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Wie im Brennglas

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Entdeckungen beim Indischen Filmfestival Stuttgart

Eigentlich will man ja gar nicht mehr darauf hinweisen, es ist einfach nur öde, scheint aber immer noch nötig zu sein. Indisches Kino hat ungefähr soviel mit Bollywood zu tun wie München mit Lederhosen. Klar, die gibt"s, hier und da, aber die meisten Leute laufen doch eindeutig anders rum. Okay, es gibt vielleicht mehr Bollywoodfilme als Lederhosen, die Produktionen aus Mumbai haben schließlich all den anderen indischen Filmen gegenüber den Vorteil, dass sie auf Hindi produziert werden, dem Englisch des Subkontinents, weshalb sie im ganzen Land gezeigt werden können.

Aber trotzdem: Hyderabad, Trivandrum, Bangalore, Colcatta, Chennai - all diese Städte beherbergen riesige Filmstudios, indische Filme werden auf Hindi, Kannada, Malayalam, Marathi, Punjabi, Assamesisch und Gujarati produziert. Kurzum: Indien hat so viel mehr zu bieten als neonbunt pompöse, fünfstündige Tanzfilme, in denen die Ganoven so grimmig dreinblicken wie expressionistische Stummfilmdarsteller. Wer"s nicht glaubt, der verfüge sich an diesem Wochenende nach Stuttgart, wo seit Donnerstag wieder das 'Indische Filmfestival' läuft.



Schnulzige Kostüm-Orgien? Das indische Kino hat weitaus mehr zu bieten.

Der Autor, der in diesem Jahr in der Festivaljury saß, ist hier natürlich nicht gänzlich unbefangen. Aber mal ehrlich: Welche Qual der Wahl! Kein einziger tanzender Sari war dabei. Krude Drehbücher, das schon. Auch ein-, zweimal richtig schlechte Schauspielleistungen. Aber insgesamt kann man nur staunen über den Reichtum des neuen indischen Filmschaffens. Es gab eine Komödie mit vier beeindruckend spielenden Jugendlichen über die schwierige Frage, wie man mit seinen eigenen Kindern über Sex redet ('Balak Palak'). Und 'Oass' beschreibt fast schon semidokumentarisch die grässlichen Zustände in indischen Kinderbordellen.

Besonders aber zwei Filme ragten heraus - der eine ist ein dramatisches Biopic, der andere eine Komödie. Beide aber verhandeln ganz ähnliche Themen. 'Shahid' zeichnet das Leben eines muslimischen Aktivisten nach, der 2010 einem Attentat zum Opfer fiel: Shahid Azmi lebte in Mumbai und geriet in den neunziger Jahren in die Mühle der indischen Justiz, weil er verdächtigt wurde, einen Anschlag auf einen fanatischen Hindupolitiker zu planen. Später wurde er dann Anwalt, verteidigte Muslime und wurde im Alter von 32 Jahren in seiner Kanzlei erschossen. Der Film ist deshalb so gut, weil er zum einen ein sehr ambivalentes Porträt seines Helden zeichnet, eines Mannes, der unablässig für seine Mandanten kämpft, über dieser Mission jedoch völlig seine Familie vernachlässigt. Außerdem aber gelingt es dem Regisseur Hansal Mehta, die indische Politik der letzten Dekade wie in einem Brennglas zu bündeln: Shahid Azmi verteidigte immer wieder Leute, die in Verdacht geraten waren, beteiligt gewesen zu sein an den großen Attentaten, die das Land und besonders Mumbai erschüttert haben, die Zugbomben von 2006 und die konzertierte Attacke der Islamisten von 2008.

'Filmistaan' handelt ebenfalls von Extremisten, Gewalt und Vorurteilen, diesmal aber vor der Folie des pakistanisch- indischen Konflikts. Vor zwei Jahren lief in Stuttgart 'Lamhaa', der diesen politischen Streit als Agententhriller verhandelte und die Verstrickung islamischer Würdenträger in die dreckigen Kriegsgeschäfte so scharf angriff, dass der Film am Tag vor der Festivaleröffnung in mehreren arabischen Ländern verboten wurde.

Diesmal kommt dasselbe Thema im Gewand einer Komödie daher: 'Filmistaan', der erste Film des jungen Regisseurs Nitin Kakkar, ist in seiner intelligenten Leichtigkeit ein Geniestreich: Sunny lebt in Mumbai und träumt davon, ein Star zu werden. Der Film beginnt mit Castingszenen, in denen Sunny übertrieben und grell wie im schlimmsten Bollywoodklischee einen großmäuligen Muskelhelden und einen reumütigen Sohn mimt. Er wird natürlich nie genommen und hält sich über Wasser, indem er ein amerikanisches Filmteam als Übersetzer und Produktionsgehilfe in die Wüste von Rajastan begleitet.

Dort wird er von Mudschaheddins entführt und nach Pakistan verschleppt. Eigentlich hatten die Islamisten es auf einen der Amerikaner abgesehen, jetzt haben sie einen filmverrückten Inder an der Backe: Selbst noch, als sie das Entführervideo drehen, will Sunny, dass alles gut aussieht - und treibt seine Kidnapper zu schauspielerischen Höchstleistungen an: Ihr müsst grimmiger schauen! Los, halt mir die Knarre an den Kopf! Und merkt Euch: In Sachen Qualität darf man niemals Kompromisse machen!

Der Mann, bei dem Sunny gefangen gehalten wird, lebt davon, Raubkopien indischer Filme in sein pakistanisches Dorf zu schmuggeln, die dort reißenden Absatz finden. Die Islamisten hassen diese Filme - und so werden Sunny und der pakistanische Raubkopierer zu Schicksalsgenossen und Freunden. Das indische Kino wird 2013 hundert Jahre alt. Es hätte sich selbst kein besseres Geschenk machen können als diese Komödie, die im Grunde eine einzige Feier seiner Verführungskunst ist.

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