Der Wahnsinn kommt auf roten Sohlen in Sofia Coppolas 'The Bling Ring'. Im Wettbewerb skizzieren François Ozon und Amat Escalante Jugend zwischen Sex und Gewalt.
Man sagt Frauen ja nach, dass sie Schuhe kaufen für die Frau, die sie gerne wären, und nicht für die, die sie tatsächlich sind. Das sind dann jene Paare, die ungetragen, aber gut sichtbar verwahrt werden. Cannes scheint für viele Frauen jener Ort zu sein, an dem die Dinger dann endlich mal in der Wirklichkeit bestehen sollen - zumindest sieht man auf der Croisette recht häufig Füße, die schwankend auf zwölf Zentimeter hohen Metallstiften balancieren, blutunterlaufene Zehen, die bei jedem Schritt erbarmungslos durch die Riemchen einer Stöckelsandalette gequetscht werden, dass einem der Schmerz solidarisch in die eigenen Füße fährt. Was sagt das nun über die Trägerin, außer, dass sie und ihre Schuhe nicht zusammengehören?
ein Schuh, der über vieles hinweg täuschen kann
Diese Dichte von Fußfolterinstrumenten fällt ganz besonders auf, wenn Schuhe gerade auf der Leinwand eine Rolle gespielt haben - sie sind ein zentrales Motiv in Sofia Coppolas neuem Film "The Bling Ring". Eine Gruppe von Teenies in Los Angeles raubt die Häuser ihrer Lieblingsstars aus, stiehlt Birkin Bags und Pradaschuhe und Cocktailkleider von Paris Hilton, Lindsay Lohan & Co. Die Klatschzeitungs-Maxime "Klau den Look" nehmen sie allzu wörtlich. Ein Fünfertrupp hat sich da gefunden, der sich im Vollrausch dauernd selbst fotografiert und unbedingt fürs Berühmtsein berühmt werden will - sie wollen nichts machen, wollen nur haben, es gibt keine Karrierepläne. Sie finden, Ruhm, Reichtum und Macht stehen ihnen einfach zu: Was Paris Hilton kann, können sie schon lange. Das ist alles wirklich passiert, die Reportage, auf der Coppolas Drehbuch basiert, hieß "Die Verdächtigen trugen Louboutins". Der Wahnsinn kommt hier auf roten Sohlen. Coppola flicht beiläufig ein, wie die Mutter von Nicki (Emma Watson) ein merkwürdiges Sammelsurium von Ansichten weitergibt, das nur in Los Angeles als Wertvorstellung durchgeht - Angelina Jolie ist das Vorbild, tue Gutes und rede darüber. Nicki soll nach den Regeln der Attraktivität leben, Model werden, und das macht sie dann automatisch zu einer spirituellen Person, was immer das sein mag.
Das Internet verursacht hier die Explosion der Träume, es gaukelt Nicki und ihren Freunden Popularität vor, wo doch nur ein paar Nerds ihnen Facebook-Freundschaften anbieten; und es liefert ihnen die Illusion einer Nähe zu ihren Stars, die sich aber erst wirklich ergibt, als Nicki im Knast in der Zelle neben Lindsay Lohan untergebracht wird. Diese Idole, darauf verweist Coppola immer wieder, stehen nicht nur für Oberflächlichkeit. Sie stehen auch selbst dauernd vor Gericht, bis Sozialdienst-Urteile für ihre Fans zum modischen Accessoire mutieren. Es ist klar, warum "The Bling Ring" nicht im Wettbewerb lief, sondern die Nebenreihe "Un certain regard" eröffnete - Coppola nimmt die Geschichte sehr leicht. Sie trifft mit dieser Satire trotzdem einen Nerv; letztlich schwelgen ihre Bilder aber genau in jenem Reichtum, von dem ihre Jungkriminellen träumen - am Ende wird "The Bling Ring" für Paris-Hilton-Fans ein Must.
François Ozon stiftet mit "Jeune & jolie" mehr Unruhe - wieder eine Geschichte vom Wohlstandskind auf Abwegen: Isabelle ist siebzehn, und nach einem irgendwie fürchterlichen ersten Mal im Urlaub beschließt sie, Sex erst mal mit Freiern zu üben. Sie prostituiert sich heimlich, selbst als sie auffliegt, kann sie ihrer Mutter nicht erklären, was sie sich dabei gedacht hat. Wenn Ozon sie beobachtet, wie sie ihre Klassenkameraden abblitzen lässt, ihre Attraktivität an ihrem Stiefvater testet, eine Begegnung mit einem Jungen am Strand inszeniert - dann dämmert einem, dass sie auf der Suche nach ihrer Rolle als Frau in einer übersexualisierten Welt dem Druck nachgibt, die Erwachsene zu spielen, obwohl sie noch ein halbes Kind ist, das von seinen Liebschaften vor den Eltern nichts wissen will.
Die Welt, die Amat Escalante zeigt, ist das krasse Gegenteil - staubige, bettelarme mexikanische Provinz. Noch einmal geht es um ganz junge Leute, aber Heli, Escalantes Titelheld, lebt tatsächlich in einer ausweglosen Situation, auf ihn warten weder College noch Psychiater. Ein ganz ordentlicher Junge - Heli ist schon verheiratet, er hat ein kleines Kind - der versucht, alles richtig zu machen. Es nützt ihm nur nichts: Seine kleine Schwester, höchstens zwölf, hat sich in einen älteren Jungen verguckt, der in einer militärischen Gruppe ausgebildet wird, bei der man sich nie sicher ist, ob sie wirklich für die Regierung arbeitet. Sie erlaubt dem Jungen, geklaute Drogen im Haus der Familie zu verstecken. Heli findet die Kokainpäckchen, und nun ist alles, was er tun kann, ein Fehler - zur Polizei gehen, sie zurückgeben. Er vernichtet sie, und prompt bricht eine Truppe ins Haus ein, die nun definitiv nur aussieht wie Polizei. Der Vater wird erschossen, Heli, seine Schwester und deren Freund werden verschleppt.
Man hat die extreme Verrohung der Gesellschaft, die Escalante hier zeigt, schon öfter im mexikanischen Kino gesehen: Wie ein Einzelner versucht, sich einem von Gewalt beherrschten System zu entziehen, und dann irgendwann aus Notwehr selbst immer brutaler wird. Der Film "After Lucia", der voriges Jahr in der Reihe "Un certain regard" gewann, erzählte auch so eine Geschichte - aber in leiseren, glaubwürdigeren Tönen. Und weniger spekulativ. Wenn die einzige Polizeibeamtin, die Heli helfen wollte, plötzlich sexuelle Gefälligkeiten fordert, wenn die Kinder im Haus der Gangster vom Sofa aus teilnahmslos den Folterexzessen zuschauen - dann schießt Escalante übers Ziel hinaus. Und überhaupt: Es mag schon sein, dass man die ungeheuerlichen Grausamkeiten der Drogenbarone zeigen muss, um die Situation in einem Land zu beschreiben, in dem tatsächlich immer wieder Massengräber mit den Opfern der Kartelle ausgehoben werden. Aber muss ein Film wirlich minutenlang in Folterszenen schwelgen? Einen Teil seines Publikums stößt Escalante so einfach nur ab. Dabei hat er es eigentlich leichter, einen auf Helis Seite zu ziehen, dem man noch irgendeine Form von Hoffnung wünscht, wenn der Film schon lange vorüber ist. Für die Bling-Ring-Gören gibt es keine Hoffnung mehr - die sind jetzt, Sofia Coppola sei Dank - endgültig berühmt.
Man sagt Frauen ja nach, dass sie Schuhe kaufen für die Frau, die sie gerne wären, und nicht für die, die sie tatsächlich sind. Das sind dann jene Paare, die ungetragen, aber gut sichtbar verwahrt werden. Cannes scheint für viele Frauen jener Ort zu sein, an dem die Dinger dann endlich mal in der Wirklichkeit bestehen sollen - zumindest sieht man auf der Croisette recht häufig Füße, die schwankend auf zwölf Zentimeter hohen Metallstiften balancieren, blutunterlaufene Zehen, die bei jedem Schritt erbarmungslos durch die Riemchen einer Stöckelsandalette gequetscht werden, dass einem der Schmerz solidarisch in die eigenen Füße fährt. Was sagt das nun über die Trägerin, außer, dass sie und ihre Schuhe nicht zusammengehören?
ein Schuh, der über vieles hinweg täuschen kann
Diese Dichte von Fußfolterinstrumenten fällt ganz besonders auf, wenn Schuhe gerade auf der Leinwand eine Rolle gespielt haben - sie sind ein zentrales Motiv in Sofia Coppolas neuem Film "The Bling Ring". Eine Gruppe von Teenies in Los Angeles raubt die Häuser ihrer Lieblingsstars aus, stiehlt Birkin Bags und Pradaschuhe und Cocktailkleider von Paris Hilton, Lindsay Lohan & Co. Die Klatschzeitungs-Maxime "Klau den Look" nehmen sie allzu wörtlich. Ein Fünfertrupp hat sich da gefunden, der sich im Vollrausch dauernd selbst fotografiert und unbedingt fürs Berühmtsein berühmt werden will - sie wollen nichts machen, wollen nur haben, es gibt keine Karrierepläne. Sie finden, Ruhm, Reichtum und Macht stehen ihnen einfach zu: Was Paris Hilton kann, können sie schon lange. Das ist alles wirklich passiert, die Reportage, auf der Coppolas Drehbuch basiert, hieß "Die Verdächtigen trugen Louboutins". Der Wahnsinn kommt hier auf roten Sohlen. Coppola flicht beiläufig ein, wie die Mutter von Nicki (Emma Watson) ein merkwürdiges Sammelsurium von Ansichten weitergibt, das nur in Los Angeles als Wertvorstellung durchgeht - Angelina Jolie ist das Vorbild, tue Gutes und rede darüber. Nicki soll nach den Regeln der Attraktivität leben, Model werden, und das macht sie dann automatisch zu einer spirituellen Person, was immer das sein mag.
Das Internet verursacht hier die Explosion der Träume, es gaukelt Nicki und ihren Freunden Popularität vor, wo doch nur ein paar Nerds ihnen Facebook-Freundschaften anbieten; und es liefert ihnen die Illusion einer Nähe zu ihren Stars, die sich aber erst wirklich ergibt, als Nicki im Knast in der Zelle neben Lindsay Lohan untergebracht wird. Diese Idole, darauf verweist Coppola immer wieder, stehen nicht nur für Oberflächlichkeit. Sie stehen auch selbst dauernd vor Gericht, bis Sozialdienst-Urteile für ihre Fans zum modischen Accessoire mutieren. Es ist klar, warum "The Bling Ring" nicht im Wettbewerb lief, sondern die Nebenreihe "Un certain regard" eröffnete - Coppola nimmt die Geschichte sehr leicht. Sie trifft mit dieser Satire trotzdem einen Nerv; letztlich schwelgen ihre Bilder aber genau in jenem Reichtum, von dem ihre Jungkriminellen träumen - am Ende wird "The Bling Ring" für Paris-Hilton-Fans ein Must.
François Ozon stiftet mit "Jeune & jolie" mehr Unruhe - wieder eine Geschichte vom Wohlstandskind auf Abwegen: Isabelle ist siebzehn, und nach einem irgendwie fürchterlichen ersten Mal im Urlaub beschließt sie, Sex erst mal mit Freiern zu üben. Sie prostituiert sich heimlich, selbst als sie auffliegt, kann sie ihrer Mutter nicht erklären, was sie sich dabei gedacht hat. Wenn Ozon sie beobachtet, wie sie ihre Klassenkameraden abblitzen lässt, ihre Attraktivität an ihrem Stiefvater testet, eine Begegnung mit einem Jungen am Strand inszeniert - dann dämmert einem, dass sie auf der Suche nach ihrer Rolle als Frau in einer übersexualisierten Welt dem Druck nachgibt, die Erwachsene zu spielen, obwohl sie noch ein halbes Kind ist, das von seinen Liebschaften vor den Eltern nichts wissen will.
Die Welt, die Amat Escalante zeigt, ist das krasse Gegenteil - staubige, bettelarme mexikanische Provinz. Noch einmal geht es um ganz junge Leute, aber Heli, Escalantes Titelheld, lebt tatsächlich in einer ausweglosen Situation, auf ihn warten weder College noch Psychiater. Ein ganz ordentlicher Junge - Heli ist schon verheiratet, er hat ein kleines Kind - der versucht, alles richtig zu machen. Es nützt ihm nur nichts: Seine kleine Schwester, höchstens zwölf, hat sich in einen älteren Jungen verguckt, der in einer militärischen Gruppe ausgebildet wird, bei der man sich nie sicher ist, ob sie wirklich für die Regierung arbeitet. Sie erlaubt dem Jungen, geklaute Drogen im Haus der Familie zu verstecken. Heli findet die Kokainpäckchen, und nun ist alles, was er tun kann, ein Fehler - zur Polizei gehen, sie zurückgeben. Er vernichtet sie, und prompt bricht eine Truppe ins Haus ein, die nun definitiv nur aussieht wie Polizei. Der Vater wird erschossen, Heli, seine Schwester und deren Freund werden verschleppt.
Man hat die extreme Verrohung der Gesellschaft, die Escalante hier zeigt, schon öfter im mexikanischen Kino gesehen: Wie ein Einzelner versucht, sich einem von Gewalt beherrschten System zu entziehen, und dann irgendwann aus Notwehr selbst immer brutaler wird. Der Film "After Lucia", der voriges Jahr in der Reihe "Un certain regard" gewann, erzählte auch so eine Geschichte - aber in leiseren, glaubwürdigeren Tönen. Und weniger spekulativ. Wenn die einzige Polizeibeamtin, die Heli helfen wollte, plötzlich sexuelle Gefälligkeiten fordert, wenn die Kinder im Haus der Gangster vom Sofa aus teilnahmslos den Folterexzessen zuschauen - dann schießt Escalante übers Ziel hinaus. Und überhaupt: Es mag schon sein, dass man die ungeheuerlichen Grausamkeiten der Drogenbarone zeigen muss, um die Situation in einem Land zu beschreiben, in dem tatsächlich immer wieder Massengräber mit den Opfern der Kartelle ausgehoben werden. Aber muss ein Film wirlich minutenlang in Folterszenen schwelgen? Einen Teil seines Publikums stößt Escalante so einfach nur ab. Dabei hat er es eigentlich leichter, einen auf Helis Seite zu ziehen, dem man noch irgendeine Form von Hoffnung wünscht, wenn der Film schon lange vorüber ist. Für die Bling-Ring-Gören gibt es keine Hoffnung mehr - die sind jetzt, Sofia Coppola sei Dank - endgültig berühmt.