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Mutloses Stühlerücken

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Warum fällt es so schwer, die Architektur des Klassenzimmers zu ändern?

Wer das Pons-Bildwörterbuch aufschlägt, der weiß, wie er sich das Standard-Klassenzimmer der Gegenwart vorzustellen hat: Hell ist es, schnörkellos und bunt auf eine spielerisch-nüchterne Weise. Es wirkt ein wenig wie die Simulation seiner selbst im Playmobil-Modus. Aber sieht man davon ab, erkennt man doch relativ unverändert das alte Grundmuster.

Da stehen zwölf Tische, alle strikt nach vorn ausgerichtet, an denen je zwei Schüler oder Schülerinnen sitzen, im rechteckigen Schema mit drei Reihen und zwei Erschließungsgängen angelegt. Sechs Computer-Arbeitsplätze (einen für je vier Kinder) gibt es auch, sie sind als Spezialfall seitwärts an die Wand gerückt. Als begleitende Stichworte liefert das Bild: schwarzes Brett, Lehrerpult, Landkarte, Tafel, Bücherregal. Selbst für die Größe des Klassenzimmers scheint ein heiliges Maß zu gelten: Neun mal sieben Meter umfasst es, 63 Quadratmeter. Was hier geschieht, geschieht frontal. Es bestätigt sich der alte Schülerspruch, in dem sich die Erfahrung vieler Generationen niedergeschlagen hat: Wenn alles schläft und einer spricht, den Zustand nennt man Unterricht.



Das klassische Klassenzimmer: Alle schauen nach vorne.

Wo sich in der deutschen Bildungslandschaft während der vergangenen Jahrzehnte sonst alles geändert hat, eine Reform die andere jagt und kein Modulbaustein auf dem anderen blieb, stellt die Architektur des Klassenzimmers eine merkwürdige Konstante dar. Und das, obwohl sich doch alle einig sind, dass, nach Lehrer und Mitschülern, das Klassenzimmer der dritte Pädagoge sei, für den Lernerfolg nicht weniger entscheidend.

Der Architekturwissenschaftler Christian Kühn, der vor zwei Jahren in Österreich die Ausstellung 'Fliegende Klassenzimmer' kuratiert hat, äußert im jüngsten Heft der Monatszeitschrift Merkur einige Vermutungen über die Gründe solchen Beharrungsvermögens: Als man seit den Sechzigerjahren daran ging, die Schulen um- und neu zu bauen, da ersetzte man die alten 'Schulkasernen' letztlich durch 'Schulmaschinen', die sich von ihren Vorgängern zunächst durch Flachdächer, Sichtbeton und viel (oft versagende) Technik, sonst aber vor allem durch ein unüberschaubares, ja unmenschliches Riesenmaß unterschieden, während die Grundelemente nicht angetastet wurden; Klassenzimmer, Pausenhöfe und Flure blieben, was sie immer gewesen waren.

Das passt, wie man sagen muss, sehr gut zum Geist der sozialdemokratischen Reformen jener Zeit: Sie strebten in erster Linie Chancengleichheit an, was in der Praxis bedeutet 'mehr vom selben'. 'In der Reformbegeisterung hatte man die Nutzer vergessen', meint Kühn. Natürlich gab es viel beachtete alternative Pilotprojekte, aber sie drangen nicht durch. Was heute an neuen Vorschlägen auftaucht, ist zumeist vor vierzig, fünfzig Jahren schon einmal aufs Tapet gebracht worden: Die Schüler sollen nicht wie angenagelt dasitzen, sondern sich bewegen können, im Stehen oder Liegen lernen, wechselnde Gruppen bilden. Das Klassenzimmer soll sich nicht abschotten vom restlichen Schulgebäude, sondern übergehen ins Offene; idealerweise wäre dieses Zimmer nur noch eine Art Basislager für die ausschwärmenden Kinder, die frei die Welt entdecken.

Die Gesellschaft insgesamt ist heute reicher als vor vierzig Jahren, als diese Dinge zum ersten Mal erörtert wurden, aber für Schulen will sie nicht so viel ausgeben wie damals. Zwar wird noch immer ein Haufen Geld verbraucht, aber diese Mittel landen vorzugsweise in der Umsetzung bürokratischer Auflagen: Die Energie-Effizienz erlangt immer höheren Stellenwert, Brandschutz und Sicherheit werden anspruchsvoller; die Eliminierung der gesundheitsschädlichen Stoffe, die man in den Neubauten so unbeschwert verwendet hat, verschlingt erhebliche Summen. Die Forderung nach Inklusion der körperlich und geistig Behinderten wird in erster Linie als Aufforderung verstanden, überall Rampen und Lifte einzubauen. Da ist das Geld oft schon weg, ohne dass etwas im Grundsätzlichen passiert wäre. Vergessen sei auch nicht, dass Architektur den am meisten beharrenden Bereich der Gesellschaft darstellt: Was einmal gebaut worden ist, bleibt fünfzig bis hundert Jahre erhalten.

Am leichtesten kommt man an Tische und Stühle heran. Sie sind leichter vom Fleck zu rücken, zum Beispiel um eine diskussionsfördernde Hufeisenform zu bilden; das traf auf die alten hölzernen Pulte mit eingesenktem Tintenfass, in die man hineingezwängt war wie in einen Schraubstock, nicht zu. Diese waren dafür in gewissem Sinn auch Bollwerke der Schülerschaft gegen den pädagogischen Zugriff; dem Spicken leisteten sie mehr als ein bisschen Vorschub, während die neuen flachen Tischplatten mit ihrem offenen Beinraum den gläsernen Schüler ermöglichen.

Wie alle autoritären Formen bot auch diese den unteren Rängen ein Maß an Berechenbarkeit, das in der Verschleierung so nicht mehr garantiert werden kann. Nur ungern lässt die zeitgenössische Schule sich daran erinnern, dass sie, neben Förderung und Bildung, auch ihrem zweiten, dunkleren Auftrag bis heute treu geblieben ist, der Selektion. Gewisse Rückschlüsse sind aus der Konservativität des Klassenzimmers möglich: Es bleiben mehr Dinge beim Alten, als die Gesellschaft sich eingestehen mag. Und wo sie sich dem Wandel doch stellen muss, begegnet sie ihm einigermaßen mutlos.

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