Nordrhein-Westfalen ist stolz auf seinen islamischen Religionsunterricht. Doch die Probleme in der Praxis sind groß.
Der Startschuss ist gefallen: Endlich gibt es in Deutschland einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht, vergleichbar mit dem Religionsunterricht der christlichen Konfessionen. Nur so richtig in Schwung ist die ganze Sache noch nicht gekommen, sie holpert, und die Startschwierigkeiten sind groß. Vor einem Jahr brachte die rot-grüne Landesregierung mit Unterstützung der CDU das nötige Gesetz auf den Weg. Nun rühmt sich Nordrhein-Westfalen, mit Beginn des laufenden Schuljahres das neue Schulfachangebot als erstes Bundesland auf die Beine gestellt zu haben. Zunächst in den Grundschulen, von Sommer 2013 an dann auch an den weiterführenden Schulen seien damit christliche und muslimische Schüler formal auf eine Stufe gestellt.
Schon 2001 erhielten Kinder im Rahmen eines Schulversuches Islam-Unterricht in deutscher Sprache - hier in der fünften Klasse einer Kölner Hauptschule.
Das alles ist an sich lobenswert, das Problem ist allerdings die Umsetzung. Die ist derart problematisch, dass der Landesregierung das Vorzeigeprojekt auf die Füße zu fallen droht. Schon seit Längerem sorgt die Zusammensetzung des Beirats für Streit - er ist ein neu geschaffenes Konstrukt, das die Religionsgemeinschaft des Islam vertreten und dem Staat als Ansprechpartner dienen soll, da es im Islam keine feste Organisationsstrukturen mit oberstem Repräsentanten gibt. Und nun muss die Düsseldorfer Landesregierung auch noch Spott über sich ergehen lassen. So witzelte jüngst der Jugendsender Eins Live über die unbeliebtesten Studiengänge - und nannte dabei auch die Islamische Religionslehre. Denn dort waren zum Zeitpunkt der Sendung gerade einmal gut 20 Studenten eingeschrieben.
Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen gab es im vergangenen Schuljahr offiziell 3086 Grundschulen mit etwas mehr als 100000 Schülern islamischen Glaubens. Der Bedarf an islamischen Religionslehrern dürfte bei gut 1500 liegen, schätzt das Schulministerium. Im Land gibt es bislang nur einen universitären Lehrstuhl, an
dem neben Lehrern auch noch Imame ausgebildet werden sollen. Zudem verlässt man sich allein auf die vier großen Dachverbände: Ditib, Islamrat, Verband der
Islamischen Kulturzentren und Zentralrat der Muslime, die sich zum Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossen
haben.
Dieses Verfahren ist nicht unproblematisch, da die Verbände jeweils eigene Interessen verfolgen, die nicht unbedingt im Interesse des Landes und der Schulen sind. So zeichnen sich bereits Versuche ab, von künftigen Lehrern Loyalität nicht gegenüber dem Glauben, sondern gegenüber den Verbänden zu erzwingen. Lehrer, die seit Langem erfolgreich das Übergangsfach Islamkunde lehren und auch das neue Angebot unterrichten wollen, müssen vor diesen umstrittenen Beirat treten. Der soll ihnen dann bescheinigen, dass sie, polemisch verkürzt, verbandstreu genug sind. Eine solche Überprüfung ist weder theologisch legitim noch von den meisten Muslimen gewollt. Hinweise auf die seit Langem geltende christliche Praxis führen nicht weiter. Für den Islam gehen Gott und Mensch eine unmittelbare Beziehung ein. Deshalb ist es unislamisch, wenn Menschen andere Menschen legitimieren, wiederum anderen die Religiosität zu bescheinigen oder abzusprechen.
Neben der theologischen Fragwürdigkeit des Verfahrens gibt es Kritik an der praktischen Umsetzung. Nachdem die ersten Kandidaten vor den Beirat getreten sind, fühlten sich manche irritiert, einzelne waren zornig. Manchen Beiratsmitgliedern sei es nicht um die Frage der persönlichen Religiosität gegangen, sondern allein um das Stummschalten kritischer Stimmen. Statt nach religiösen Überzeugungen zu fragen, sei die Haltung zu den Verbänden thematisiert worden, berichten Lehramtskandidaten: 'Wenn Sie uns kritisieren - warum wollen Sie dann Islamunterricht erteilen?'
Manchmal wurden nach den Gesprächen Briefe verschickt, in denen Nachweise über die Mitgliedschaft in einem der vier Dachverbände gefordert wurden. Genau das war seitens der Politik im Vorfeld stets ausgeschlossen worden - und nicht einmal die Ordnung zur Erteilung von Lehrerlaubnissen sieht solch eine Mitgliedschaft vor. Darin heißt es, die künftigen Lehrer müssten sich zu einer Zusammenarbeit mit einer Moscheegemeinde, 'die im Koordinationsrat der Muslime organisiert ist', bereit erklären. Doch letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Muslime hier quasi per Dekret zur Eingliederung in die Islamverbände verdonnert werden. Viele Religionslehrer fühlen sich unwohl, denn sie werden in einen Gewissenskonflikt gestoßen: Darf man nach seiner eigenen Überzeugung unterrichten oder allein die Inhalte nach Auslegung eines islamischen Ansprechpartners vermitteln? Ferner macht der Beirat die Lehrerlaubnis von der Bescheinigung einer Moscheegemeinde über 'die Teilnahme der Bewerberin/ des Bewerbers am Gemeindeleben' abhängig. Das ist vor allem für Bewerberinnen ein Problem. Eine muslimische Frau ist nach klassisch-islamischer Lehre nicht dazu verpflichtet, in eine Moschee zu gehen - nicht einmal zum Freitagsgebet.
Der holprige Start des Religionsunterrichts ist auch in den Schulen selbst zu spüren. Im Grunde unterrichten die Lehrer einfach das weiter, was sie vorher bereits vermittelt haben - die Islamkunde. Für das neue Fach gibt es noch keinen Lehrplan, vor Beginn des kommenden Schuljahres dürfte der kaum fertig sein. Auch die Auswahl der vorhandenen, vom Schulministerium genehmigten Lehrbücher für Grund- und weiterführende Schulen ist überschaubar. Man kommt auf eine Handvoll.
Jahrzehntelang ist um einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht gerungen worden. Immer hieß es seitens der Politik: Ihr Muslime müsst kirchenähnliche Strukturen schaffen, erst dann erfüllt ihr die Voraussetzungen für das grundgesetzlich garantierte Recht auf Erteilung von Religionsunterricht. Und dann ging es plötzlich ganz schnell. Juristische und sonstige Bedenken wurden beiseitegewischt, offenbar für den vermeintlich schnellen Erfolg.
In Deutschland zeichnet sich derzeit eine Art Wettlauf in der Politik ab: Wer führt als erster etwas zum Islam ein? Die CDU hat vorgelegt, die SPD muss nun nachziehen. Erst jüngst wurde in Hamburg der erste Vertrag zwischen einem Bundesland und einer Auswahl von Vertretern der Muslime gefeiert. Oberflächlich betrachtet mag ein solcher Wettlauf für Muslime begrüßenswert sein. Denn immerhin: Es tut sich endlich etwas. Doch geschieht wenig durchdacht, und so ist aus fachlicher Sicht Skepsis angebracht. Die Schnellschüsse können sich am Ende auch zum Nachteil für die Muslime in Deutschland entwickeln.
Der Startschuss ist gefallen: Endlich gibt es in Deutschland einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht, vergleichbar mit dem Religionsunterricht der christlichen Konfessionen. Nur so richtig in Schwung ist die ganze Sache noch nicht gekommen, sie holpert, und die Startschwierigkeiten sind groß. Vor einem Jahr brachte die rot-grüne Landesregierung mit Unterstützung der CDU das nötige Gesetz auf den Weg. Nun rühmt sich Nordrhein-Westfalen, mit Beginn des laufenden Schuljahres das neue Schulfachangebot als erstes Bundesland auf die Beine gestellt zu haben. Zunächst in den Grundschulen, von Sommer 2013 an dann auch an den weiterführenden Schulen seien damit christliche und muslimische Schüler formal auf eine Stufe gestellt.
Schon 2001 erhielten Kinder im Rahmen eines Schulversuches Islam-Unterricht in deutscher Sprache - hier in der fünften Klasse einer Kölner Hauptschule.
Das alles ist an sich lobenswert, das Problem ist allerdings die Umsetzung. Die ist derart problematisch, dass der Landesregierung das Vorzeigeprojekt auf die Füße zu fallen droht. Schon seit Längerem sorgt die Zusammensetzung des Beirats für Streit - er ist ein neu geschaffenes Konstrukt, das die Religionsgemeinschaft des Islam vertreten und dem Staat als Ansprechpartner dienen soll, da es im Islam keine feste Organisationsstrukturen mit oberstem Repräsentanten gibt. Und nun muss die Düsseldorfer Landesregierung auch noch Spott über sich ergehen lassen. So witzelte jüngst der Jugendsender Eins Live über die unbeliebtesten Studiengänge - und nannte dabei auch die Islamische Religionslehre. Denn dort waren zum Zeitpunkt der Sendung gerade einmal gut 20 Studenten eingeschrieben.
Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen gab es im vergangenen Schuljahr offiziell 3086 Grundschulen mit etwas mehr als 100000 Schülern islamischen Glaubens. Der Bedarf an islamischen Religionslehrern dürfte bei gut 1500 liegen, schätzt das Schulministerium. Im Land gibt es bislang nur einen universitären Lehrstuhl, an
dem neben Lehrern auch noch Imame ausgebildet werden sollen. Zudem verlässt man sich allein auf die vier großen Dachverbände: Ditib, Islamrat, Verband der
Islamischen Kulturzentren und Zentralrat der Muslime, die sich zum Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossen
haben.
Dieses Verfahren ist nicht unproblematisch, da die Verbände jeweils eigene Interessen verfolgen, die nicht unbedingt im Interesse des Landes und der Schulen sind. So zeichnen sich bereits Versuche ab, von künftigen Lehrern Loyalität nicht gegenüber dem Glauben, sondern gegenüber den Verbänden zu erzwingen. Lehrer, die seit Langem erfolgreich das Übergangsfach Islamkunde lehren und auch das neue Angebot unterrichten wollen, müssen vor diesen umstrittenen Beirat treten. Der soll ihnen dann bescheinigen, dass sie, polemisch verkürzt, verbandstreu genug sind. Eine solche Überprüfung ist weder theologisch legitim noch von den meisten Muslimen gewollt. Hinweise auf die seit Langem geltende christliche Praxis führen nicht weiter. Für den Islam gehen Gott und Mensch eine unmittelbare Beziehung ein. Deshalb ist es unislamisch, wenn Menschen andere Menschen legitimieren, wiederum anderen die Religiosität zu bescheinigen oder abzusprechen.
Neben der theologischen Fragwürdigkeit des Verfahrens gibt es Kritik an der praktischen Umsetzung. Nachdem die ersten Kandidaten vor den Beirat getreten sind, fühlten sich manche irritiert, einzelne waren zornig. Manchen Beiratsmitgliedern sei es nicht um die Frage der persönlichen Religiosität gegangen, sondern allein um das Stummschalten kritischer Stimmen. Statt nach religiösen Überzeugungen zu fragen, sei die Haltung zu den Verbänden thematisiert worden, berichten Lehramtskandidaten: 'Wenn Sie uns kritisieren - warum wollen Sie dann Islamunterricht erteilen?'
Manchmal wurden nach den Gesprächen Briefe verschickt, in denen Nachweise über die Mitgliedschaft in einem der vier Dachverbände gefordert wurden. Genau das war seitens der Politik im Vorfeld stets ausgeschlossen worden - und nicht einmal die Ordnung zur Erteilung von Lehrerlaubnissen sieht solch eine Mitgliedschaft vor. Darin heißt es, die künftigen Lehrer müssten sich zu einer Zusammenarbeit mit einer Moscheegemeinde, 'die im Koordinationsrat der Muslime organisiert ist', bereit erklären. Doch letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Muslime hier quasi per Dekret zur Eingliederung in die Islamverbände verdonnert werden. Viele Religionslehrer fühlen sich unwohl, denn sie werden in einen Gewissenskonflikt gestoßen: Darf man nach seiner eigenen Überzeugung unterrichten oder allein die Inhalte nach Auslegung eines islamischen Ansprechpartners vermitteln? Ferner macht der Beirat die Lehrerlaubnis von der Bescheinigung einer Moscheegemeinde über 'die Teilnahme der Bewerberin/ des Bewerbers am Gemeindeleben' abhängig. Das ist vor allem für Bewerberinnen ein Problem. Eine muslimische Frau ist nach klassisch-islamischer Lehre nicht dazu verpflichtet, in eine Moschee zu gehen - nicht einmal zum Freitagsgebet.
Der holprige Start des Religionsunterrichts ist auch in den Schulen selbst zu spüren. Im Grunde unterrichten die Lehrer einfach das weiter, was sie vorher bereits vermittelt haben - die Islamkunde. Für das neue Fach gibt es noch keinen Lehrplan, vor Beginn des kommenden Schuljahres dürfte der kaum fertig sein. Auch die Auswahl der vorhandenen, vom Schulministerium genehmigten Lehrbücher für Grund- und weiterführende Schulen ist überschaubar. Man kommt auf eine Handvoll.
Jahrzehntelang ist um einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht gerungen worden. Immer hieß es seitens der Politik: Ihr Muslime müsst kirchenähnliche Strukturen schaffen, erst dann erfüllt ihr die Voraussetzungen für das grundgesetzlich garantierte Recht auf Erteilung von Religionsunterricht. Und dann ging es plötzlich ganz schnell. Juristische und sonstige Bedenken wurden beiseitegewischt, offenbar für den vermeintlich schnellen Erfolg.
In Deutschland zeichnet sich derzeit eine Art Wettlauf in der Politik ab: Wer führt als erster etwas zum Islam ein? Die CDU hat vorgelegt, die SPD muss nun nachziehen. Erst jüngst wurde in Hamburg der erste Vertrag zwischen einem Bundesland und einer Auswahl von Vertretern der Muslime gefeiert. Oberflächlich betrachtet mag ein solcher Wettlauf für Muslime begrüßenswert sein. Denn immerhin: Es tut sich endlich etwas. Doch geschieht wenig durchdacht, und so ist aus fachlicher Sicht Skepsis angebracht. Die Schnellschüsse können sich am Ende auch zum Nachteil für die Muslime in Deutschland entwickeln.