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Klänge aus dem Politiklabor

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Das Prager Goethe-Institut hat mit 27 jungen Komponisten ein Jahr lang die musikalische Identität ehemaliger Ostblock-Staaten untersucht. Die Ergebnisse des Workshops werden im Rahmen der "musica viva" in München präsentiert.

Musikalische Erkundungen auf irritierend unbekanntem Terrain: Im Rahmen eines mehrjährigen Projekts untersucht das Goethe-Institut in Prag zusammen mit dem Ensemble Modern in Frankfurt die Rolle der Musik in jenen Staaten im Osten Europas, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen, nationalstaatliche Identitäten herauszubilden. 'Woher? Wohin? - Mythen, Nation, Identitäten' lautet der Arbeitstitel dieser Unternehmung, die weniger an echte Feldforschung, sondern an ein Laborexperiment erinnert. Denn die junge Komponistenszenen in den baltischen Staaten, in Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und der Slowakei wurden nicht etwa in Hinblick darauf durchforstet, ob in ihnen eine Auseinandersetzung mit der Frage nach einer (kulturellen) Nation stattfindet, nein, die Auseinandersetzung wurde implantiert.



Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann

27 junge Komponisten nahmen 2011 an einem Workshop in Frankfurt teil, acht von ihnen wurden ausgewählt, für das Ensemble Modern Werke zu komponieren, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen sollen. Das Nachdenken über Politik fällt also zusammen mit einem konkreten Werkauftrag, ein Umstand, der zumindest in der absoluten Musik nicht unproblematisch ist. Nachdem nun das Ensemble Modern jene acht Stücke an zwei Abenden im Rahmen der musica viva in der Münchner Muffathalle präsentiert hat, kann man nur rätseln, in wie weit die einzelnen Stücke als repräsentativ für die Personalstile ihrer jeweiligen Komponisten oder gar deren Herkunftsländer gelten können.

Alle acht Stücke - drei aus Lettland, zwei aus Slowenien, je eines aus Tschechien, Polen, Ungarn - haben ein bisschen die Aura einer Fleißaufgabe: Die Besetzungen sind ähnlich - Streichquartett beziehungsweise -quintett plus Bläserensemble mit Instrumenten in extremen Lagen plus Klavier plus Schlagwerk plus (teilweise) Elektronik. Viel tolles Handwerk ist zu erkennen, ein genaues Wissen um Klangkombinationen, Raffinesse in der Instrumentierung und der Behandlung der einzelnen Instrumente. Aber nicht viel bleibt im Gedächtnis, wenig wirkt eigenständig, vollends durchdacht, fertig, von echter Aussagekraft beseelt.

Als reine Skizzen erscheinen jene Werke, die Gegensatz und Homogenisierung (einer Gesellschaft?) rein über die musikalische Faktur behandeln: Liegeklänge gegen Pizzicati, effektvolle Klangfarben- und Dynamikkontraste. Besser: der Witz der Letten. Kristaps Petersons" 'Money' erinnert an Kagels Anschläge auf den Konzertbetrieb, Geldscheine werden zum Instrument, die ökonomische Krise wird sanft veralbert. Andris Dzenitis vertont ein 'Latvian Cookbook' als sägende und hämmernde Bastelarbeit. Am konkretesten: Der Ingrimm, mit dem Nina Senk (extrem skeptische) Stellungnahmen slowenischer Schriftsteller zur nationalen Souveränität vertont: Zwar verkommt hier die Musik zum Beiwerk des gesprochenen Textes, die schroffe Wirkung indes ist beeindruckend.

Doch vor allem bleibt der Eindruck des fabelhaften Könnens des Ensemble Modern unter Peter Eötvös haften. Das ist gut, aber zu wenig.

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