Jahrelang haben die Deutsch-Türken sich anhören müssen, dass es ihnen an bürgerschaftlichem Engagement mangele. Nun wehen in verschiedenen deutschen Städten rote Flaggen: Vor allem junge Leute demonstrieren für Demokratie in Köln und Berlin.
Berlin/Köln - Vor dem Kölner Dom steht eine Gruppe junger Frauen mit Kopftuch und einen großen Transparent. Das Transparent ist auf Türkisch und das, was die Frauen rufen, ist es auch. Sie würden für den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan demonstrieren, sagt eine Frau. Ein Junggesellenabschied zieht vorbei, prostet den Frauen zu und ruft: "Euch versteht doch keiner." Die Frauen sehen jetzt sehr traurig aus.
Ein paar Meter weiter, auf der anderen Domseite, wehen am Samstag rote Flaggen, manche mit dem Halbmond, andere mit einem Bild von Mustafa Kemal Atatürk. Eine junge Frau steigt auf das Podest und nimmt sich ein Megafon: "Taksim ist überall - überall ist Widerstand", sagt sie. Das ist der Slogan der Proteste in Deutschland. Tausende gehen in diesen Tagen auf die Straßen, sie demonstrieren vor dem Kölner Dom und der Bochumer Fußgängerzone, am Cottbusser Tor in Kreuzberg und auf dem Schlossplatz in Stuttgart.
Sie demonstrieren für den Wandel, in der Türkei, aber auch ein bisschen hier in Deutschland. Jahrelang haben die Deutsch-Türken sich anhören müssen, dass es ihnen an bürgerschaftlichem Engagement mangele, dass sie keine Organisationen und Strukturen hätten, um ihre Interessen zu vertreten in diesem Land. Die Solidaritätskundgebungen zeigen jetzt aber den Mehrheitsdeutschen: Es gibt sie sehr wohl, die deutsch-türkische Zivilgesellschaft. Das macht sie auch ein wenig stolz, diejenigen, die nun auf den Plätzen stehen und in den sozialen Netzwerken diskutieren.
Bei einer Solidaritäts-Demo am Cotbusser Tor in Berlin ist ein Banner mit der Aufschrift "Taksim ist überall, überall ist Widerstand!" vor dem Protestzelt der Occupy Gezi Bewegung gespannt.
"Wir wurden nicht beachtet - und wenn, dann wurde höchstens mit den islamischen Gemeinschaften diskutiert", sagt Erkin Odabasi. Er ist 23 Jahre alt, studiert in Aachen Luft- und Raumfahrtechnik und engagiert sich beim Bund Türkischer Jugendlicher, einer kemalistischen Vereinigung. Odabasi steht vor dem Dom, inmitten vieler junger Deutsch-Türken, alle ziemlich schick gekleidet, alle ziemlich gut drauf. Odabasi sagt, durch den Protest werde der Gesellschaft endlich einmal ein anderes Bild der Deutsch-Türken gezeigt, junge Menschen, die sich für die Demokratie engagieren. Sonst gebe es in den Medien oft die selben Klischees - der Deutsch-Türke als Opfer, oder als Islamist. Jetzt ist das anders. Und so soll es auch bleiben. "Wir wollen in der Politik Fuß fassen", sagt Odabasi. Sein Verein bietet Deutschkurse und Nachhilfe an, und will sich auch dann einmischen, wenn es um die Interessen der Deutsch-Türken geht. Sie haben Zulauf bekommen in den vergangenen Wochen, die Leute wollen spenden, sich engagieren.
Am Anfang ging es in Istanbul nur um den Bau eines Einkaufszentrums. Jetzt geht es vor dem Kölner Dom auch um die Lage der Deutsch-Türken. Taksin, das bedeutet auch, dass jeder in die Proteste hineinlesen kann, was er möchte. In Stuttgart glauben die Menschen, dass es irgendwie auch gegen Stuttgart 21 geht, "Stuttgart und Taksim - Hand in Hand", steht dort auf den Transparenten. In Berlin sehen die Demonstranten die sozialistische Revolution nahen in Europa. Und in Köln glaubt Odabasi, die Deutsch-Türken hierzulande würden alle Streitereien beenden. "Wir legen unsere Ideologien beiseite und treffen uns bei Atatürk." Jeder hat so seine eigenen Hoffnungen, es hängen sich viele dran an diesen Protest, kleine linke Gruppen vor allem, die in den vergangenen Jahren keine große Beachtung erfahren haben, von deren Existenz man jetzt erst erfährt. Auch die Linke schleust oft ihre Redner ein, was auf mäßige Begeisterung stößt.
In Kreuzberg, am Cottbusser Tor, haben sie sich heute wieder in dem kleinen Zelt getroffen, vor den Fotos der Toten, haben die letzten Neuigkeiten ausgetauscht, haben über ihre Angst gesprochen, dass die Regierung die Proteste blutig niederschlägt. An diesem Freitag ist Ertugul Kürkcü vorbeigekommen, Abgeordneter im türkischen Parlament und nach Ansicht seiner Anhänger so etwas wie der "türkische Rudi Dutschke". 15 Jahre lang saß er im Gefängnis, jetzt hält er eine kleine Rede, in der es um eine neue Linke geht, die sich in Europa bilden wird, um das Ende des Turbokapitalismus. Dann lässt sich Kürkcü fotografieren und die Bilder ins Netz stellen, damit die Leute daheim sehen, dass es auch in Deutschland eine große Solidarität gibt.
Mit den Demonstranten, aber auch untereinander, betont Hakan Dogonay. Er ist 48 Jahre alt und nach dem Militärputsch 1980 nach Deutschland geflohen. Hier hat er dann gesehen, dass es für alle politischen und ethnischen Richtungen ein Art deutsches Spiegelbild gibt, und dass die Konflikte oft die selben waren. "In diesen Tagen spielt es aber keine Rolle, ob du Alevit, Kurde, Armenier oder sonst was bist. Es ist eine tolle Atmosphäre der Brüderlichkeit." Am Freitag sind nur ein paar Dutzend Leute gekommen zur Mahnwache am Cottbusser Tor. Am Sonntag demonstrieren dann etwa 2000 Menschen, viele junge sind dabei, viele Frauen. Mit den Deutsch-Türken war es lange ähnlich wie mit den Bürgerlichen von der CDU, man demonstrierte nicht. Wofür und wogegen denn auch überhaupt? Türkische Jugendliche schlossen sich höchstens den Randalierern vom 1. Mai an. Jetzt demonstrieren sie für Demokratie. Das seien schöne Zeiten, sagt Hakan Dogonay. "Hoffentlich hält das noch länger an."
Berlin/Köln - Vor dem Kölner Dom steht eine Gruppe junger Frauen mit Kopftuch und einen großen Transparent. Das Transparent ist auf Türkisch und das, was die Frauen rufen, ist es auch. Sie würden für den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan demonstrieren, sagt eine Frau. Ein Junggesellenabschied zieht vorbei, prostet den Frauen zu und ruft: "Euch versteht doch keiner." Die Frauen sehen jetzt sehr traurig aus.
Ein paar Meter weiter, auf der anderen Domseite, wehen am Samstag rote Flaggen, manche mit dem Halbmond, andere mit einem Bild von Mustafa Kemal Atatürk. Eine junge Frau steigt auf das Podest und nimmt sich ein Megafon: "Taksim ist überall - überall ist Widerstand", sagt sie. Das ist der Slogan der Proteste in Deutschland. Tausende gehen in diesen Tagen auf die Straßen, sie demonstrieren vor dem Kölner Dom und der Bochumer Fußgängerzone, am Cottbusser Tor in Kreuzberg und auf dem Schlossplatz in Stuttgart.
Sie demonstrieren für den Wandel, in der Türkei, aber auch ein bisschen hier in Deutschland. Jahrelang haben die Deutsch-Türken sich anhören müssen, dass es ihnen an bürgerschaftlichem Engagement mangele, dass sie keine Organisationen und Strukturen hätten, um ihre Interessen zu vertreten in diesem Land. Die Solidaritätskundgebungen zeigen jetzt aber den Mehrheitsdeutschen: Es gibt sie sehr wohl, die deutsch-türkische Zivilgesellschaft. Das macht sie auch ein wenig stolz, diejenigen, die nun auf den Plätzen stehen und in den sozialen Netzwerken diskutieren.
Bei einer Solidaritäts-Demo am Cotbusser Tor in Berlin ist ein Banner mit der Aufschrift "Taksim ist überall, überall ist Widerstand!" vor dem Protestzelt der Occupy Gezi Bewegung gespannt.
"Wir wurden nicht beachtet - und wenn, dann wurde höchstens mit den islamischen Gemeinschaften diskutiert", sagt Erkin Odabasi. Er ist 23 Jahre alt, studiert in Aachen Luft- und Raumfahrtechnik und engagiert sich beim Bund Türkischer Jugendlicher, einer kemalistischen Vereinigung. Odabasi steht vor dem Dom, inmitten vieler junger Deutsch-Türken, alle ziemlich schick gekleidet, alle ziemlich gut drauf. Odabasi sagt, durch den Protest werde der Gesellschaft endlich einmal ein anderes Bild der Deutsch-Türken gezeigt, junge Menschen, die sich für die Demokratie engagieren. Sonst gebe es in den Medien oft die selben Klischees - der Deutsch-Türke als Opfer, oder als Islamist. Jetzt ist das anders. Und so soll es auch bleiben. "Wir wollen in der Politik Fuß fassen", sagt Odabasi. Sein Verein bietet Deutschkurse und Nachhilfe an, und will sich auch dann einmischen, wenn es um die Interessen der Deutsch-Türken geht. Sie haben Zulauf bekommen in den vergangenen Wochen, die Leute wollen spenden, sich engagieren.
Am Anfang ging es in Istanbul nur um den Bau eines Einkaufszentrums. Jetzt geht es vor dem Kölner Dom auch um die Lage der Deutsch-Türken. Taksin, das bedeutet auch, dass jeder in die Proteste hineinlesen kann, was er möchte. In Stuttgart glauben die Menschen, dass es irgendwie auch gegen Stuttgart 21 geht, "Stuttgart und Taksim - Hand in Hand", steht dort auf den Transparenten. In Berlin sehen die Demonstranten die sozialistische Revolution nahen in Europa. Und in Köln glaubt Odabasi, die Deutsch-Türken hierzulande würden alle Streitereien beenden. "Wir legen unsere Ideologien beiseite und treffen uns bei Atatürk." Jeder hat so seine eigenen Hoffnungen, es hängen sich viele dran an diesen Protest, kleine linke Gruppen vor allem, die in den vergangenen Jahren keine große Beachtung erfahren haben, von deren Existenz man jetzt erst erfährt. Auch die Linke schleust oft ihre Redner ein, was auf mäßige Begeisterung stößt.
In Kreuzberg, am Cottbusser Tor, haben sie sich heute wieder in dem kleinen Zelt getroffen, vor den Fotos der Toten, haben die letzten Neuigkeiten ausgetauscht, haben über ihre Angst gesprochen, dass die Regierung die Proteste blutig niederschlägt. An diesem Freitag ist Ertugul Kürkcü vorbeigekommen, Abgeordneter im türkischen Parlament und nach Ansicht seiner Anhänger so etwas wie der "türkische Rudi Dutschke". 15 Jahre lang saß er im Gefängnis, jetzt hält er eine kleine Rede, in der es um eine neue Linke geht, die sich in Europa bilden wird, um das Ende des Turbokapitalismus. Dann lässt sich Kürkcü fotografieren und die Bilder ins Netz stellen, damit die Leute daheim sehen, dass es auch in Deutschland eine große Solidarität gibt.
Mit den Demonstranten, aber auch untereinander, betont Hakan Dogonay. Er ist 48 Jahre alt und nach dem Militärputsch 1980 nach Deutschland geflohen. Hier hat er dann gesehen, dass es für alle politischen und ethnischen Richtungen ein Art deutsches Spiegelbild gibt, und dass die Konflikte oft die selben waren. "In diesen Tagen spielt es aber keine Rolle, ob du Alevit, Kurde, Armenier oder sonst was bist. Es ist eine tolle Atmosphäre der Brüderlichkeit." Am Freitag sind nur ein paar Dutzend Leute gekommen zur Mahnwache am Cottbusser Tor. Am Sonntag demonstrieren dann etwa 2000 Menschen, viele junge sind dabei, viele Frauen. Mit den Deutsch-Türken war es lange ähnlich wie mit den Bürgerlichen von der CDU, man demonstrierte nicht. Wofür und wogegen denn auch überhaupt? Türkische Jugendliche schlossen sich höchstens den Randalierern vom 1. Mai an. Jetzt demonstrieren sie für Demokratie. Das seien schöne Zeiten, sagt Hakan Dogonay. "Hoffentlich hält das noch länger an."