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Nachtclub im Kopf

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Der Rummel um sein musikalisches Ausnahmetalent war ihm immer völlig egal. Jetzt ist der Mitbegründer der Jazzrockband Soft Machine, Kevin Ayers, tot.

Eine heiße Nacht in Arles. Es ist der 6. August 1975. Im antiken Theater feiern Hippies aus ganz Europa die Kölner Rockband Can. Die einstige Velvet-Underground-Sängerin Nico intoniert am Harmonium 'The End' von den Doors. Die Zikaden zirpen, eine Plastikpalme wird auf die Bühne gestellt, frische Joints werden gerollt und alle nehmen rasch noch einen Schluck aus der Rotweinflasche. Neben der Palme postiert sich ein Typ mit wallendem Blondhaar, Hawaii-Hemd und großem Strohhut. Er singt 'Falling In Love Again', den alten Hit von Marlene Dietrich. Und alle Hippie-Girls wollen ein Kind von diesem britischen Minnesänger, der sie an John Dowland oder John Lennon erinnert. Wann hat man schon mal Gelegenheit, Kevin Ayers zu erleben, das legendäre Gründungsmitglied von Soft Machine aus der sagenumwobenen Canterbury-Szene?



Die Band "Soft Machine" im Jahr 1967: Von rechts nach links: Robert Wyatt, Daevid Allen, Kevin Ayers und Mike Ratledge.

Sein Problem war immer, dass ihm der ganze Rummel um sein musikalisches Talent völlig egal war. Kevin Ayers versuchte nie, aus dem Potenzial, das er zweifellos besaß, Profit zu schlagen. 1944 wurde er in Herne Bay, Kent geboren, seine Eltern hatten sich früh getrennt und ihr Sohn verbrachte die ersten Jahre in Malaysia beim Stiefvater, vermutlich der Grund, warum er sich im feucht-kalten England nie zu Hause fühlte. Freundschaft und Wärme fand er in der Kommune, die sich um Robert Wyatt in Canterbury gebildet hatte, wo man Bücher über Dada und die Sufis las, Ornette-Coleman-Platten hörte und über kubistische Bilder sinnierte. Robert und Kevin verbrachten viel Zeit in Deià auf Mallorca und planten eine Band, mit der sie eigentlich Soul und modernen Jazz anpeilten. Doch weil ihnen dafür das Know-how fehlte, kam ein psychedelisches Gebräu hervor, der hypnotische Jazzrock von Soft Machine. Kevin Ayers wurde ihr Bassist und einer der Sänger, von ihm stammte das umwerfende 'Why are we sleeping?' mit der Zeile 'Mein Kopf ist ein Nachtclub'. Die Softs spielten für Jimi Hendrix 1968 in den USA die Vorgruppe. Die Groupies standen Schlange, Drogen gab es reichlich und die Business-Leute zogen sie über den Tisch.

Später schrieb Kevin ein paar wirklich gute Songs wie 'Whatevershebringswesing', die dem ehrgeizlosen Bohemien mit der wunderbaren Stimme den Weg für eine Solokarriere ebneten. Seine Band The Whole World mit dem 17-jährigen Gitarristen Mike Oldfield konnte in einer guten Nacht alle an die Wand spielen. Mit dem phantastischen Gitarristen Ollie Halsall raffte er sich hin und wieder auch noch einmal in ein Studio auf. Öfter jedoch sang er reichen Ladys vor und erlag dem, was Frank Zappa als 'bewusstseinsverändernde Spaßmacher' bezeichnete.

Für Kevin Ayers stand immer fest: Um Popstar zu werden, musste man 'nicht ganz klar im Oberstübchen' sein, dafür war sein IQ einfach zu hoch. Sein letztes Album von 2007 taufte er 'The Unfairground'. Frustriert und irritiert zog er sich zuerst nach Ibiza und danach in 'das Dorf der Bücher', nach Montolieu in Südfrankreich zurück. Dort ist er mit 68 Jahren gestorben.

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