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Die ewige Diva

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Bernadette Lafont war der Star in den Nouvelle-Vague-Filmen von François Truffaut und Claude Chabrol. Nun, vier Jahrzehnte später, spielt die Französin eine verbitterte alte Frau in der Komödie 'Paulette'. Eine nikotinreiche Begegnung.

Mitte der 70er-Jahre kam ein französischer Film in die Kinos, der war schwarz-weiß und unfassbare drei Stunden und 40 Minuten lang. Es wurde ziemlich viel gevögelt und noch mehr über Sex geredet. Der Film hieß 'Die Mama und die Hure' und hatte in Cannes erst einen Riesenskandal erzeugt und dann den Großen Preis der Jury gewonnen.

Für viele war 'Die Mama und die Hure' ein Erweckungserlebnis. Der Inbegriff der Nouvelle Vague. Die Schauspieler schienen ihr Intimstes nach außen zu stülpen und ihren Schmerz in epischer Breite vor den Zuschauern auszubreiten. Das war neu. Die Hauptrolle - einen egozentrischen Mann um die 30, der den ganzen Tag in Pariser Cafés herumsaß, über die Liebe und die sexuelle Befreiung debattierte und sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden konnte - spielte der damalige François-Truffaut-Superstar Jean Pierre Léaud. Eine der beiden Frauen, die mütterliche, betrogene, spielte der damalige Francois-Truffaut-und-Claude-Chabrol-Superstar, Bernadette Lafont.



Paulette will ins Drogengeschäft einsteigen – und macht sich schon mal in der Szene kundig.

40 Jahre später, mit 74, ist Bernadette Lafont immer noch eine Erscheinung. Sie ist nach Berlin gekommen, um über ihren neuen Film zu reden: 'Paulette', eine französische Komödie, die an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Das Genre also, das dem französischen Film zurzeit international Bedeutung verschafft, was eine kleine Parallele darstellt zur Nouvelle Vague, wenn man so möchte.

Bernadette Lafont spielt die 80 Jahre alte Paulette, die einen Mann und ein Restaurant hatte, jetzt allein ist, verarmt, verbittert, und nach Lebensmitteln im Müll wühlen muss, um zu überleben. Eines Tages fällt ihr dabei Marihuana in die Hände. Paulette fängt an zu dealen. Als sie finanziell nicht mehr so mies dran ist, wird sie netter, milder und ja, sogar hübscher.

Lafont ist begeistert von ihrer Figur, besonders von der gemeinen Paulette. Und sie spielt sie radikal, mutig, erbarmungslos. 'Eine vom Leben beschädigte Frau, das hat mich interessiert', sagt sie. 'Die Not kann einen kaputtmachen, das sieht man an ihr. Der Film überzeichnet natürlich alles total, aber nichts ist schöngefärbt oder pathetisch, ganz in der Tradition der italienischen Nachkriegskomödien von Ettore Scola.' Sie steht auf und öffnet das Fenster. 'Es stört Sie nicht, wenn ich eine rauche, oder?' Wie sie es schafft, so gut auszusehen, trotz der Zigaretten? 'Ach, ein paar Zigaretten schaden doch nicht. Wenn ich süchtig wäre, ja, das wäre etwas anderes.' Sie lacht. Es ist das heisere Lachen einer langjährigen Raucherin.

Jemand hält ihr eine Speisekarte hin, sie soll ihr Mittagessen bestellen, die Pause wird kurz. 'Das ist jetzt aber sehr kompliziert', sagt sie langsam und streng, 'weil ich nämlich noch keinen Hunger habe. Es ist ja auch erst halb elf.' Pause. Die Assistentin lächelt entschuldigend. 'Na gut', lenkt Lafont großmütig ein. 'Ich nehme ein Filet, gegrillt, blutig. Und die Soße bitte daneben, nicht darauf.' Und noch einmal, noch strenger: 'Bitte keine Soße auf dem Fleisch.'

Bernadette Lafont, die zwischendurch in Filmen wie 'Das freche Mädchen' mit Charlotte Gainsbourg auftauchte oder in Julie Delpys 'Familientreffen mit Hindernissen', hat eine Filmvergangenheit wie wenig andere. In den allerersten Filmen von Francois Truffaut und Claude Chabrol, den Mitbegründern der Nouvelle Vague, spielte sie, 18 Jahre alt damals, die weibliche Hauptrolle: 1957 in 'Die Unverschämten' von Truffaut und 1958 in 'Die Enttäuschten' von Chabrol. Und im Gegensatz zu den aufgedonnerten, gekünstelten Schauspielerinnen des biederen französischen Films der 50er-Jahre lief sie barfuß und ungekämmt durchs Bild.

Dabei hatte sie sich die Dreharbeiten viel glamouröser vorgestellt und war enttäuscht. Aber die Entwicklung lichtempfindlichen Filmmaterials ermöglichte es den Regisseuren plötzlich, ohne künstliches Licht und außerhalb der Studios zu drehen - und so ließ Truffaut 'Die Unverschämten' ausgerechnet in Lafonts Elternhaus im südfranzösischen Nimes und auf den Feldern drumherum spielen. Bernadette Lafont hieß im Film Bernadette, ihr Mann, gespielt von ihrem Ehemann, Gérard Blain, hieß Gérard - alles war genau wie im echten Leben. Sogar die Handlung: Das Liebespaar, das nichts Besonderes tut, wird ständig von fünf Kindern beobachtet und geärgert, bis es zu einem unglückseligen Zwischenfall kommt.

Truffaut und seine Regie-Kollegen, die als Filmkritiker beim Kinomagazin Les Cahiers du Cinéma arbeiteten, wollten sich mit einer neuen Bildsprache und anderen Erzählweisen vom damals etablierten Kino absetzen. Daraus entstand die Nouvelle Vague. Und Bernadette Lafont wurde ihre Diva, verkörperte das neue Schönheitsideal. Die Kritiker schwärmten vom 'Vamp der Dorfstraße', von der 'barfüßigen Venus' und dem 'Star ländlicher Tanzböden'. In den kommenden Jahren bekam Bernadette Lafont in kurzen Abständen drei Kinder mit ihrem zweiten Mann, einem ungarischen Künstler, und drehte weiter mit Chabrol und Truffaut, später auch mit Constantin Costa-Gavras, Jaques Rivette, Jean Eustache.

Der Film, den sie selbst für ihren wichtigsten bis heute hält, ist 'Die Unbefriedigten' von Claude Chabrol: eine Studie des Alltags junger Verkäuferinnen in der Großstadt; ihre Langeweile, ihre Sehnsucht nach Glück, ihre Enttäuschungen. 'Der Film ist poetisch, zeitlos, grausam', sagt sie. Und dass sie immer wusste, dass 'Die Unbefriedigten' ein besonderes Werk war. Obwohl es floppte, als es in die Kinos kam. 'Das ist ja meistens so: dass die Filme überhaupt nicht funktionieren, wenn sie herauskommen. Und später als Meilensteine der Filmgeschichte gelten.'

Auch 'Die Mama und die Hure' war zunächst auf Ablehnung gestoßen. 'Ingrid Bergmann hat ihn gehasst, als er in Cannes uraufgeführt wurde', erinnert sich Bernadette Lafont. 'Sie war so wütend! Sie wollte verhindern, dass er einen Preis bekam. Aber in den zwanzig Jahren darauf wurde ich so oft auf den Film angesprochen wie auf keinen anderen. Die Leute wollten sogar wissen, was aus ihnen geworden ist, aus der Mutter, der Hure und dem Mann.'

Sie lacht und steckt sich noch eine Zigarette an. Wenn Bernadette Lafont über alte Zeiten spricht, bedauert man, sie nicht erlebt zu haben. Auch wenn sie gar nicht zur Verklärung neigt, sondern eher zur Desillusionierung. Die Nouvelle-Vague-Regisseure beispielsweise, die eine so große Leidenschaft fürs Filmemachen teilten, waren nicht eng befreundet, wie man sich das vielleicht vorgestellt hätte. Sie haben nicht ganze Abende lang um einen Tisch gesessen und gegessen und getrunken. Im Gegenteil, sagt Lafont.

Claude Chabrol, ein großer Spötter, war verheiratet, hatte kleine Kinder und eilte nach der Arbeit stets nach Hause, ins gut situierte 16. Arrondissement in Paris. François Truffaut, ein Freigeist, lebte im Hotel und hatte das Filmteam gern so viel wie möglich um sich. Darum drehte er meistens außerhalb der Stadt auf dem Land, so konnten die Leute nicht nach der Arbeit nach Hause verschwinden. Godard war in sich gekehrt, verschlossen, ein Schweizer, ein Suchender, der extrem unkommerzielle Filme drehte. Jean Eustache: sehr kompliziert, sehr depressiv, genial, aber bis auf 'Die Mama und die Hure' auch sehr unkommerziell.

'Und ich mache ja gern Filme, die Menschen sehen', sagt Bernadette Lafont und drängt ganz deutlich zurück in die Gegenwart. 'Man existiert nicht als Schauspieler, wenn man in Filmen spielt, die niemand sieht.' Der Beruf, sagt sie dann noch, hat sie schon verschiedene Male gerettet. Immer wenn das Leben fast zu schwierig wurde. Wie 1988, als ihre jüngste Tochter Pauline mit 26 Jahren bei einem Bergunfall ums Leben kam. Da war das einzige, was überhaupt noch ging, der Beruf.

Mittlerweile hat die Schauspielerin fünf Enkel und verbringt mehr Zeit mit ihnen als mit ihren Kindern damals. 'Ich war 24, hatte drei Kinder und wollte arbeiten, da widmet man sich seinen Kindern nicht so.' Ein schlechtes Gewissen hat sie deshalb nicht. Überhaupt neigt sie ja nicht zum Zurückschauen und Grübeln. Sie sei gut darin, zufrieden zu sein, sagt sie. Weil sie die Dinge von ihrer guten Seite aus betrachtet und es als Energieverschwendung empfindet, zu jammern. 'In Frankreich gibt es diese Redensart: Man kann nicht die Butter haben und das Geld für die Butter.'

Sie nickt, wie zu sich selbst, und erklärt, dass es Zeit ist fürs Mittagessen. Und man denkt: Wehe, wenn jetzt Soße auf dem Fleisch ist.

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