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Kinderkram

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Eine App für die Lagerbestände, das Kaufverhalten oder die Auftragsstatistik. Wie Unternehmen ihre Belegschaft mit speziellen Onlineanwendungen fördern und fordern.

Hannover - Jochen Glaser zieht den Finger übers iPad. Vier Kästchen tauchen auf dem Bildschirm auf. Das oben links stellt seinen Laden dar, die anderen weitere Verkaufsstellen des Mobilfunkanbieters O2. Lässt er sich in seinem Kästchen die Verkäufe der vergangenen Woche anzeigen, färben sich zwei andere rot, eines grün. Bei zwei Kollegen also lief das Geschäft schlechter, bei einem besser als bei ihm.



MIt speziellen Apps versuchen Unternhemen ihre Belegschaft für etwas zu interessieren oder ihr etwas beizubringen.

Glaser verkauft keine Handys und Mobilfunkverträge. Er verkauft die App Roambi, die solche spielerischen Vergleiche ermöglicht. Der Mobilfunkanbieter O2 ist einer seiner Kunden. Weltweit nutzen mehr als 112000 Firmen eine ähnliche App fürs iPad oder das iPhone. Banken schauen sich so die Zahlungsmoral ihrer Kundschaft an; Industrieunternehmen die Lagerbestände in ihren Fabriken. Glaser sagt: 'Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass Technik so einfach wie ein Spiel ist. Wir nehmen all die Daten, die Unternehmen sammeln - und bereiten sie genau so auf.'

Das Unternehmen Mellmo, das die Apps anbietet, gründete vor fünf Jahren Santiago Becerra in Kalifornien: Er hatte, damals im Sommer 2007, als die Leute vor Apples Läden fürs erste iPhone Schlange standen, Zeit zum Nachdenken. Sein voriges Start-up, das ebenfalls große Datenmengen sortierte, hatte er gerade verkauft. Und nun sah er auf einmal, wie spielerisch die Leute mit einem Handy umgingen. Also machte er sich daran, auch trockenem Zahlenwerk etwas Spaß zu verleihen.

Den Spieltrieb ihrer Mitarbeiter nutzen Unternehmen bereits seit einer Weile. Vor allem in speziell konzipierten Computerspielen versuchen sie, die Belegschaft für eine Sache zu begeistern oder ihr etwas beizubringen. Siemens lässt von seiner amerikanischen Belegschaft virtuelle Werke auf Vordermann bringen, der Klinikbetreiber Helios ein virtuelles Krankenhaus managen; bei Lufthansa können die Mitarbeiter Routen planen und Kerosinpreise prüfen, bei Daimler Felgen putzen und Motoren reparieren. In den Spielen sammeln sie Punkte und messen sich so mit den Kollegen. Vor allem aber sollen sie auch die Abläufe und die Produkte verstehen, mit denen sie nicht tagtäglich zu tun haben.

Die Marktforscher von Gartner schätzen, dass es bis zum nächsten Jahr weltweit in etwa 70 Prozent aller großen Unternehmen eine spielerische Anwendung geben wird - um die eigenen Mitarbeiter zu motivieren und neue zu gewinnen, um Kunden bei Laune zu halten, um neue Produkte zu entwickeln.

Manche Wissenschaftler verdammen solche Spielereien und verweisen darauf, dass mit ihnen die Konzentration und die Fähigkeit, sich etwas zu merken, sinke. Andere preisen die neuen Möglichkeiten: Lernen werde so nicht mehr als lästige Pflicht empfunden. Und deshalb bleibe das, was man sich spielerisch aneigne, auch besser hängen. In seiner Freizeit spielt schon heute etwa jeder dritte Deutsche - und immer mehr von ihnen tun dies auf ihren Smartphones und Tablets.

Noch, so sagt Glaser, sind die Deutschen im Vergleich zu den Amerikanern, aber auch zu den Menschen in der Schweiz, in Südafrika oder Russland, zwar etwas zurückhaltend. Doch selbst ein Mittelständler wie Alulux, der Garagentore fertigt, setze die App im Vertrieb inzwischen ein. Solange nur in virtuellen Welten gespielt wurde, fürchteten manche Firmen, dass über dem Punktesammeln die eigentliche Arbeit liegen bleibt. Nun, da es um reale Verkäufe geht, fürchtet manch ein Angestellter eine noch umfassendere Kontrolle durch den Chef.

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