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Der kühle Zauderer: Beim US-Präsidenten regiert nur noch der blanke Realismus

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Obamas Rede in Berlin: Obama, der Rüstungskontrollfachmann, Obama, der Nüchterne.

Barack Obama ist bescheiden geworden. Nur vier Jahre ist es her, da stand er auf dem Prager Hradschin und verkündete ein ehrgeiziges Vorhaben. Er wolle, so versprach Obama, eine "Welt ohne nukleare Waffen" erreichen - ein idealistisches, fast tollkühnes Ziel, das wohl nur ein junger, gerade erst ins Amt gewählter Präsident sich setzen kann.

Am Mittwoch stand Obama wieder vor einer historischen Kulisse in Europa, dem Brandenburger Tor, und wieder sprach er über Atomwaffen und Abrüstung. Doch dieses Mal verzichtete er auf einen großen Wurf. Sofern Russland mitziehe, sei Amerika bereit, die Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe von derzeit gut 1500 auf etwa 1000 zu senken, schlug der Präsident vor - ein simpler Deal. In Prag hatte Barack Obama, der Visionär, gesprochen. In Berlin sprach Obama, der Rüstungskontrollfachmann.



US-Präsident Barack Obama zeigt sich nach seiner Rede euphorisch.

Am Inhalt des neuen Abrüstungsvorschlags gibt es nichts auszusetzen. 1000 Nuklearsprengköpfe sind immer noch genug, um die Welt zu verwüsten. Vermutlich würden ein paar Dutzend Atombomben reichen, um jeden Feind, der sich abschrecken lässt, von einem Angriff auf die USA abzuhalten. Der Rest kann getrost in die Schrottpresse. Die Sicherheit Amerikas setzt Obama also nicht aufs Spiel, auch wenn die Atomwaffenlobby im Kongress genau das behaupten wird. Genauso wenig hat Moskau einen Grund, das Angebot abzulehnen. Russland leidet noch viel mehr als die USA unter den gigantischen Summen, die das Atomarsenal kostet. Andererseits: So, wie sich Präsident Wladimir Putin derzeit benimmt, wird er bestimmt einen Weg finden, um dem US-Kollegen in die Suppe zu spucken.

Obamas Ansprache wird kaum als eine seiner großen Reden in die Geschichte eingehen. Dafür war sie zu matt. Da sprach kein Heilsbringer, sondern ein Politiker, der weiß, was er einem Berliner Publikum schuldig ist. Doch gerade diese Nüchternheit, der Verzicht auf große Visionen, ist inzwischen symptomatisch für die gesamte Außenpolitik des Präsidenten.

Vier Jahre ist Obama jetzt im Amt, und vielleicht steckte hinter dem Idealismus, den er zu Beginn versprühte, tatsächlich einmal mehr als Naivität und schöne Rhetorik. Vielleicht wollte er wirklich Amerika und die Welt versöhnen. Heute ist von diesem Anspruch wenig übrig - nicht in Obamas Reden und schon gar nicht in seiner Außenpolitik. Was immer Obama früher war - heute ist er der wohl am wenigsten sentimentale Realpolitiker, der Amerika seit langer Zeit regiert hat.

Man kann es noch schärfer formulieren: Obamas Außenpolitik fehlt eine emotionale Dimension. Der Mann betreibt puren Pragmatismus, geleitet von Interessen, begrenzt allenfalls von völkerrechtlichen Leitplanken. Das muss nicht falsch sein. Die Außenpolitik seines Vorgängers George W. Bush war pure Emotion, eine Mischung aus Großmannssucht und Selbstgerechtigkeit. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kamen Rachdurst und die selbst auferlegte moralische Mission hinzu, der ganzen Welt Freiheit bringen zu wollen. Bush war stolz, Entscheidungen aus dem Bauch zu treffen. Als es um Krieg und Frieden ging, ging das schrecklich schief.

Obama tickt anders, auch wenn er genauso viel von Freiheit redet wie Bush. Obama dreht und wendet und begutachtet ein außenpolitisches Problem. Wenn er alle Argumente abgewogen hat, entscheidet er. Das führt zu einer sehr rationalen, manchmal zögerlichen, aber nicht zu einer empathischen Außenpolitik. Und es kann dazu verleiten, moralische Aspekte als weniger wichtig abzutun.

Obama sprach in Berlin zwar viel von Frieden und Gerechtigkeit, zum Beispiel in der arabischen Welt. Seine Politik dort aber folgt vor allem dem Interesse, die USA aus dem Chaos herauszuhalten. Dass nun ein Freihandelsabkommen den neuen Kitt bilden soll, der Amerika und Europa verbindet, passt gut zu Obama (und, nebenbei, auch zur ebenso nüchternen Kanzlerin Angela Merkel): Da geht es um Genmais und Industriestandards und neue Arbeitsplätze. Nicht um Gefühle.

Paradoxerweise haben viele Europäer, zumal die Deutschen, mit beiden Präsidenten ihr Problem. Sie verachteten Bush als tumben Cowboy. Und der kalte Analytiker Obama, der Terrorverdächtige von Drohnen töten lässt und dessen Geheimdienst das Internet überwacht, ist ihnen auch nicht mehr geheuer. Die Europäer sehnen sich danach, dass Amerika sie respektiert und ernst nimmt. Aber sie werden nervös, wenn Amerika seine Rolle als Weltmacht nicht nur darin sieht, den Klimawandel zu bekämpfen, sondern auch Islamisten in Afrika. Obama hatte für diese Kritiker eine Botschaft parat: Die Mauer ist weg, aber die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Welt ist immer noch gefährlich.

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