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Friede den Schluffis!

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Im Schauspielhaus Düsseldorf mixt Falk Richter Dramen, Briefe und Kampfschriften von Georg Büchner auf Spielfilmlänge


Georg Büchner war 23 Jahre alt, als er starb. Also im besten Occupy-Alter. Moment, Occupy? Kein Jahr her, und was ist aus unserer Revolution geworden? Die Camps sind geräumt, und vom Protest blieb, um es mit Brecht zu sagen, der immer präsent war: der Wind. Der ist nicht überall abgeflaut wie in Deutschland - in Spanien oder Griechenland ist die Wut der Bürger ungebrochen, selbst wenn es gegen so diffuse Feindbilder geht wie 'das System' - was wahlweise sein kann: Banken, Bonzen, Bürokraten, Brüssel.

Und jetzt zu Büchner. In einem Alter, in dem man heute mit Comicmasken vor Bankzentralen zeltet oder stupid Bachelor-Leistungspunkte sammelt, hatte er nicht nur bereits einige der bedeutendsten Dramen deutscher Sprache verfasst - darunter mit 'Dantons Tod' eines der besten Dramen überhaupt -, sondern war als wortgewandter Aufwiegler in Hessen auch steckbrieflich gesucht. Sein 'Friede den Hütten! Krieg den Palästen!' zählt seitdem zum Einmaleins fortgeschrittener Revolutionsrhetorik.




Georg Büchner in 2012

Am Düsseldorfer Schauspielhaus wird Büchner jetzt zum Ahnvater aller deutsch-dichterischen Revolte. In seinem gleichnamigen Themenabend 'Büchner' - knackig komprimiert auf Spielfilmlänge - liefert Falk Richter eine Hommage und Recherche, die Büchners Reflexion über die Veränderung der Verhältnisse vom Vormärz in die postindustrielle Finanzkrisenzeit verlängert. Und zwar, das macht diesen Abend so ehrlich wie angreifbar, als Künstlerdrama: Eingerahmt von der Dichterseelenschau 'Lenz', stellen Richter und seine sechs nimmermüden, schauspielernden Bühnenaktivisten die Frage: Was kann die Kunst eigentlich - und was muss sie - ausrichten, wenn sie politisch sein will?

Ausschnitte aus Prosa, Dramen, Briefen, Kampfschriften, dazu Fremdtexte, viele von Richter selbst, mixen Büchner"sches Best-of mit weltpolitischem Worst Case: Wo bleibt die Rache der Entrechteten und Geknechteten, der Woyzecks dieser Welt! In einer Szene sitzt das Ensemble schnatternd an der Rampe und kokettiert zynisch mit der Afrika-Ausbeutung des Westens: 'Ihr seid so viele, und ich versteh" manchmal nicht, warum ihr euch nicht alle in Bewegung setzt und euch endlich etwas abholt hier von unserem hoch verschuldeten Reichtum', ätzt Judith Rosmair. Und mit dem berühmten 'Stich! Stich zu!' im Chor wiegeln sie zur Meuchelei auf.

'Woyzeck', ein 'vielmals vom Theater geschundener Text' - wie passenderweise en passant angemerkt wird - wird in dunkler, unwirtlicher Weite zwischen grünen Konferenzstühlen (Bühne: Katrin Hoffmann) erst schnell und scharf angespielt und dann variiert und kommentiert. Aleksandar Radenkovic gibt den smarten Tambourmajor im Muskelshirt, der die Leistungsgesellschaft preist und Woyzeck, den Thomas Wodianka als Schluffi spielt, in die Magengrube tritt. Mobbing mündet in Mordlust, und der neue kapitalistische Zahlenfetisch, der sich im Hintergrund in dauerflimmernden Zeichen einbrennt, hat Woyzeck so infiziert, dass er seine Messerstiche, die er Marie in den Leib jagt, fleißig durchrattert. 72 sind"s am End.

Falk Richter pflegt solche Feinheiten wie das große Pamphlet. Woyzeck wird mal vorgestellt als vom System gezielt dumm Gehaltener. Dann wieder soll er den Markt verkörpern: verhetzt, ohne Moral, der uns schwindlig macht. St. Just hetzt hier sonor gegen Sozialschmarotzer und EU-Nutznießer, während Danton sich dem Fatalismus des Jahres 2012 ergibt. Was üblicherweise als Interpretation im Programmheft stünde, wird hier direkt ausgesprochen. Die propagierten Analogien zwischen Büchner und der Bundesrepublik von heute sind gewitzt, auch überspitzt bis ins Kabarett - aber vor allem der Versuch, sich mit Literatur einen Reim zu machen auf den Lauf der Dinge.

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