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"Istanbul gehört den Baufirmen"

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In Istanbul protestieren gerade tausende Demonstranten gegen den Bau eines von der Stadt geplanten Einkaufszentrums. Die linken Parteien der Türkei fühlen sich übergangen und prangern die Regierung als diktatorisch an. Ein Gespräch mit der türkischen Architektin Selva Gürdogan.


Kaum eine Metropole verändert sich gerade derartig wie das boomende Istanbul. Bauprojekte wie die dritte Brücke über den Bosporus führen zu einem gewaltigen Stadtumbau - von dem die Bevölkerung meist erst etwas mitbekommt, wenn alles beschlossen ist. Der Aufstand gegen Premier Erdogan begann also nicht zufällig hier, mit der Besetzung eines zentralen Parks, der offenbar einer Shopping Mall weichen soll. Ein Gespräch mit der türkischen Architektin Selva Gürdogan, die mit ihrem Büro Superpool die Strukturen Istanbuls erforscht, über unschuldige Parks, ausformulierte Wettbewerbe und Pläne, die niemand kennt.

SZ: Vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit genommen haben.
Selva Gürdogan: Ich habe zwar Zeit, aber ich weiß nicht, ob ich über den Gezi-Park noch sprechen soll.

Warum? Was ist das Problem?
Es gibt kein Problem. Es ist nur: Am ersten Tag, war es wichtig darüber zu sprechen, weil es um den Park ging. Am zweiten Tag war es noch wichtiger, weil die Polizei so gewalttätig gegen die Demonstranten vorging. Am dritten Tag jedoch hat der Premierminister die Sache zu seiner eigenen gemacht. Jetzt geht es nur noch um ihn. Ich weiß, nicht was ich dazu noch sagen soll.

Dann fangen wir mit den Protesten an. Warum konnten gerade die Umbaupläne für einen Park, einen solchen Proteststurm hervorrufen?
Ich glaube, es hätte auch mit jedem anderen Projekt anfangen können. Aber vielleicht ist es unser Glück, dass es gerade mit etwas begonnen hat, dass so unschuldig ist wie ein Park. Der bedeutet jedem etwas. Ursprünglich waren es ja Urbanisten, die versuchten einen Park zu schützen. Bislang war es extrem schwierig, für so etwas ein Publikum zu finden. Wir reden schon seit zwei Jahren über den Umbau des Parks. Erst als man entschied, ein paar Bäume zu fällen, bedeutete es den Menschen genug, um dagegen zu protestieren. Für uns ist Occupy Gezi auch deswegen so wichtig, weil sich damit die Menschen endlich für Stadtentwicklung interessieren.

Sind die Umbaupläne für den Gezi-Park denn typisch für das, was in den letzten Jahren in Istanbul gebaut wurde?
Ja, es gab einige öffentliche Grundstücke, die privat entwickelt und bebaut wurden. Wir verstehen natürlich, dass die Stadt Geld einnehmen muss, um andere Projekte wie etwa die Metro zu finanzieren. Nur: Dabei gibt es nie eine vernünftige Auseinandersetzung. Es ist als würde man mit jemanden in einem Haus zusammenwohnen und jedes Mal, wenn man nach Hause kommt, ist etwas anderes. An einem Tag die Vorhänge, am nächsten der Teppich. Ohne dass man jemals gefragt wird. Ab einem gewissen Moment, gefällt einem das nicht mehr. Die Argumente bei all den Projekten sind immer die gleichen: Die Wirtschaft wächst. Was also ist dein Problem? Vor zehn Jahren hätte es nicht mal die Möglichkeiten gegeben darüber zu sprechen, weil uns schlicht das Geld gefehlt hat. Wir verstehen das, wir akzeptieren das sogar, aber vielleicht war ja gerade der Teppich mein Lieblingsstück im Haus.

Wie würden Sie Stadtplanung in Istanbul generell beschreiben?
Die Stadt gehört den Baufirmen. Das ist typisch für die Türkei. Die Bauindustrie ist die größte Kraft unserer Wirtschaft. Abreißen und Aufbauen ist ihre Devise. Dafür braucht man nur ungelernte Arbeiter. Um die Wirtschaft am Laufen zu halten und um für Beschäftigung zu sorgen, ist es also am einfachsten zu bauen. Bauprojekte stehen also eher auf der Agenda der Staatsregierung als der der Stadt. In Istanbul ist das besonders sichtbar. Die Staatsregierung entscheidet, wo hier der neue Flughafen hinkommt und wo die dritte Brücke über den Bosporus gebaut wird.

Die Stadt selbst hat also gar keinen Einfluss darauf, was hier gebaut wird?
Nein. Vermutlich, weil Istanbul das Zugpferd für die ganze Türkei ist. Der Fokus auf die Stadt ist einfach zu groß.



Am 2. Juni protestierten wieder Tausende Demonstranten in Istanbul  gegen die eigenständige Stadtplanung der Regierung.

Ist die Stadtplanung in Ankara anders?
Man hört nie etwas davon, was dort passiert. Das ist Teil des Problems. Es ist schwierig, etwas zu erfahren, bevor etwas beschlossene Sache ist. Beim Taksim ist das das Gleiche: Irgendjemand plant etwas, aber die Öffentlichkeit weiß nicht was. Die Stadtregierung ist zwar transparenter, aber sie weiß eben vieles nicht. Das zeigt auch der Masterplan von Istanbul aus dem Jahr 2006. Dieser Plan beinhaltet weder die Brücke noch den Flughafen, so wie sie jetzt gebaut werden. Der Masterplan schlägt ganz andere Standorte vor und er kennt auch keine dritte Brücke. Die Pläne, die dann auftauchten, versuchen nicht einmal, sich an den Masterplan anzupassen. Es ist nicht sichtbar, wer da etwas plant und wer entscheidet.

Es gibt also keine offenen Wettbewerbe?
Doch die gibt es. Auch manchmal bei privaten Projekten. Aber es gibt nie eine offene Diskussion. Entscheidend ist immer die Sicht des Developers. Das ist beim Galata-Hafenviertel das Gleiche wie beim Sirkeci-Bahnhof, dem Bahnhof, an dem der Orient-Express abfuhr. Viel bedeutender geht es für Istanbul nicht. Aber wir wissen überhaupt nicht, wie der neue Bahnhof aussehen wird. Ich könnte Ihnen noch 50 weitere Projekte aufzählen, die mich als Architekt genauso aufregen wie der Gezi-Park.

Könnte der Protest dort aber nicht dazu führen, dass die Bevölkerung sich auch für die anderen Projekte interessiert?
Ich hoffe es. Es hängt viel davon ab, wie das jetzt weitergeht.

Was bedeuten der Regierung eigentlich all die großen Projekte?
Für sie sind sie Zeichen der Entwicklung. Und die Menschen honorieren das auch, genauso wie die wirtschaftliche Stabilität.

Vieles wird in Istanbul gerade abgerissen. Verliert Istanbul nicht seinen Charakter dadurch?
Das ist für mich kein wichtiges Argument. Die Stadt verändert sich. Das ist normal. Außerdem ist nur zehn Prozent der Stadt historisch, der Rest ist es nicht und dort wohnen alle. Auch beim Gezi-Park wehren sich die Leute nicht dagegen, dass sich der Charakter ihrer Stadt ändert. Sie wollen nur, dass der Park bleibt - und dass sie ein Mitspracherecht darauf haben, was auf öffentlichem Grund passiert.

Wie könnte so ein Mitspracherecht aussehen?
Die Stadt muss ihre Planung öffnen, damit mehr Teilhabe möglich ist.

Was würde das konkret für den Gezi-Park bedeuten?
Wenn ich Bürgermeister von Istanbul wäre, würde ich den Wettbewerb für jeden öffnen. Auch Schüler dürften dann Ideen einreichen. Um eine Grundlage für einen wirklichen Wettbewerb zu schaffen. Denn im Moment werden die Wettbewerbe erst öffentlich, wenn sie schon ausformuliert sind. Etwa bei der umstrittenen Moschee, die die Regierung realisieren will. Auch dort gab es einen Wettbewerb. Aber das bedeutete nicht, dass es ein demokratischer Prozess war.

Warum?
Weil die Moschee in einem der ältesten Parks errichtet werden soll. Zu sagen, man will dort eine große Moschee bauen, ist eine Vorgabe. Dann geht es nur noch darum, wie diese Moschee aussehen soll. So ist kein Gespräch möglich. Das ist das Ende eines Gesprächs. Man könnte aber auch fragen, was wollen wir mit dem Park machen? Das wäre ein demokratischer Prozess.

Was ist Ihre Prognose für Istanbul?
Wenn die Regierung transparenter arbeiten würde, könnte ich Prognosen machen. Aber das tut sie nicht. Ich weiß nicht, was sie aus der Stadt machen will. Aber das, was sie macht, macht sie mit Nachdruck.

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