In Schwäbisch Gmünd halfen Asylbewerber Reisenden beim Koffertragen, dann kofferten ein paar Wohlmeinende los, und jetzt ist Schluss damit.
Schwäbisch Gmünd - Am Freitagvormittag steht Gharoon Khan in einem roten T-Shirt am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, nur so viel ist klar: Er wartet nicht auf den Zug.
Man würde ihn gern fragen, was er dort tut, aber man findet keine gemeinsame Sprache. Bei den Service-Mitarbeitern der Bahn, die neben Gharoon Khan an Gleis eins ihrer Kundschaft harren, würde es daran nicht scheitern. Aber die beiden dürfen nicht reden, nur einen Zettel übergeben mit der Telefonnummer eines Bahn-Sprechers. Der Bahn-Sprecher darf allerdings auch nicht viel sagen, bloß, dass die Pressemitteilung von Mittwoch gelte. Darin heißt es: 'Die Deutsche Bahn zieht sich aus der Initiative der Stadt Schwäbisch Gmünd zurück, Asylbewerber zum Transportieren von Gepäckstücken einzusetzen.'
Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.
Es ist wahrscheinlich so, dass Gharoon Khan das nicht mitgekriegt hat. Oder dass er es schlicht nicht glauben kann.
Am Montag, zum Start des Projekts, hatte der Vorsitzende des örtlichen Bürgervereins gegen Fremdenfeindlichkeit gesagt: 'Ich finde die Aktion durchweg positiv. Wir haben schon lange überlegt, wie wir den Flüchtlingen helfen können, sich ins soziale Leben in Gmünd zu integrieren.' Die Leiterin des Asylbewerberheims sagte, die Bewohner seien dankbar, sich endlich mal 'einbringen zu dürfen' in die Gesellschaft. Der Landrat sprach von einer 'super Idee', die 'gewiss auch Ausstrahlung haben wird'. Hatte sie dann auch. Nur ganz anders, als die Gmünder das erwartet hatten.
Die Idee stammte vom Oberbürgermeister persönlich, von Richard Arnold, einem schwulen Christdemokraten in einer erzkatholischen Stadt. Am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, der Staufergründung 50 Kilometer östlich von Stuttgart, wird zurzeit gebaut, der Tunnel zu den Bahnsteigen ist gesperrt. Nur ein Steg aus Metallrohren führt zu den Zügen, 54 Stufen steil hinauf, 54 Stufen steil hinunter. Für Rollstuhlfahrer oder Mütter mit Kinderwagen: ein unüberwindliches Hindernis. OB Arnold fragte also im Asylbewerberheim nach, ob es Freiwillige gebe, die den Reisenden zur Hand gehen wollten. Es gab neun.
Sie bekamen rote T-Shirts mit dem Schriftzug 'Service', hinten groß, vorne klein, dazu Schildchen mit ihrem Namen und dem Gmünder Wappentier darauf, dem Einhorn. Sie bekamen auch Lohn, 1,05 Euro pro Stunde, mehr lässt das Gesetz nicht zu für Asylsuchende. Der OB forderte die Bahnpassagiere deshalb auf, beim Trinkgeld großzügig zu sein.
Am Montag fühlten sich alle Beteiligten als Gewinner. Und jetzt, nur fünf Tage später, haben sie in gewisser Weise alle verloren. OB Arnold sitzt in seinem Büro, er blickt auf den Marktplatz seiner Stadt und sagt: 'Als das über uns hereinbrach, habe ich die Welt nicht mehr verstanden.'
Am Dienstag häuften sich auf der Facebook-Seite der Stadt und in anderen sozialen Netzwerken erst empörte Kommentare, dann böse, die meisten von auswärts. Und dann hob der Sturm richtig an. Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Auf 'Irrsinn' entschied die linke Zeitung Junge Welt: Die Asylbewerber müssten 'buckeln, damit das Flüchtlingsheim nicht abgefackelt wird'. Wütende Internetuser nannten OB Arnold einen Rassisten und Ausbeuter, einen deutschen 'Onkel Tom'. Zu einem Bild, auf dem Arnold Strohhüte als Sonnenschutz an die Asylbewerber verteilt, schrieb jemand: 'Massa Arnold begutachtet seine Ware.' Das mit den Hüten, sagt Arnold, habe doof ausgesehen, das wisse er selbst.
Der Sturm blies die Bahn sofort um. Die 'konkreten Beschäftigungsbedingungen' der Freiwilligen, teilte der Konzern am Mittwoch mit, seien ihm 'erst jetzt bekannt geworden'.
Christopher Igbinomwanhia sagt: 'Die Bahn hätte uns mal fragen sollen. Uns ging es doch nicht ums Geld. Wir waren keine Sklaven, wir haben das gern gemacht. Uns wurde eine große Chance geraubt.'
Igbinomwanhia trägt sein rotes T-Shirt, obwohl es Donnerstagabend ist und die Aktion längst vorbei. Er zeigt auf sein Zimmer im Gmünder Asylbewerberheim, das aus nicht viel mehr besteht als aus einer Couch und drei Betten, auf jedem liegt eine Bibel. Er sagt: 'Ich bin 43 Jahre alt, ich lebe hier seit mehr als zwei Jahren mit zwei anderen Männern. Ich habe keine Arbeitserlaubnis, ich kann nur schlafen und essen. Und jetzt hatte ich endlich das Gefühl, gebraucht zu werden.' Ein älterer Herr, dem er den Koffer trug, habe auf ein Foto mit ihm bestanden. Eine Frau habe ihm Wasser gekauft und gesagt: 'Ich werde an Sie denken.' Eine junge Mutter habe ihm ihr Baby in die Hand gedrückt, ihm, 'dem schwarzen Mann, wegen dem viele sonst die Straßenseite wechseln'. In zwei Jahren in Deutschland, sagt der Nigerianer Igbinomwanhia, sei ihm 'nichts Schöneres' passiert.
Igbinomwanhia führt durch das Heim, zu anderen Freiwilligen vom Bahnhof. Alle sagen, 'Mayor Arnold' habe ihnen immer geholfen, nicht erst jetzt. Habe ihnen Ein-Euro-Jobs bei der Stadt vermittelt, sie beim großen Theater-Spektakel zum Staufer-Jubiläum mitspielen lassen. Kolade Ajibola, auch aus Nigeria, macht gerade ein Praktikum in der IT-Abteilung des Rathauses. Er hat gehört, dass eine Schweizer Zeitung das 'Massa'-Zitat druckte. Er ruft: 'Was erlauben sich die Schweizer?'
Am Ende des Rundgangs sitzt der blutjunge Muhamad aus Gambia auf einem fransigen Sofa unter einer deutschen Fahne. Er kapiere da etwas nicht, sagt er: 'Was ist schlimm daran, wenn ein Schwarzer einem Weißen den Koffer trägt?'
Wer versteht da also wen nicht, in Gmünd und im Internet? OB Arnold sagt: 'Gutmenschentum darf nicht in Bevormundung umschlagen. Diese politische Überkorrektheit wird nur dazu führen, dass sich niemand mehr traut, etwas für die Asylbewerber zu tun.' Klar, die Bundesrepublik brauche neue Einwanderungsgesetze. 'Aber die kann ich nicht machen.'
Draußen vor dem Heim soll Christopher Igbinomwanhia für ein Foto posieren, er hat extra ein gutes Hemd übers rote T-Shirt gezogen, Kragen aufrecht, Knöpfe zu. Er lächelt für die Kamera, dann sagt er plötzlich: 'Stopp.' Er zieht das Hemd wieder aus und zupft das rote T-Shirt zurecht, den Schriftzug 'Service', das Schild mit seinem Namen und dem Gmünder Einhorn daneben. Es sei, sagt er, 'das beste Hemd, das ich habe'.
Schwäbisch Gmünd - Am Freitagvormittag steht Gharoon Khan in einem roten T-Shirt am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, nur so viel ist klar: Er wartet nicht auf den Zug.
Man würde ihn gern fragen, was er dort tut, aber man findet keine gemeinsame Sprache. Bei den Service-Mitarbeitern der Bahn, die neben Gharoon Khan an Gleis eins ihrer Kundschaft harren, würde es daran nicht scheitern. Aber die beiden dürfen nicht reden, nur einen Zettel übergeben mit der Telefonnummer eines Bahn-Sprechers. Der Bahn-Sprecher darf allerdings auch nicht viel sagen, bloß, dass die Pressemitteilung von Mittwoch gelte. Darin heißt es: 'Die Deutsche Bahn zieht sich aus der Initiative der Stadt Schwäbisch Gmünd zurück, Asylbewerber zum Transportieren von Gepäckstücken einzusetzen.'
Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.
Es ist wahrscheinlich so, dass Gharoon Khan das nicht mitgekriegt hat. Oder dass er es schlicht nicht glauben kann.
Am Montag, zum Start des Projekts, hatte der Vorsitzende des örtlichen Bürgervereins gegen Fremdenfeindlichkeit gesagt: 'Ich finde die Aktion durchweg positiv. Wir haben schon lange überlegt, wie wir den Flüchtlingen helfen können, sich ins soziale Leben in Gmünd zu integrieren.' Die Leiterin des Asylbewerberheims sagte, die Bewohner seien dankbar, sich endlich mal 'einbringen zu dürfen' in die Gesellschaft. Der Landrat sprach von einer 'super Idee', die 'gewiss auch Ausstrahlung haben wird'. Hatte sie dann auch. Nur ganz anders, als die Gmünder das erwartet hatten.
Die Idee stammte vom Oberbürgermeister persönlich, von Richard Arnold, einem schwulen Christdemokraten in einer erzkatholischen Stadt. Am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, der Staufergründung 50 Kilometer östlich von Stuttgart, wird zurzeit gebaut, der Tunnel zu den Bahnsteigen ist gesperrt. Nur ein Steg aus Metallrohren führt zu den Zügen, 54 Stufen steil hinauf, 54 Stufen steil hinunter. Für Rollstuhlfahrer oder Mütter mit Kinderwagen: ein unüberwindliches Hindernis. OB Arnold fragte also im Asylbewerberheim nach, ob es Freiwillige gebe, die den Reisenden zur Hand gehen wollten. Es gab neun.
Sie bekamen rote T-Shirts mit dem Schriftzug 'Service', hinten groß, vorne klein, dazu Schildchen mit ihrem Namen und dem Gmünder Wappentier darauf, dem Einhorn. Sie bekamen auch Lohn, 1,05 Euro pro Stunde, mehr lässt das Gesetz nicht zu für Asylsuchende. Der OB forderte die Bahnpassagiere deshalb auf, beim Trinkgeld großzügig zu sein.
Am Montag fühlten sich alle Beteiligten als Gewinner. Und jetzt, nur fünf Tage später, haben sie in gewisser Weise alle verloren. OB Arnold sitzt in seinem Büro, er blickt auf den Marktplatz seiner Stadt und sagt: 'Als das über uns hereinbrach, habe ich die Welt nicht mehr verstanden.'
Am Dienstag häuften sich auf der Facebook-Seite der Stadt und in anderen sozialen Netzwerken erst empörte Kommentare, dann böse, die meisten von auswärts. Und dann hob der Sturm richtig an. Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Auf 'Irrsinn' entschied die linke Zeitung Junge Welt: Die Asylbewerber müssten 'buckeln, damit das Flüchtlingsheim nicht abgefackelt wird'. Wütende Internetuser nannten OB Arnold einen Rassisten und Ausbeuter, einen deutschen 'Onkel Tom'. Zu einem Bild, auf dem Arnold Strohhüte als Sonnenschutz an die Asylbewerber verteilt, schrieb jemand: 'Massa Arnold begutachtet seine Ware.' Das mit den Hüten, sagt Arnold, habe doof ausgesehen, das wisse er selbst.
Der Sturm blies die Bahn sofort um. Die 'konkreten Beschäftigungsbedingungen' der Freiwilligen, teilte der Konzern am Mittwoch mit, seien ihm 'erst jetzt bekannt geworden'.
Christopher Igbinomwanhia sagt: 'Die Bahn hätte uns mal fragen sollen. Uns ging es doch nicht ums Geld. Wir waren keine Sklaven, wir haben das gern gemacht. Uns wurde eine große Chance geraubt.'
Igbinomwanhia trägt sein rotes T-Shirt, obwohl es Donnerstagabend ist und die Aktion längst vorbei. Er zeigt auf sein Zimmer im Gmünder Asylbewerberheim, das aus nicht viel mehr besteht als aus einer Couch und drei Betten, auf jedem liegt eine Bibel. Er sagt: 'Ich bin 43 Jahre alt, ich lebe hier seit mehr als zwei Jahren mit zwei anderen Männern. Ich habe keine Arbeitserlaubnis, ich kann nur schlafen und essen. Und jetzt hatte ich endlich das Gefühl, gebraucht zu werden.' Ein älterer Herr, dem er den Koffer trug, habe auf ein Foto mit ihm bestanden. Eine Frau habe ihm Wasser gekauft und gesagt: 'Ich werde an Sie denken.' Eine junge Mutter habe ihm ihr Baby in die Hand gedrückt, ihm, 'dem schwarzen Mann, wegen dem viele sonst die Straßenseite wechseln'. In zwei Jahren in Deutschland, sagt der Nigerianer Igbinomwanhia, sei ihm 'nichts Schöneres' passiert.
Igbinomwanhia führt durch das Heim, zu anderen Freiwilligen vom Bahnhof. Alle sagen, 'Mayor Arnold' habe ihnen immer geholfen, nicht erst jetzt. Habe ihnen Ein-Euro-Jobs bei der Stadt vermittelt, sie beim großen Theater-Spektakel zum Staufer-Jubiläum mitspielen lassen. Kolade Ajibola, auch aus Nigeria, macht gerade ein Praktikum in der IT-Abteilung des Rathauses. Er hat gehört, dass eine Schweizer Zeitung das 'Massa'-Zitat druckte. Er ruft: 'Was erlauben sich die Schweizer?'
Am Ende des Rundgangs sitzt der blutjunge Muhamad aus Gambia auf einem fransigen Sofa unter einer deutschen Fahne. Er kapiere da etwas nicht, sagt er: 'Was ist schlimm daran, wenn ein Schwarzer einem Weißen den Koffer trägt?'
Wer versteht da also wen nicht, in Gmünd und im Internet? OB Arnold sagt: 'Gutmenschentum darf nicht in Bevormundung umschlagen. Diese politische Überkorrektheit wird nur dazu führen, dass sich niemand mehr traut, etwas für die Asylbewerber zu tun.' Klar, die Bundesrepublik brauche neue Einwanderungsgesetze. 'Aber die kann ich nicht machen.'
Draußen vor dem Heim soll Christopher Igbinomwanhia für ein Foto posieren, er hat extra ein gutes Hemd übers rote T-Shirt gezogen, Kragen aufrecht, Knöpfe zu. Er lächelt für die Kamera, dann sagt er plötzlich: 'Stopp.' Er zieht das Hemd wieder aus und zupft das rote T-Shirt zurecht, den Schriftzug 'Service', das Schild mit seinem Namen und dem Gmünder Einhorn daneben. Es sei, sagt er, 'das beste Hemd, das ich habe'.