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#papst #rücktritt

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Wie das Netz zum Seismographen für den Rücktritt Benedikts XVI. wurde.

Einer der besseren Sprüche zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI. bei Twitter ging sinngemäß so: Es sei halt eine Menge Arbeit in mehreren Sprachen zu twittern, und vielleicht sei das dem Papst eben zu viel geworden. Auf die Gefahr, durch Erklärung jede Komik zu zerstören: Papst Benedikt XVI. trat einerseits nach eigenen Angaben wegen abnehmender Kraft zurück, andererseits war er der erste Papst, der via Twitter mit den Gläubigen in aller Welt kommunizierte. Und zwar gleich in neun Sprachen, urbi et orbi.

Der Papstrücktritt soll eines der größten Twitter-Ereignisse aller Zeiten gewesen sein. Grobe Analysen mit der Analyse-Webseite Topsy legen den Verdacht nahe, dass die Vermutung stimmt. Da haben also sehr viele Menschen weltweit Millionen Kurznachrichten - Tweets - in Sachen Papst von ihren Computern und Handys losgeschickt, circa 60000 davon in Deutschland. Verlässlichere Zahlen, wie viele Kurznachrichten und Nutzer es genau waren, liegen dazu bislang nicht vor. Die Frage ist jetzt: Was bedeutet der digitale Aufschrei?



Ganz Twitter diskutierte den Papst-Rücktritt. Benedikt XVI. selbst hat erst vor Kurzem einen Twitter-Account gestartet - jetzt hört er schon wieder auf.

Der Reflex zur Reaktion macht Twitter zunächst mal erneut zu einem Gradmesser des Weltzustandes. Früher regelten das die Zeitungen, im digitalen Zeitalter muss man sagen: gemächlich, aber zuverlässig. Die Größe der Überschriften, Formate der Aufmacherbilder und - jenseits des Boulevards - die Länge der Aufmachertexte, zeigten das Ausmaß eines Ereignisses an. Das funktioniert für Zeitungsleser bis heute. Die Bild-Zeitung zum Beispiel, die den Papst liebt, reagierte jetzt mit einer komplett dem Thema gewidmeten Titelseite und pastoralem Tonfall, die taz, die den Papst wohl hasst, mit einer komplett dem Thema gewidmeten Titelseite und einem respektlosen Witzchen, das auch auf Twitter hätte stehen können ('Gott sei Dank'). Nur ein paar Stunden früher eben. Beide Blätter hatten bereits zur Wahl des Papstes die Titelseite freigeräumt, die Bild hatte damals viel Aufmerksamkeit erregt ('Wir sind Papst').

Twitter war am Montag fast so schnell wie die schnellsten aller Journalisten, nämlich die Agenturjournalisten. Um 11.46 Uhr verbreitete die italienische Agentur Ansa die Meldung ihrer Journalistin Giovanna Chirri, von 11.48 Uhr an dann Reuters international in einer rot eingefärbten Meldung der höchsten Prioritätsstufe. Gleichzeitig mit Reuters war auch der erste Tweet einer Privatperson auf Twitter schon veröffentlicht worden, Minuten später reagierten die Agenturen auch jenseits der Redaktionsticker und verbreiteten die Nachricht ebenfalls auf Twitter. So wurde die Meldung schnell verifizierbar und immer weiter verbreitet. dpa etwa entschied sich irgendwann dafür, die Berichterstattung zum Ereignis schlicht durchzunummerieren, bis zur letzten Nachricht 'Papst 46'. Selbst für Nachrichtenagenturen ist das eine eher ungewohnte Form der Überschrift.

Naturgemäß ungefilterter und ohne Fokus auf Nachrichtenwerte, aber in der Masse umso beeindruckender, war die Tweet-Lawine auf Twitter. Die inhaltliche Bedeutung war in aller Regel vernachlässigbar, aber Twitternutzer haben schließlich auch keinen Bildungsauftrag.

Mindestens 200 Millionen Menschen nutzen Twitter regelmäßig weltweit. Dass sich viele von ihnen in ihren Kurznachrichten auf Ereignisse beziehen, die die Welt gerade ohnehin bewegen, ist nicht überraschend. Und auf den Papst, der trotz eigenem Twitter-Account den allermeisten Menschen da draußen fremd ist, reagieren die Menschen halt so, wie viele Menschen nun mal auf Fremdes reagieren, nämlich mit Witz, gelegentlich mit Spott, oft auch mit Unverständnis. Allerdings waren manche Tweets auch ehrlich bewegt oder schlicht traurig, so wie der des CDU-Generalsekretärs Hermann Gröhe, der von 'großem Respekt vor der Entscheidung von Papst Benedikt XVI.' schrieb.

Die allermeisten Meldungen auf Deutsch waren auf Twitter mehr oder weniger gelungene Witze aus dem Land von Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan, zum Beispiel über eine angebliche 'plagiierte Dissertation' des ehemaligen Kardinals, die ihn nun zum Rücktritt zwinge, oder darüber, dass Merkel dem Pontifex 'das Vertrauen ausgesprochen habe', so wie sie es mit Schavan vor deren Rücktritt getan hatte.

Und was ist mit den neun Twitter-Accounts des Papstes? Der letzte Tweet des Pontifex" stammt vom 10. Februar: 'Wir dürfen der Kraft der Barmherzigkeit Gottes vertrauen. Wir sind alle Sünder, doch seine Gnade verwandelt uns und macht uns neu.' Zum Rücktritt? Nichts als Schweigen, selbst auf dem Profil, das für lateinische Meldungen reserviert ist. Aber wie heißt es in Psalm 39:10? 'Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast es getan.'

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