Mit Stücken wie "Pornografie der reinen Vernunft" mutiert die Berliner Volksbühne immer mehr zu einer Eventagentur. Absichtlich, versteht sich.
Immer im Dienst der Erlebnisgesellschaft bemüht sich die Berliner Volksbühne derzeit besonders hingebungsvoll, die gelangweilte Kundschaft mit neuen Reizen zu animieren. Vor kurzem durfte zu diesem Zweck das dänisch-deutsche Regie-Kollektiv Signa mit dem "Club Inferno" einen Theater-Erlebnispark im Stil eines Edel-Swingerclubs errichten. Das hat zwar mit Theater nur im Sinn der Binsenweisheit zu tun, dass alle Interaktion nicht ohne Rollen auskommt, erfüllt aber seinen Zweck: Die Szene-Flaneure hatten wieder etwas zu staunen.
Die Volksbühne konnte zur Pflege des Standortmarketings das Ihre zum Ruf Berlins als besonders wilder Metropole beitragen. Vielleicht ist das ja inzwischen der eigentliche Zweck dieses Hauses. Zumindest die Berlin-Vermarkter von "Visit Berlin", der vom Land Berlin und der Tourismuswirtschaft getragenen Tourismusmarketing-Agentur, werden die Berichte über das kleine, gefällig verruchte Signa-Club-Spektakel gerne gesehen haben.
Aber auch das ist natürlich steigerungsfähig, schon weil die Konkurrenz in der Aufmerksamkeitsökonomie nach immer grelleren Reizen verlangt. Mit einer Veranstaltung unter dem viel versprechenden Titel "Porn of Pure Reason", also einer Pornografie der reinen Vernunft, bemühen sich jetzt Markus Öhrn und Pekko Koskinen ebenfalls an der Volksbühne um diese Reiz-Vergröberung. Leider beweist ihre Show nur, dass die Performancekunst den Stumpfsinn pornografischer Filme mühelos zu unterbieten versteht. Das Ganze hat mit Vernunft etwa so viel zu tun wie Immanuel Kant mit youporn.
Weil die Show so banal ist, muss sie vom Versprechen, hier handle es sich um ganz besonders radikale Kunst veredelt werden. Also wird das bedauernswerte Publikum, bevor es durch die Kellergänge des Gebäudes geht, zur Steigerung der Vorlust auf sensationelle Darbietungen vorbereitet: "Wir bieten Dir ein Ritual an, das der Kraft der Pornografie gewidmet ist. Wir massieren Deine Gedanken. Dein Körper ist unsere Bühne. Erlebe Deinen Körper", tönt es aus den Lautsprechern. Dem dröhnenden Versprechen folgt kein Besuch in den Verliesen des Marquis de Sade, sondern eine von prätentiösem Geschwurbel aus dem Off begleitete Vorführung harter Porno-Filme. Während man sieht, wie Damenhände einen schwarzen Penis bearbeiten, fragt die Off-Stimme mit dem verständnisvollen Tonfall eines schlechten Therapeuten: "Wie fühlst du dich?"
Theater findet an diesem Abend nicht statt, höchstens das Schmierentheater des Bluffs. Angesichts eines Films, der ausgiebig und detailliert zeigt, wie einer Asiatin mit Hilfe eines Trichters zappelnde Würmer in Körperöffnungen eingeführt werden, fragt man sich unwillkürlich, ob sie beim Hauptstadtkulturfonds, der diese Veranstaltung finanziert hat, vor lauter Avantgardetrendstreberei noch wissen, was sie tun. Möglicherweise genügt es ja, in den Anträgen, mit denen die Performancekünstler beim Hauptstadtstadtkulturfonds und anderen Geldgebern ihre Subventionen einwerben, die gängigen Reizvokabeln von "Dekonstruktion" bis zu "performative Kritik", "Intervention" und "genreüberschreitende Installation" einzusetzen. Mit gekonnter Antragslyrik lässt sich jedes Mätzchen als radikales Kunstwerk drapieren. Was dann auf der Bühne stattfindet, ist eigentlich egal. Mit diesem Bluff hat die Selbstreferenz des Kunstsystems ihre Blüte erreicht. Das immunisiert aufs schönste gegen Kritik: Je genervter, angewiderter oder gelangweilter der Rest der Welt darauf reagiert, desto radikaler das Kunstwerk. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Kulturwissenschaftler findet, der der Volksbühnen-Darbietung Bedeutung verleihen möchte.
Von anderem Kaliber, aber ebenfalls im Kern ein Eventangebot für die gelangweilte Erlebniskundschaft, ist das "12-Spartenhaus" im Prater der Volksbühne, die neue Produktion des Kollektivs um den Performer Vegard Vinge und die Bühnenbildnerin Ida Müller. Spätestens seit ihre bis zu zwölf Stunden dauernde und mit Grenzüberschreitungen aller Art aufwartende Prater-Inszenierung "John Gabriel Borkman" im vergangenen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, ist ihnen der Ruf als Schock-Künstler der Extraklasse sicher. Dass Vinge dazu gerne mal mit Kot um sich wirft, auf der Bühne uriniert oder Analsex mit seinem Darsteller Volker Spengler praktiziert, wäre nicht weiter interessant, wenn er jenseits der Exzess-Spiele in "Borkman" nicht so eine zwingende Bühnenästhetik entwickelt hätte. Bühne, Kostüme und Masken erzeugen eine Komplettkünstlichkeit, in der die Darsteller wie Puppen oder wie Zombies in einem psychedelischen Animationsfilm agieren. Vinges frei laufende Ausraster sind von dieser perfekt durchstilisierten Form gerahmt. In seiner Penetranz, den endlosen Wiederholungsschleifen, dem offensiven Desinteresse an sauber erzählten Geschichten entwickelt das beträchtliche Sogwirkung und Komik.
Für das "12-Spartenhaus" haben Müller und Vinge den kompletten Prater im Stil der Comicvariante eines Theaters aus dem 19.Jahrhundert umgebaut. Aber, Überraschung, das Publikum muss draußen im Foyer bleiben. Jedenfalls bis jetzt, denn die Aufführungsserie, sehr frei an Ibsens "Volksfeind" angelehnt, ist ein Work in Progress. Es bringt immer neue Mutationen hervor. Wurde die Premiere vor drei Wochen nach nur vier Stunden abgebrochen, hat sich Vinge inzwischen warm gelaufen, in guten Nächten kommt er wieder fast auf sein 12-Stunden-Level. Weil der Performer zu seinem Publikum ein durchaus sadistisches Verhältnis pflegt, darf es nur durch die verschlossen Glastüren auf die Treppenstufen und den roten Teppich blicken, die ins Theaterinnere führen. Ein Darsteller wacht wie ein Engel darüber, dass kein Sterblicher dem Allerheiligsten näher kommt. Zwecks Abschreckung ruft er gerne in Endlosschleife: "Das Publikum! Das Publikum! Das Publikum!" Auf großen Monitoren wird das Geschehen im Inneren ins Foyer übertragen. Mal erschießt Vinge in Wiederholungsschleifen einen Pianisten oder aufdringliche Witzfiguren von der Presse, mal zerdeppert er weiße Plastikstühle oder zerrt Tänzerinnen, die bis zur Bewusstlosigkeit ihre Pirouetten drehten, an den Beinen in den Müllcontainer im Hof.
Das kleine Orchester im Saal lässt Wagner dröhnen oder übt sich ausgiebig in Trommelwirbeln, während ein Herr im Parkett immer wieder ruft: "Was soll das heißen?! Was soll das heißen?!" Aber das ist ja gerade der Witz: Das soll gar nichts heißen. Vinges Show erschöpft sich im Oberflächenreiz, zu dem noch die Geste des verweigerten Zugangs zur nur in Bruchstücken sichtbaren Show wird. Aber auch dieser Erlebnispark findet seine Zielgruppe. Dauergäste bringen sich gerne eigene Decken samt Kopfkissen mit, um es sich in Vinges Parallelwelt gemütlich zu machen. Die Gier des Berliner Theater-Erlebnismarkts nach Attraktionen scheint ungebrochen.
Immer im Dienst der Erlebnisgesellschaft bemüht sich die Berliner Volksbühne derzeit besonders hingebungsvoll, die gelangweilte Kundschaft mit neuen Reizen zu animieren. Vor kurzem durfte zu diesem Zweck das dänisch-deutsche Regie-Kollektiv Signa mit dem "Club Inferno" einen Theater-Erlebnispark im Stil eines Edel-Swingerclubs errichten. Das hat zwar mit Theater nur im Sinn der Binsenweisheit zu tun, dass alle Interaktion nicht ohne Rollen auskommt, erfüllt aber seinen Zweck: Die Szene-Flaneure hatten wieder etwas zu staunen.
Die Volksbühne konnte zur Pflege des Standortmarketings das Ihre zum Ruf Berlins als besonders wilder Metropole beitragen. Vielleicht ist das ja inzwischen der eigentliche Zweck dieses Hauses. Zumindest die Berlin-Vermarkter von "Visit Berlin", der vom Land Berlin und der Tourismuswirtschaft getragenen Tourismusmarketing-Agentur, werden die Berichte über das kleine, gefällig verruchte Signa-Club-Spektakel gerne gesehen haben.
Aber auch das ist natürlich steigerungsfähig, schon weil die Konkurrenz in der Aufmerksamkeitsökonomie nach immer grelleren Reizen verlangt. Mit einer Veranstaltung unter dem viel versprechenden Titel "Porn of Pure Reason", also einer Pornografie der reinen Vernunft, bemühen sich jetzt Markus Öhrn und Pekko Koskinen ebenfalls an der Volksbühne um diese Reiz-Vergröberung. Leider beweist ihre Show nur, dass die Performancekunst den Stumpfsinn pornografischer Filme mühelos zu unterbieten versteht. Das Ganze hat mit Vernunft etwa so viel zu tun wie Immanuel Kant mit youporn.
Weil die Show so banal ist, muss sie vom Versprechen, hier handle es sich um ganz besonders radikale Kunst veredelt werden. Also wird das bedauernswerte Publikum, bevor es durch die Kellergänge des Gebäudes geht, zur Steigerung der Vorlust auf sensationelle Darbietungen vorbereitet: "Wir bieten Dir ein Ritual an, das der Kraft der Pornografie gewidmet ist. Wir massieren Deine Gedanken. Dein Körper ist unsere Bühne. Erlebe Deinen Körper", tönt es aus den Lautsprechern. Dem dröhnenden Versprechen folgt kein Besuch in den Verliesen des Marquis de Sade, sondern eine von prätentiösem Geschwurbel aus dem Off begleitete Vorführung harter Porno-Filme. Während man sieht, wie Damenhände einen schwarzen Penis bearbeiten, fragt die Off-Stimme mit dem verständnisvollen Tonfall eines schlechten Therapeuten: "Wie fühlst du dich?"
Theater findet an diesem Abend nicht statt, höchstens das Schmierentheater des Bluffs. Angesichts eines Films, der ausgiebig und detailliert zeigt, wie einer Asiatin mit Hilfe eines Trichters zappelnde Würmer in Körperöffnungen eingeführt werden, fragt man sich unwillkürlich, ob sie beim Hauptstadtkulturfonds, der diese Veranstaltung finanziert hat, vor lauter Avantgardetrendstreberei noch wissen, was sie tun. Möglicherweise genügt es ja, in den Anträgen, mit denen die Performancekünstler beim Hauptstadtstadtkulturfonds und anderen Geldgebern ihre Subventionen einwerben, die gängigen Reizvokabeln von "Dekonstruktion" bis zu "performative Kritik", "Intervention" und "genreüberschreitende Installation" einzusetzen. Mit gekonnter Antragslyrik lässt sich jedes Mätzchen als radikales Kunstwerk drapieren. Was dann auf der Bühne stattfindet, ist eigentlich egal. Mit diesem Bluff hat die Selbstreferenz des Kunstsystems ihre Blüte erreicht. Das immunisiert aufs schönste gegen Kritik: Je genervter, angewiderter oder gelangweilter der Rest der Welt darauf reagiert, desto radikaler das Kunstwerk. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Kulturwissenschaftler findet, der der Volksbühnen-Darbietung Bedeutung verleihen möchte.
Von anderem Kaliber, aber ebenfalls im Kern ein Eventangebot für die gelangweilte Erlebniskundschaft, ist das "12-Spartenhaus" im Prater der Volksbühne, die neue Produktion des Kollektivs um den Performer Vegard Vinge und die Bühnenbildnerin Ida Müller. Spätestens seit ihre bis zu zwölf Stunden dauernde und mit Grenzüberschreitungen aller Art aufwartende Prater-Inszenierung "John Gabriel Borkman" im vergangenen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, ist ihnen der Ruf als Schock-Künstler der Extraklasse sicher. Dass Vinge dazu gerne mal mit Kot um sich wirft, auf der Bühne uriniert oder Analsex mit seinem Darsteller Volker Spengler praktiziert, wäre nicht weiter interessant, wenn er jenseits der Exzess-Spiele in "Borkman" nicht so eine zwingende Bühnenästhetik entwickelt hätte. Bühne, Kostüme und Masken erzeugen eine Komplettkünstlichkeit, in der die Darsteller wie Puppen oder wie Zombies in einem psychedelischen Animationsfilm agieren. Vinges frei laufende Ausraster sind von dieser perfekt durchstilisierten Form gerahmt. In seiner Penetranz, den endlosen Wiederholungsschleifen, dem offensiven Desinteresse an sauber erzählten Geschichten entwickelt das beträchtliche Sogwirkung und Komik.
Für das "12-Spartenhaus" haben Müller und Vinge den kompletten Prater im Stil der Comicvariante eines Theaters aus dem 19.Jahrhundert umgebaut. Aber, Überraschung, das Publikum muss draußen im Foyer bleiben. Jedenfalls bis jetzt, denn die Aufführungsserie, sehr frei an Ibsens "Volksfeind" angelehnt, ist ein Work in Progress. Es bringt immer neue Mutationen hervor. Wurde die Premiere vor drei Wochen nach nur vier Stunden abgebrochen, hat sich Vinge inzwischen warm gelaufen, in guten Nächten kommt er wieder fast auf sein 12-Stunden-Level. Weil der Performer zu seinem Publikum ein durchaus sadistisches Verhältnis pflegt, darf es nur durch die verschlossen Glastüren auf die Treppenstufen und den roten Teppich blicken, die ins Theaterinnere führen. Ein Darsteller wacht wie ein Engel darüber, dass kein Sterblicher dem Allerheiligsten näher kommt. Zwecks Abschreckung ruft er gerne in Endlosschleife: "Das Publikum! Das Publikum! Das Publikum!" Auf großen Monitoren wird das Geschehen im Inneren ins Foyer übertragen. Mal erschießt Vinge in Wiederholungsschleifen einen Pianisten oder aufdringliche Witzfiguren von der Presse, mal zerdeppert er weiße Plastikstühle oder zerrt Tänzerinnen, die bis zur Bewusstlosigkeit ihre Pirouetten drehten, an den Beinen in den Müllcontainer im Hof.
Das kleine Orchester im Saal lässt Wagner dröhnen oder übt sich ausgiebig in Trommelwirbeln, während ein Herr im Parkett immer wieder ruft: "Was soll das heißen?! Was soll das heißen?!" Aber das ist ja gerade der Witz: Das soll gar nichts heißen. Vinges Show erschöpft sich im Oberflächenreiz, zu dem noch die Geste des verweigerten Zugangs zur nur in Bruchstücken sichtbaren Show wird. Aber auch dieser Erlebnispark findet seine Zielgruppe. Dauergäste bringen sich gerne eigene Decken samt Kopfkissen mit, um es sich in Vinges Parallelwelt gemütlich zu machen. Die Gier des Berliner Theater-Erlebnismarkts nach Attraktionen scheint ungebrochen.