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Vergoogelt

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Allmachtsphantasien, mit Alltagsbinsen garniert: Eric Schmidt und Jared Cohen, zwei Führungskräfte des Suchmaschinen-Konzerns, legen ein Buch über die Zukunft des Netzes vor. Darin kochen sie Ideologie zum Heilsversprechen hoch

Die Binsenweisheit ist ein perfides rhetorisches Mittel. Normalerweise ist sie Anzeichen für die Selbstüberschätzung unbegabter Autoren. In den Texten von Autoritäten ist die Binse allerdings ein Vehikel für Ideologie und Dogma. Gerade deswegen ist das Buch 'Die Vernetzung der Welt - ein Blick in unsere Zukunft' der beiden Google-Spitzen Eric Schmidt und Jared Cohen so interessant. Als Grundlagenliteratur empfehlen sich hier aber nicht die Bücher sogenannter Digerati wie Clay Shirky, David Gelernter und Jaron Lanier, die dem rätselhaften Phänomen der Computertechnologien und -netzwerke mit intellektueller Schärfe auf den Grund gehen. Man sollte eher die Texte von Baghwan Shree Rajneesh, dem Dalai Lama oder L. Ron Hubbard lesen, um die Technik der Dogmabinse kennenzulernen.

Das allseits Bekannte, das Selbstverständliche und Faktische sollen in solchen Texten Vertrauen in die Wahrhaftigkeit des Textes schaffen und die Autorität der Verfasser zementieren, die dann ihre eigentliche Botschaft nicht nur glaubwürdig absetzen, sondern auch in einen universalen Gültigkeitsanspruch stellen können. In 'Die Vernetzung der Welt - ein Blick in die Zukunft' liest man dann zum Beispiel, dass die Zahl der Internetnutzer im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts von 350Millionen auf mehr als zwei Milliarden gestiegen ist, und dass ein einfacher Bauer in der afrikanischen Savanne heute über sein Handy das gesamte Weltwissen abrufen kann. Es geht um die digitale Identität, um Cyberkrieg und Effizienz, um Staaten, Revolutionen, Terror und Gesellschaft. Das meiste, was auf den mehr als 400 Seiten steht, kennt man selbst als durchschnittlich informierter Leser aus Büchern, Artikeln und Netzbeiträgen.

Was zunächst verwundert, ist, dass dieses Buch zwar von dem Mann verfasst wurde, der Google von 2001 bis 2011 aus der Start-up-Nische in die Marktführerschaft gesteuert hat. Als Koautor holte er sich einen ehemaligen Berater des US-Außenministeriums, der nun die Abteilung 'Google Ideas' leitet. Der Konzern wird aber so gut wie nicht genannt. Das ist erst mal enttäuschend.

Wenn sich Schmidt und Cohen mit der Zensur in China befassen, erwartet man endlich die wahre Geschichte des heftigen Machtkampfs zwischen Google und der Partei. Wenn es wie in jeder techno-optimistischen Abhandlung dieser Tage um den arabischen Frühling geht, will man wissen, wie der Konzern darauf reagierte, dass in Wael Ghonim ein Google-Angestellter zu einer der Schlüsselfiguren des Mubarak-Sturzes wurde, und ob man ihm beistand oder nicht. Bei den Themen Urheberrecht und Privatsphäre erfährt man nichts über Googles Kämpfe mit den deutschen Gerichten, der Gema und den Berliner Ministerien.

Es dauert eine Weile, bis man begriffen hat, warum es vordergründig gar nicht um Google gehen soll. Dann aber ist das Buch nicht mehr enttäuschend, sondern gespenstisch. All die Binsen, die ewig gleichen Anekdoten, Fortschrittsfabeln und Statistiken sind nichts anderes als Vehikel für eine Botschaft, die Schmidt und Cohen in einem Trommelfeuer prophetischer Behauptungen formulieren. Sie schreiben in einer Art imperativem Futur, der keine Zweifel zulässt. Denn in ihrem Zukunftsbild spielen die digitalen Medien eine ähnlich epochale Rolle bei den von ihnen beschworenen Umwälzungen in den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, wie die Volks- und Arbeiterbewegungen des 20. Jahrhunderts und die industrielle Revolution zusammen. Die Konkurrenz wird dabei durchaus benannt. Wenn es um die Gefahren der digitalen Welt geht, sind die Lücken im System bei Twitter, Facebook und Sony zu finden, niemals bei Google.

Die Visionen der digitalen Zukunft, die Schmidt und Cohen dabei in den ersten Kapiteln präsentieren, sind zunächst einmal von einer naiven Dürftigkeit. Da steht recht früh im Text die Binse: 'Für Menschen aller Schichten wird die Vernetzung deutlich erschwinglicher und einfacher werden.'

Dann fabulieren sie von einem Holodeck, wie man es aus 'Raumschiff Enterprise' kenne, das könnte schon bald das Unterhaltungsmedium der Zukunft sein. Damit könne man sich dann an einen Strand versetzen, an dem man einen Auftritt von Elvis Presley erlebt. Das ist eine so armselige Vorstellung von der digitalen Zukunft, dass man noch einmal kurz auf die Umschlagklappe schaut, ob der Koautor wirklich eine Abteilung namens Google Ideas leitet.

Es folgen dann noch ein paar Alltagsszenarien, die sich irgendwo zwischen der Frühstücksmaschine aus der Kinderserie 'Wallace & Gromit' und dem Retrofuturismus auf den Hobby-Titelblättern des Illustrators Klaus Bürgle einpendeln.

Doch solche allzu schlichten Zukunftsbilder haben eine ähnliche Funktion wie die Info-Binsen. Sie sollen den Leser darauf vorbereiten, die Kernbotschaft des Buchs bereitwilliger zu schlucken. Denn die Zukunft, da sind sich Schmidt und Cohen sicher, wird nicht nur einen digitalen Alltag, sondern eine grundlegende Erschütterung der bestehenden Verhältnisse durch digitale Katalysatoren bringen. Nur wer bereit ist, sich der digitalen Welt hinzugeben, wer mit ihr verschmilzt und sein digitales Ich so schätzt und pflegt wie seine irdische Existenz, der wird Teil dieser Zukunft sein, die so vieles verspricht. Da aber wird die Ideologie zum Heilsversprechen.

Die neuen Kräfte der Transparenz werden demnach die Mächtigen in die Pflicht nehmen. Die Erfassung sämtlicher Lebensbereiche in einem Paralleluniversum der Datenströme soll Sicherheit, Wohlstand und Gesundheit bringen. Die radikale Demokratisierung der Informationen, des Wissens und der Bildung bedeutet eine Ermächtigung der ohnmächtigen Massen. Auch solche Ideale sind längst Binsen. Doch bei einem Buch, das zwar nicht das Firmensignet, aber doch zwei prominente Namen aus der Spitze von Google auf dem Cover trägt, bedeutet die Feier einer solch durchgreifenden globalen Demokratisierung nichts anderes als die Rechtfertigung einer neuen Monopolisierung.

Nun sollte man die Allmachtsphantasien von Wirtschaftskapitänen normalerweise nicht zu ernst nehmen, nur weil sie sich in der Mitte des Lebens berufen fühlen, ihre vermeintliche Weisheit in Buchform zu bringen. Wie so viele andere Techno-Utopisten auch blenden sie in ihrem Weltbild aus, dass die digitalen Technologien bisher keineswegs so grundlegende und positive Umwälzungen mit sich brachten wie die industrielle Revolution. Die vielbeschworene Transparenzkultur war bisher vor allem ein Skandal, den Julian Assanges Wikileaks mit einem einzigen Datensatz entfesselte. Big Data resultierte bisher vor allem in einer Optimierung hübscher Infografiken. Von der Ermächtigung der Massen und der Demokratisierung des Wohlstandes, die Elektrizität, Verbrennungsmotoren und Massenmedien im 20. Jahrhundert auslösten, sind die digitalen Technologien noch weit entfernt, auch wenn sie ein paar Geschäftsmodelle in Medien, Kultur und Kommunikation zunichte machten.

Der Allmachtsanspruch, den Schmidt und Cohen formulieren, geht jedoch weit über das traditionelle Monopolstreben hinaus. Im Konkurrenzkampf der digitalen Industrie geht es neben wirtschaftlicher vor allem um kulturelle, gesellschaftliche und politische Macht. Bisher lautete das Motto der Firma 'Don"t be evil'. In der Kommunikation nach außen wurde das immer als Neutralitätsideal vermittelt. Google produzierte die Werkzeuge, die Welt die Inhalte. Mit 'Die Vernetzung der Welt' hat Eric Schmidt dieses Ethos aufgekündigt.

Eric Schmidt, Jared Cohen: Die Vernetzung der Welt - ein Blick in die Zukunft. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Rowohlt, Hamburg, 2013. 449 Seiten, 24,95 Euro.

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