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Gleiche Bildungschancen für alle

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Der britische Staatsminister will junge Männer aus der Arbeiterklasse fördern. An den Universitäten stellen sie eine Minderheit dar.

London - Was, fragte eine britische Studie schon vor zehn Jahren, beschäftigt junge weiße Männer der heimischen Arbeiterklasse am meisten? Wenig überraschend waren es nicht die schönen Künste, es war auch nicht der Hunger nach Bildung. Es waren laut der Studie von Ofsted, einer Organisation, die das Ausbildungsniveau in Großbritannien überwacht, die drei großen F: fighting, football, f...ing, also Schlägereien, Fußball und Geschlechtsverkehr. Seit Publikation der Studie betrachtet Ofsted die Entwicklung junger weißer Männer aus der Arbeiterklasse mit Sorge, denn diese werden mehr und mehr abgehängt. Mittlerweile ist das Problem so groß, dass der für die Universitäten zuständige Staatsminister David Willetts fordert, diese Männer müssten künftig im Land wie eine ethnische Minderheit behandelt und speziell gefördert werden.



An britischen Unis findet man kaum Absolventen aus der Arbeiterklasse.

In einem Gastbeitrag des Independent vom Donnerstag führt Willetts nun detailliert aus, was er meint: An den Universitäten sind junge weiße Männer aus der Arbeiterklasse tatsächlich eine Minderheit; sie sind fast schon eine bedrohte Spezies. Daher, meint Willetts, müssten sie gezielt gefördert werden.

In Großbritannien soll das Office for Fair Access (Offa) dafür sorgen, dass Kinder aller Ethnien und aus allen Schichten gleiche Bildungschancen haben - zumindest im staatlichen Bildungssystem. Eine kleine Elite kann es sich leisten, ihre Kinder auf teure Privatschulen zu schicken. Rund sieben Prozent der Schüler besuchen solche Institutionen. Aus dieser Gruppe rekrutieren sich rund 70 Prozent der britischen Führungskräfte. Fast das gesamte Kabinett genoss die Vorzüge einer Privatschulerziehung, für die meisten führenden Oppositionspolitiker gilt das gleiche.

Alle übrigen Schüler sind auf staatliche Schulen angewiesen, und anschließend da-rauf, dass die Universitäten ihre Plätze fair verteilen. Offa weist darauf hin, dass weiße Männer aus der Arbeiterklasse an den Unis nicht rar sind, weil sie benachteiligt würden, sondern weil sie sich gar nicht erst bewürben. Schon in der Schule sind ihre Leistungen signifikant schlechter als die von Jungen aus der Mittelklasse - und vor allem schlechter als die von Mädchen.

Derzeit sind an britischen Universitäten 984000 Studentinnen und 713000 Studen-ten eingeschrieben. Es wird erwartet, dass diese Lücke in naher Zukunft noch bedeu-tend größer wird. Willetts schreibt: 'Ich mache mir Sorgen darüber, dass es so aus-sieht, als würden junge Männer zunehmend schlechtere Leistungen abliefern.' Im vergangenen Herbst sank die Zahl der männlichen Erstsemester im Vergleich zum Vorjahr um 54000, das ist ein Rückgang von 13 Prozent. Zwar haben auch weniger junge Frauen als im Vorjahr ein Studium aufgenommen, aber der Rückgang beträgt lediglich rund drei Prozent.

Dass geringfügig weniger junge Menschen in Großbritannien ein Studium aufnehmen, lässt sich mit den hohen Studiengebühren erklären. Die konservativ-liberaldemokratische Koalition hat nach Regierungsantritt die Gebühren verdrei-facht. Die meisten Unis verlangen jetzt 9000 Pfund im Jahr. Das Gros der Studenten finanziert diese Gebühren über einen Bildungskredit. Zwar argumentiert die Re-gierung, dass die Rückzahlung erst viel später erfolgen müsse, wenn der Absolvent genug verdiene, doch manche Schulabgän-ger schreckt die Aussicht, am Ende des Studiums Schulden in Höhe von 30000 bis 50000 Pfund angehäuft zu haben - sie ent-scheiden sich gegen die Uni.

Willetts Vorstoß, junge weiße Mäner aus der Arbeiterklasse als ethnische Minderheit zu fördern, kommt zu einem interessanten Zeitpunkt. Erst vor gut zwei Wochen sind die Daten der jüngsten Volkszählung im Königreich veröffentlicht worden. Diese besagen unter anderem, dass in London der Anteil der weißen britischen Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren von 60 auf 45 Prozent gesunken ist. 37 Prozent der Bewohner Londons sind Ausländer, landesweit sind es rund 13 Prozent. London ist damit, wie die Financial Times schreibt, die erste westliche Hauptstadt mit einer mehrheitlich nicht-weißen Bevölkerung - allerdings räumt das Blatt ein, dass Washington je nach Grenzziehung ebenfalls nicht mehrheitlich weiß ist; gleiches gelte für Brüssel, das als 'Hauptstadt der Botschaften' aber eine Ausnahme darstelle.

Fraglich ist, ob es tatsächlich praktikabel ist, weiße junge Männer aus der Arbeiterklasse als ethnische Minderheit zu fördern. Der Generaldirektor der Versammlung der Schulleiter von unabhängigen Schulen warnte bereits: Man könne bei gleicher Qualifikation nicht künftig Mädchen aus der Mittelklasse ablehnen, weil es vorge-schrieben sei, Jungen aus der Arbeiterklasse zu fördern. Jeder Fall müsse individuell betrachtet werden.

Zudem ist abzusehen, dass Willetts Vorstoß bei den tatsächlichen ethnischen Minder-heiten auf Verwunderung stoßen könnte. Denn mindestens so beunruhigend wie die geringe Zahl von weißen, männlichen Ar-beiterkindern an den Unis ist die Tatsache, dass in Großbritannien die Hälfte aller 16 bis 24 Jahre alten schwarzen Männer arbeitslos ist.

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