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Der deutsche Herr der Ringe

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Im Sommer 1965 brach der damals 27-jährige Verleger Michael Klett zu einer Reise nach Kanada auf. Was er von dort mitbrachte, war nicht nur die Erinnerung an einen abenteuerlichen Trip, sondern auch die Idee, Tolkiens Werke zu übersetzen.

Bereits eine Woche nach Kinostart hatte der erste Teil von Peter Jacksons "Hobbit"-Trilogie mit mehr als 170 Millionen Euro schon einen Großteil seines Budgets eingespielt. Die Filmausgabe des Buchs, unter dem Titel "Der Hobbit oder Hin und zurück" bei Klett-Cotta erschienen, war in der ersten Auflage von 150000 Exemplaren schon vor der Premiere des Films vergriffen; auch die älteren Ausgaben verkauften sich etwa zwei- bis dreimal häufiger als noch im ersten Halbjahr 2012. Bereits Jacksons "Herr der Ringe"-Adaption ließ in den Jahren 2001 bis 2003 die Verkäufe des literarischen Vorbilds in ungeahnte Höhen schnellen. Entdeckt hatte das Fantasy-Epos einst Michael Klett persönlich, jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der Verlagsgruppe Klett AG und ältester Sohn des Verlegers Ernst Klett junior, der seinerseits das Unternehmen seines Vaters nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der größten und erfolgreichsten Schulbuchverlage der Bundesrepublik ausbaute.



Kleiner Hobbit, großer Erfolg

Im Frühling 1965 kam Michael Klett erstmals mit J. R. R. Tolkiens "Herr der Ringe" in Berührung. Der damals 27-Jährige war zu Besuch bei seiner Cousine in Neuengland, im Westen des US-Bundesstaats Massachusetts. In der kleinen Ortschaft Hawley residierte er in einem prachtvollen Haus aus dem 17. Jahrhundert, zu dem auch eine ehemalige Apfelfarm gehörte. Wenn man ihn heute danach befragt, beschreibt der Verleger die Atmosphäre als "verwunschen, verträumt", die Landschaft habe ihn "verzaubert".

Seine Cousine sei bereits damals "völlig abgefahren auf Tolkien", und so legte sie ihm die Lektüre der Trilogie "Der Herr der Ringe" wärmstens ans Herz. Klett, der sich zu dieser Zeit noch in der Verlagsausbildung befand, nutzte die wenigen Mußestunden, um mit dem ersten Teil, "The Fellowship of the Ring", zu beginnen: "Es war eine angespannte Zeit, ich hatte sehr viel zu tun und bin deshalb kaum zum Lesen gekommen", erzählt der heute 74-Jährige. Er sei "sofort gepackt" gewesen - auch wenn er die mehr als 1500 Seiten umfassende Geschichte des Hobbits Frodo nicht zu Ende lesen konnte, da er zu einem Abenteuer nach Kanada aufbrach. Im Sommer 1965 fuhr Michael Klett in den Norden, um mit einem Freund im Kajak durch den kanadischen Urwald zu reisen. Das Wetter in dieser Region ist schwer vorherzusehen, der Herbst beginnt ab Anfang September. Als nach zweieinhalb Monaten in der Wildnis plötzlich der erste Schnee fiel, wurde den Abenteurern klar, dass es brenzlig werden könnte: Sie waren fast 1000 Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, es gab kein Wild zum Jagen mehr, keine Gänse und keine Fische, die sie hätten fangen können. Der Verleger erinnert sich noch an zwei junge Raben, die er erlegt habe, bevor er tage-, ja, wochenlang keine Nahrung mehr fand: "Die waren widerlich." Seine Schilderungen erinnern unweigerlich an die Strapazen, die Frodo und sein Gefährte Samweis Gamdschi auf sich nehmen.

Michael Klett und sein Freund behalfen sich in Kanada mit einer Notration Rosinen und Haferflocken. Als der Hubschrauber, der die Abenteurer eigentlich abholen sollte, nicht am vereinbarten Treffpunkt erschien, standen sie vor der Wahl, entweder mit ihren Kajaks durch die Meeresbucht Hudson Bay nach Churchill zu fahren oder den Weg zu Fuß anzutreten. Sie entschieden sich für den Landweg. Nach tagelanger Reise mit sechsstündigen Märschen und zwölfstündigen Ruhephasen erreichten sie, abgemagert und am Ende ihrer Kräfte, schließlich ihr Ziel in der kanadischen Provinz Manitoba, wo sie sich kurz "aufpäppeln" ließen, um gleich darauf mit dem Zug nach Chicago zu fahren.

Dort wollten sie sich, nicht zuletzt auf Anraten eines Arztes, bei einem Freund gründlich regenerieren. In dessen Wohnung angekommen, freute sich der Verlagsanwärter, Ruhe in einer warmen Stube zu finden. Als er sich am ersten Abend ins Bett legte, das er aus gesundheitlichen Gründen auch in den folgenden Tagen kaum verlassen würde, entdeckte er auf dem Nachttisch Tolkiens "Der Herr der Ringe".

"Ich war als regelmäßiger Leser geradezu ausgehungert, weil ich im Urwald ja auch keine Zeit hatte, irgendetwas zu lesen", erzählt er. Daher habe er das Buch verschlungen, habe Tag und Nacht gelesen: "Viele meiner Erfahrungen fand ich bei der Lektüre wieder, die Phantasien, die man auf so einer beschwerlichen Reise hat."

Zurück in Deutschland, schlug Michael Klett seinem Vater vor, eine deutsche Übersetzung des Werks zu veröffentlichen. Ernst Klett, zunächst skeptisch, willigte unter der Voraussetzung ein, dass alle Kosten durch die erste Auflage gedeckt werden müssten. Die Verhandlungen mit Stanley Unwin, dem damaligen Rechteinhaber, fanden im Frühjahr 1966 statt und dauerten lediglich fünf Minuten -zwanzig andere Verlage hatten bereits abgewunken. Infolge der Bedingungen des Vaters kostete die Erstausgabe 100 Mark pro Band - erstaunlicherweise verkaufte sich die Reihe dennoch sehr gut. Die spätere Ausgabe in der grünen Pappbox, die der Verlag auch heute noch im Programm hat, konnte bereits für 39 Mark angeboten werden - für alle drei Bücher zusammen. Bald übernahm der Verlag die Rechte an weiteren Werken Tolkiens, darunter auch "Der Hobbit".

Mit den Einnahmen konnte der Verlag Klett-Cotta aufgebaut werden, er hat unter der Marke "Hobbit Presse" noch heute zahlreiche Fantasy-Romane im Programm. Allein die Erzählung Frodo Beutlins verkauft sich immer noch 30000 bis 40000 Mal jährlich; in den Filmjahren waren es sogar bis zu 23 Mal so viele Exemplare. Wie im Film die Hauptfigur Bilbo, so scheint es, brachte auch Michael Klett damals einen Schatz von der Reise mit.

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