Hunde helfen Kindern, besser zu lesen. Ein bundesweites Projekt erprobt die Unterstützung durch tierische Zuhörer
Es ist kurz nach 10 Uhr morgens in einer Münchner Mittelschule und Tammy liegt da, als würde er schlafen. Seine Schnauze hat er zwischen die Pfoten geschoben. Der Bauch hebt und senkt sich im langsamen Takt. Wenn Salma neben ihm die Buchseiten umblättert, blinzelt er manchmal mit dem Auge, ansonsten aber kein Laut, nicht einmal ein Hecheln. 'Paul der Panda ist faul', liest Salma. Tammy regt sich nicht. 'Eduard das Eichhörnchen macht im Baum ein Nickerchen.' Und wahrscheinlich schläft Tammy, der Lesehund, jetzt wirklich. Jeden Donnerstag rennt Salma an der Wörthschule im Münchner Stadtteil Haidhausen wegen Tammy zur Bibliothek. Sie wirft sich auf ein Kissen am Boden, so groß wie ein Sessel, greift zu einem der Bücher, neben ihr liegt dann der Hund.
Das Mädchen - zwölf Jahre alt, geboren in Somalia - knetet das Fell von Tammy. Vor einem halben Jahr kämpfte sie noch mit den Worten, jeder Punkt am Satzende ein kleiner Sieg. Heute liest sie, ohne zu zögern: 'Willi der Welpe hat seinen Knochen vergessen.' Für Salma sind 15 Minuten Zeit mit Tammy reserviert. Sie liest einem Hund vor, einem Golden Retriever mit gelbem Fell, am Bauch ist es weiß. Ob das Tier schläft, vor sich hin döst oder tatsächlich zuhört, ist Salma egal. Der Hund ist eine Lesehilfe. Wie soll das gehen?
'Ein Hund verbessert nicht, er hört einfach zu', sagt Kimberly Grobholz, eine Frau mit grauen Haaren und Lachfalten um die Augen. Sie liegt jetzt neben Tammy und krault dem Tier das Ohr. Grobholz spricht ihr Deutsch mit einer Melodie, die man aus Amerika kennt. Von dort, aus den USA, hat Grobholz die Idee nach Deutschland gebracht: Hunde, die zuhören, wenn Kinder laut aus Büchern vorlesen. In Amerika gibt es Tausende davon. Wer an dieser Schule jeweils am Donnerstag zu Tammy geht, hat Angst vor dem Vorlesen, eine Leseschwäche oder einfach keine Lust auf Bücher. 'Der Umgang mit dem Tier entspannt und motiviert', sagt Grobholz. Der Bezug zum Tier sei ganz wichtig. 'Die Kinder verlieren bei Tammy ihre Ängste.'
In Deutschland sind die Leseleistungen der Schüler nur mäßig - das zeigen internationale Bildungsvergleiche immer wieder. Unter den 15-Jährigen liegt der Anteil der sehr schwachen Leser bei 18,5 Prozent. Angst und Scham spielen hier auch eine Rolle. 'Ein positiver Verstärker kann das negativ besetzte Lesen wieder attraktiv machen', sagt die Leseforscherin Cordula Artelt, Professorin am Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung in Bamberg. Für die Kinder in der Wörthschule ist der positive Verstärker der Golden Retriever. Tiertherapeuten arbeiten mit dieser Erkenntnis schon lange: Der Kontakt mit einem Hund schüttet demnach Glückshormone aus. Zehn Kinder lesen an diesem Tag in dem Raum an der Münchner Schule. Sie kommen aus Somalia, Mazedonien, der Türkei und der Slowakei oder auch aus Deutschland. Zum Lesehund gehen manche schon seit Jahren. An der Wand stehen Bücherschränke mit Wälzern hinter Glas. Das ist das Ziel. Irgendwann erst freilich. 'In Deutschland sind Lesehunde noch unbekannt', sagt Initiatorin Kimberly Grobholz, 'aber den Kindern hilft"s.' Sie gründete ihr Projekt 2008 in München, mittlerweile gibt es Ableger unter anderem in Mainz, Augsburg, Weiden in der Oberpfalz und Bremen. Grobholz sitzt neben den Schülern, manchmal hilft sie auch beim Lesen. 'Aber nicht zu viel, das ist die Abmachung', sagt sie. Die Kinder kommen zu Tammy, weil ihr Lehrer sie schickt. 'Wer regelmäßig zum Lesehund geht, liest auch im Unterricht besser', sagt etwa die Deutschlehrerin Margreth Außerlechner. Schüler mit Leseschwäche tauchten im Unterricht häufig ab. Wenn einer beim Lesen ins Stocken gerate, lachten die anderen, dies dürfte die Unsicherheit in der Regel noch verstärken. Bei Tammy in der Bibliothek dagegen fühlten sich die Kinder sicherer. 'Auch die Unterrichtsbeteiligung der Schüler steigt', sagt die Lehrerin und tätschelt dem Golden Retriever den Rücken.
Grobholz würde Lesestunden mit Hunden gerne in ganz Deutschland etablieren. Bevor sie mit Tammy in Schulen ging, besuchte sie Altersheime - ehrenamtlich; auch die Schüler müssen nichts zahlen. Überall habe sie beobachtet, wie positiv Menschen auf ihn reagierten. Dafür brauche das Tier keine Ausbildung. 'Nur stressresistent muss der Hund sein, kinderlieb und friedlich.' Beim Lesen ist Tammy angeleint. Vor und nach jedem Kind gibt es für ihn einen Hunde-Keks. Doch bis der Gong zum Ende der Schulstunde ertönt, wird der Golden Retriever liegen bleiben, kein einziges Mal bellen - so wie immer. Nur zuhören. Oder zumindest so tun, als ob er lauscht.
Es ist kurz nach 10 Uhr morgens in einer Münchner Mittelschule und Tammy liegt da, als würde er schlafen. Seine Schnauze hat er zwischen die Pfoten geschoben. Der Bauch hebt und senkt sich im langsamen Takt. Wenn Salma neben ihm die Buchseiten umblättert, blinzelt er manchmal mit dem Auge, ansonsten aber kein Laut, nicht einmal ein Hecheln. 'Paul der Panda ist faul', liest Salma. Tammy regt sich nicht. 'Eduard das Eichhörnchen macht im Baum ein Nickerchen.' Und wahrscheinlich schläft Tammy, der Lesehund, jetzt wirklich. Jeden Donnerstag rennt Salma an der Wörthschule im Münchner Stadtteil Haidhausen wegen Tammy zur Bibliothek. Sie wirft sich auf ein Kissen am Boden, so groß wie ein Sessel, greift zu einem der Bücher, neben ihr liegt dann der Hund.
Das Mädchen - zwölf Jahre alt, geboren in Somalia - knetet das Fell von Tammy. Vor einem halben Jahr kämpfte sie noch mit den Worten, jeder Punkt am Satzende ein kleiner Sieg. Heute liest sie, ohne zu zögern: 'Willi der Welpe hat seinen Knochen vergessen.' Für Salma sind 15 Minuten Zeit mit Tammy reserviert. Sie liest einem Hund vor, einem Golden Retriever mit gelbem Fell, am Bauch ist es weiß. Ob das Tier schläft, vor sich hin döst oder tatsächlich zuhört, ist Salma egal. Der Hund ist eine Lesehilfe. Wie soll das gehen?
'Ein Hund verbessert nicht, er hört einfach zu', sagt Kimberly Grobholz, eine Frau mit grauen Haaren und Lachfalten um die Augen. Sie liegt jetzt neben Tammy und krault dem Tier das Ohr. Grobholz spricht ihr Deutsch mit einer Melodie, die man aus Amerika kennt. Von dort, aus den USA, hat Grobholz die Idee nach Deutschland gebracht: Hunde, die zuhören, wenn Kinder laut aus Büchern vorlesen. In Amerika gibt es Tausende davon. Wer an dieser Schule jeweils am Donnerstag zu Tammy geht, hat Angst vor dem Vorlesen, eine Leseschwäche oder einfach keine Lust auf Bücher. 'Der Umgang mit dem Tier entspannt und motiviert', sagt Grobholz. Der Bezug zum Tier sei ganz wichtig. 'Die Kinder verlieren bei Tammy ihre Ängste.'
In Deutschland sind die Leseleistungen der Schüler nur mäßig - das zeigen internationale Bildungsvergleiche immer wieder. Unter den 15-Jährigen liegt der Anteil der sehr schwachen Leser bei 18,5 Prozent. Angst und Scham spielen hier auch eine Rolle. 'Ein positiver Verstärker kann das negativ besetzte Lesen wieder attraktiv machen', sagt die Leseforscherin Cordula Artelt, Professorin am Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung in Bamberg. Für die Kinder in der Wörthschule ist der positive Verstärker der Golden Retriever. Tiertherapeuten arbeiten mit dieser Erkenntnis schon lange: Der Kontakt mit einem Hund schüttet demnach Glückshormone aus. Zehn Kinder lesen an diesem Tag in dem Raum an der Münchner Schule. Sie kommen aus Somalia, Mazedonien, der Türkei und der Slowakei oder auch aus Deutschland. Zum Lesehund gehen manche schon seit Jahren. An der Wand stehen Bücherschränke mit Wälzern hinter Glas. Das ist das Ziel. Irgendwann erst freilich. 'In Deutschland sind Lesehunde noch unbekannt', sagt Initiatorin Kimberly Grobholz, 'aber den Kindern hilft"s.' Sie gründete ihr Projekt 2008 in München, mittlerweile gibt es Ableger unter anderem in Mainz, Augsburg, Weiden in der Oberpfalz und Bremen. Grobholz sitzt neben den Schülern, manchmal hilft sie auch beim Lesen. 'Aber nicht zu viel, das ist die Abmachung', sagt sie. Die Kinder kommen zu Tammy, weil ihr Lehrer sie schickt. 'Wer regelmäßig zum Lesehund geht, liest auch im Unterricht besser', sagt etwa die Deutschlehrerin Margreth Außerlechner. Schüler mit Leseschwäche tauchten im Unterricht häufig ab. Wenn einer beim Lesen ins Stocken gerate, lachten die anderen, dies dürfte die Unsicherheit in der Regel noch verstärken. Bei Tammy in der Bibliothek dagegen fühlten sich die Kinder sicherer. 'Auch die Unterrichtsbeteiligung der Schüler steigt', sagt die Lehrerin und tätschelt dem Golden Retriever den Rücken.
Grobholz würde Lesestunden mit Hunden gerne in ganz Deutschland etablieren. Bevor sie mit Tammy in Schulen ging, besuchte sie Altersheime - ehrenamtlich; auch die Schüler müssen nichts zahlen. Überall habe sie beobachtet, wie positiv Menschen auf ihn reagierten. Dafür brauche das Tier keine Ausbildung. 'Nur stressresistent muss der Hund sein, kinderlieb und friedlich.' Beim Lesen ist Tammy angeleint. Vor und nach jedem Kind gibt es für ihn einen Hunde-Keks. Doch bis der Gong zum Ende der Schulstunde ertönt, wird der Golden Retriever liegen bleiben, kein einziges Mal bellen - so wie immer. Nur zuhören. Oder zumindest so tun, als ob er lauscht.