"Infektionen"-Festival II: Der Regisseur Falk Richter orchestriert an der Berliner Schaubühne die Einsamkeit unserer Tage.
Tatjana Winter optimiert tagsüber ihre Mitarbeiter und nachts sich selbst. Dann sucht sie neue Bilder für ihr Online-Dating-Profil. Und während sie so ihren Marktwert steigert, träumt sie von einer Liebe, die nichts berechnet, sondern einfach da ist - einer Liebe wie in der Oper.
Falk Richter lässt in seinem neuen Stück an der Berliner Schaubühne Menschen von heute auf Bühnen-Personal des 19. Jahrhunderts prallen. "For the disconnected child" heißt das Projekt, eine Kooperation mit der Berliner Staatsoper und eine Art Gesamtkunstwerk aus Schauspiel, Musik, Tanz und Video. Sieben Komponisten haben die Musik dazu geschrieben: Neue Musik, die von einem Kammerorchester gespielt wird, eigentümliche Popsongs mit Gitarre und elektronische Klänge.
Im Zentrum steht Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" um einen bindungsunwilligen Mann. Und die Idee, dass die Welt heute voller Eugen Onegins ist, die ewig suchen und nie ankommen. Da ist Tatjana Winter, eine geschiedene Managerin mit zwei Kindern, die von Männern Liebesschwüre erwartet, aber selbst nicht mal ein Kompliment über die Lippen bringt. Da ist ihre Mutter, eine bulgarische Sängerin, die seit zwölf Jahren in der Fremde lebt und als Zweitbesetzung darauf wartet, den einen Satz singen zu dürfen, der zugleich ihr Leben zusammenfasst: "Was man erst kaum ertragen kann, wie schnell gewöhnt man sich daran." Und da ist der smarte Typ im Anzug, den Tatjana Winter im Internet kennenlernt und der sich beim ersten Date schnell wieder verabschiedet: "Wir können ja nächste Woche mal smsen."
Die Tänzerin Jorijn Vriesendorp bei einer Probe des Stücks "For the Disconnected Child".
In loser Szenenfolge begegnen sich diese Figuren in einem leeren, offenen Raum mit zwei Etagen, der so kalt wirkt, dass man in ihm weder wohnen noch arbeiten möchte (Bühne: Kathrin Hoffmann). Im Hintergrund sind ästhetisierte Video-Bilder vom Großstadt-Alltag zu sehen: Straßen, Dächer, Hotelzimmer.
Musik und Schauspiel greifen ineinander: Etwa wenn ein Mann und eine Frau einen absurden Dialog über Nähe im Stakkato-Ton sprechen, streng nach Partitur. Oder wenn ein Paar halbherzig versucht, seine Beziehung zu retten: Die Opernsängerin Maraike Schröter singt, der Schauspieler Tilman Strauß redet. Der Komponist Oliver Frick unterstreicht die Klischeehaftigkeit des Dialogs durch Mickey-Mousing: Ihr Jammern wird von einem Bratschen-Legato begleitet, seine Schroffheit von einer jäh abreißenden Bassklarinette.
Die Polyphonie erreicht ihren Höhepunkt, als die Schauspielerin Ursina Lardi sich ans Klavier setzt und anfängt Schubert zu spielen. Der Opernsänger singt, die Tänzer schleudern ihre Körper auf den Boden, die Schauspieler erzeugen in Katie-Mitchell-Manier Geräusche: Eine haut immer wieder einen Stuhl auf den Boden, ein anderer zerreißt Fotos, von einem Mikrofon verstärkt. Oliver Prechtl hat eine autistische Kakophonie komponiert, in der jeder in seinem Kosmos gefangen bleibt.
Die Neue Musik passt hervorragend zum Stück, denn ihr ist das Unbehagen an der Welt eingeschrieben. Quietschende Glissandi und schräge Ton-Cluster klingen wie ein Aufschrei gegen Perfektion und Norm. Die romantische Opernmusik bleibt dagegen ein Fremdkörper, ein ferner Sehnsuchtsort, den die Figuren verwundert bestaunen.
Zu den Geschlechterverhältnissen in "Eugen Onegin" findet Richter allerdings keine klare Haltung: Ist nun alles beim Alten geblieben, die Männer bindungsunwillig und die Frauen liebeshungrig? Oder sind heute alle Narzissten, die nur zu ihrer Arbeit eine erotische Beziehung pflegen?
Farce-artige Szenen im Assessment-Center wechseln sich ab mit surrealen inneren Monologen, die manchmal von ihrer eigenen Bedeutungsschwere erdrückt werden: "Ich fühle dass es in mir schneit / und das ist keine Metapher jetzt." Falk Richter beschreibt in seinen Stücken seit Jahren die glatten Oberflächen der digitalen Welt und die einsamen Menschen, die sie hervorbringt. Mittlerweile sind die Figuren mit ihm älter geworden, sie jetten nicht mehr als DJs um die Welt, sondern verarbeiten ihre Scheidung. Die Diagnose aber ist damals so richtig wie heute.
Und so kann man diesem faszinierenden Abend vor allem vorwerfen, dass er bei all dem Leiden so schrecklich gut aussieht. Das blassrosa Seiden-Nachthemd sitzt auch im Moment existenzieller Verzweiflung perfekt. Die Video-Bilder sind in warmes Retro-Sepia getaucht. Und schöner als der isländische Songwriter Helgi Hrafn Jónsson kann sich wohl keiner die Seele aus dem Leib schreien. Die viel kritisierte Selbstoptimierung ist auch an der Schaubühne weit fortgeschritten. Aber das zeigt vielleicht nur, wie Recht Falk Richter hat.
Tatjana Winter optimiert tagsüber ihre Mitarbeiter und nachts sich selbst. Dann sucht sie neue Bilder für ihr Online-Dating-Profil. Und während sie so ihren Marktwert steigert, träumt sie von einer Liebe, die nichts berechnet, sondern einfach da ist - einer Liebe wie in der Oper.
Falk Richter lässt in seinem neuen Stück an der Berliner Schaubühne Menschen von heute auf Bühnen-Personal des 19. Jahrhunderts prallen. "For the disconnected child" heißt das Projekt, eine Kooperation mit der Berliner Staatsoper und eine Art Gesamtkunstwerk aus Schauspiel, Musik, Tanz und Video. Sieben Komponisten haben die Musik dazu geschrieben: Neue Musik, die von einem Kammerorchester gespielt wird, eigentümliche Popsongs mit Gitarre und elektronische Klänge.
Im Zentrum steht Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" um einen bindungsunwilligen Mann. Und die Idee, dass die Welt heute voller Eugen Onegins ist, die ewig suchen und nie ankommen. Da ist Tatjana Winter, eine geschiedene Managerin mit zwei Kindern, die von Männern Liebesschwüre erwartet, aber selbst nicht mal ein Kompliment über die Lippen bringt. Da ist ihre Mutter, eine bulgarische Sängerin, die seit zwölf Jahren in der Fremde lebt und als Zweitbesetzung darauf wartet, den einen Satz singen zu dürfen, der zugleich ihr Leben zusammenfasst: "Was man erst kaum ertragen kann, wie schnell gewöhnt man sich daran." Und da ist der smarte Typ im Anzug, den Tatjana Winter im Internet kennenlernt und der sich beim ersten Date schnell wieder verabschiedet: "Wir können ja nächste Woche mal smsen."
Die Tänzerin Jorijn Vriesendorp bei einer Probe des Stücks "For the Disconnected Child".
In loser Szenenfolge begegnen sich diese Figuren in einem leeren, offenen Raum mit zwei Etagen, der so kalt wirkt, dass man in ihm weder wohnen noch arbeiten möchte (Bühne: Kathrin Hoffmann). Im Hintergrund sind ästhetisierte Video-Bilder vom Großstadt-Alltag zu sehen: Straßen, Dächer, Hotelzimmer.
Musik und Schauspiel greifen ineinander: Etwa wenn ein Mann und eine Frau einen absurden Dialog über Nähe im Stakkato-Ton sprechen, streng nach Partitur. Oder wenn ein Paar halbherzig versucht, seine Beziehung zu retten: Die Opernsängerin Maraike Schröter singt, der Schauspieler Tilman Strauß redet. Der Komponist Oliver Frick unterstreicht die Klischeehaftigkeit des Dialogs durch Mickey-Mousing: Ihr Jammern wird von einem Bratschen-Legato begleitet, seine Schroffheit von einer jäh abreißenden Bassklarinette.
Die Polyphonie erreicht ihren Höhepunkt, als die Schauspielerin Ursina Lardi sich ans Klavier setzt und anfängt Schubert zu spielen. Der Opernsänger singt, die Tänzer schleudern ihre Körper auf den Boden, die Schauspieler erzeugen in Katie-Mitchell-Manier Geräusche: Eine haut immer wieder einen Stuhl auf den Boden, ein anderer zerreißt Fotos, von einem Mikrofon verstärkt. Oliver Prechtl hat eine autistische Kakophonie komponiert, in der jeder in seinem Kosmos gefangen bleibt.
Die Neue Musik passt hervorragend zum Stück, denn ihr ist das Unbehagen an der Welt eingeschrieben. Quietschende Glissandi und schräge Ton-Cluster klingen wie ein Aufschrei gegen Perfektion und Norm. Die romantische Opernmusik bleibt dagegen ein Fremdkörper, ein ferner Sehnsuchtsort, den die Figuren verwundert bestaunen.
Zu den Geschlechterverhältnissen in "Eugen Onegin" findet Richter allerdings keine klare Haltung: Ist nun alles beim Alten geblieben, die Männer bindungsunwillig und die Frauen liebeshungrig? Oder sind heute alle Narzissten, die nur zu ihrer Arbeit eine erotische Beziehung pflegen?
Farce-artige Szenen im Assessment-Center wechseln sich ab mit surrealen inneren Monologen, die manchmal von ihrer eigenen Bedeutungsschwere erdrückt werden: "Ich fühle dass es in mir schneit / und das ist keine Metapher jetzt." Falk Richter beschreibt in seinen Stücken seit Jahren die glatten Oberflächen der digitalen Welt und die einsamen Menschen, die sie hervorbringt. Mittlerweile sind die Figuren mit ihm älter geworden, sie jetten nicht mehr als DJs um die Welt, sondern verarbeiten ihre Scheidung. Die Diagnose aber ist damals so richtig wie heute.
Und so kann man diesem faszinierenden Abend vor allem vorwerfen, dass er bei all dem Leiden so schrecklich gut aussieht. Das blassrosa Seiden-Nachthemd sitzt auch im Moment existenzieller Verzweiflung perfekt. Die Video-Bilder sind in warmes Retro-Sepia getaucht. Und schöner als der isländische Songwriter Helgi Hrafn Jónsson kann sich wohl keiner die Seele aus dem Leib schreien. Die viel kritisierte Selbstoptimierung ist auch an der Schaubühne weit fortgeschritten. Aber das zeigt vielleicht nur, wie Recht Falk Richter hat.