In Port Said lösen Todesurteile gegen brutale Fußballfans blutige Proteste aus - nun greift Ägyptens Armee ein
Kairo - Einen Tag und eine Nacht zuvor hatte Richter Sobhi Abdel Maguid 21 von 72 Angeklagten in Port Said dem Großmufti überstellen lassen - ein Synomym für die Todesstrafe. Die Fans des Fußballvereins Ahli hatten vor ihrem Club in Kairo gejubelt, und die Angehörigen der Verurteilten im Gerichtssaal von Port Said aufgeheult hatten. Eine rasende Menge hatte in Port Said Polizeistationen angegriffen, und über 30 Menschen waren gestorben waren. Am Tag nach alledem hat Port Said seine Toten begraben. Auf ihren Schultern trugen Angehörige am Sonntag die Särge durch die überfüllten Straßen der Hafenstadt, die sich verraten und missbraucht als Bühne für politische Kämpfe fühlt, als Bauernopfer für Präsident Mohammed Mursi, der aus Port Saider Sicht vor den Drohgebärden der Ahli-Fans in die Knie gegangen ist. "Es gibt keinen Gott außer Gott und Mursi ist ein Feind Gottes", riefen die Trauernden nach dem Gebet in der Mariam-Moschee. Und: "Wir werden die Toten rächen oder sterben wie sie." Schüsse seien zu hören gewesen, der Militär-Club stehe in Flammen, berichtet der Sender Al-Jazeera.
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Ein Fan des Fußballclubs Ahli nach der Urteilsverkündung
Vor ziemlich genau einem Jahr, am 2. Februar, waren bei einem Fußballspiel des Kairoer Starclubs Ahli gegen das Team des Masri-Clubs in Port Said 72 Menschen gestorben, vor allem Ahli-Fans. Masri-Fans hatten nach dem Abpfiff das Spielfeld gestürmt und mit Eisenstangen auf die Gäste eingeschlagen. Die Tore waren versperrt, die lokalen Fußballfans warfen ihre Gegner von den Tribünen, Fußballer fürchteten um ihr Leben. Es waren die schlimmsten Ausschreitungen in der Geschichte des ägyptischen Fußballs. Die Liga wurde seit damals ausgesetzt und sollte in den nächsten Tagen wieder aufgenommen werden.
Die Atmosphäre zwischen beiden Clubs war seit langem feindselig gewesen. Aber die Fans aus Port Said, so sehen es die Menschen hier, waren bestenfalls Handlanger. Als wahre Schuldige betrachten sie die Kräfte des alten Regimes, die mit den radikalsten Ahli-Fans, den Ultras, noch eine Rechnung offen hatten, weil diese zum Sturz Mubaraks beigetragen hatten.
Richter Abdel-Meguid hatte die letzten zwei Monate unter Ausschluss der Medien verhandelt. Die meisten Menschen in Port Said hatten mit Gefängnisstrafen gerechnet, so dünn sei die Beweislage gewesen, sagen Anwälte. 21 Todesurteile, das ist ein drastisches Urteil selbst für ein Land, das Exekutionen gewohnt ist. Und dass der Richter die Begründung der Todesurteile auf den 9. März verschoben hat, an dem auch die Urteile über die übrigen 52 Angeklagten verkündet werden sollen, darunter neun Polizisten, das macht viele sehr misstrauisch. Mit den harten Urteilen gegen die Zivilisten versuche der bedrängte Präsident, die Ahli-Fans zu beschwichtigen. Er hatte die Toten von Port Said vom vergangenen Jahr zu "Märtyrern der Revolution" erklärt, damit haben die Familien Anspruch auf Entschädigungen, damit stieg aber auch der Druck auf die Justiz.
Während sich die Lage in Kairo am Sonntag etwas beruhigte und es bei gelegentlichen Zusammenstößen am Nilufer blieb, kamen in Suez weitere Menschen ums Leben. Am Freitag, dem zweiten Jahrestag des Mubarak-Sturzes, waren hier neun Menschen gestorben. Berichten zufolge hatte ein aufgebrachter Rekrut der Zentralsicherheit, einer paramilitärischen Einheit des Innenministeriums, in die Menge der Protestierenden geschossen, weil sein Freund verwundet - einige sagen: getötet - worden war. Angehörige der Opfer versuchten am Samstag, über die Mauer einer Polizeistation zu klettern, es gab neue Zusammenstöße, neue Tote, insgesamt mindestens 30, berichten ägyptische Medien.
Bereits am Freitagabend war in Suez die Armee eingerückt, um den Gouverneurssitz und Polizeistationen zu schützen, aber auch den Suez-Kanal. In Port Said hatten Protestierende versucht, die Panzer aufzuhalten, auch hier soll die Armee Regierungsgebäude und den Kanal schützen. Straßen und Zugverkehr in die Stadt sind unterbrochen.
Die Ausbrüche in Port Said und Suez ebenso wie in der Kanal-Stadt Ismailia am Freitag bedrohen eine der Hauptschlagadern der angeschlagenen Wirtschaft Ägyptens. Der Suezkanal gehört zu den Haupteinnahmequellen des Landes- dies umso mehr, als der Tourismus stark eingebrochen ist. Die in London erscheinende Zeitung As-Scharq al-Awsat berichtet, ein griechisches Handelsschiff aus Alexandria sei in Port Said von Schüssen getroffen worden und habe den Hafen sofort verlassen. Griechenlands Botschafter in Ägypten, Chris Lasha, bestätigte dies, allerdings habe es keine Verletzten gegeben, nur Sachschaden. Der Chef der Suezkanal-Behörde, Mohab Mamisch, dementierte den Vorfall im ägyptischen Fernsehen. Ein Sicherheitsvakuum am Kanal ist das Letzte, was Ägypten jetzt brauchen kann.
In Kairo traf sich Präsident Mursi am Sonntagnachmittag mit Beratern, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Dabei ging es nach Informationen der SZ auch um den bevorstehenden Deutschlandbesuch. Am Mittwoch soll Mursi für zwei Tage nach Berlin reisen.
Mursi hatte in der Nacht zu Samstag den Familien der Opfer vom Freitag sein Beileid ausgedrückt - per Twitter. Am Samstag trat der Nationale Verteidigungsrat zusammen, dem neben Mursi Armeespitzen und die Minister für Verteidigung, Inneres, Justiz und Information angehören. Vage Drohungen mit einer Ausgangssperre oder gar mit einem neuen Ausnahmezustand wurden später zurückgenommen, aber eine militärische Lösung steht im Raum. Die Nationale Rettungsfront, ein Oppositionsbündnis um Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei und den linken Populisten Hamdin Sabbahi, drohte mit einem Boykott der bevorstehenden Parlamentswahlen und forderte die Bildung eine "Regierung der Nationalen Rettung". Angesichts der Panzer am Suez-Kanal ist dies ein Zeichen der Ohnmacht.
Kairo - Einen Tag und eine Nacht zuvor hatte Richter Sobhi Abdel Maguid 21 von 72 Angeklagten in Port Said dem Großmufti überstellen lassen - ein Synomym für die Todesstrafe. Die Fans des Fußballvereins Ahli hatten vor ihrem Club in Kairo gejubelt, und die Angehörigen der Verurteilten im Gerichtssaal von Port Said aufgeheult hatten. Eine rasende Menge hatte in Port Said Polizeistationen angegriffen, und über 30 Menschen waren gestorben waren. Am Tag nach alledem hat Port Said seine Toten begraben. Auf ihren Schultern trugen Angehörige am Sonntag die Särge durch die überfüllten Straßen der Hafenstadt, die sich verraten und missbraucht als Bühne für politische Kämpfe fühlt, als Bauernopfer für Präsident Mohammed Mursi, der aus Port Saider Sicht vor den Drohgebärden der Ahli-Fans in die Knie gegangen ist. "Es gibt keinen Gott außer Gott und Mursi ist ein Feind Gottes", riefen die Trauernden nach dem Gebet in der Mariam-Moschee. Und: "Wir werden die Toten rächen oder sterben wie sie." Schüsse seien zu hören gewesen, der Militär-Club stehe in Flammen, berichtet der Sender Al-Jazeera.

Ein Fan des Fußballclubs Ahli nach der Urteilsverkündung
Vor ziemlich genau einem Jahr, am 2. Februar, waren bei einem Fußballspiel des Kairoer Starclubs Ahli gegen das Team des Masri-Clubs in Port Said 72 Menschen gestorben, vor allem Ahli-Fans. Masri-Fans hatten nach dem Abpfiff das Spielfeld gestürmt und mit Eisenstangen auf die Gäste eingeschlagen. Die Tore waren versperrt, die lokalen Fußballfans warfen ihre Gegner von den Tribünen, Fußballer fürchteten um ihr Leben. Es waren die schlimmsten Ausschreitungen in der Geschichte des ägyptischen Fußballs. Die Liga wurde seit damals ausgesetzt und sollte in den nächsten Tagen wieder aufgenommen werden.
Die Atmosphäre zwischen beiden Clubs war seit langem feindselig gewesen. Aber die Fans aus Port Said, so sehen es die Menschen hier, waren bestenfalls Handlanger. Als wahre Schuldige betrachten sie die Kräfte des alten Regimes, die mit den radikalsten Ahli-Fans, den Ultras, noch eine Rechnung offen hatten, weil diese zum Sturz Mubaraks beigetragen hatten.
Richter Abdel-Meguid hatte die letzten zwei Monate unter Ausschluss der Medien verhandelt. Die meisten Menschen in Port Said hatten mit Gefängnisstrafen gerechnet, so dünn sei die Beweislage gewesen, sagen Anwälte. 21 Todesurteile, das ist ein drastisches Urteil selbst für ein Land, das Exekutionen gewohnt ist. Und dass der Richter die Begründung der Todesurteile auf den 9. März verschoben hat, an dem auch die Urteile über die übrigen 52 Angeklagten verkündet werden sollen, darunter neun Polizisten, das macht viele sehr misstrauisch. Mit den harten Urteilen gegen die Zivilisten versuche der bedrängte Präsident, die Ahli-Fans zu beschwichtigen. Er hatte die Toten von Port Said vom vergangenen Jahr zu "Märtyrern der Revolution" erklärt, damit haben die Familien Anspruch auf Entschädigungen, damit stieg aber auch der Druck auf die Justiz.
Während sich die Lage in Kairo am Sonntag etwas beruhigte und es bei gelegentlichen Zusammenstößen am Nilufer blieb, kamen in Suez weitere Menschen ums Leben. Am Freitag, dem zweiten Jahrestag des Mubarak-Sturzes, waren hier neun Menschen gestorben. Berichten zufolge hatte ein aufgebrachter Rekrut der Zentralsicherheit, einer paramilitärischen Einheit des Innenministeriums, in die Menge der Protestierenden geschossen, weil sein Freund verwundet - einige sagen: getötet - worden war. Angehörige der Opfer versuchten am Samstag, über die Mauer einer Polizeistation zu klettern, es gab neue Zusammenstöße, neue Tote, insgesamt mindestens 30, berichten ägyptische Medien.
Bereits am Freitagabend war in Suez die Armee eingerückt, um den Gouverneurssitz und Polizeistationen zu schützen, aber auch den Suez-Kanal. In Port Said hatten Protestierende versucht, die Panzer aufzuhalten, auch hier soll die Armee Regierungsgebäude und den Kanal schützen. Straßen und Zugverkehr in die Stadt sind unterbrochen.
Die Ausbrüche in Port Said und Suez ebenso wie in der Kanal-Stadt Ismailia am Freitag bedrohen eine der Hauptschlagadern der angeschlagenen Wirtschaft Ägyptens. Der Suezkanal gehört zu den Haupteinnahmequellen des Landes- dies umso mehr, als der Tourismus stark eingebrochen ist. Die in London erscheinende Zeitung As-Scharq al-Awsat berichtet, ein griechisches Handelsschiff aus Alexandria sei in Port Said von Schüssen getroffen worden und habe den Hafen sofort verlassen. Griechenlands Botschafter in Ägypten, Chris Lasha, bestätigte dies, allerdings habe es keine Verletzten gegeben, nur Sachschaden. Der Chef der Suezkanal-Behörde, Mohab Mamisch, dementierte den Vorfall im ägyptischen Fernsehen. Ein Sicherheitsvakuum am Kanal ist das Letzte, was Ägypten jetzt brauchen kann.
In Kairo traf sich Präsident Mursi am Sonntagnachmittag mit Beratern, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Dabei ging es nach Informationen der SZ auch um den bevorstehenden Deutschlandbesuch. Am Mittwoch soll Mursi für zwei Tage nach Berlin reisen.
Mursi hatte in der Nacht zu Samstag den Familien der Opfer vom Freitag sein Beileid ausgedrückt - per Twitter. Am Samstag trat der Nationale Verteidigungsrat zusammen, dem neben Mursi Armeespitzen und die Minister für Verteidigung, Inneres, Justiz und Information angehören. Vage Drohungen mit einer Ausgangssperre oder gar mit einem neuen Ausnahmezustand wurden später zurückgenommen, aber eine militärische Lösung steht im Raum. Die Nationale Rettungsfront, ein Oppositionsbündnis um Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei und den linken Populisten Hamdin Sabbahi, drohte mit einem Boykott der bevorstehenden Parlamentswahlen und forderte die Bildung eine "Regierung der Nationalen Rettung". Angesichts der Panzer am Suez-Kanal ist dies ein Zeichen der Ohnmacht.