Seit der Revolution leben in Ägypten immer mehr Kinder unter freiem Himmel. Einige von ihnen wurden von ihren Familien verstoßen, andere sind vor Armut und Gewalt geflüchtet. Um ihnen eine Zukunft zu geben, bräuchte es Geld und Strategie.
Kairo - Ziad Ahmeds Körper war mit Blutergüssen und roten Striemen bedeckt, als ihn sein Vater in der Polizeistation abholte: Mit Fäusten, Stöcken und Gürteln war der zwölfjährige Ägypter zwei Wochen lang von Polizisten und Gefangenen traktiert worden. In einer überfüllten Massenzelle waren er und andere Kinder - einige nicht älter als neun Jahre - hilflos der Gewalt der Erwachsenen ausgesetzt. Zu Hause angekommen, verabreichte ihm sein Vater gleich die nächste Tracht Prügel - als Strafe für den Gefängnisaufenthalt. Warum er überhaupt verhaftet wurde, das weiß Ahmed bis heute nicht - nie wurde er angeklagt. Die Polizei hatte ihn auf der Straße aufgegriffen, wo er zuletzt mehr als zwei Jahre lebte.
Ziad Ahmed, eingefallene Wangen, dunkle Ringe unter den Augen, vernarbt, übernachtete auf Bahngleisen in Kairo, in verlassenen Häusern und auf dem Tahrir-Platz, wo vor über zwei Jahren die Revolution begann. Geld verdiente er, indem er Fenster putzte. Oft verkaufte er auch Taschentücher oder bettelte auf den Straßen der 20 Millionen-Einwohner-Stadt. Mit dem Geld kaufte er sich Zigaretten und Klebstoff zum Schnüffeln. Essen gab es meist kostenlos an den Armen-Tafeln und bei den Wohlfahrtsorganisationen. "Es ging mir gut, besser als zu Hause", sagt Ziad. Zu Hause waren er und sein kleinerer Bruder täglich von ihrem Vater verprügelt worden. Die Mutter hatte ihre Familie nach der Scheidung verlassen. Ziad war zehn, als er von zu Hause weglief.
Mehr als 25 Prozent der 84 Millionen Einwohner Ägyptens leben unterhalb der Armutsgrenze. Jeder Zweite muss mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Da ist es kein Wunder, dass es immer mehr Straßenkinder gibt. Hinzu kommen familiäre Konflikte und häusliche Gewalt: So wie bei Ziad Ahmed. Seit sechs Monaten wohnt er mit 24 anderen Jungen im Alter von sechs bis 16 Jahren in der Auffangstation des Ägyptischen Verbands für gesellschaftliche Konsolidierung (EASC), einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Zurück zu seinem gewalttätigen Vater, dem Besitzer eines Kleiderladens, will er "nie mehr", sagt er.
Nicht asphaltierte schmale Gassen führen zum Haus der NGO in Kairos Armenviertel Gayara. Das dreistöckige Gebäude ist von unverputzten Billig-Hochhäusern umgeben. In der Nachbarschaft leben Drogendealer, Kriminelle und arbeitslose Jugendliche. "Keine feine Gegend, aber für einen Umzug fehlt uns das Geld", sagt Riad Abu Zeid, 46, Leiter der NGO. Wände sind eingerissen, von den Decken bröckelt der Putz. In den Schlafräumen fehlen auf den Doppelbetten die Matratzen - die Kinder schlafen auf Holzbalken. Vom ägyptischen Staat gibt es keinen Cent. Nur von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, wird die Organisation unterstützt.
der Bürgerkrieg in Ägypten hat tiefe Spuren hinterlassen
13 Sozialarbeiter, drei Psychologen, acht Angestellte und mehrere Freiwillige kümmern sich um die Jungen. Tagsüber gehen die Kinder in die Schule oder werden in der NGO unterrichtet. Nachmittags wird gekocht, geputzt und Sport getrieben - vor allem Kung-Fu: "Irgendwie müssen sie ihren Ärger rauslassen", sagt Abu Zeid. "Ihr Leben ist ein Trümmerhaufen." So wie bei Ziad Ahmed: "Auf der Straße wurde er von Jugendlichen missbraucht, bei Krawallen von Polizisten angeschossen und im Gefängnis gefoltert."
Allein in den letzten sechs Monaten wurden laut Angaben der Unicef in Ägypten 604 Straßenkinder willkürlich verhaftet und mehrere Tage lang festgehalten. Wie so oft werden Rechte ignoriert, Gesetze missachtet. Die Polizei möchte die Kinder von den Straßen haben, da sie bei Unruhen oft an vorderster Front mitmischen, Steine und Molotow-Cocktails werfen. "Die Kinder beteiligen sich, um sich an der Polizei zu rächen und weil sie nichts zu verlieren haben", sagt Riad. Einigen politischen Kräften kommt das sehr gelegen: Mit den Unruhen wollen sie zeigen, wie groß der Unmut über Mohamed Morsis Regierung ist.
Seit mehr als 30 Jahren leben in Ägypten Kinder auf der Straße - seit der Revolution werden es immer mehr. Immer wieder werden Pläne ausgearbeitet, den Kindern zu helfen, doch nichts passiert. Ehemalige Straßenkinder führen mittlerweile selber "Straßenfamilien" an. Gemeinsam mit jüngeren Bandenmitgliedern stehlen, betteln und prostituieren sie sich, um nur irgendwie über die Runden zu kommen. Von der Regierung werden die Cliquen verdrängt, von der Gesellschaft ignoriert.
Mit fatalen Folgen: Vor einigen Jahren vergewaltigte ein Bandenführer 24 Straßenkinder und tötete sie. Er warf sie von den Dächern fahrender Züge. Der Mörder wurde zum Tode verurteilt und vor zwei Jahren hingerichtet. "Die Regierung muss sich endlich ihrer Fürsorgepflicht bewusst werden und die ausgearbeiteten Strategien umsetzen", sagt Somaya Al Alfy, Direktorin des Straßenkinderprogramms des Nationalrats für Frauen und Kinder (NCCM). Dass das nicht einfach ist, weiß sie: Bereits seit 23 Jahren arbeitet sie für die staatliche Institution und ist sich bewusst, dass die Regierung vor schwer überwindbaren Hürden steht: Die instabile politische Lage des Landes, die sture Bürokratie, unerfahrene und durch zu geringe Löhne unmotivierte Sozialarbeiter sind da nur das eine Problem. Vor allem mangelt es an Geld.
14 NGO"s kümmern sich in Ägypten um Straßenkinder - keine einzige erhält finanzielle Unterstützung vom Staat. Lediglich drei werden von Unicef unterstützt, die restlichen sind auf Spenden angewiesen. Wo es an Geld fehlt, gelingt es den NGO"s meist nicht, den Kindern Perspektiven zu bieten, oder sie wieder in ihre Familien zu integrieren. Also landen diese Kinder bald erneut auf der Straße. So wie Farid Zaki, 15, zerzauste Haare, schmutzige Kleidung, abgemagerter Körper. Seit zwei Jahren übernachtet er unter freiem Himmel. Als seine Eltern sich trennten, andere Partner heirateten, da waren er und sein elfjähriger Bruder daheim plötzlich unerwünscht. Einige Wochen lebte er in einer Auffangstation, doch auch dort fühlte er sich unwohl. "Zu viele Regeln", sagt er. Weil er keine Geburtsurkunde vorweisen konnte, durfte er weder Schule noch Sportklub besuchen. Jetzt schläft er mal auf dem Tahrir-Platz, mal auf den Bahngleisen. Und brechen mal wieder Unruhen aus, so wirft auch er Steine. "Auch wir müssen unseren Teil zu dieser Revolution beitragen", sagt er - und grinst. Natürlich lebe er gefährlich, "aber wo soll ich hin?", fragt er. Als Mitglied seiner Bande, sagt Farid Zaki, fühle er sich zumindest sicher.
Ein Gefühl, das täuscht.
Kairo - Ziad Ahmeds Körper war mit Blutergüssen und roten Striemen bedeckt, als ihn sein Vater in der Polizeistation abholte: Mit Fäusten, Stöcken und Gürteln war der zwölfjährige Ägypter zwei Wochen lang von Polizisten und Gefangenen traktiert worden. In einer überfüllten Massenzelle waren er und andere Kinder - einige nicht älter als neun Jahre - hilflos der Gewalt der Erwachsenen ausgesetzt. Zu Hause angekommen, verabreichte ihm sein Vater gleich die nächste Tracht Prügel - als Strafe für den Gefängnisaufenthalt. Warum er überhaupt verhaftet wurde, das weiß Ahmed bis heute nicht - nie wurde er angeklagt. Die Polizei hatte ihn auf der Straße aufgegriffen, wo er zuletzt mehr als zwei Jahre lebte.
Ziad Ahmed, eingefallene Wangen, dunkle Ringe unter den Augen, vernarbt, übernachtete auf Bahngleisen in Kairo, in verlassenen Häusern und auf dem Tahrir-Platz, wo vor über zwei Jahren die Revolution begann. Geld verdiente er, indem er Fenster putzte. Oft verkaufte er auch Taschentücher oder bettelte auf den Straßen der 20 Millionen-Einwohner-Stadt. Mit dem Geld kaufte er sich Zigaretten und Klebstoff zum Schnüffeln. Essen gab es meist kostenlos an den Armen-Tafeln und bei den Wohlfahrtsorganisationen. "Es ging mir gut, besser als zu Hause", sagt Ziad. Zu Hause waren er und sein kleinerer Bruder täglich von ihrem Vater verprügelt worden. Die Mutter hatte ihre Familie nach der Scheidung verlassen. Ziad war zehn, als er von zu Hause weglief.
Mehr als 25 Prozent der 84 Millionen Einwohner Ägyptens leben unterhalb der Armutsgrenze. Jeder Zweite muss mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Da ist es kein Wunder, dass es immer mehr Straßenkinder gibt. Hinzu kommen familiäre Konflikte und häusliche Gewalt: So wie bei Ziad Ahmed. Seit sechs Monaten wohnt er mit 24 anderen Jungen im Alter von sechs bis 16 Jahren in der Auffangstation des Ägyptischen Verbands für gesellschaftliche Konsolidierung (EASC), einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Zurück zu seinem gewalttätigen Vater, dem Besitzer eines Kleiderladens, will er "nie mehr", sagt er.
Nicht asphaltierte schmale Gassen führen zum Haus der NGO in Kairos Armenviertel Gayara. Das dreistöckige Gebäude ist von unverputzten Billig-Hochhäusern umgeben. In der Nachbarschaft leben Drogendealer, Kriminelle und arbeitslose Jugendliche. "Keine feine Gegend, aber für einen Umzug fehlt uns das Geld", sagt Riad Abu Zeid, 46, Leiter der NGO. Wände sind eingerissen, von den Decken bröckelt der Putz. In den Schlafräumen fehlen auf den Doppelbetten die Matratzen - die Kinder schlafen auf Holzbalken. Vom ägyptischen Staat gibt es keinen Cent. Nur von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, wird die Organisation unterstützt.
der Bürgerkrieg in Ägypten hat tiefe Spuren hinterlassen
13 Sozialarbeiter, drei Psychologen, acht Angestellte und mehrere Freiwillige kümmern sich um die Jungen. Tagsüber gehen die Kinder in die Schule oder werden in der NGO unterrichtet. Nachmittags wird gekocht, geputzt und Sport getrieben - vor allem Kung-Fu: "Irgendwie müssen sie ihren Ärger rauslassen", sagt Abu Zeid. "Ihr Leben ist ein Trümmerhaufen." So wie bei Ziad Ahmed: "Auf der Straße wurde er von Jugendlichen missbraucht, bei Krawallen von Polizisten angeschossen und im Gefängnis gefoltert."
Allein in den letzten sechs Monaten wurden laut Angaben der Unicef in Ägypten 604 Straßenkinder willkürlich verhaftet und mehrere Tage lang festgehalten. Wie so oft werden Rechte ignoriert, Gesetze missachtet. Die Polizei möchte die Kinder von den Straßen haben, da sie bei Unruhen oft an vorderster Front mitmischen, Steine und Molotow-Cocktails werfen. "Die Kinder beteiligen sich, um sich an der Polizei zu rächen und weil sie nichts zu verlieren haben", sagt Riad. Einigen politischen Kräften kommt das sehr gelegen: Mit den Unruhen wollen sie zeigen, wie groß der Unmut über Mohamed Morsis Regierung ist.
Seit mehr als 30 Jahren leben in Ägypten Kinder auf der Straße - seit der Revolution werden es immer mehr. Immer wieder werden Pläne ausgearbeitet, den Kindern zu helfen, doch nichts passiert. Ehemalige Straßenkinder führen mittlerweile selber "Straßenfamilien" an. Gemeinsam mit jüngeren Bandenmitgliedern stehlen, betteln und prostituieren sie sich, um nur irgendwie über die Runden zu kommen. Von der Regierung werden die Cliquen verdrängt, von der Gesellschaft ignoriert.
Mit fatalen Folgen: Vor einigen Jahren vergewaltigte ein Bandenführer 24 Straßenkinder und tötete sie. Er warf sie von den Dächern fahrender Züge. Der Mörder wurde zum Tode verurteilt und vor zwei Jahren hingerichtet. "Die Regierung muss sich endlich ihrer Fürsorgepflicht bewusst werden und die ausgearbeiteten Strategien umsetzen", sagt Somaya Al Alfy, Direktorin des Straßenkinderprogramms des Nationalrats für Frauen und Kinder (NCCM). Dass das nicht einfach ist, weiß sie: Bereits seit 23 Jahren arbeitet sie für die staatliche Institution und ist sich bewusst, dass die Regierung vor schwer überwindbaren Hürden steht: Die instabile politische Lage des Landes, die sture Bürokratie, unerfahrene und durch zu geringe Löhne unmotivierte Sozialarbeiter sind da nur das eine Problem. Vor allem mangelt es an Geld.
14 NGO"s kümmern sich in Ägypten um Straßenkinder - keine einzige erhält finanzielle Unterstützung vom Staat. Lediglich drei werden von Unicef unterstützt, die restlichen sind auf Spenden angewiesen. Wo es an Geld fehlt, gelingt es den NGO"s meist nicht, den Kindern Perspektiven zu bieten, oder sie wieder in ihre Familien zu integrieren. Also landen diese Kinder bald erneut auf der Straße. So wie Farid Zaki, 15, zerzauste Haare, schmutzige Kleidung, abgemagerter Körper. Seit zwei Jahren übernachtet er unter freiem Himmel. Als seine Eltern sich trennten, andere Partner heirateten, da waren er und sein elfjähriger Bruder daheim plötzlich unerwünscht. Einige Wochen lebte er in einer Auffangstation, doch auch dort fühlte er sich unwohl. "Zu viele Regeln", sagt er. Weil er keine Geburtsurkunde vorweisen konnte, durfte er weder Schule noch Sportklub besuchen. Jetzt schläft er mal auf dem Tahrir-Platz, mal auf den Bahngleisen. Und brechen mal wieder Unruhen aus, so wirft auch er Steine. "Auch wir müssen unseren Teil zu dieser Revolution beitragen", sagt er - und grinst. Natürlich lebe er gefährlich, "aber wo soll ich hin?", fragt er. Als Mitglied seiner Bande, sagt Farid Zaki, fühle er sich zumindest sicher.
Ein Gefühl, das täuscht.