Denise Siwatula arbeitet als Anwältin im Ostkongo. Sie lebt gefährlich. Sie hilft Opfern sexueller Gewalt
Denise Siwatula hat schlanke Arme und noch feinere Handgelenke, die beinahe zerbrechlich wirken. Wenn sie erzählt, spricht sie viel mit ihren Händen. Manchmal hält sie diese in die Höhe und schüttelt sie hin und her, als wollte sie einen unsichtbaren Gegner packen, der zur Vernunft gebracht werden muss. In diesen Momenten legt die Wut drei Furchen auf ihre Stirn, aber nur ganz kurz. Dann lächelt sie wieder gefasst und senkt ein wenig den Kopf, als müsse sie sich für diesen Ausbruch des Zorns entschuldigen. Madame Siwatula ist eine junge Anwältin in der ostkongolesischen Stadt Goma.
Sie arbeitet in einer Welt, in der es viel Schuld gibt - und fast keine Sühne. Sie tut, was jede Anwältin in jedem anderen Land auch tut. Und doch ist alles anders in dieser Gegend, wo der Staat niemals mehr war als eine Fratze seiner selbst. Er hat viele schöne Gesetze beschlossen, aber diejenigen, die das Recht im Namen des Staates vertreten sollen, trampeln oft nur höhnisch darauf herum. Dennoch steigt Denise Siwatula jeden Tag in diesen Ring, um Gerechtigkeit für ihre Klientinnen zu erstreiten. Die Anwältin vertritt Opfer sexueller Gewalt.
Zwei große Kongo-Kriege haben das Land im Herzen Afrikas zerrüttet, seit 2002 herrscht offiziell Friede, aber gerade in den Kivu-Provinzen im Osten, wo Siwatula lebt und arbeitet, kommen die Menschen nicht zur Ruhe. Sie leiden unter korrupten Politikern, die ihre eigenen Taschen füllen. Unter einer völlig disziplinlosen Armee, die plündert und mordet. Und den zahlreichen Milizen, die ganze Landstriche tyrannisieren. Gerade erst eroberten Rebellen der Gruppe M23 in einer Blitzoffensive die Provinzhauptstadt Goma, sie hielten den Ort einige Tage lang besetzt und zogen sich dann wieder vor die Stadtgrenzen zurück.
Die Armee lief einfach davon, die stationierten Blauhelme sahen der Offensive tatenlos zu. Wieder kapitulierte der Staat auf ganzer Linie, und dass seine Vertreter nun nach Goma zurückkehren durften samt der chaotischen Armee, wird Kabila nun mit politischen Zugeständnissen an die Rebellen bezahlen müssen. Doch es ist nicht so, dass M23 von der Masse der Menschen als tapfere Befreier gefeiert würden. Im Gegenteil: Die Kongolesen fürchten alle bewaffneten Gruppen, weil die Milizen wehrlose Bewohner töten und vergewaltigen. Selbst in den Flüchtlingslagern sind sie nicht mehr sicher.
Ein Land voller Täter und Opfer - und mitten drin versuchen Menschen wie Denise Siwatula, Gerechtigkeit zu erstreiten und ein wenig von der Würde zu retten, die jedem Menschen zustehen sollte. An einem sonnigen Morgen fährt die 31-Jährige hinaus in das Dorf Shasha am Westufer des Kivu-Sees. Die Wellen glitzern, an den steilen Hängen bearbeiten Frauen die Felder, ihre Babys haben sie auf den Rücken gebunden. Bauern und Fischer leben hier draußen, und auch eine junge Frau namens Isabel, die gerade im Schatten sitzt und ihre kleine schlafende Tochter auf dem Schoß liegen hat. Sie erzählt zögerlich eine sehr lange und manchmal komplizierte Geschichte, die beginnt, als sie 17 Jahre alt ist. An einem Nachmittag wird sie von einem Mitschüler vergewaltigt. Neun Monate später bringt sie die kleine Davilla auf die Welt, sie liebt ihre Tochter, aber das Baby ruft auch immer wieder die Erinnerung wach an die schlimme Tat. Und der Schuldige ist nicht bestraft.
Die Polizei hatte den Fall damals zwar aufgenommen, dann aber schnell einen ganz anderen Mann ins Gefängnis geworfen und mehrere Tage festgehalten, bis Isabel aufgebracht erklärte, dass der es doch gar nicht war. Isabels Familie spricht von einem 'Manöver der Polizei', die versuche, den wahren Täter zu schützen. Denn dessen Familie sei mit dem Dorfpolizisten gut befreundet. Der Mann, der ihr Gewalt angetan habe, laufe immer noch frei herum, klagt Isabel. Die junge Mutter ist deshalb mit Siwatulas Hilfe vor Gericht gezogen, hinter der Anwältin steht die kongolesische Organisation 'Synergie des Femmes pour les Victimes des Violences Sexuelles' (SFVS), die versucht, in solchen Fällen juristischen Beistand für die Opfer zu leisten. Doch der Beschuldigte erscheint niemals vor Gericht, und die Polizei sagt, sie könne ihn nicht finden, obgleich er immer wieder von anderen gesehen wird im Dorf.
Sieben Mal schon ist Isabel den weiten Weg nach Goma gereist, als ihr Fall vor Gericht angesetzt war. Aber keinen Schritt ging es voran. Angeblich sind Polizei-Dokumente verschwunden, die Beamten sagen, sie hätten kein Geld, um zu telefonieren. Und nun hat auch Isabel nichts mehr in der Tasche, um sich weitere Fahrten in die Stadt zu leisten. 'Aber ich will, dass sie ihn endlich verhaften', sagt Isabel, 'und dass er Entschädigung an mich zahlt.' Auch der Staatsanwalt hat Siwatula inzwischen signalisiert, dass ihm doch leider die Mittel fehlten, um den Fall genauer zu erforschen. 'Das ist normalerweise der Code, mit dem die Leute am Gericht die Hand aufhalten.' Zahlst du nicht, passiert auch nichts. So ist die Botschaft.
Mit dieser Form der Korruption hat Denise Siwatula ständig zu tun. Und besonders aussichtslos ist es, wenn reiche einflussreiche Leute einer Vergewaltigung beschuldigt werden, und das Opfer sehr arm ist. Denn mit Geld ist fast alles im Kongo zu regeln. Siwatula schimpft über die allgegenwärtige Bestechung im Justizapparat, und über Richter und Staatsanwälte, die alles tun, um eine Klägerin einfach mürbe zu machen, bis sie von selbst aufgibt. So sieht sie das auch jetzt im Fall der jungen Isabel, die während des Besuches ihrer Anwältin nervös wirkt und ständig mit ihren Fin-gern spielt. Alle, die ihr helfen wollen, sind ratlos.
Das Leid, die Demütigung, die lähmende Frustration - sie trifft so viele im Kongo. In den kriegerischen Jahren seit 1996 sind nach UN-Angaben mindestens 200000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden, eine amerikanische Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zahlen in manchen Jahren noch um ein Vielfaches höher liegen. Und die Frauen sind häufig so schwer verletzt, dass sie die Verbrechen nur durch mehrere chirurgische Eingriffe überleben - wenn sie es zu einem Arzt schaffen. Soldaten, die sich solcher Verbrechen schuldig machen, müssen gewöhnlich vor ein Militärgericht, wo Siwatula auch schon manchen Fall mit betreut hat. Einmal ging es um die Familie eines Offiziers aus dem Westkongo, der in den Osten versetzt worden war. Sie hatten ein sechs Monate altes Baby. Eines Tages stellte der Offizier einen Soldaten ab, um auf das Baby aufzupassen, weil die Mutter fort musste. Er ahnte nicht, dass sich dieser Mann an seinem Kind vergehen würde. Der Täter bekam dafür schließlich 20 Jahre Haft. Und der Vater stammelte nach der Tat immer wieder, dass er fort müsse, schnell fort. Nie wieder könne er einen Fuß auf ostkongolesische Erde setzen, sagte er. Auch das ist Siwatula im Gedächtnis ge-blieben.
Es geht aber nicht nur um Soldaten, Milizen und den Krieg, sondern immer häufiger auch um Gewalt im zivilen Alltag. So wie bei Isabel. Längst ist die sexuelle Gewalt nicht nur eine Waffe im Krieg, sie hat sich in alle Bereiche des Lebens im Ostkongo ausgebreitet - und zerstört Menschen selbst dort, wo gar keine Bewaffneten wüten. Das zeigt eine neue Studie der Organisation Heal Africa, und davon erzählt auch Immanuel Byabutse, ein alter Mann im Dorf Shasha, der seine Zeit darauf verwendet, Opfern wie der jungen Frau Isabel beizustehen. 'Offenbar haben viele junge Leute von den Milizen gelernt und machen es ihnen nach', sagt Byabutse, der die breite Verrohung durch den langen Krieg beklagt. 'Einen Fall wie der von Isabel wäre früher von unserem Dorf selbst gelöst worden.' Es wäre ein Rat einberufen worden, die Familien hätten verhandelt und eine Lösung gefunden, womöglich hätte der Schuldige eine Kompensation an das Opfer gezahlt. 'Aber das alles funktioniert nicht mehr.'
Und auch die Justiz im fernen Goma versagt, sie ist nur Fassade in einem Staat, den die Bürger ohnehin in allen Belangen vermissen. Sicherheit, Gerechtigkeit, Infrastruktur, Gesundheit, Bildung. In allen Bereichen sind die Kongolesen fast immer auf sich selbst gestellt. Und immer wieder dem Recht des Stärkeren ausgeliefert. Über ihre eigene Kindheit im Ostkongo sagt Siwatula, dass sie gut gewesen sei, und dass sie selbst immer Glück gehabt habe, der Gewalt zu entkommen. Niemals musste sie fliehen, und die Milizen haben ihr nichts angetan. Gleichwohl hat sie schon früh mit angesehen, wie Flüchtlinge litten, und sie erzählten sich im Dorf Geschichten von Frauen aus Ruanda, die ihre eigenen Kinder auf der Flucht töteten, weil sie nicht mehr wussten, wie sie sie retten sollten. Immer wieder musste Denise Siwatula als kleines Mädchen daran denken. Sie war eine clevere Schülerin, und sie wollte unbedingt studieren, obwohl ihre Eltern als Bauern wenig Geld zur Seite legen konnten und acht Kinder großzuziehen hatten. Aber sie hat sich durchgebissen und im Jahr 2006 in Goma einen Abschluss in Jura gemacht. Danach arbeitete sie für verschiedene Organisationen, und immer häufiger stieß sie auf Opfer der sexuellen Gewalt. 'Ich habe diesen Frauen und Kindern in die Augen gesehen, und seither komme ich von meiner Arbeit nicht mehr los.'
Woher Siwatula die Kraft nimmt, gegen diese Windmühlen anzukämpfen? 'Ach, manchmal kommt man auch an den Punkt, wo man alles hinwerfen möchte', sagt sie. So oft schon habe sie verloren, aber manchmal gelingt es eben doch, einen Fall zu gewinnen. Vor Kurzem kam eine Frau nach dem Prozess zu ihr mit glasigen Augen. 'Ich habe gespürt, wie wichtig dieses Urteil für sie war. Das gab mir neuen Schwung.'
Denise Siwatula hat schlanke Arme und noch feinere Handgelenke, die beinahe zerbrechlich wirken. Wenn sie erzählt, spricht sie viel mit ihren Händen. Manchmal hält sie diese in die Höhe und schüttelt sie hin und her, als wollte sie einen unsichtbaren Gegner packen, der zur Vernunft gebracht werden muss. In diesen Momenten legt die Wut drei Furchen auf ihre Stirn, aber nur ganz kurz. Dann lächelt sie wieder gefasst und senkt ein wenig den Kopf, als müsse sie sich für diesen Ausbruch des Zorns entschuldigen. Madame Siwatula ist eine junge Anwältin in der ostkongolesischen Stadt Goma.
Sie arbeitet in einer Welt, in der es viel Schuld gibt - und fast keine Sühne. Sie tut, was jede Anwältin in jedem anderen Land auch tut. Und doch ist alles anders in dieser Gegend, wo der Staat niemals mehr war als eine Fratze seiner selbst. Er hat viele schöne Gesetze beschlossen, aber diejenigen, die das Recht im Namen des Staates vertreten sollen, trampeln oft nur höhnisch darauf herum. Dennoch steigt Denise Siwatula jeden Tag in diesen Ring, um Gerechtigkeit für ihre Klientinnen zu erstreiten. Die Anwältin vertritt Opfer sexueller Gewalt.
Zwei große Kongo-Kriege haben das Land im Herzen Afrikas zerrüttet, seit 2002 herrscht offiziell Friede, aber gerade in den Kivu-Provinzen im Osten, wo Siwatula lebt und arbeitet, kommen die Menschen nicht zur Ruhe. Sie leiden unter korrupten Politikern, die ihre eigenen Taschen füllen. Unter einer völlig disziplinlosen Armee, die plündert und mordet. Und den zahlreichen Milizen, die ganze Landstriche tyrannisieren. Gerade erst eroberten Rebellen der Gruppe M23 in einer Blitzoffensive die Provinzhauptstadt Goma, sie hielten den Ort einige Tage lang besetzt und zogen sich dann wieder vor die Stadtgrenzen zurück.
Die Armee lief einfach davon, die stationierten Blauhelme sahen der Offensive tatenlos zu. Wieder kapitulierte der Staat auf ganzer Linie, und dass seine Vertreter nun nach Goma zurückkehren durften samt der chaotischen Armee, wird Kabila nun mit politischen Zugeständnissen an die Rebellen bezahlen müssen. Doch es ist nicht so, dass M23 von der Masse der Menschen als tapfere Befreier gefeiert würden. Im Gegenteil: Die Kongolesen fürchten alle bewaffneten Gruppen, weil die Milizen wehrlose Bewohner töten und vergewaltigen. Selbst in den Flüchtlingslagern sind sie nicht mehr sicher.
Ein Land voller Täter und Opfer - und mitten drin versuchen Menschen wie Denise Siwatula, Gerechtigkeit zu erstreiten und ein wenig von der Würde zu retten, die jedem Menschen zustehen sollte. An einem sonnigen Morgen fährt die 31-Jährige hinaus in das Dorf Shasha am Westufer des Kivu-Sees. Die Wellen glitzern, an den steilen Hängen bearbeiten Frauen die Felder, ihre Babys haben sie auf den Rücken gebunden. Bauern und Fischer leben hier draußen, und auch eine junge Frau namens Isabel, die gerade im Schatten sitzt und ihre kleine schlafende Tochter auf dem Schoß liegen hat. Sie erzählt zögerlich eine sehr lange und manchmal komplizierte Geschichte, die beginnt, als sie 17 Jahre alt ist. An einem Nachmittag wird sie von einem Mitschüler vergewaltigt. Neun Monate später bringt sie die kleine Davilla auf die Welt, sie liebt ihre Tochter, aber das Baby ruft auch immer wieder die Erinnerung wach an die schlimme Tat. Und der Schuldige ist nicht bestraft.
Die Polizei hatte den Fall damals zwar aufgenommen, dann aber schnell einen ganz anderen Mann ins Gefängnis geworfen und mehrere Tage festgehalten, bis Isabel aufgebracht erklärte, dass der es doch gar nicht war. Isabels Familie spricht von einem 'Manöver der Polizei', die versuche, den wahren Täter zu schützen. Denn dessen Familie sei mit dem Dorfpolizisten gut befreundet. Der Mann, der ihr Gewalt angetan habe, laufe immer noch frei herum, klagt Isabel. Die junge Mutter ist deshalb mit Siwatulas Hilfe vor Gericht gezogen, hinter der Anwältin steht die kongolesische Organisation 'Synergie des Femmes pour les Victimes des Violences Sexuelles' (SFVS), die versucht, in solchen Fällen juristischen Beistand für die Opfer zu leisten. Doch der Beschuldigte erscheint niemals vor Gericht, und die Polizei sagt, sie könne ihn nicht finden, obgleich er immer wieder von anderen gesehen wird im Dorf.
Sieben Mal schon ist Isabel den weiten Weg nach Goma gereist, als ihr Fall vor Gericht angesetzt war. Aber keinen Schritt ging es voran. Angeblich sind Polizei-Dokumente verschwunden, die Beamten sagen, sie hätten kein Geld, um zu telefonieren. Und nun hat auch Isabel nichts mehr in der Tasche, um sich weitere Fahrten in die Stadt zu leisten. 'Aber ich will, dass sie ihn endlich verhaften', sagt Isabel, 'und dass er Entschädigung an mich zahlt.' Auch der Staatsanwalt hat Siwatula inzwischen signalisiert, dass ihm doch leider die Mittel fehlten, um den Fall genauer zu erforschen. 'Das ist normalerweise der Code, mit dem die Leute am Gericht die Hand aufhalten.' Zahlst du nicht, passiert auch nichts. So ist die Botschaft.
Mit dieser Form der Korruption hat Denise Siwatula ständig zu tun. Und besonders aussichtslos ist es, wenn reiche einflussreiche Leute einer Vergewaltigung beschuldigt werden, und das Opfer sehr arm ist. Denn mit Geld ist fast alles im Kongo zu regeln. Siwatula schimpft über die allgegenwärtige Bestechung im Justizapparat, und über Richter und Staatsanwälte, die alles tun, um eine Klägerin einfach mürbe zu machen, bis sie von selbst aufgibt. So sieht sie das auch jetzt im Fall der jungen Isabel, die während des Besuches ihrer Anwältin nervös wirkt und ständig mit ihren Fin-gern spielt. Alle, die ihr helfen wollen, sind ratlos.
Das Leid, die Demütigung, die lähmende Frustration - sie trifft so viele im Kongo. In den kriegerischen Jahren seit 1996 sind nach UN-Angaben mindestens 200000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden, eine amerikanische Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zahlen in manchen Jahren noch um ein Vielfaches höher liegen. Und die Frauen sind häufig so schwer verletzt, dass sie die Verbrechen nur durch mehrere chirurgische Eingriffe überleben - wenn sie es zu einem Arzt schaffen. Soldaten, die sich solcher Verbrechen schuldig machen, müssen gewöhnlich vor ein Militärgericht, wo Siwatula auch schon manchen Fall mit betreut hat. Einmal ging es um die Familie eines Offiziers aus dem Westkongo, der in den Osten versetzt worden war. Sie hatten ein sechs Monate altes Baby. Eines Tages stellte der Offizier einen Soldaten ab, um auf das Baby aufzupassen, weil die Mutter fort musste. Er ahnte nicht, dass sich dieser Mann an seinem Kind vergehen würde. Der Täter bekam dafür schließlich 20 Jahre Haft. Und der Vater stammelte nach der Tat immer wieder, dass er fort müsse, schnell fort. Nie wieder könne er einen Fuß auf ostkongolesische Erde setzen, sagte er. Auch das ist Siwatula im Gedächtnis ge-blieben.
Es geht aber nicht nur um Soldaten, Milizen und den Krieg, sondern immer häufiger auch um Gewalt im zivilen Alltag. So wie bei Isabel. Längst ist die sexuelle Gewalt nicht nur eine Waffe im Krieg, sie hat sich in alle Bereiche des Lebens im Ostkongo ausgebreitet - und zerstört Menschen selbst dort, wo gar keine Bewaffneten wüten. Das zeigt eine neue Studie der Organisation Heal Africa, und davon erzählt auch Immanuel Byabutse, ein alter Mann im Dorf Shasha, der seine Zeit darauf verwendet, Opfern wie der jungen Frau Isabel beizustehen. 'Offenbar haben viele junge Leute von den Milizen gelernt und machen es ihnen nach', sagt Byabutse, der die breite Verrohung durch den langen Krieg beklagt. 'Einen Fall wie der von Isabel wäre früher von unserem Dorf selbst gelöst worden.' Es wäre ein Rat einberufen worden, die Familien hätten verhandelt und eine Lösung gefunden, womöglich hätte der Schuldige eine Kompensation an das Opfer gezahlt. 'Aber das alles funktioniert nicht mehr.'
Und auch die Justiz im fernen Goma versagt, sie ist nur Fassade in einem Staat, den die Bürger ohnehin in allen Belangen vermissen. Sicherheit, Gerechtigkeit, Infrastruktur, Gesundheit, Bildung. In allen Bereichen sind die Kongolesen fast immer auf sich selbst gestellt. Und immer wieder dem Recht des Stärkeren ausgeliefert. Über ihre eigene Kindheit im Ostkongo sagt Siwatula, dass sie gut gewesen sei, und dass sie selbst immer Glück gehabt habe, der Gewalt zu entkommen. Niemals musste sie fliehen, und die Milizen haben ihr nichts angetan. Gleichwohl hat sie schon früh mit angesehen, wie Flüchtlinge litten, und sie erzählten sich im Dorf Geschichten von Frauen aus Ruanda, die ihre eigenen Kinder auf der Flucht töteten, weil sie nicht mehr wussten, wie sie sie retten sollten. Immer wieder musste Denise Siwatula als kleines Mädchen daran denken. Sie war eine clevere Schülerin, und sie wollte unbedingt studieren, obwohl ihre Eltern als Bauern wenig Geld zur Seite legen konnten und acht Kinder großzuziehen hatten. Aber sie hat sich durchgebissen und im Jahr 2006 in Goma einen Abschluss in Jura gemacht. Danach arbeitete sie für verschiedene Organisationen, und immer häufiger stieß sie auf Opfer der sexuellen Gewalt. 'Ich habe diesen Frauen und Kindern in die Augen gesehen, und seither komme ich von meiner Arbeit nicht mehr los.'
Woher Siwatula die Kraft nimmt, gegen diese Windmühlen anzukämpfen? 'Ach, manchmal kommt man auch an den Punkt, wo man alles hinwerfen möchte', sagt sie. So oft schon habe sie verloren, aber manchmal gelingt es eben doch, einen Fall zu gewinnen. Vor Kurzem kam eine Frau nach dem Prozess zu ihr mit glasigen Augen. 'Ich habe gespürt, wie wichtig dieses Urteil für sie war. Das gab mir neuen Schwung.'