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Hauptsache Heimat

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Interview: Der Ethnologe Thomas Hauschild über die Gründe für die Krimiflut im deutschen Fernsehen

Ob Polizeiruf, Tatort, Criminal Minds, Mord mit Aussicht, CSI Miami, Law & Order oder Soko Wismar - Krimis dominieren in Deutschland das Abendprogramm, egal wo die Fälle spielen, in Miami oder in der Eifel. Für den Ethnologen Thomas Hauschild ist diese Krimiflut im Fernsehen eine Reaktion der Gesellschaft auf eine unübersichtliche Welt. Mehr noch, es zeige sich darin eine Abwehrhaltung der Menschen gegen eine globalisierte Postmoderne. Die SZ hat mit dem Wissenschaftler von der Universität Halle gesprochen.



Egal ob in Münster oder Miami gemordert wird. Die Deutschen stehen auf Krimis.

SZ: Herr Hauschild, wenn die vielen Fernsehkrimis eine Reaktion der Menschen auf die Globalisierung sind, warum boomen dann nicht Heimatfilme oder Kochsendungen zur regionalen Küche oder Lokalsport? Warum Krimis?

Thomas Hauschild: Kochsendungen und Heimatschnulzen boomen ja auch. Aber ein Krimi hat den Vorteil, dass man als Zuschauer einer Sache auf den Grund gehen kann. Am Ende ist alles geklärt, alle Fragen sind beantwortet, man weiß, was passiert ist und wer was getan hat. Man hat einen befriedigenden Überblick. Das ist der Gegenentwurf zur unübersichtlichen, sich ständig ändernden, beliebigen Facebook- und Twitter-Gesellschaft, wo dauernd Informationen und Nachrichten aus den entlegensten Teilen der Welt auf uns einströmen, die man nicht einordnen kann und die einen verunsichern.

Der Heimatfilm bietet auch klare Botschaften und Ergebnisse.

Aber es fehlt ihm natürlich die Spannung, die ein Krimi bietet. Krimis suggerieren uns außerdem einen Fall lang vertiefte Sachkenntnis. Wir können all unser Wissen und Halbwissen mitmobilisieren, um zu klären, was da los ist.

Es gab auch früher schon viele Krimis deutscher Provenienz - Derrick, Der Alte, Der Kommissar und andere. Heute allerdings kommen eher englische und amerikanische im deutschen Fernsehen dazu. Wo bleibt denn da das lokale Moment?

Wo genau das Verbrechen spielt, ist letztlich egal. Hauptsache, es ist lokal, es geht um einen Fall, ein Ambiente, eine Lösung. Geschichten um Gewalthandlungen, die sowohl zum Ereifern einladen als auch aufklären, sind uralt und weit verbreitet und finden in zahllosen regionalen Varianten ihren Niederschlag. Der deutsche Klassiker ist hier der Tatort mit seinem starken Lokalkolorit, aber es gibt auch lokal-parodistische Ansätze wie bei Mord mit Aussicht. Manche wachsen über ihre lokalen Kulturen hinaus, das sieht man an der gestiegenen Popularität der skandinavischen Krimis oder eben der amerikanischen und britischen. Das Lokale der einen wird zum Globalen von allen anderen. So geschehen etwa bei The Wire und The Sopranos. Die spielen auf engstem lokalen Raum, werden aber global geguckt. Es gibt, was die Handlung angeht, keinen globalen Krimi, keinen, der überall spielt.

Und was ist mit James Bond?

Das ist ein Versuch, einen globalen Krimi zu schaffen, einen Krimi, der zu der postmodernen Globalisierungseuphorie perfekt gepasst hat. Trotzdem braucht er Tatorte und ein Zentrum des Bösen. Und dann schauen Sie sich den letzten James Bond an, Skyfall, da findet die Entscheidungsschlacht in Bonds Elternhaus statt, in Schottland. Bezeichnend, dass die jüngste Folge diese große Kurve zurück genommen hat - Bond ist "vom Himmel gefallen", und nun geht die Sache am Boden weiter, auf engem Raum.

Funktioniert das Prinzip nur mit Serien? Braucht es die immer selben Orte und Ermittler, um diese Art von Identität und Verlässlichkeit zu erzeugen?

Die Serie verstärkt auf jeden Fall das lokale und reservierte Moment. Sich zurückziehen auf einen Ort, wo man sich auskennt, wo man weiß, was Sache ist.

Schauen die Deutschen nicht einfach deshalb so viele Krimis, weil eben immer mehr gezeigt werden? Liegt es also eher am Angebot als an der Nachfrage?

Das glaube ich nicht. Die Leute, die solche Serien entwickeln oder einkaufen, beobachten die Nachfrage scharf. Das Angebot wird ständig entlang der Nachfrage verändert. Vor allem, wenn kulturelle Produkte teuer sind, passt man sie an die Bedürfnisse der Konsumenten an.



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