US-Vizepräsident Joe Biden tat in München viel dafür, den Europäern die Zuneigung Amerikas zu versichern. Denn diesseits des Atlantiks ist die Sorge groß, Washington könnte sich zu stark Richtung Asien orientieren.
Joe Biden hat einen Ruf. Genauer: Er hat sogar zwei Rufe, wenn man das so sagen kann. Zum einen gilt der amerikanische Vizepräsident als einer, der seine Metaphern und Wortwitze nicht zu jedem Zeitpunkt voll im Griff hat, sodass sie ihm gelegentlich entwischen und dann für Missverständnisse sorgen. Zum anderen gilt Biden als einer der größten Schulterklopfer in Amerika, als ein Mann, der - ganz im Gegensatz zu seinem Chef Barack Obama - für jeden ein gutes Wort hat, ein Lob, ein Kompliment, auch für Leute, mit denen er eigentlich nicht viel anfangen kann. Das macht ihn als Politiker höchst erfolgreich: Wenn Obama ein Problem lösen muss und dafür ein wenig Fingerspitzengefühl und Seelenmassage nötig ist, entsendet er Joseph Robinette Biden.
Bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München wurde Biden seinen Rufen in jeglicher Hinsicht gerecht. Er begann seine Rede mit einer Bemerkung, die spaßig gemeint war, die aber auch eine tiefere Wahrheit enthielt, die der Vizepräsident wohl lieber im Verborgenen gehalten hätte. Es sei schön, in Europa zu sein, sagte Biden. Obama, klagte er, schicke ihn sonst immer nur an Orte, an die der Präsident selbst nicht fahren wolle. Was Biden sagen wollte, war klar: Es macht mehr Spaß, nach München zu fahren als nach Islamabad. Er konnte aber auch so verstanden werden: Obama schickt Biden, weil er selbst keine so rechte Lust mehr auf Europa hat.
Genau das ist die Sorge, die sich seit ein, zwei Jahren in Europa ausbreitet: Amerika könnte die alten Verbündeten diesseits des Atlantiks aus den Augen verlieren und sich mehr und mehr von Europa abkoppeln. Diese Angst gibt es seit dem Ende des Kalten Krieges. Doch es war Barack Obama, der die Furcht erst so richtig geschürt hat, als er vor etwas mehr als einem Jahr in einer Rede in Australien die Pazifikregion in den Mittelpunkt der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik rückte. Aufgeschreckt durch den raschen Aufstieg Chinas zum regionalen Rivalen, verkündete Obama damals, Amerika werde sich auf seine Rolle als pazifische Macht besinnen. In Europa erzeugte das Alarm: Eine Hinwendung der USA nach Asien könne, so die Interpretation, nur eine Abwendung von Europa bedeuten.
Es war also die Aufgabe Bidens, die nervösen Europäer zu beruhigen. Und wer könnte das besser, als der geübte Schulterklopfer aus Washington? Biden wusste, was die 350 im Hotel Bayerischer Hof versammelten Außen- und Sicherheitspolitiker von ihm erwarteten - ganz zu schweigen von seinem Chef. Und er gab sein Bestes: 'Die gute Nachricht ist: Wir bleiben. Die schlechte Nachricht ist: Wir bleiben. Es gibt nichts, was Anlass zur Sorge geben würde', versicherte Biden. Fürchtet euch nicht! Europa sei 'der Eckpfeiler' für Amerikas Engagement in der Welt, ein 'unverzichtbarer' Partner. Amerika sei zwar eine pazifische Macht, bleibe aber auch eine stolze atlantische Macht.
Und weil er gerade dabei war, umarmte Biden gleich auch noch Russland. Natürlich gebe es Meinungsunterschiede, man solle nicht naiv sein. Aber man habe doch viel zusammen geschafft in den vergangenen vier Jahren. Und man werde auch in den nächsten vier Jahren gut zusammenarbeiten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, sonst immer für ein ruppiges Zitat gut, war von so viel Wärme offenbar überwältigt. Er beschwerte sich eher pflichtgemäß als leidenschaftlich über die Nato-Osterweiterung, die US-Raketenabwehr und die Unterstützung des Westens für die Rebellen in Syrien. Dann stimmte er in Bidens Loblied ein. Man habe eine reiche Palette gemeinsamer Interessen und Vorhaben mit den USA, sagte Lawrow. Was immer es an Streitpunkten gebe, seien nur die zwischen 'Großmächten' unvermeidlichen Reibereien.
Auch diese Bemerkung enthielt wohl eine unbeabsichtigte Wahrheit: Viel von dem Widerstand, den Moskau dem Westen entgegensetzt, entspringt wohl dem Wunsch, als 'Großmacht' gesehen zu werden. Russland definiert seinen Status als Staat von Weltgeltung dadurch, dass es die USA ärgert. Ob Moskaus Einfluss in Washington dadurch tatsächlich wächst, oder ob sich Russland so in die Rolle des ewigen Nörglers verabschiedet, den niemand mehr erst nimmt, sei dahingestellt.
Doch so freundlich der Ton in München auch war, so wenig konnten die Reden darüber hinwegtäuschen, dass die Suche Amerikas und Europas nach einem neuen gemeinsamen Inhalt für ihre Ehe bisher kein Ergebnis gebracht hat. Der Einsatz in Afghanistan hat die Nato zusammengehalten, steht aber vor dem Ende. Obama will sich in seiner zweiten Amtszeit wieder um den Klimaschutz kümmern - etwas spät. Seine Untätigkeit in den vergangenen vier Jahren hat die Europäer enttäuscht. Jetzt hat Europa andere Probleme.
Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière versuchte immerhin, den Amerikanern entgegenzukommen: Erstaunlich offen zweifelte er an, ob Militäreinsätze eine sinnvolle Aufgabe für die EU seien. Vielleicht sei es besser, man überlasse das der Nato, so der Minister in seiner Rede in München. Was er nicht sagte, aber wohl auch meinte: Dann sind auch die Amerikaner fest eingebunden. Das konnte als Geste gegenüber Washington verstanden werden, wo der militärische Ehrgeiz der EU seit jeher skeptisch gesehen wird.
Angesichts des Mangels an gemeinsamen Visionen wurde in München schon fast verzweifelt ein Vorhaben aus der Schublade gezerrt, das seit Jahren immer mal wieder auftaucht: die Schaffung eines transatlantischen Binnenmarktes. Das wäre in der Tat eine wirtschaftlich und politisch grandiose Errungenschaft. Die Zeit sei reif dafür, stellte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle fest. Bisher ist eine Freihandelszone von Los Angeles bis Warschau allerdings kaum mehr als ein ferner Traum. Biden ist lange genug US-Senator gewesen, um zu wissen, wie groß der Widerstand gegen Handelsabkommen im Kongress ist. Erst vor ein paar Monaten scheiterte der Versuch der Republikaner im Senat, Präsident Obama spezielle Vollmachten für das Aushandeln neuer Wirtschaftsabkommen zu gewähren. Die Demokraten waren strikt dagegen. Bevor Obama diese Vollmacht - bekannt als Trade Promotion Authority - nicht hat, die es dem Kongress unmöglich macht, ausgehandelte Abkommen wieder aufzuschnüren, dürften ernsthafte Gespräche zwischen Europa und Amerika über einen gemeinsamen Binnenmarkt zwecklos sein.
Nach Bidens Rede herrschte auf den Gängen des Bayerischen Hofes so etwas wie erleichterte Ratlosigkeit. Erleichtert waren die europäischen Teilnehmer der Konferenz, weil Biden sich so ausdrücklich zu Amerikas Freundschaft mit Europa bekannt hat. Im Ton ließ die Rede nichts zu wünschen übrig. Ratlos waren einige Zuhörer, weil sie nicht wussten, ob Bidens Bekenntnis für den politischen Alltag viel bedeutet. Einem der klügsten deutschen Außenpolitiker fiel zur Beschreibung der Rede das Adjektiv 'kumpelhaft' ein. Illusionen macht er sich nicht. Amerika sehe, dass die Bedrohung heute nicht mehr aus Europa oder von Russland käme, sondern eben eher von China, sagte er. Und die Amerikaner würden darauf sehr pragmatisch reagieren. Die Europäer sollten aufhören, sich zu beklagen, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt des amerikanischen Interesses stünden.
Joe Biden hat einen Ruf. Genauer: Er hat sogar zwei Rufe, wenn man das so sagen kann. Zum einen gilt der amerikanische Vizepräsident als einer, der seine Metaphern und Wortwitze nicht zu jedem Zeitpunkt voll im Griff hat, sodass sie ihm gelegentlich entwischen und dann für Missverständnisse sorgen. Zum anderen gilt Biden als einer der größten Schulterklopfer in Amerika, als ein Mann, der - ganz im Gegensatz zu seinem Chef Barack Obama - für jeden ein gutes Wort hat, ein Lob, ein Kompliment, auch für Leute, mit denen er eigentlich nicht viel anfangen kann. Das macht ihn als Politiker höchst erfolgreich: Wenn Obama ein Problem lösen muss und dafür ein wenig Fingerspitzengefühl und Seelenmassage nötig ist, entsendet er Joseph Robinette Biden.
Bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München wurde Biden seinen Rufen in jeglicher Hinsicht gerecht. Er begann seine Rede mit einer Bemerkung, die spaßig gemeint war, die aber auch eine tiefere Wahrheit enthielt, die der Vizepräsident wohl lieber im Verborgenen gehalten hätte. Es sei schön, in Europa zu sein, sagte Biden. Obama, klagte er, schicke ihn sonst immer nur an Orte, an die der Präsident selbst nicht fahren wolle. Was Biden sagen wollte, war klar: Es macht mehr Spaß, nach München zu fahren als nach Islamabad. Er konnte aber auch so verstanden werden: Obama schickt Biden, weil er selbst keine so rechte Lust mehr auf Europa hat.
Genau das ist die Sorge, die sich seit ein, zwei Jahren in Europa ausbreitet: Amerika könnte die alten Verbündeten diesseits des Atlantiks aus den Augen verlieren und sich mehr und mehr von Europa abkoppeln. Diese Angst gibt es seit dem Ende des Kalten Krieges. Doch es war Barack Obama, der die Furcht erst so richtig geschürt hat, als er vor etwas mehr als einem Jahr in einer Rede in Australien die Pazifikregion in den Mittelpunkt der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik rückte. Aufgeschreckt durch den raschen Aufstieg Chinas zum regionalen Rivalen, verkündete Obama damals, Amerika werde sich auf seine Rolle als pazifische Macht besinnen. In Europa erzeugte das Alarm: Eine Hinwendung der USA nach Asien könne, so die Interpretation, nur eine Abwendung von Europa bedeuten.
Es war also die Aufgabe Bidens, die nervösen Europäer zu beruhigen. Und wer könnte das besser, als der geübte Schulterklopfer aus Washington? Biden wusste, was die 350 im Hotel Bayerischer Hof versammelten Außen- und Sicherheitspolitiker von ihm erwarteten - ganz zu schweigen von seinem Chef. Und er gab sein Bestes: 'Die gute Nachricht ist: Wir bleiben. Die schlechte Nachricht ist: Wir bleiben. Es gibt nichts, was Anlass zur Sorge geben würde', versicherte Biden. Fürchtet euch nicht! Europa sei 'der Eckpfeiler' für Amerikas Engagement in der Welt, ein 'unverzichtbarer' Partner. Amerika sei zwar eine pazifische Macht, bleibe aber auch eine stolze atlantische Macht.
Und weil er gerade dabei war, umarmte Biden gleich auch noch Russland. Natürlich gebe es Meinungsunterschiede, man solle nicht naiv sein. Aber man habe doch viel zusammen geschafft in den vergangenen vier Jahren. Und man werde auch in den nächsten vier Jahren gut zusammenarbeiten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, sonst immer für ein ruppiges Zitat gut, war von so viel Wärme offenbar überwältigt. Er beschwerte sich eher pflichtgemäß als leidenschaftlich über die Nato-Osterweiterung, die US-Raketenabwehr und die Unterstützung des Westens für die Rebellen in Syrien. Dann stimmte er in Bidens Loblied ein. Man habe eine reiche Palette gemeinsamer Interessen und Vorhaben mit den USA, sagte Lawrow. Was immer es an Streitpunkten gebe, seien nur die zwischen 'Großmächten' unvermeidlichen Reibereien.
Auch diese Bemerkung enthielt wohl eine unbeabsichtigte Wahrheit: Viel von dem Widerstand, den Moskau dem Westen entgegensetzt, entspringt wohl dem Wunsch, als 'Großmacht' gesehen zu werden. Russland definiert seinen Status als Staat von Weltgeltung dadurch, dass es die USA ärgert. Ob Moskaus Einfluss in Washington dadurch tatsächlich wächst, oder ob sich Russland so in die Rolle des ewigen Nörglers verabschiedet, den niemand mehr erst nimmt, sei dahingestellt.
Doch so freundlich der Ton in München auch war, so wenig konnten die Reden darüber hinwegtäuschen, dass die Suche Amerikas und Europas nach einem neuen gemeinsamen Inhalt für ihre Ehe bisher kein Ergebnis gebracht hat. Der Einsatz in Afghanistan hat die Nato zusammengehalten, steht aber vor dem Ende. Obama will sich in seiner zweiten Amtszeit wieder um den Klimaschutz kümmern - etwas spät. Seine Untätigkeit in den vergangenen vier Jahren hat die Europäer enttäuscht. Jetzt hat Europa andere Probleme.
Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière versuchte immerhin, den Amerikanern entgegenzukommen: Erstaunlich offen zweifelte er an, ob Militäreinsätze eine sinnvolle Aufgabe für die EU seien. Vielleicht sei es besser, man überlasse das der Nato, so der Minister in seiner Rede in München. Was er nicht sagte, aber wohl auch meinte: Dann sind auch die Amerikaner fest eingebunden. Das konnte als Geste gegenüber Washington verstanden werden, wo der militärische Ehrgeiz der EU seit jeher skeptisch gesehen wird.
Angesichts des Mangels an gemeinsamen Visionen wurde in München schon fast verzweifelt ein Vorhaben aus der Schublade gezerrt, das seit Jahren immer mal wieder auftaucht: die Schaffung eines transatlantischen Binnenmarktes. Das wäre in der Tat eine wirtschaftlich und politisch grandiose Errungenschaft. Die Zeit sei reif dafür, stellte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle fest. Bisher ist eine Freihandelszone von Los Angeles bis Warschau allerdings kaum mehr als ein ferner Traum. Biden ist lange genug US-Senator gewesen, um zu wissen, wie groß der Widerstand gegen Handelsabkommen im Kongress ist. Erst vor ein paar Monaten scheiterte der Versuch der Republikaner im Senat, Präsident Obama spezielle Vollmachten für das Aushandeln neuer Wirtschaftsabkommen zu gewähren. Die Demokraten waren strikt dagegen. Bevor Obama diese Vollmacht - bekannt als Trade Promotion Authority - nicht hat, die es dem Kongress unmöglich macht, ausgehandelte Abkommen wieder aufzuschnüren, dürften ernsthafte Gespräche zwischen Europa und Amerika über einen gemeinsamen Binnenmarkt zwecklos sein.
Nach Bidens Rede herrschte auf den Gängen des Bayerischen Hofes so etwas wie erleichterte Ratlosigkeit. Erleichtert waren die europäischen Teilnehmer der Konferenz, weil Biden sich so ausdrücklich zu Amerikas Freundschaft mit Europa bekannt hat. Im Ton ließ die Rede nichts zu wünschen übrig. Ratlos waren einige Zuhörer, weil sie nicht wussten, ob Bidens Bekenntnis für den politischen Alltag viel bedeutet. Einem der klügsten deutschen Außenpolitiker fiel zur Beschreibung der Rede das Adjektiv 'kumpelhaft' ein. Illusionen macht er sich nicht. Amerika sehe, dass die Bedrohung heute nicht mehr aus Europa oder von Russland käme, sondern eben eher von China, sagte er. Und die Amerikaner würden darauf sehr pragmatisch reagieren. Die Europäer sollten aufhören, sich zu beklagen, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt des amerikanischen Interesses stünden.