Das Sicherheits- und Brandschutzabkommen für die Textilindustrie in Bangladesch greift zu kurz und müsste ausgeweitet werden, findet Thomas Seibert, Südasien-Experte der Hilfsorganisation Medico
Thomas Seibert, 55, ist Südasien-Experte der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International in Frankfurt. In wenigen Tagen reist er nach Bangladesch. Er will sich ein Bild über die Situation nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza verschaffen. Ende April starben dort mehr als 1000 Menschen, mehrere Tausend wurden verletzt. Seibert will mit Familien, Gewerkschaftern und Behördenvertretern sprechen. Er findet, das Sicherheits- und Brandschutzabkommen für die Textilindustrie in Bangladesch sei ein erster Schritt. Die Vorschriften müssten allerdings international rechtlich bindend für alle sein, sagt er.
SZ: Herr Seibert, mehr als 30 Textilfirmen haben das Sicherheits- und Brandschutzabkommen für die Textilindustrie in Bangladesch unterzeichnet. Hört sich gut an, doch wie wird es kontrolliert?
Thomas Seibert: Die Kontrollen werden von unabhängigen Fachleuten, darunter Arbeiter und Gewerkschafter aus Bangladesch, vorgenommen. Außerdem wird es eine Kontroll-Kommission geben, in der paritätisch Unternehmensvertreter und Gewerkschafter sitzen.
In vielen Ländern ist Korruption an der Tagesordnung. Können Organisationen wie Medico das überhaupt verhindern?
Korruption können wir nicht verhindern. Aber wir können die Gewerkschaften in Bangladesch, Pakistan oder anderswo unterstützen.
In vielen Ländern sind auch die Gewerkschaften korrupt.
Das stimmt. Aber wir sind in den Ländern unterwegs. Ich reise mindestens dreimal im Jahr nach Asien. Wenn eine Katastrophe passiert, wie jetzt in Bangladesch, dann öfter. Da weiß man irgendwann, welche Gewerkschaften seriös sind und welche nicht. Wir kooperieren in Bangladesch mit der Textilarbeitergewerkschaft NGWF (National Garment Workers Federation) und mit der Gesundheitsorganisation Gonoshasthaya Kendra (GK). Die GK leistete Nothilfe nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes in Bangladesch und kümmert sich jetzt um die Verletzten.
Welchen Druck können die westlichen Firmen auf die Regierungen ausüben?
Indem sie damit drohen, das Land zu verlassen. Bangladesch hängt von der Textilindustrie ab, und für Pakistan ist das eine enorme Entwicklungschance. Das muss man den Regierungen und Unternehmern klarmachen.
Die meisten Firmen bleiben aber wider besseres Wissen.
Viele Arbeiter und Arbeiterinnen bekommen keine Arbeitspapiere. Viele arbeiten ohne Vertrag. Sie können dann keine Ansprüche geltend machen, wenn etwas passiert. Auch bei dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch können viele Angehörige nicht nachweisen, dass der Bruder, Vater oder Onkel dort gearbeitet hat. Die westlichen Firmen wissen das alles und machen trotzdem weiter.
Wenn schon so etwas 'Normales' wie ein Arbeitsvertrag nicht ausgehändigt wird, wie wasserdicht kann dann ein Brandschutz- und Sicherheitsabkommen sein?
Die westlichen Unternehmen werden sich jetzt ganz bestimmt bemühen, das Abkommen umzusetzen. Sie können sich momentan nicht leisten, dies nicht zu tun. Allerdings wird es sich zeigen, ob das langfristig Bestand haben wird - angesichts der Korruption und des bisherigen Verhaltens der Unternehmen. Ich bin nicht sicher, ob die Firmen in einem Jahr noch zu dem Abkommen stehen.
Momentan werden sich die Arbeitsbedingungen etwas verbessern. Vielleicht stürzen weniger Fabriken ein, und es brennt nicht mehr so oft. Allerdings: Überstunden und schlechte Bezahlung bleiben. Was tun Sie dagegen?
Das ist genau unser Anliegen. Das Abkommen ist auf Brandschutz und Gebäudesicherheit beschränkt. Deshalb muss es auf Arbeitslohn, Arbeitszeit, Sozialleistungen und das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung ausgeweitet werden. Nur so kann verhindert werden, dass Arbeitszeit und Arbeitslohn in der Unterbietungskonkurrenz um europäische und amerikanische Aufträge den Ausschlag geben.
Viele Firmen, die das Abkommen für Bangladesch unterzeichnet haben, lassen auch in Pakistan, Kambodscha und Sri Lanka produzieren. Zieht die Karawane jetzt weiter?
Das schließe ich nicht aus. Deshalb muss das Abkommen auch auf diese Länder ausgeweitet werden. Wir brauchen eine internationale Regelung.
Oft sind die Lieferketten so lang und wegen der Subunternehmen so undurchsichtig, dass echte Kontrollen nicht möglich sind.
Das ist wirklich oft sehr schwer zu durchschauen. Der Textildiscounter Kik behauptet, nicht gewusst zu haben, dass einer seiner Vertragspartner in dem eingestürzten Fabrikgebäude in Bangladesch gefertigt hat. Die Subunternehmerketten sind oft so verschachtelt, dass die westlichen Firmen das tatsächlich nicht nachverfolgen können. Aber: Die Firmen wissen, dass es so abläuft. Und deshalb müssten sie mehr Druck machen, und wir müssen die westlichen Firmen unter Druck setzen.
Was halten Sie von einer EU-weiten gesetzlichen Offenlegungspflicht der Lieferketten?
Das wäre ein weiterer Schritt. Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, dass die Textilfirmen in Deutschland haftbar gemacht werden. Unsere pakistanischen Partner verhandeln gerade mit Kik über entsprechende Entschädigungszahlungen wegen des Fabrikbrandes in Pakistan, bei dem im September mehr als 250 Menschen starben. Wenn wir da nicht weiterkommen, werden wir in Deutschland eine Klage gegen Kik unterstützen. Wir kennen mindestens zehn pakistanische Familien, die klagen würden.
Einige US-Firmen, aber auch deutsche, etwa Metro und NKD, wollen das Abkommen nicht unterzeichnen. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Dass das die Hardliner sind. Dass es auch Firmen gibt, die das aussitzen wollen.
Es geht um Geld.
Klar. Da werden ungeheure Profite gemacht. Das Abkommen umfasst ja nicht nur Sicherheitsinspektionen. Die westlichen Firmen haben sich dazu verpflichtet, für die Instandhaltungskosten in ihren Zulieferbetrieben aufzukommen.
Das Abkommen garantiert den Arbeitern das Recht, gefährliche Arbeiten zu verweigern. Viele brauchen das Geld und werden die Arbeiten trotzdem ausführen. Greift das Abkommen nicht doch zu kurz?
Die Duldsamkeit der Menschen in Südasien ist ungeheuer stark. Die Menschen dort haben die verzweifelte Hoffnung, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Das ist der Punkt. Allerdings gibt es nun auch vermehrt Proteste. Wenn die Gewerkschaften das nutzen und Arbeitsrechte durchsetzen und darauf achten, dass die Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind, dann haben sie schon sehr viel erreicht.
Thomas Seibert, 55, ist Südasien-Experte der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International in Frankfurt. In wenigen Tagen reist er nach Bangladesch. Er will sich ein Bild über die Situation nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza verschaffen. Ende April starben dort mehr als 1000 Menschen, mehrere Tausend wurden verletzt. Seibert will mit Familien, Gewerkschaftern und Behördenvertretern sprechen. Er findet, das Sicherheits- und Brandschutzabkommen für die Textilindustrie in Bangladesch sei ein erster Schritt. Die Vorschriften müssten allerdings international rechtlich bindend für alle sein, sagt er.
SZ: Herr Seibert, mehr als 30 Textilfirmen haben das Sicherheits- und Brandschutzabkommen für die Textilindustrie in Bangladesch unterzeichnet. Hört sich gut an, doch wie wird es kontrolliert?
Thomas Seibert: Die Kontrollen werden von unabhängigen Fachleuten, darunter Arbeiter und Gewerkschafter aus Bangladesch, vorgenommen. Außerdem wird es eine Kontroll-Kommission geben, in der paritätisch Unternehmensvertreter und Gewerkschafter sitzen.
In vielen Ländern ist Korruption an der Tagesordnung. Können Organisationen wie Medico das überhaupt verhindern?
Korruption können wir nicht verhindern. Aber wir können die Gewerkschaften in Bangladesch, Pakistan oder anderswo unterstützen.
In vielen Ländern sind auch die Gewerkschaften korrupt.
Das stimmt. Aber wir sind in den Ländern unterwegs. Ich reise mindestens dreimal im Jahr nach Asien. Wenn eine Katastrophe passiert, wie jetzt in Bangladesch, dann öfter. Da weiß man irgendwann, welche Gewerkschaften seriös sind und welche nicht. Wir kooperieren in Bangladesch mit der Textilarbeitergewerkschaft NGWF (National Garment Workers Federation) und mit der Gesundheitsorganisation Gonoshasthaya Kendra (GK). Die GK leistete Nothilfe nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes in Bangladesch und kümmert sich jetzt um die Verletzten.
Welchen Druck können die westlichen Firmen auf die Regierungen ausüben?
Indem sie damit drohen, das Land zu verlassen. Bangladesch hängt von der Textilindustrie ab, und für Pakistan ist das eine enorme Entwicklungschance. Das muss man den Regierungen und Unternehmern klarmachen.
Die meisten Firmen bleiben aber wider besseres Wissen.
Viele Arbeiter und Arbeiterinnen bekommen keine Arbeitspapiere. Viele arbeiten ohne Vertrag. Sie können dann keine Ansprüche geltend machen, wenn etwas passiert. Auch bei dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch können viele Angehörige nicht nachweisen, dass der Bruder, Vater oder Onkel dort gearbeitet hat. Die westlichen Firmen wissen das alles und machen trotzdem weiter.
Wenn schon so etwas 'Normales' wie ein Arbeitsvertrag nicht ausgehändigt wird, wie wasserdicht kann dann ein Brandschutz- und Sicherheitsabkommen sein?
Die westlichen Unternehmen werden sich jetzt ganz bestimmt bemühen, das Abkommen umzusetzen. Sie können sich momentan nicht leisten, dies nicht zu tun. Allerdings wird es sich zeigen, ob das langfristig Bestand haben wird - angesichts der Korruption und des bisherigen Verhaltens der Unternehmen. Ich bin nicht sicher, ob die Firmen in einem Jahr noch zu dem Abkommen stehen.
Momentan werden sich die Arbeitsbedingungen etwas verbessern. Vielleicht stürzen weniger Fabriken ein, und es brennt nicht mehr so oft. Allerdings: Überstunden und schlechte Bezahlung bleiben. Was tun Sie dagegen?
Das ist genau unser Anliegen. Das Abkommen ist auf Brandschutz und Gebäudesicherheit beschränkt. Deshalb muss es auf Arbeitslohn, Arbeitszeit, Sozialleistungen und das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung ausgeweitet werden. Nur so kann verhindert werden, dass Arbeitszeit und Arbeitslohn in der Unterbietungskonkurrenz um europäische und amerikanische Aufträge den Ausschlag geben.
Viele Firmen, die das Abkommen für Bangladesch unterzeichnet haben, lassen auch in Pakistan, Kambodscha und Sri Lanka produzieren. Zieht die Karawane jetzt weiter?
Das schließe ich nicht aus. Deshalb muss das Abkommen auch auf diese Länder ausgeweitet werden. Wir brauchen eine internationale Regelung.
Oft sind die Lieferketten so lang und wegen der Subunternehmen so undurchsichtig, dass echte Kontrollen nicht möglich sind.
Das ist wirklich oft sehr schwer zu durchschauen. Der Textildiscounter Kik behauptet, nicht gewusst zu haben, dass einer seiner Vertragspartner in dem eingestürzten Fabrikgebäude in Bangladesch gefertigt hat. Die Subunternehmerketten sind oft so verschachtelt, dass die westlichen Firmen das tatsächlich nicht nachverfolgen können. Aber: Die Firmen wissen, dass es so abläuft. Und deshalb müssten sie mehr Druck machen, und wir müssen die westlichen Firmen unter Druck setzen.
Was halten Sie von einer EU-weiten gesetzlichen Offenlegungspflicht der Lieferketten?
Das wäre ein weiterer Schritt. Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, dass die Textilfirmen in Deutschland haftbar gemacht werden. Unsere pakistanischen Partner verhandeln gerade mit Kik über entsprechende Entschädigungszahlungen wegen des Fabrikbrandes in Pakistan, bei dem im September mehr als 250 Menschen starben. Wenn wir da nicht weiterkommen, werden wir in Deutschland eine Klage gegen Kik unterstützen. Wir kennen mindestens zehn pakistanische Familien, die klagen würden.
Einige US-Firmen, aber auch deutsche, etwa Metro und NKD, wollen das Abkommen nicht unterzeichnen. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Dass das die Hardliner sind. Dass es auch Firmen gibt, die das aussitzen wollen.
Es geht um Geld.
Klar. Da werden ungeheure Profite gemacht. Das Abkommen umfasst ja nicht nur Sicherheitsinspektionen. Die westlichen Firmen haben sich dazu verpflichtet, für die Instandhaltungskosten in ihren Zulieferbetrieben aufzukommen.
Das Abkommen garantiert den Arbeitern das Recht, gefährliche Arbeiten zu verweigern. Viele brauchen das Geld und werden die Arbeiten trotzdem ausführen. Greift das Abkommen nicht doch zu kurz?
Die Duldsamkeit der Menschen in Südasien ist ungeheuer stark. Die Menschen dort haben die verzweifelte Hoffnung, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Das ist der Punkt. Allerdings gibt es nun auch vermehrt Proteste. Wenn die Gewerkschaften das nutzen und Arbeitsrechte durchsetzen und darauf achten, dass die Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind, dann haben sie schon sehr viel erreicht.