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14 500 Seiten der Vertuschung

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Auf Druck von Anwälten und Gerichten werden interne Missbrauchs-Akten der US-'Boy Scouts' öffentlich gemacht


Mit fast vier Millionen Mitgliedern gelten die Boy Scouts of America als der größte Jugendverband der USA. Der junge Neil Armstrong war bei den Pfadfindern mit dabei, auch Michael Moore, Steven Spielberg, Harrison Ford, Bill Gates, Jim Morrison und Branford Marsalis. Die Scouts spielen herausragende Rollen im Zeichentrick-Kosmos der Peanuts, bei den Simpsons oder im preisgekrönten Pixar-Film 'Oben'. Wer es in der braunen Uniform bis zum Eagle, der höchsten Pfadfinderstufe schafft, der könnte auch beruflich einen Vorteil haben. Ein Club also mit einer besonderen Visitenkarte, wäre nicht auch hier jahrzehntelang der sexuelle Missbrauch durch Pädophile systematisch vertuscht worden, die Opfer mit ihren Problemen allein gelassen.




Schwere Vorwürfe gegen Boy Scouts

Opferanwälte haben jetzt 14500 Seiten aus bislang vertraulichen Akten der Pfadfinderbewegung ins Internet gestellt - mit Erlaubnis des Obersten Gerichts im US-Staat Oregon. Die Dokumente sollen die Verwicklung von 1247 leitenden Personen, der Organisation in den Jahren 1965 bis 1985 belegen. Nach Angaben von Anwalt Paul Mones dürfte jeder der mutmaßlichen Täter durchschnittlich fünf bis 25Kinder und Jugendliche belästigt haben. 'Wir wissen, dass die Zahl der Opfer in die Tausende geht, und dass die meisten niemals offen darüber sprechen werden', sagte Mones dem Sender CBS.

Immer wieder hatte es entsprechende Hinweise gegeben, doch die Organisation handelte nicht. Die New York Times zitiert nun aus dem Schreiben eines verzweifelten Vaters in der Aktensammlung. Dieser hatte sich im Jahr 1981 über einen Betreuer namens Joe beklagt, der seinen Sohn belästigt habe. Obwohl man versicherte, Joe werde umgehend von den Boy Scouts ausgeschlossen, habe der Vater diesen später auf einer Pfadfinder-Veranstaltung mit Kindern gesehen, berichtete er.

Vor zwei Jahren erst hatte ein Anwalt mit einer Klage gegen die Organisation eine Millionenentschädigung erstritten. Das Opfer war im Alter von elf Jahren von seinem Betreuer sexuell missbraucht worden. Die Boy Scouts hatten von ähnlichen Taten des Mannes zuvor gewusst, doch ihn in der Jugendarbeit belassen.

Gegen die jetzt gerichtlich angeordnete Veröffentlichung der Dokumente hatte sich die Führung der Boy Scouts - womöglich auch aus Angst vor weiteren Millionenklagen - lange Zeit gewehrt, zugleich aber die eigenen Bemühungen 'eindeutig unzureichend, ungeeignet oder schlichtweg falsch' genannt. Die Los Angeles Times spricht von etwa 5000 Fällen, die es noch zu untersuchen gelte. Um ihren guten Ruf nicht aufs Spiel zu setzen, sollen die Pfadfinder auf 400 Strafanzeigen verzichtet haben, so wird berichtet.

Der Vorsitzende der Bewegung, Wayne Perry, entschuldigte sich nun erneut bei den Opfern und gelobte, mit den Behörden in Zukunft besser zusammenarbeiten zu wollen. Seit zwei Jahren sind alle Pfadfinder-Vertreter angewiesen, schon beim geringsten Verdacht die Behörden einzuschalten. 'Sie müssen lernen, wie Pädophile Organisationen unterwandern und wie sie vorgehen', mahnte jetzt noch einmal ein Opferanwalt. Das dürfte auch im Sinne aller Träger der Boy Scouts sein, zu denen auch Banken und Sportartikelhersteller gehören, vor allem aber die 'Church of Jesus Christ of Latter-day Saints'. Umstritten bleibt, dass die US-Pfadfinder auch in Zukunft Schwule und Lesben weder als Mitglieder, noch als Betreuer zulassen möchten. Auch Atheisten und Agnostiker haben hier kaum Chancen. In den Statuten des Vereins konnte sich derlei bis heute behaupten.

Gegründet wurde die Bewegung vor 102Jahren von William D. Boyce, der sich einerseits von den philanthropischen Gedanken des europäischen Urpfadfinders Robert Baden-Powell beeindrucken ließ - gleichzeitig aber als Unternehmer ein gutes Geschäft gewittert haben dürfte. Dem Mann gehörten nämlich mehrere Zeitungsverlage. Und Boyce beobachtete einst mit Interesse den Erfolg von Pfadfinderzeitschriften in Großbritannien, den er sich auch für die USA zu eigen machen wollte. Die US-Pfadfinder sind in mehrere hundert lokale Gruppen gegliedert und geben sich seit ihrer Gründung bewusst staatstreu. Bis heute übernimmt der jeweilige US-Präsident den Ehrenvorsitz.

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