Weil Wladimir Putin gerne als Freund der freien Rede gelten würde, gibt es in Moskau neuerdings eine Kopie des 'Speakers" Corner'. Anders als beim britischen Vorbild müssen die Redner hier aber vorher einen Antrag stellen.
Es ist schnell zu spüren, dass Moskau nicht ganz so spontan ist wie London. Dass der Gorki-Park nicht dem Hyde Park gleicht, und dieser geteerte Autoparkplatz nicht Speakers" Corner. Seit 1872 steigen Engländer dort am Rande des berühmten Stadtparks auf mitgebrachte Kisten, reden über Gott und die Welt und hoffen, dass ihnen auch jemand zuhört. Immerhin, etwas Ähnliches hat Moskau jetzt auch.
In einer kleinen, grauen Ecke des Gorki-Parks, direkt am Flussufer der Moskwa, haben die Behörden mit Metallgittern ein Karree abgesperrt. Den 'Gaid-Park', wie die Russen sagen, da es im Kyrillischen kein 'H' gibt. Aber statt der Stimme des einfachen Bürgers wie beim englischen Vorbild dominiert hier zunächst die Zeitung Komsomolskaja Prawda das Geschehen. Sie soll so etwas wie einen ersten kontrollierten Aufmerksamkeitsschub erwirken. Werbeplakate der Zeitung sind an den Gitterstäben montiert, Schirme sind aufgestellt, Frauen mit sehr hohen Absätzen und orangefarbenen T-Shirts verteilen orangefarbene Luftballons. Auch das Thema der Debatte entspricht einem klaren Konzept und steht schon seit Tagen fest. Es geht um flegelhaftes Benehmen. Zeitrahmen: exakt von 12 bis 13 Uhr.
Ein Mitarbeiter der Zeitung mit Megafon holt eine Soziologin namens Anna auf ein flaches Holzpodest, und Anna, begleitet von ihrem Sohn, erzählt von den üblen Seiten des Internets, von Kindergärten, in denen Jungs andere Kinder als 'Dummkopf' beschimpfen. Als ein Mann fragt, was denn mit den Beleidigungen im Alltag sei, 'durch die russischen Sicherheitsorgane', antwortet sie, dass Autofahrer eben auch oft aggressiv auftreten, wenn sie von Verkehrspolizisten angehalten werden. 'Das kriegt dann schon so eine negative Entwicklung.'
Auch in Russland soll es jetzt eine Speakers' Corner geben - aber mit den sehr speziellen Regeln der Regierung.
Oleg Adamowitsch ist Journalist der Zeitung und Organisator der einstündigen Veranstaltung. Das Thema 'Flegelhaftes Benehmen' hat er sich mit seinen Kollegen überlegt. 'Wir wollen kein politisches Meeting, sondern lieber etwas Alltägliches', sagt er. 'Auf der Straße, in der Metro, überall wird bei uns gedrängelt, geschimpft, beleidigt. Wir müssen einfach kultureller werden.' Dass es im Moskauer Gorki-Park und einer weiteren Grünanlage, Sokolniki, nun überhaupt so eine Rede-Ecke gibt, findet Adamowitsch gut. 'Es gibt in Russland zu wenige Möglichkeiten, offen seine Meinung auszudrücken.'
Der Sog ist zunächst allerdings gering, obwohl gerade die Feiertage begonnen haben und die Menschen den Gorki-Park fluten wie die Sonnenstrahlen die ganze Hauptstadt. Olesja Saynullina ist eine Passantin auf Inline-Skates, und sie weiß nicht recht, ob das Projekt Gaid-Park wirklich etwas bringt: 'Ich kann offen sagen, dass mir Wladimir Putin nicht gefällt, im Internet kann man auch alles schreiben. Aber es verändert sich nichts im Land. Seit den Demonstrationen vor einem Jahr ist es ruhig geworden.' Dann fährt sie auf ihren Inlinern davon.
Die freie Rede im Freien, das war Putins eigene Idee. Anfang 2012 sagte er: 'In Zukunft, so scheint mir, brauchen wir einen würdigen Ort wie ihn auch einige Nachbarn in Europa haben, nach dem Muster des Hyde Parks'. Jeder solle die Möglichkeit haben, 'sich absolut frei über beliebige Fragen zu äußern', sagte der Staatschef. Damals war er noch Ministerpräsident und in einer schwierigen Lage. Seit Wochen hatte sich ein Straßenprotest an den nächsten gereiht. Die Demonstrationen brachten die Regierung in Bedrängnis und auch Putin, der im Wahlkampf stand und nie zuvor im eigenen Land so deutlich kritisiert worden war. Irgendetwas musste er den Menschen anbieten, die sich die Freiheit des Wortes selber zu nehmen begannen. So entstand die Idee der Speakers" Corner. Ein Jahr dauerte es seit Putins Rückkehr in den Kreml, und nun sind diese beiden kleinen Schauplätze der Redefreiheit eröffnet. Aber weil Spontanität das Gegenteil von Kontrolle ist, haben die Behörden bürokratische Sicherungen eingebaut.
Wer zu einem beliebigen Thema sprechen will, kann sich nicht einfach seine Kiste nehmen, draufsteigen und zu reden beginnen. Er muss spätestens drei Tage vor dem geplanten Auftritt einen schriftlichen Antrag stellen. Viel wird zwar nicht verlangt: Name, Adresse, Telefon, E-Mail - aber doch immerhin auch das 'Ziel der Veranstaltung' und die maximale Zahl der Teilnehmer. Und natürlich gibt es bei allen Freiheiten auch inhaltliche Grenzen.
'Alles muss im Rahmen des Gesetzes bleiben', erklärte Alexej Majorow, Leiter der Abteilung für regionale Sicherheit vorab. Homosexuelle zum Beispiel dürften sich äußern, allerdings warnte er, dass jedes Zurschaustellen schwuler Lebenskultur auch viele Gegner anziehen würde und deshalb gefährlich wäre.
Wo also liegen die genauen Grenzen? Was, wenn jemand beantragt, er wolle zwischen 14 und 15 Uhr Neuwahlen das Wort reden? Was, wenn jemand Freiheit für Pussy-Riot einfordert? Der Hyde-Park im Gorki-Park ist auch ein Experiment. 'Ich glaube nicht, dass so etwas verboten würde, aber wir werden sehen, was genehmigt wird, und was nicht', sagt Adamowitsch.
Die Opposition will den Moskauer Gaid-Park jedenfalls nicht erobern. 'Ich denke, das ist ein sinnloses und unnötiges Projekt', sagte die Moskauer Vizechefin der Partei Jabloko, Galina Michalewa: 'Wir gehen da nicht hin.' Ihr Vorsitzender Sergej Mitrochin befürchtet sogar, dass die beiden Moskauer Hyde-Park-Kopien bewusst 'zu Reservaten' mit beschränkter Teilnehmerzahl gemacht werden könnten, wohin die Opposition dann von den Behörden verwiesen würde. Sogar der Leiter des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, Michail Fedotow, betonte, die Bürger hätten das Recht, sich auch woanders zu versammeln, 'das ist in der Verfassung garantiert.' Und die Stadt Moskau gab ihm jetzt recht. Sie genehmigte für nächsten Montag im Zentrum eine Großkundgebung der Opposition, an der bis zu 30000 Menschen teilnehmen dürfen.
Im Gaid-Park, an der russischen Speakers" Corner soll am selben Tag das Thema 'Soziale Verantwortung - Pfand für künftige Siege' diskutiert werden. Was zur gleichen Zeit und von wem im Londoner Hyde Park zu hören sein wird, bleibt offen bis sich irgendjemand hinstellt und einfach zu reden beginnt.
Es ist schnell zu spüren, dass Moskau nicht ganz so spontan ist wie London. Dass der Gorki-Park nicht dem Hyde Park gleicht, und dieser geteerte Autoparkplatz nicht Speakers" Corner. Seit 1872 steigen Engländer dort am Rande des berühmten Stadtparks auf mitgebrachte Kisten, reden über Gott und die Welt und hoffen, dass ihnen auch jemand zuhört. Immerhin, etwas Ähnliches hat Moskau jetzt auch.
In einer kleinen, grauen Ecke des Gorki-Parks, direkt am Flussufer der Moskwa, haben die Behörden mit Metallgittern ein Karree abgesperrt. Den 'Gaid-Park', wie die Russen sagen, da es im Kyrillischen kein 'H' gibt. Aber statt der Stimme des einfachen Bürgers wie beim englischen Vorbild dominiert hier zunächst die Zeitung Komsomolskaja Prawda das Geschehen. Sie soll so etwas wie einen ersten kontrollierten Aufmerksamkeitsschub erwirken. Werbeplakate der Zeitung sind an den Gitterstäben montiert, Schirme sind aufgestellt, Frauen mit sehr hohen Absätzen und orangefarbenen T-Shirts verteilen orangefarbene Luftballons. Auch das Thema der Debatte entspricht einem klaren Konzept und steht schon seit Tagen fest. Es geht um flegelhaftes Benehmen. Zeitrahmen: exakt von 12 bis 13 Uhr.
Ein Mitarbeiter der Zeitung mit Megafon holt eine Soziologin namens Anna auf ein flaches Holzpodest, und Anna, begleitet von ihrem Sohn, erzählt von den üblen Seiten des Internets, von Kindergärten, in denen Jungs andere Kinder als 'Dummkopf' beschimpfen. Als ein Mann fragt, was denn mit den Beleidigungen im Alltag sei, 'durch die russischen Sicherheitsorgane', antwortet sie, dass Autofahrer eben auch oft aggressiv auftreten, wenn sie von Verkehrspolizisten angehalten werden. 'Das kriegt dann schon so eine negative Entwicklung.'
Auch in Russland soll es jetzt eine Speakers' Corner geben - aber mit den sehr speziellen Regeln der Regierung.
Oleg Adamowitsch ist Journalist der Zeitung und Organisator der einstündigen Veranstaltung. Das Thema 'Flegelhaftes Benehmen' hat er sich mit seinen Kollegen überlegt. 'Wir wollen kein politisches Meeting, sondern lieber etwas Alltägliches', sagt er. 'Auf der Straße, in der Metro, überall wird bei uns gedrängelt, geschimpft, beleidigt. Wir müssen einfach kultureller werden.' Dass es im Moskauer Gorki-Park und einer weiteren Grünanlage, Sokolniki, nun überhaupt so eine Rede-Ecke gibt, findet Adamowitsch gut. 'Es gibt in Russland zu wenige Möglichkeiten, offen seine Meinung auszudrücken.'
Der Sog ist zunächst allerdings gering, obwohl gerade die Feiertage begonnen haben und die Menschen den Gorki-Park fluten wie die Sonnenstrahlen die ganze Hauptstadt. Olesja Saynullina ist eine Passantin auf Inline-Skates, und sie weiß nicht recht, ob das Projekt Gaid-Park wirklich etwas bringt: 'Ich kann offen sagen, dass mir Wladimir Putin nicht gefällt, im Internet kann man auch alles schreiben. Aber es verändert sich nichts im Land. Seit den Demonstrationen vor einem Jahr ist es ruhig geworden.' Dann fährt sie auf ihren Inlinern davon.
Die freie Rede im Freien, das war Putins eigene Idee. Anfang 2012 sagte er: 'In Zukunft, so scheint mir, brauchen wir einen würdigen Ort wie ihn auch einige Nachbarn in Europa haben, nach dem Muster des Hyde Parks'. Jeder solle die Möglichkeit haben, 'sich absolut frei über beliebige Fragen zu äußern', sagte der Staatschef. Damals war er noch Ministerpräsident und in einer schwierigen Lage. Seit Wochen hatte sich ein Straßenprotest an den nächsten gereiht. Die Demonstrationen brachten die Regierung in Bedrängnis und auch Putin, der im Wahlkampf stand und nie zuvor im eigenen Land so deutlich kritisiert worden war. Irgendetwas musste er den Menschen anbieten, die sich die Freiheit des Wortes selber zu nehmen begannen. So entstand die Idee der Speakers" Corner. Ein Jahr dauerte es seit Putins Rückkehr in den Kreml, und nun sind diese beiden kleinen Schauplätze der Redefreiheit eröffnet. Aber weil Spontanität das Gegenteil von Kontrolle ist, haben die Behörden bürokratische Sicherungen eingebaut.
Wer zu einem beliebigen Thema sprechen will, kann sich nicht einfach seine Kiste nehmen, draufsteigen und zu reden beginnen. Er muss spätestens drei Tage vor dem geplanten Auftritt einen schriftlichen Antrag stellen. Viel wird zwar nicht verlangt: Name, Adresse, Telefon, E-Mail - aber doch immerhin auch das 'Ziel der Veranstaltung' und die maximale Zahl der Teilnehmer. Und natürlich gibt es bei allen Freiheiten auch inhaltliche Grenzen.
'Alles muss im Rahmen des Gesetzes bleiben', erklärte Alexej Majorow, Leiter der Abteilung für regionale Sicherheit vorab. Homosexuelle zum Beispiel dürften sich äußern, allerdings warnte er, dass jedes Zurschaustellen schwuler Lebenskultur auch viele Gegner anziehen würde und deshalb gefährlich wäre.
Wo also liegen die genauen Grenzen? Was, wenn jemand beantragt, er wolle zwischen 14 und 15 Uhr Neuwahlen das Wort reden? Was, wenn jemand Freiheit für Pussy-Riot einfordert? Der Hyde-Park im Gorki-Park ist auch ein Experiment. 'Ich glaube nicht, dass so etwas verboten würde, aber wir werden sehen, was genehmigt wird, und was nicht', sagt Adamowitsch.
Die Opposition will den Moskauer Gaid-Park jedenfalls nicht erobern. 'Ich denke, das ist ein sinnloses und unnötiges Projekt', sagte die Moskauer Vizechefin der Partei Jabloko, Galina Michalewa: 'Wir gehen da nicht hin.' Ihr Vorsitzender Sergej Mitrochin befürchtet sogar, dass die beiden Moskauer Hyde-Park-Kopien bewusst 'zu Reservaten' mit beschränkter Teilnehmerzahl gemacht werden könnten, wohin die Opposition dann von den Behörden verwiesen würde. Sogar der Leiter des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, Michail Fedotow, betonte, die Bürger hätten das Recht, sich auch woanders zu versammeln, 'das ist in der Verfassung garantiert.' Und die Stadt Moskau gab ihm jetzt recht. Sie genehmigte für nächsten Montag im Zentrum eine Großkundgebung der Opposition, an der bis zu 30000 Menschen teilnehmen dürfen.
Im Gaid-Park, an der russischen Speakers" Corner soll am selben Tag das Thema 'Soziale Verantwortung - Pfand für künftige Siege' diskutiert werden. Was zur gleichen Zeit und von wem im Londoner Hyde Park zu hören sein wird, bleibt offen bis sich irgendjemand hinstellt und einfach zu reden beginnt.