Das Weltuntergangs-Videospiel 'The Last of Us' ist das furchtloseste der Saison. Denn seine Figuren sind normale Menschen - und das fordert die Spieler, die Helden sein wollen, heraus
Der Weltuntergang ist in der Popkultur eine beliebte Kulisse. Und nicht zuletzt das Videospiel hat die Ästhetisierung der Apokalypse zu einer hohen Kunst entwickelt. Da gehen Städte in Flammen auf und Flutwellen waschen die Aschereste hinfort, da streifen radioaktive Monster durchs verstrahlte Ödland und zerbrechen ganze Planeten in hyperrealistischer HD-Grafik - aber wie es den Protagonisten bei alldem geht, davon erfährt der Spieler in seinem Wohnzimmer meist nur wenig. Das Videospiel 'The Last of Us' möchte das ändern.
In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft steht die Menschheit mal wieder am Rande der Auslöschung, eine Pilzinfektion lässt brave Bürger zu rasenden Monstren mutieren. Mit Ursachen und Herkunft der Seuche hält sich das Spiel nicht lange auf. Die Erzählung startet 20 Jahre später, die USA sind zu einem riesigen Ödland geworden, Banden von Überlebenden streunen durch die Wildnis und sind mindestens genauso tollwütig wie die Infizierten selbst. Nur an der Ostküste halten sich, mehr schlecht als recht, einige Trutzburgen der Zivilisation, in denen das Militär jegliche Bürgerrechte missachtet. Hoffnungslosigkeit allenthalben.
In dem neuen Weltuntergangs-Computerspiel 'The Last of US' schlüpfen die Spieler zur Abwechslung mal nicht in die Rolle eines Avatars mit Superkräften.
Der Spieler schlüpft in die Rolle von Joel, Nachname unbekannt, von den Umständen des Überlebens abgehärmt. Der Mann mit graumeliertem Bart, dessen Tagwerk lange darin bestand, Waffen zu schmuggeln oder Lebensmittelkarten zu stehlen, erhält den Auftrag, ein junges Mädchen namens Ellie an einen sicheren Ort zu eskortieren. Der Teenager wurde in einer Quarantänezone geboren, kennt die Welt abseits der Mauern nicht, eine Welt, in der die Natur die Spuren jeglicher Kultur beseitigt hat. Wie die frühen Siedler ziehen Joel und Ellie von Neuengland in Richtung Westen, aber das entvölkerte Nachkatastrophenland ist längst nicht mehr kolonisierbar. Die Anleihen, die das Spiel bei Kinofilmen wie 'Children Of Men' und der Verfilmung von Cormac McCarthys Bestseller 'The Road' nimmt, sind nicht zu übersehen.
'Sind wir die Guten?', fragt in 'The Road' der Sohn ab und zu den Vater. Auch im Videospiel haben Beschützer und Schützling zwar einander und doch verlieren sie sich auf ihrer Reise, die Hoffnung weicht dem Misstrauen. Mitgefühl, Vergebung und Bedauern sind im Kampf um das eigene Überleben keine Fixpunkte mehr im moralischen Koordinatensystem.
Kein Wunder, dass 'The Last Of Us' seinen Protagonisten eine gewisse psychologische Entwicklung zugesteht, die über bloße Dialoge hinausgeht. Mithilfe moderner Motion-Capturing-Techniken und entsprechender Animationssoftware können Videospiele mittlerweile sogar den enttäuscht-trotzigen Blick eines 14-jährigen Mädchens simulieren. Auch sonst wirkt 'The Last Of Us' überwältigend lebensecht. Joel und Ellie betreten morsche Gebäude auf der Suche nach Vorräten und finden stattdessen nur verblichene Tagebücher - das Mädchen wundert sich über die Probleme, mit denen sich die ehemaligen Bewohner vor langer Zeit herumgeschlagen haben. Vor der Tür herrscht Zwielicht, das Pflaster der Straßen ist aufgeplatzt, sogar der Müll und all die anderen Überreste der Konsumgesellschaft, die auf den Straßen herumliegen, wirken - in ihrer geplanten Zufälligkeit - fotorealistisch. Naughty Dog, das Entwicklungsstudio hinter 'The Last Of Us' gilt in der Branche als magischer Ort, an dem die Fusion von Videospiel und Film vorangetrieben wird. Dieser Ruf liegt vor allem an der dort entstandenen 'Uncharted'-Trilogie, einer Art Adaption von 'Indiana Jones' für die atemlosen Entertainment-Ansprüche der Nullerjahre. Abstürzende Flugzeuge, Berggipfel, endlose Wüsten und eine filmreife Performance der Motion-Capturing-Darsteller, ein epischer Soundtrack, den auch Hollywoods Chef-Bombastkomponist Hans Zimmer nicht besser hinbekommen hätte, und ein Plot, der zumindest den Ansprüchen an die meisten Sommer-Blockbuster genügt, ergaben das kompletteste Unterhaltungserlebnis, das die Spielebranche bislang hervorgebracht hat.
Doch es gab immer auch ein Problem. Denn während der Held, ein Indiana-Jones-Epigone namens Nathan Drake, in den kinoreifen Zwischensequenzen als smarter Tunichtgut präsentiert wird, richtet er in den Spielsequenzen ein Massaker nach dem anderen an. 'Uncharted' warf dem Spieler eine ganze Privatarmee von Schurken entgegen, die reihum und mit großer Lässigkeit abzumurksen waren.
Diese Dissonanz zwischen Narrativ und Gameplay, also den tatsächlichen Eingriffen des Spielers - Springen, Kriechen, Schießen - in die Geschichte ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Videospiele in Richtung einer kohärenten narrativen Erfahrung: Wie kann man ein Medium auch nur halbwegs ernstnehmen, das sich permanent selbst widerspricht?
Auch 'The Last Of Us' kommt nicht ohne Gewalt aus, es geht schließlich ums Überleben. Um das Überleben aber auch mit Sinn zu füllen, leistet sich das Spiel einen Kniff: Die Entwickler greifen zugunsten des Plots in die Spielmechanik ein, die Schere zwischen automatisch ablaufender Zwischensequenz und Gameplay schließt sich. Das klingt zunächst unspektakulär, ist aber in Wahrheit unerhört. Joel mag ein Überlebender der Katastrophe sein, das macht ihn aber noch lange nicht zu einem Experten im Umgang mit Feuerwaffen. Und so wackelt und zittert das Fadenkreuz auf dem Bildschirm, egal, wie feinfühlig der Spieler mit dem Joystick interagiert. Nach einem Sprint gerät Joel außer Atem, genau wie es auch einem echten Menschen passieren würde. Er kann auch nicht, wie so viele seiner digitalen Vorgänger, bergziegenhaft an glatten Wänden empor klettern. Stattdessen verbringt man zehn Minuten auf der Suche nach einer morschen Leiter. Es gibt keine Karte, die dem Spieler zeigt, wohin er seinen Avatar zu steuern hätte.
Und so ist man genauso verloren wie das digitale Abbild, ist eher Getriebener als Handelnder. Auch hier ordnen sich das Spiel und seine Regeln also der Geschichte unter: Angesichts des Untergangs der Menschheit kommt die Perspektive schon mal abhanden. Und dann wären da noch die Ressourcen. Sie sind, wie es sich für eine Apokalypse gehört, rar gesät. Es bleibt immer nur eine Handvoll Munition, für die Konfrontationen, die irgendwann unausweichlich werden, also bastelt man sich aus einem Heizungsrohr, einer Schere und ein bisschen Klebeband eine behelfsmäßige Axt.
'The Last Of Us' hat nicht nur Lob kassiert. Die Entwickler stecken in einem Dilemma zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und den Sachzwängen, die sich ergeben, wenn die Produktionskosten gerne über 100 Millionen Dollar betragen und die Entwicklung mehrere Jahre dauert. Anders ausgedrückt: Kann man es in solchen Dimensionen wagen, die immer noch recht adoleszente Zielgruppe vor den Kopf zu stoßen? Das Videospiel-Publikum ist es nicht gewohnt, künstlich limitiert zu werden. Im Gegenteil.
Schließlich bedient das Videospiel bislang auch und vor allem die Allmachtsfantasien, die Eskapismusgelüste und heroischen Sehnsüchte der Spieler. Oft genug ist der Avatar noch immer ein schwerbewaffneter Supersoldat, der nicht weniger als die ganze Welt zu retten hat. Joel dagegen ist der alltägliche Jedermann, der, um Ellie zu beschützen, einen Angreifer auch schon mal mit bloßen Händen aus dem Weg räumt oder mit einem Ziegelstein so lange auf ihn eindrischt, bis er außer Atem gerät. Mit dem klassischen Videospiel-Heldentum hat das fast nichts mehr zu tun. Wer fühlt sich schon heroisch, wenn er einen Ziegelstein in der Hand hält?
Der Weltuntergang ist in der Popkultur eine beliebte Kulisse. Und nicht zuletzt das Videospiel hat die Ästhetisierung der Apokalypse zu einer hohen Kunst entwickelt. Da gehen Städte in Flammen auf und Flutwellen waschen die Aschereste hinfort, da streifen radioaktive Monster durchs verstrahlte Ödland und zerbrechen ganze Planeten in hyperrealistischer HD-Grafik - aber wie es den Protagonisten bei alldem geht, davon erfährt der Spieler in seinem Wohnzimmer meist nur wenig. Das Videospiel 'The Last of Us' möchte das ändern.
In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft steht die Menschheit mal wieder am Rande der Auslöschung, eine Pilzinfektion lässt brave Bürger zu rasenden Monstren mutieren. Mit Ursachen und Herkunft der Seuche hält sich das Spiel nicht lange auf. Die Erzählung startet 20 Jahre später, die USA sind zu einem riesigen Ödland geworden, Banden von Überlebenden streunen durch die Wildnis und sind mindestens genauso tollwütig wie die Infizierten selbst. Nur an der Ostküste halten sich, mehr schlecht als recht, einige Trutzburgen der Zivilisation, in denen das Militär jegliche Bürgerrechte missachtet. Hoffnungslosigkeit allenthalben.
In dem neuen Weltuntergangs-Computerspiel 'The Last of US' schlüpfen die Spieler zur Abwechslung mal nicht in die Rolle eines Avatars mit Superkräften.
Der Spieler schlüpft in die Rolle von Joel, Nachname unbekannt, von den Umständen des Überlebens abgehärmt. Der Mann mit graumeliertem Bart, dessen Tagwerk lange darin bestand, Waffen zu schmuggeln oder Lebensmittelkarten zu stehlen, erhält den Auftrag, ein junges Mädchen namens Ellie an einen sicheren Ort zu eskortieren. Der Teenager wurde in einer Quarantänezone geboren, kennt die Welt abseits der Mauern nicht, eine Welt, in der die Natur die Spuren jeglicher Kultur beseitigt hat. Wie die frühen Siedler ziehen Joel und Ellie von Neuengland in Richtung Westen, aber das entvölkerte Nachkatastrophenland ist längst nicht mehr kolonisierbar. Die Anleihen, die das Spiel bei Kinofilmen wie 'Children Of Men' und der Verfilmung von Cormac McCarthys Bestseller 'The Road' nimmt, sind nicht zu übersehen.
'Sind wir die Guten?', fragt in 'The Road' der Sohn ab und zu den Vater. Auch im Videospiel haben Beschützer und Schützling zwar einander und doch verlieren sie sich auf ihrer Reise, die Hoffnung weicht dem Misstrauen. Mitgefühl, Vergebung und Bedauern sind im Kampf um das eigene Überleben keine Fixpunkte mehr im moralischen Koordinatensystem.
Kein Wunder, dass 'The Last Of Us' seinen Protagonisten eine gewisse psychologische Entwicklung zugesteht, die über bloße Dialoge hinausgeht. Mithilfe moderner Motion-Capturing-Techniken und entsprechender Animationssoftware können Videospiele mittlerweile sogar den enttäuscht-trotzigen Blick eines 14-jährigen Mädchens simulieren. Auch sonst wirkt 'The Last Of Us' überwältigend lebensecht. Joel und Ellie betreten morsche Gebäude auf der Suche nach Vorräten und finden stattdessen nur verblichene Tagebücher - das Mädchen wundert sich über die Probleme, mit denen sich die ehemaligen Bewohner vor langer Zeit herumgeschlagen haben. Vor der Tür herrscht Zwielicht, das Pflaster der Straßen ist aufgeplatzt, sogar der Müll und all die anderen Überreste der Konsumgesellschaft, die auf den Straßen herumliegen, wirken - in ihrer geplanten Zufälligkeit - fotorealistisch. Naughty Dog, das Entwicklungsstudio hinter 'The Last Of Us' gilt in der Branche als magischer Ort, an dem die Fusion von Videospiel und Film vorangetrieben wird. Dieser Ruf liegt vor allem an der dort entstandenen 'Uncharted'-Trilogie, einer Art Adaption von 'Indiana Jones' für die atemlosen Entertainment-Ansprüche der Nullerjahre. Abstürzende Flugzeuge, Berggipfel, endlose Wüsten und eine filmreife Performance der Motion-Capturing-Darsteller, ein epischer Soundtrack, den auch Hollywoods Chef-Bombastkomponist Hans Zimmer nicht besser hinbekommen hätte, und ein Plot, der zumindest den Ansprüchen an die meisten Sommer-Blockbuster genügt, ergaben das kompletteste Unterhaltungserlebnis, das die Spielebranche bislang hervorgebracht hat.
Doch es gab immer auch ein Problem. Denn während der Held, ein Indiana-Jones-Epigone namens Nathan Drake, in den kinoreifen Zwischensequenzen als smarter Tunichtgut präsentiert wird, richtet er in den Spielsequenzen ein Massaker nach dem anderen an. 'Uncharted' warf dem Spieler eine ganze Privatarmee von Schurken entgegen, die reihum und mit großer Lässigkeit abzumurksen waren.
Diese Dissonanz zwischen Narrativ und Gameplay, also den tatsächlichen Eingriffen des Spielers - Springen, Kriechen, Schießen - in die Geschichte ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Videospiele in Richtung einer kohärenten narrativen Erfahrung: Wie kann man ein Medium auch nur halbwegs ernstnehmen, das sich permanent selbst widerspricht?
Auch 'The Last Of Us' kommt nicht ohne Gewalt aus, es geht schließlich ums Überleben. Um das Überleben aber auch mit Sinn zu füllen, leistet sich das Spiel einen Kniff: Die Entwickler greifen zugunsten des Plots in die Spielmechanik ein, die Schere zwischen automatisch ablaufender Zwischensequenz und Gameplay schließt sich. Das klingt zunächst unspektakulär, ist aber in Wahrheit unerhört. Joel mag ein Überlebender der Katastrophe sein, das macht ihn aber noch lange nicht zu einem Experten im Umgang mit Feuerwaffen. Und so wackelt und zittert das Fadenkreuz auf dem Bildschirm, egal, wie feinfühlig der Spieler mit dem Joystick interagiert. Nach einem Sprint gerät Joel außer Atem, genau wie es auch einem echten Menschen passieren würde. Er kann auch nicht, wie so viele seiner digitalen Vorgänger, bergziegenhaft an glatten Wänden empor klettern. Stattdessen verbringt man zehn Minuten auf der Suche nach einer morschen Leiter. Es gibt keine Karte, die dem Spieler zeigt, wohin er seinen Avatar zu steuern hätte.
Und so ist man genauso verloren wie das digitale Abbild, ist eher Getriebener als Handelnder. Auch hier ordnen sich das Spiel und seine Regeln also der Geschichte unter: Angesichts des Untergangs der Menschheit kommt die Perspektive schon mal abhanden. Und dann wären da noch die Ressourcen. Sie sind, wie es sich für eine Apokalypse gehört, rar gesät. Es bleibt immer nur eine Handvoll Munition, für die Konfrontationen, die irgendwann unausweichlich werden, also bastelt man sich aus einem Heizungsrohr, einer Schere und ein bisschen Klebeband eine behelfsmäßige Axt.
'The Last Of Us' hat nicht nur Lob kassiert. Die Entwickler stecken in einem Dilemma zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und den Sachzwängen, die sich ergeben, wenn die Produktionskosten gerne über 100 Millionen Dollar betragen und die Entwicklung mehrere Jahre dauert. Anders ausgedrückt: Kann man es in solchen Dimensionen wagen, die immer noch recht adoleszente Zielgruppe vor den Kopf zu stoßen? Das Videospiel-Publikum ist es nicht gewohnt, künstlich limitiert zu werden. Im Gegenteil.
Schließlich bedient das Videospiel bislang auch und vor allem die Allmachtsfantasien, die Eskapismusgelüste und heroischen Sehnsüchte der Spieler. Oft genug ist der Avatar noch immer ein schwerbewaffneter Supersoldat, der nicht weniger als die ganze Welt zu retten hat. Joel dagegen ist der alltägliche Jedermann, der, um Ellie zu beschützen, einen Angreifer auch schon mal mit bloßen Händen aus dem Weg räumt oder mit einem Ziegelstein so lange auf ihn eindrischt, bis er außer Atem gerät. Mit dem klassischen Videospiel-Heldentum hat das fast nichts mehr zu tun. Wer fühlt sich schon heroisch, wenn er einen Ziegelstein in der Hand hält?