sich noch die europäischen Regierungen anschließen. Das wird nicht einfach. „Leider ziehen viele Mitgliedsstaaten kurzfristige Vorteile im Steuerwettbewerb einem langfristigen Rahmen für ein stabiles System vor“, sagt der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer, der für die Liberalen als Sonderberichterstatter in einem Ausschuss die Steuertricks der Konzerne aufklären will. Länder wie Luxemburg, Niederlande und Irland profitieren davon, dass sie internationale Konzerne durch Steuerrabatte ins Land locken – auch wenn die Regierungen das lieber „wettbewerbsfähige Steuerpolitik“ nennen. Und andere Staaten ziehen nach. Großbritannien beispielsweise bietet eine Steuersubvention, die vor Kurzem Starbucks überzeugt hat, die Europazentrale aus den Niederlanden nach London zu verlegen. Der Frappuccino wird sich an neue Umwege gewöhnen müssen.

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