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Jenseits des Bauchnabels

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Die eigenwillige Schweizer Singer-Songwriterin Sophie Hunger begeistert bei ihrem Hamburger Konzert

Vier eigenwillige, doch kaum eigenbrötlerische Platten, zunehmend enthusiastisch rezensiert und rezipiert. Dazu amüsante, sperrige TV-Auftritte, die die gefällige Quatschbuden-Routine klarköpfig aufbrachen. Nicht zuletzt ein Konzertpublikum, das auch jenseits ihrer Heimat immer noch wächst, was ihr letztens sogar mal eben eine sechstägige Club-Minitour durch Berlin ermöglichte: Sophie Hunger, zurzeit der spannendste Singer-Songwriter-Export der Schweiz und zudem als wohl einzige ihrer Zunft gleich viersprachig unterwegs, ist an einem interessanten Punkt in ihrer Karriere angekommen.



Sophie Hunger gilt zurzeit als der spannendeste Singer-Songwriter-Export der Schweiz.

Es ist auch dieser Punkt, an dem sich Erwartungen zu schieben drohen zwischen sie und ihre Songs, zwischen ihre Songs und ein Publikum, das aber, bitteschön, jetzt etwas ganz Bestimmtes auf der Bühne sehen und hören möchte. Im schlimmsten Fall entsteht daraus eine Nummer, die einfach immer wieder abgezogen wird, Joe-Cocker-mäßig; im besten Fall eine Konzertpraxis wie bei Bruce Springsteen, der selbst Stadionshows am Fließband noch unerwartete Pointen entlocken kann. Beide Optionen stehen ihr noch offen, der 30-jährigen Diplomatentochter aus Bern, als sie am Montagabend die Hamburger Kampnagel-Bühne betritt, im schlichten dunklen Kleid. Sich grußlos ans Klavier setzt, in rotes Licht getaucht, und mit "Rererevolution" gleich ein bisschen straßenkämpferisches Unbehagen in die Halle hineinstrahlt.

Später wird noch mehr, auch wuchtiger formuliertes Leiden an der eigenen Generation folgen, die in "1983" weder Dichter noch Lieder hat. Hungers grundsympathische Weigerung, nur um des Dazugehörens willen irgendwo dazuzugehören und der Interpretation ihrer Songs damit bequem auf die Sprünge zu helfen (man merkt, sie ist Dylan-Jüngerin), kontrastiert aber gerade auf der Bühne mit ihrer Fähigkeit, jenseits überkommener Live-Rituale Momente von großer Innigkeit und Verbundenheit herzustellen.

Wenn sie die Band im Halbkreis um sich versammelt, um auf Schwyzerdütsch "Z"Lied vor Freiheitsstatue" anzustimmen. Wenn sie ihre Lieder aus dem Wartesaal der Liebe berichten lässt, wo als ultimative romantische Geste ein "Walzer für Niemand" getanzt wird. Wo auch der gute, alte Zweifel wohnt. "How much do we share, how much do I really care?", fragt Hunger sich und uns in "Can You See Me?". Sie mag in verständlicher Abgrenzung zum Bauchnabel-Songschreibertum darauf beharren, dass ihre Songs weit über dem bloß Autobiografischen stehen, dass das Universelle kaum im Persönlichen zu finden sei. Und lässt es doch immer wieder anrührend aufblitzen, auch wenn sie das Schlagwort-Staccato "Das Neue" mit einem zarten Finale bricht.

"Ihr seid schön!", hatte sie dem bunten Kampnagel-Publikum nach dem dritten Lied zur Begrüßung bescheinigt. Um dann erst wieder zu reden, als sie ihre Band ausführlich vorstellt: Pianist Alexis Anérilles, der später zum Flügelhorn greift, dazu ein melodisch interessierter Drummer, ein Bassist, der auch mal Klarinette oder ein Rock-Gitarrensolo kann, eine Cellistin, ein Posaunist. Erst die großartige Band macht all die Stilhaken des Abends möglich, und auch, dass Hunger, deren ganze Unruhe allein in ihrer rechten Hand zu wohnen scheint, immer wieder ein- und abtauchen kann in den mal dichten, mal weit aufgefächerten Ensembleklang. Nur um sich dann strahlend wieder daraus zu erheben, mit dieser Stimme, die sich eher über ihr klares Timbre als über gewagte Technik definiert.

Mit den Ovationen in der zweiten Zugabe scheint Sophie Hunger erst nichts anzufangen zu wissen. Um dann damit zu kokettieren, wie toll es sein werde, daheim in der kleinen Stadt Bern mit der Publikumsgunst in der großen City angeben zu können. Um schließlich von den roten Hamburger Leihfahrrädern zu erzählen, die leider ihren Code gewechselt hatten und sich deshalb quasi selbst zurückgeben mussten. Komische Geschichten, vielleicht erwartet man die irgendwann von ihr?

Dann wendet sie sich noch einmal ihrem Klavier zu, die Band begleitet "Train People" mit Gesang von der Empore. "Time is passing", singt Hunger die letzte Zeile, schaut dann hinaus ins Publikum, hinein in eine kurze, irritierende Stille, kurz scheint die Zeit zu gefrieren. Was ein wundervolles Ende gewesen wäre für das Konzert einer Künstlerin, die immer wieder die Frage umtreibt, was bleiben kann, darf, soll, muss, wenn sich alles verändert. Wenn Freiheit sich plötzlich wie das neue Gefängnis anfühlt.

Aber das Kampnagel-Publikum gibt sich damit nicht zufrieden und lässt gern noch ein bisschen Donnerwetter über sich ergehen. Erwartungen? Sophie Hunger sollte sie ruhig noch ein bisschen warten lassen.

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