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Notstand im Führerhaus

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Der Logistikbranche gehen die Fahrer aus. Deshalb könnten manche Regale bald leer bleiben


Der Trucker wird geliebt oder gehasst. 'Er ist ein Kerl, ein ganzer Mann, und sein Zuhause ist die Autobahn.' Nicht jeder findet das so toll wie der Sänger Gunter Gabriel, der sich so 1974 in die Herzen der Berufskraftfahrer sang. Geholfen hat das Lied nur wenig. Das Image des Fernfahrers ist katastrophal. Laut einer Forsa-Umfrage rangieren die Kerle von der Autobahn bei den unbeliebtesten Berufen auf Rang drei, hinter Versicherungsvertretern und Politikern. Für 29 Prozent der Deutschen üben Fernfahrer die Tätigkeit aus, die niemand machen will. Keiner mag die Lkw-Fahrer, doch jeder braucht sie.



'Der Kraftfahrer ist einer der wichtigsten Berufe, um die Wirtschaftsleistung in Deutschland aufrechtzuerhalten', sagt Bernhard Simon. Als Chef der Spedition Dachser in Kempten braucht er sehr viele. Sein Großvater Thomas Dachser transportierte Allgäuer Käse ins Rheinland. Aus diesen Anfängen entwickelte sich in 83 Jahren ein Dienstleister mit 4,4 Milliarden Euro Umsatz und weltweit 21 650 Mitarbeitern an 347 Standorten. Der Großspediteur lässt seine antriebslosen Lkw-Aufbauten, die sogenannten Wechselbrücken, überwiegend von selbständigen Fuhrunternehmen bewegen. Für Dachser sind an jedem Tag 7000 Fernfahrer unterwegs. Und die sind immer schwieriger zu finden, weil es zu wenig gibt. 'Ein Mangel an Fahrern könnte dazu führen, dass das eine oder andere Regal leer bleibt', befürchtet Simon.

Das Problem hat nicht nur Dachser. Der Fahrermangel ist eines der großen Themen bei der Messe Transport und Logistik diese Woche in München. Der Fahrermangel droht zur Wachstumsbremse für die Logistikbranche zu werden. Die wird oft unterschätzt. Gemessen am Umsatz ist sie der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Seine 225 Milliarden Euro Leistung stammen zur Hälfte aus den Logistikbereichen von Industrie und Handel, beziehungsweise entstehen bei Speditionen und anderen Dienstleistern. Beschäftigt werden 2,85 Millionen Menschen.

Etwa jeder fünfte Logistiker arbeitet als Fernfahrer. Von denen wird es künftig zu wenige geben. Leere Regale befürchtet nicht nur Dachser. Das hat zunächst einmal demografische Gründe. Das Durchschnittsalter der Fahrer liegt bei 45 Jahren. In den kommenden 15 Jahren gehen etwa 290 000 der jetzt rund 785 000 hauptberuflichen Fahrer in den Ruhestand. In der Branche rechnet man mit mindestens 20000 Fahrersitzen jährlich, die leer bleiben, weil niemand Platz nehmen will.

Logistik-Professor Dirk Lohre von der Hochschule Heilbronn hält mindestens 25000 Nachwuchskräfte pro Jahr für nötig, um den künftigen Bedarf an Fernfahrern decken zu können. Doch gerade einmal 3000 junge Menschen entscheiden sich derzeit für den unbeliebten Beruf. Die Arbeitszeiten mit ihrem Beginn oft in der Nacht gelten als ungünstig, viele Überstunden sind üblich, der Termindruck, die negativen Auswirkungen auf das Privatleben - das alles sind noch die kleineren Übel. Laut ZF-Fernfahrerstudie wünschen sich neun von zehn Berufseinsteigern eine bessere Bezahlung als das derzeit übliche Grundgehalt zwischen 2000 und 2500 Euro.

Die Welt der Trucker ist bizarr: Zwei Drittel aller Fahrer wählen ihren Beruf nicht wegen des Gehalts, sondern aus Freude am Fahren, so die Studie. Manche bringen erst einmal Geld mit, um Brummifahrer werden zu können. Der Berufsanfänger muss oft mehrere Monatsgehälter in den Führerschein investieren, der zwischen 6000 und 8000 Euro kostet. Ohne Wehrpflicht gibt es den Lkw-Schein nicht mehr kostenlos bei der Bundeswehr, eine Gelegenheit, die jährlich von immerhin 15000 Menschen genutzt worden ist. Ohne Ex-Wehrpflichtige muss sich das Fuhrgewerbe seinen Nachwuchs in anderen Branchen suchen. Zwischen 10000 und 15000 Quereinsteiger jährlich werden Fernfahrer.

Hier sieht auch Bernhard Simon einen Ausweg aus dem Fahrermangel. 'Wir müssen den Fahrer zu einem gesellschaftlich anerkannten Beruf machen.' Für ihn ist das nicht Aufgabe der Unternehmen allein. 'Politiker müssen den Fahrer in ein anständiges Licht rücken. Die Anforderungen an den Fahrer müssen zu bewältigen sein.' Wenn Ruhezeiten verordnet werden, ohne dass es dafür genügend Parkplätze gebe, tragen die Folgen zum schlechten Image des Berufsstandes bei, ohne dass die Fernfahrer dafür etwas können.

Manches werde völlig unrealistisch dargestellt. Auch in Schulen und Arbeitsämtern müsse sich herumsprechen, dass der Beruf nicht so viele Nachteile habe, wie vielfach angenommen. Neun Zehntel aller Speditionsfahrten seien nicht länger als 400 Kilometer, der Fahrer verbringe den Feierabend zu Hause. 4000 seiner gelbblauen Lkw setzt Dachser im Linienverkehr ein, also im Gütertransport nach Plan mit festem Arbeitsrhythmus für die Fahrer. 'Man muss sich um die Fahrer mehr kümmern als früher', sagt Simon: 'Die Ansprüche an sie sind erheblich gestiegen.'

Der Führerschein allein reicht nicht mehr. Sicheres Fahren, ökologisch korrektes sparsames Gasgeben, mit Gefahrgütern umgehen, die Ladung sichern, sinnvolles Verhalten bei Staus oder Umleitungen, der Umgang mit elektronischen Geräten vom Navigationsgerät bis zu Laptop und Scanner. Hinzu kommt: Die Fahrer sind das Gesicht von Dachser bei den Kunden. Sie pflegen den persönlichen Kontakt. Nicht einfach in der rauen Welt der Verladerampen, wo es im Morgengrauen eher ruppig zur Sache geht.

Freude am Umgang mit Menschen, hält Simon daher für eine wichtige Eigenschaft von Truckern und Truckerinnen. Frauen gibt es nur wenige unter den Fernfahrern, aber angesichts technischer Hilfen sowohl beim Fahren wie auch beim Bewegen von Ladung sieht Simon gute Chancen für sie.

Was anderen Branchen bevorsteht, im Transportgewerbe ist es schon Realität: Die Arbeitskräfte werden knapp. Und nun gibt es auch noch Konkurrenten um das knappe Personal. Wird sich der Fahrermangel für die Speditionen verschärfen durch die vielen neuen Fernbusse? 'Das spüren wir noch nicht im Augenblick, es ist aber etwas, was man ernst nehmen muss.' Dachser-Chef Simon bleibt trotz allem optimistisch. Er baut die Spedition weiter zu einem der führenden Landtransporteure in Europa aus. Zehn Jahre nach der großen Akquisition von Graveleau in Frankreich erwarb er nun Azkar in Spanien, den Marktführer bei Stückgut auf der iberischen Halbinsel. Der Kauf habe weniger mit der Wirtschaftskrise dort zu tun, als mit der langfristigen Chance, ein Familienunternehmen fortführen zu können. Simon setzt auf Europa, obwohl es dem Unternehmen nicht immer leicht gemacht wird, immer wieder stößt er auf nationales Denken: 'Europa ist für uns der attraktivste Markt. Hier müssen die Staaten zu einer abgestimmten Steuerpolitik kommen.' Vom Steuerwettbewerb der Staaten lasse man sich nicht irritieren: 'Bei uns gilt der gute kaufmännische Grundsatz: Die Geschäftsstrategie bestimmt die Ausrichtung des Unternehmens und nicht die steuerliche Optimierung.'

Die Strategie ist klar: Die vielen Lastwagen auf den Straßen Europas tragen bei Dachser weiter deutlich mehr als die Hälfte zum Umsatz bei, auch wenn das weltweite Geschäft und die Lebensmittel-Logistik schneller wachsen. Daher das starke Interesse von Simon an den Berufskraftfahrern und dem, was sich für sie ändern muss, beziehungsweise bereits verändert hat.

Dachser kommt anders als ein Paketdienst nicht an die Haustüren, sondern verbindet Unternehmen. Das könnte sich eines Tages ändern. Durch das Internet verkaufen immer mehr Hersteller direkt an die Endverbraucher. Warenströme verändern sich. Sie nehmen nicht mehr den Weg in Läger und Läden von Händlern, sondern werden beim Kunden ausgeliefert. Bei Großgeräten wie etwa voluminösen Flachfernseher wird die Zustellung beim Verbraucher zu Hause bereits von Dachser erwartet. Was heute eher vereinzelt vorkommt, könnte Trend werden. Wie auch immer, der Speditionsfahrer wird wichtiger. Er ist dann nicht nur das Gesicht des Transporteurs sondern auch der einzige Mensch, den ein Kunde beim Kauf eines teuren Produktes zu sehen bekommt.

Die Aussichten sind also nicht schlecht für den Berufskraftfahrer. Es ist nicht nur der Mythos Born to Truck, wie sich ein Internet-Portal nennt, geboren um Lastwagen zu fahren - dafür gibt es handfeste wirtschaftliche Gründe. Oder, wie Gunter Gabriel singt: 'Und seine Hände sind aus Eisen, immer dann, wenn er sein Lenkrad hält, und für ihn zählt nur sein Diesel, denn der bringt ihm bares Geld.'

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