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Der unbekannte Freund

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Die Liebe zwischen Griechen und Deutschen basiert seit jeher auf einem Missverständnis. Das fing schon mit Goethe an, der dachte, er wäre in Arkadien geboren, dabei war es nur Marbach am Neckar

Wir Griechen sind der Auffassung, so ziemlich alles Gute erschaffen und der Welt geschenkt zu haben. Philosophie, Lyrik, Olympische Spiele und klar, auch die Demokratie. Diese Annahme ist nicht völlig unberechtigt, ihr Ursprung aber problematisch. Denn die Griechen sind nicht von selbst zu dieser Auffassung gelangt. Sie wurde ihnen aufgeschwatzt und eingeimpft von Unwissenden. Von wem? Von Deutschen.

Die neugriechische Identität basiert zu großen Teilen auf dem Ideal humanistischer Ikonen wie Schiller und Goethe. Ein doppeltes Paradoxon. Der Erste dachte, er wäre 'in Arkadien geboren', dabei war es nur Marbach am Neckar. Der Zweite ließ Iphigenie 'das Land der Griechen mit der Seele suchen', kam aber selbst nur bis nach Italien. Trotzdem sprach das deutsche Bildungsbürgertum jahrzehntelang vor der Krise von Griechenland, als wäre es seine kulturelle Heimat.



Die Deutschen fanden Griechland immer toll. Seit der Finanzkrise hat sich das leider geändert.

Zurück aus den Ferien zeigten deutsche Gäste in griechischen Taverne gerne den Wirten ihre Urlaubsfotos: Gerd freudestrahlend vor den Säulen der Akropolis, Heidemarie glücklich in Delphi, Klaus in der Startaufstellung eines Hundertmeter-Läufers in Olympia. Der gebildete Deutsche las Platons Sokrates-Dialoge auf dem Areopag, trank dazu Ouzo und beamte sich ins Lebensgefühl der Antike, das mit dem realen Leben auf dem zentralen Omonia-Platz Athens, Luftlinie nur ein paar hundert Meter entfernt, nicht ansatzweise übereinstimmt. Der Omonia-Platz war damals und ist heute Griechenlands Drogenumschlagplatz Nummer eins. Das gängige Griechenland-Bild vieler Deutschen war eine hyperionhafte 200 Jahre alte Illusion, die auf dem ersten Höhepunkt der Schuldenkrise 2010 in Fetzen gerissen wurde.

Das ist das Dilemma des modernen Griechenlands. Geistes- und kulturgeschichtlich hat es ab Mitte des 18. Jahrhunderts nicht dieselben Entwicklungen durchlaufen wie der Rest Westeuropas, gleichzeitig wird es aber als dessen Wiege angesehen. Dieser Widerspruch hat sich nie aufgelöst. In der Krise ist er nur offenbar geworden.

Die Griechen haben sich in der Rolle der antiken Nachfahren, in die sie gedrängt wurden (übrigens nicht nur von den Deutschen, zum Teil auch von den Briten und Franzosen), immer gut gefallen. Wer würde sich nicht gern als Spender einzigartiger zivilisatorischer Errungenschaften an die Welt preisen lassen? Griechenlands Schulbücher verklären heute noch die Realität: Demokratie hat hier keine 2500 Jahre alte Geschichte. Griechenlands Erfahrung mit seiner eigenen Erfindung ist nicht einmal 40 Jahre alt. Und ja, allein aus dieser Tatsache erwachsen schon eine Menge Probleme. Um sie beim Namen zu nennen: Korruption und Nepotismus. Aber kann man das dem Land wirklich vorwerfen?

Bis vor Ausbruch der Krise konnte man behaupten, dass zwischen Griechen und Deutschen eine weit festere, innigere und tiefere Freundschaft bestand als zwischen den meisten anderen europäischen Völkern. Auch wenn diese auf widersprüchlichen Annahmen beruhte, existieren etliche Beweise dafür, dass sie aufrichtig gemeint war. Desto erstaunlicher ist jedoch die explosionsartige Wandlung dieser Beziehung innerhalb von nur wenigen Monaten. Auf beiden Seiten verstehen viele bis heute nicht, wie es dazu kommen konnte.

Die Frage der aufoktroyierten wie angenommenen Identität spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber da ist natürlich noch mehr. Enttäuschung. Verzweiflung. Wut. Der auf seine Herkunft stolze Grieche fühlt sich von den ehemaligen Freunden seit Jahren zu Unrecht geknechtet und drangsaliert. In deutschen Meinungsblättern fragt man sich aber immer noch verwundert: Wir haben ihn vor der Staatspleite bewahrt, was will der denn noch?!

Das sich schnell wandelnde Gefühlsgeflecht zwischen Griechen und Deutschen basiert also schon wieder auf einem Missverständnis. Doch diesmal hat es tief greifendere und schlimmere Folgen als zuvor. In der veröffentlichten Wahrnehmung beider Länder klafft eine fast schon unüberbrückbare Diskrepanz. Die einen wiederholen immer wieder: Wir helfen Euch! Die anderen brüllen zurück: Wenn so Eure Hilfe aussieht, wie wäre es dann um uns bestellt, wenn wir Feinde wären?

Die ehemalige Freundschaft ist wegen der enormen Summen, um die es geht, zu einer geschäftlichen Beziehung degradiert worden, die nun auf bestem Wege zu sein scheint, in einem zerrütteten Verhältnis zu enden. Nur wenige deutsche Medien schildern die dramatischen Auswirkungen der Troika-Diktate auf die griechische Bevölkerung. Spricht man darüber mit den Deutschen, denen die lieb gewonnene Griechenland-Illusion abhanden gekommen ist, erntet man zuerst Staunen. Dann Mitleid. Und schließlich eine rührende Trotzreaktion: Wie können wir wirklich helfen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel war seit Ausbruch der Krise vor vier Jahren ein einziges Mal in Griechenland, für einen halben Tag. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble flog seit 2009 am Donnerstagmittag zum ersten Mal nach Athen und war abends schon wieder zurück in Berlin. Kann man in dieser kurzen Zeit tatsächlich erfahren, wie es einem Freund geht?

Die Griechen bezweifeln das. Beide, Merkel wie Schäuble, begehen denselben Fehler, den schon Schiller und Goethe begangen haben. Sie definieren Griechenland aus der Ferne, aus buchdicken Schriften. Das hat schon einmal nicht funktioniert.

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