An diesem Mittwoch wird in Kassel das Urteil über Jonathan Meese erwartet. Kann man über Kunstfreiheit diskutieren, während der NSU-Prozess läuft?
In den Lokalnachrichten der Münchner Abendzeitung vom 10. August 2012 findet sich als dritte Meldung nach "Ausraster hinterm Steuer" und "Dämlicher Handy-Dieb" unter dem Titel "Rabiater Neonazi" folgende Nachricht aus Sendling: "Mit nacktem Oberkörper hat ein Neonazi in der Pfeuferstraße am frühen Sonntagmorgen ein Paar belästigt. Er zeigte den Hitlergruß und rief ,Heil Hitler". Als das Paar ihn trotzdem ignorierte, kam er auf den Studenten (28) zu, schlug ihn nieder. Dann flüchtete der Täter."
Weil er Anfang Juni 2012 während einer Interviewveranstaltung am Rand der Documenta den Hitlergruß ausführte und zudem die Demokratie beschimpfte, steht der Künstler Jonathan Meese derzeit vor Gericht. Für diesen Mittwoch ist die Fortsetzung der Verhandlung im Amtsgericht Kassel anberaumt. Wieder werden sich Meese und seine Anwälte auf die im Grundgesetz garantierte Kunstfreiheit berufen, wieder wird Meese sagen: "Man muss strikt trennen zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen Jonathan Meese."
Was darf Kunst? Jonathan Meese bei einer Performance im Mannheimer Nationaltheater.
Und auf eine etwaige Nachfrage der Richterin, ob denn eine Diskussion im Vorfeld der Documenta dasselbe sei wie eine Theaterbühne, werden die Anwälte argumentieren, dass bei einem Künstler wie Jonathan Meese das Interview zum Werk gehöre und eigentlich gar kein Interview sei, sondern eine Performance, ob innerhalb einer Ausstellung oder im Saal einer Kunstakademie. Und die Kunstfigur Jonathan Meese könne man schon an ihrer Sonnenbrille und dem schwarzen Outfit erkennen. Und vielleicht wird Meese wieder sagen, was er dem Gericht schon im Juli gesagt hat: "Ich würde doch nicht in einem Restaurant einen Hitlergruß zeigen, ich bin doch nicht bescheuert."
Kurz, es wird alles darauf herauslaufen, dass der Künstler Meese mit dem anonymen Neonazi aus der Pfeuferstraße in Sendling nichts zu tun hat und nicht verwechselt werden will. Erstens, weil er ja niemanden tätlich angegriffen hat, und zweitens, weil bei ihm ganz unzulässig ist, was die Redaktion der Abendzeitung ganz selbstverständlich praktizierte: von der Geste auf die Gesinnung zu schließen. Nur so konnte sie den flüchtigen Anonymus im Titel der Meldung "Neonazi" nennen.
Wie erreicht nun aber der Künstler Jonathan Meese die Abkoppelung der Geste von der Gesinnung? Nach altem Brauch der modernen Kunst durch die Souveränitätserklärung ihrerseits. So will es ihre Theologie, die sich die mittelalterliche Lehre von den zwei Körpern des Königs in die Lehre der zwei Körper des Künstlers überführt. Dem mickrig-hinfälligen Privatmenschen Meese steht die unbelangbare Kunstfigur Meese gegenüber.
Diese Operation setzt das Lieblingsspiel der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts voraus, die Ausdehnung des Kunstbegriffs, bis ihm alles, was es überhaupt gibt in der Welt, zum "Material" geworden ist. Als Erbschaft des zwanzigsten Jahrhunderts schleppt der öffentliche Kunstdiskurs, wenn es um Figuren wie Meese geht, vor allem diese Frage mit sich herum: Ist das Kunst oder nicht? Es ist die Frage, durch deren positive Beantwortung man bei Gericht durchkommt. Denn das Gericht muss von der Frage nach der Qualität der Kunst vollkommen absehen. Nur so kann es entscheiden. Der Kunstkritik aber tut es nicht gut, wenn sie sich auf die Frage "Kunst oder nicht" fixiert. Hoffen wir, dass das Kasseler Gericht Jonathan Meese freispricht. Denn dann wird er frei für eine Kritik, die ihn nicht schon deshalb mit Samthandschuhen anfasst, weil sie fürchtet, durch ein negatives ästhetisches Urteil ein negatives juristisches Urteil herauszufordern.
Einer solchen Kritik fällt als Erstes auf, dass Meese mogelt, wenn er behauptet, in seiner Performance sei die Geste des Hitlergrußes von Ideologie und Gesinnung abgekoppelt. So mächtig ist die von ihm beschworene "Diktatur der Kunst" denn doch nicht. Sie kann den Mehrwert der "Provokation" nur einstreichen, weil sie - wenn auch gefahrlos - mit einer Geste spielt, die wegen ihres ideologischen Gehaltes unter einer Strafandrohung steht und nicht als Entspannungsübung oder reine "Muskelbewegung", als die sie der Künstler offiziell verstanden wissen will. Es gibt in Deutschland, vielleicht als Relikt der Genieperiode und der Kunstreligion, eine starke Bereitschaft, vor der Selbstdeutung von Künstlern auf die Knie zu gehen. Das ist aber eine sehr unmoderne Haltung.
Der Meese-Sammler und Jurist Harald Falckenberg hat in Interviews mit der Welt am Sonntag und dem Bayerischen Rundfunk so gesprochen, wie der das gerne hört - das Rundfunkinterview hat Meese denn auch auf seine Website gestellt: "Meese ist Außenseiter, er braucht und will keine Fangemeinde. Sein zentrales Anliegen ist die Auseinandersetzung mit den Kontroll- und Machtmechanismen. Er setzt sich zur Wehr und will kein nützliches, den Normen und Funktionen unterworfenes Mitglied der Gesellschaft sein."
Wie bitte? Der Exportschlager der deutschen Gegenwartskunst, der Mann, der demnächst in Bayreuth den "Parsifal" inszeniert und landauf landab in die Theater eingeladen wird, ein Schmerzensmann und Außenseiter, der keine Fangemeinde braucht? Man muss nur ein paar Minuten der Aufzeichnung des Documenta-Interviews anschauen, um zu ahnen: Dieser Mann ist eine Rampensau, der vor Publikum aufblüht und es genießt, ihm einen lässig ausgeführten Hitlergruß als Pointe vorzusetzen.
Wenn man die Privatperson Meese fragt, warum der Performer das macht, hat er eine politisch vollkommen korrekte Antwort: "Der Hitlergruß ist ein Symbol, das neutralisiert werden muss, man entdämonisiert ein Zeichen für die Zukunft." Nun hat die Entdämonisierung der Figur Hitler und des Hitlergrußes nicht erst mit Meese begonnen. Wie sehr sich die Geste "ich zitiere den Hitlergruß" in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Performance, mit der Anselm Kiefer 1969 Skandal machte, als er in seiner Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Karlsruhe in verschiedenen Ländern Europas den Hitlergruß ausführte und in Fotos dokumentierte. Kiefer, Jahrgang 1945, integrierte Teile der Uniform seines Vaters, der als Wehrmachtsoffizier in den Ländern gewesen war, in denen der Sohn seine Aktion ausführte.
Die ödipale Spannung, die in Kiefers Aktion einging, machte sie zu einem Vorläufer der "Väterbücher", die wie Bernward Vespers "Reise" oder Christoph Meckels "Suchbild" aus der Nachkriegszeit in den Nationalsozialismus zurückblickten. Das waren dunkle, bohrende Exorzismen. In Meeses Selbstkostümierung als Propagandist der "Diktatur der Kunst" im Nazi-Outfit ist von einer solchen Spannung nichts zu spüren, und wenn er sich die "Entdämonisierung" Hitlers auf die Fahnen schreibt, ist er aktuell mitten im Mainstream.
Da gibt es wunderbare Anknüpfungen an Chaplins Hitler-Satire wie die Abschlussarbeit des Filmstudenten Florian Wittmann von der Bremer Hochschule für Künste, der in mühevoller Kleinarbeit
einer Hitler-Rede auf dem Reichsparteitag den Text von Gerhard Polts "Leasingvertrag" lippensynchron unterlegte. Es gibt den Comedy-Hitler von Walter Moers und die schlichte literarische Sitcom in Gestalt des Romans "Er ist wieder da" von Timur Vermes, der seit fast einem Jahr auf den Bestsellerlisten steht.
Wenn man Meeses Website und seine Performances mit dieser satirischen Tradition vergleicht, fällt sogleich auf, dass dieser verbal wie gestisch eher grobmotorische Künstler mit Humor und Sprachwitz wenig am Hut hat, auch wenn sein frommer Sammler Falckenberg ihn allen Ernstes in eine Reihe mit Chaplin und Werner Finck stellt, der mit seinem Sketch "Aufgehobene Rechte" im Nationalsozialismus ein beträchtliches Risiko einging.
Die Trash-Show, die Meese unter dem Titel "Diktatur der Kunst" abzieht, ungefährlich. Kein Gericht muss dagegen einschreiten. Aber warum ist sie so harmlos - und so peinlich? Aus zwei Gründen. Der erste Grund erklärt die Peinlichkeit. Er liegt darin, dass Meese in der Rhetorik wie in der Gestik seiner "Diktatur der Kunst" vollkommen brav, affirmativ und pathetisch das verblichenste, zukunftsloseste und im 20. Jahrhundert am gründlichsten ruinierte Element der klassischen Avantgarde zitiert: das Umsichwerfen mit Manifesten, in denen die Kunst die Macht ergreift.
Darum hat bei Meese nicht der durch den satirischen Reißwolf gedrehte Hitler seinen Auftritt. Vielmehr holt er stampfend, pathetisch, dröhnend den kitschigen Hitler aufs Parkett: den Künstler, der vom Volk verführt wurde, von der Bühne in die Politik hinabzusteigen, das schauspielerische Genie, das es leider versäumte, 1936 abzutreten. An diesen kitschigen Hitler ist Meeses Hitlergruß angeklebt, und das führt zum zweiten Grund der Harmlosigkeit dieses Künstlers. Der darin besteht, dass Meeses Kunst zwar aktuell ist, aber nicht gegenwärtig. Sie ist das Beispiel einer Kunst, die vollkommen im Retrodesign aufgeht. Sein Hitlergruß ist ein Readymade, von dem er glaubt, er könne die damit herbeizitierten Bedeutungen und Zeichenketten souverän kontrollieren. Dieses Readymade ist aber kein Brillobox und kein Urinal, es ist kein Objekt, sondern ein performativer Akt, und dieser Akt hat eine Geschichte und eine Gegenwart.
In eben jenem Frühjahr 2012, in dem Meese auch bei der Documenta den Hitlergruß aufführte, wurde in Deutschland offenbar, was es mit der 2011 aufgeflogenen NSU-Zelle auf sich hatte. Schon klar: Meese hat mit Zschäpe nichts zu tun, Meese ist ungefährlich. Aber eben auch unfähig zu registrieren, dass sein Readymade nicht nur in der Kunstwelt eine Rolle spielt und nicht nur in der bösen deutschen Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart.
Niemand kann die Kontexte, in denen er agiert, abwählen. Auch nicht jemand, der eine Diktatur der Kunst ausruft. Meese kann nicht verhindern, dass seinen im Feuilleton abgebildeten Hitlergruß-Posen im Politikteil die Zwischenbilanz im NSU-Prozess gegenübersteht. Ich habe damit nichts zu tun, wird er sagen. Eben das ist das Problem. Es sagt etwas über die Meese-Kunst aus, dass der Meese-Prozess und der um ihn herum geführte Kunstdiskurs in vollkommener Beziehungslosigkeit zum Zschäpe-Prozess stattfindet, beide aber Teil der deutschen Gegenwart im Jahre 2013 sind: die NSU-Angeklagte Beate Zschäpe, die durch ihren Verzicht auf symbolische Gesten und durch die Maske der Teilnahmslosigkeit auffällt, und Meese, der gestenreich seine Diktatur der Kunst ins NS-Retrodesign kleidet.
Meese freisprechen? Unbedingt! Nicht zuletzt in Reaktion auf den Umgang der Nationalsozialisten mit der modernen Kunst garantiert das Grundgesetz die Kunstfreiheit so großzügig. Sie schützt aber natürlich auch die ewiggestrige Kunst.
In den Lokalnachrichten der Münchner Abendzeitung vom 10. August 2012 findet sich als dritte Meldung nach "Ausraster hinterm Steuer" und "Dämlicher Handy-Dieb" unter dem Titel "Rabiater Neonazi" folgende Nachricht aus Sendling: "Mit nacktem Oberkörper hat ein Neonazi in der Pfeuferstraße am frühen Sonntagmorgen ein Paar belästigt. Er zeigte den Hitlergruß und rief ,Heil Hitler". Als das Paar ihn trotzdem ignorierte, kam er auf den Studenten (28) zu, schlug ihn nieder. Dann flüchtete der Täter."
Weil er Anfang Juni 2012 während einer Interviewveranstaltung am Rand der Documenta den Hitlergruß ausführte und zudem die Demokratie beschimpfte, steht der Künstler Jonathan Meese derzeit vor Gericht. Für diesen Mittwoch ist die Fortsetzung der Verhandlung im Amtsgericht Kassel anberaumt. Wieder werden sich Meese und seine Anwälte auf die im Grundgesetz garantierte Kunstfreiheit berufen, wieder wird Meese sagen: "Man muss strikt trennen zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen Jonathan Meese."
Was darf Kunst? Jonathan Meese bei einer Performance im Mannheimer Nationaltheater.
Und auf eine etwaige Nachfrage der Richterin, ob denn eine Diskussion im Vorfeld der Documenta dasselbe sei wie eine Theaterbühne, werden die Anwälte argumentieren, dass bei einem Künstler wie Jonathan Meese das Interview zum Werk gehöre und eigentlich gar kein Interview sei, sondern eine Performance, ob innerhalb einer Ausstellung oder im Saal einer Kunstakademie. Und die Kunstfigur Jonathan Meese könne man schon an ihrer Sonnenbrille und dem schwarzen Outfit erkennen. Und vielleicht wird Meese wieder sagen, was er dem Gericht schon im Juli gesagt hat: "Ich würde doch nicht in einem Restaurant einen Hitlergruß zeigen, ich bin doch nicht bescheuert."
Kurz, es wird alles darauf herauslaufen, dass der Künstler Meese mit dem anonymen Neonazi aus der Pfeuferstraße in Sendling nichts zu tun hat und nicht verwechselt werden will. Erstens, weil er ja niemanden tätlich angegriffen hat, und zweitens, weil bei ihm ganz unzulässig ist, was die Redaktion der Abendzeitung ganz selbstverständlich praktizierte: von der Geste auf die Gesinnung zu schließen. Nur so konnte sie den flüchtigen Anonymus im Titel der Meldung "Neonazi" nennen.
Wie erreicht nun aber der Künstler Jonathan Meese die Abkoppelung der Geste von der Gesinnung? Nach altem Brauch der modernen Kunst durch die Souveränitätserklärung ihrerseits. So will es ihre Theologie, die sich die mittelalterliche Lehre von den zwei Körpern des Königs in die Lehre der zwei Körper des Künstlers überführt. Dem mickrig-hinfälligen Privatmenschen Meese steht die unbelangbare Kunstfigur Meese gegenüber.
Diese Operation setzt das Lieblingsspiel der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts voraus, die Ausdehnung des Kunstbegriffs, bis ihm alles, was es überhaupt gibt in der Welt, zum "Material" geworden ist. Als Erbschaft des zwanzigsten Jahrhunderts schleppt der öffentliche Kunstdiskurs, wenn es um Figuren wie Meese geht, vor allem diese Frage mit sich herum: Ist das Kunst oder nicht? Es ist die Frage, durch deren positive Beantwortung man bei Gericht durchkommt. Denn das Gericht muss von der Frage nach der Qualität der Kunst vollkommen absehen. Nur so kann es entscheiden. Der Kunstkritik aber tut es nicht gut, wenn sie sich auf die Frage "Kunst oder nicht" fixiert. Hoffen wir, dass das Kasseler Gericht Jonathan Meese freispricht. Denn dann wird er frei für eine Kritik, die ihn nicht schon deshalb mit Samthandschuhen anfasst, weil sie fürchtet, durch ein negatives ästhetisches Urteil ein negatives juristisches Urteil herauszufordern.
Einer solchen Kritik fällt als Erstes auf, dass Meese mogelt, wenn er behauptet, in seiner Performance sei die Geste des Hitlergrußes von Ideologie und Gesinnung abgekoppelt. So mächtig ist die von ihm beschworene "Diktatur der Kunst" denn doch nicht. Sie kann den Mehrwert der "Provokation" nur einstreichen, weil sie - wenn auch gefahrlos - mit einer Geste spielt, die wegen ihres ideologischen Gehaltes unter einer Strafandrohung steht und nicht als Entspannungsübung oder reine "Muskelbewegung", als die sie der Künstler offiziell verstanden wissen will. Es gibt in Deutschland, vielleicht als Relikt der Genieperiode und der Kunstreligion, eine starke Bereitschaft, vor der Selbstdeutung von Künstlern auf die Knie zu gehen. Das ist aber eine sehr unmoderne Haltung.
Der Meese-Sammler und Jurist Harald Falckenberg hat in Interviews mit der Welt am Sonntag und dem Bayerischen Rundfunk so gesprochen, wie der das gerne hört - das Rundfunkinterview hat Meese denn auch auf seine Website gestellt: "Meese ist Außenseiter, er braucht und will keine Fangemeinde. Sein zentrales Anliegen ist die Auseinandersetzung mit den Kontroll- und Machtmechanismen. Er setzt sich zur Wehr und will kein nützliches, den Normen und Funktionen unterworfenes Mitglied der Gesellschaft sein."
Wie bitte? Der Exportschlager der deutschen Gegenwartskunst, der Mann, der demnächst in Bayreuth den "Parsifal" inszeniert und landauf landab in die Theater eingeladen wird, ein Schmerzensmann und Außenseiter, der keine Fangemeinde braucht? Man muss nur ein paar Minuten der Aufzeichnung des Documenta-Interviews anschauen, um zu ahnen: Dieser Mann ist eine Rampensau, der vor Publikum aufblüht und es genießt, ihm einen lässig ausgeführten Hitlergruß als Pointe vorzusetzen.
Wenn man die Privatperson Meese fragt, warum der Performer das macht, hat er eine politisch vollkommen korrekte Antwort: "Der Hitlergruß ist ein Symbol, das neutralisiert werden muss, man entdämonisiert ein Zeichen für die Zukunft." Nun hat die Entdämonisierung der Figur Hitler und des Hitlergrußes nicht erst mit Meese begonnen. Wie sehr sich die Geste "ich zitiere den Hitlergruß" in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Performance, mit der Anselm Kiefer 1969 Skandal machte, als er in seiner Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Karlsruhe in verschiedenen Ländern Europas den Hitlergruß ausführte und in Fotos dokumentierte. Kiefer, Jahrgang 1945, integrierte Teile der Uniform seines Vaters, der als Wehrmachtsoffizier in den Ländern gewesen war, in denen der Sohn seine Aktion ausführte.
Die ödipale Spannung, die in Kiefers Aktion einging, machte sie zu einem Vorläufer der "Väterbücher", die wie Bernward Vespers "Reise" oder Christoph Meckels "Suchbild" aus der Nachkriegszeit in den Nationalsozialismus zurückblickten. Das waren dunkle, bohrende Exorzismen. In Meeses Selbstkostümierung als Propagandist der "Diktatur der Kunst" im Nazi-Outfit ist von einer solchen Spannung nichts zu spüren, und wenn er sich die "Entdämonisierung" Hitlers auf die Fahnen schreibt, ist er aktuell mitten im Mainstream.
Da gibt es wunderbare Anknüpfungen an Chaplins Hitler-Satire wie die Abschlussarbeit des Filmstudenten Florian Wittmann von der Bremer Hochschule für Künste, der in mühevoller Kleinarbeit
einer Hitler-Rede auf dem Reichsparteitag den Text von Gerhard Polts "Leasingvertrag" lippensynchron unterlegte. Es gibt den Comedy-Hitler von Walter Moers und die schlichte literarische Sitcom in Gestalt des Romans "Er ist wieder da" von Timur Vermes, der seit fast einem Jahr auf den Bestsellerlisten steht.
Wenn man Meeses Website und seine Performances mit dieser satirischen Tradition vergleicht, fällt sogleich auf, dass dieser verbal wie gestisch eher grobmotorische Künstler mit Humor und Sprachwitz wenig am Hut hat, auch wenn sein frommer Sammler Falckenberg ihn allen Ernstes in eine Reihe mit Chaplin und Werner Finck stellt, der mit seinem Sketch "Aufgehobene Rechte" im Nationalsozialismus ein beträchtliches Risiko einging.
Die Trash-Show, die Meese unter dem Titel "Diktatur der Kunst" abzieht, ungefährlich. Kein Gericht muss dagegen einschreiten. Aber warum ist sie so harmlos - und so peinlich? Aus zwei Gründen. Der erste Grund erklärt die Peinlichkeit. Er liegt darin, dass Meese in der Rhetorik wie in der Gestik seiner "Diktatur der Kunst" vollkommen brav, affirmativ und pathetisch das verblichenste, zukunftsloseste und im 20. Jahrhundert am gründlichsten ruinierte Element der klassischen Avantgarde zitiert: das Umsichwerfen mit Manifesten, in denen die Kunst die Macht ergreift.
Darum hat bei Meese nicht der durch den satirischen Reißwolf gedrehte Hitler seinen Auftritt. Vielmehr holt er stampfend, pathetisch, dröhnend den kitschigen Hitler aufs Parkett: den Künstler, der vom Volk verführt wurde, von der Bühne in die Politik hinabzusteigen, das schauspielerische Genie, das es leider versäumte, 1936 abzutreten. An diesen kitschigen Hitler ist Meeses Hitlergruß angeklebt, und das führt zum zweiten Grund der Harmlosigkeit dieses Künstlers. Der darin besteht, dass Meeses Kunst zwar aktuell ist, aber nicht gegenwärtig. Sie ist das Beispiel einer Kunst, die vollkommen im Retrodesign aufgeht. Sein Hitlergruß ist ein Readymade, von dem er glaubt, er könne die damit herbeizitierten Bedeutungen und Zeichenketten souverän kontrollieren. Dieses Readymade ist aber kein Brillobox und kein Urinal, es ist kein Objekt, sondern ein performativer Akt, und dieser Akt hat eine Geschichte und eine Gegenwart.
In eben jenem Frühjahr 2012, in dem Meese auch bei der Documenta den Hitlergruß aufführte, wurde in Deutschland offenbar, was es mit der 2011 aufgeflogenen NSU-Zelle auf sich hatte. Schon klar: Meese hat mit Zschäpe nichts zu tun, Meese ist ungefährlich. Aber eben auch unfähig zu registrieren, dass sein Readymade nicht nur in der Kunstwelt eine Rolle spielt und nicht nur in der bösen deutschen Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart.
Niemand kann die Kontexte, in denen er agiert, abwählen. Auch nicht jemand, der eine Diktatur der Kunst ausruft. Meese kann nicht verhindern, dass seinen im Feuilleton abgebildeten Hitlergruß-Posen im Politikteil die Zwischenbilanz im NSU-Prozess gegenübersteht. Ich habe damit nichts zu tun, wird er sagen. Eben das ist das Problem. Es sagt etwas über die Meese-Kunst aus, dass der Meese-Prozess und der um ihn herum geführte Kunstdiskurs in vollkommener Beziehungslosigkeit zum Zschäpe-Prozess stattfindet, beide aber Teil der deutschen Gegenwart im Jahre 2013 sind: die NSU-Angeklagte Beate Zschäpe, die durch ihren Verzicht auf symbolische Gesten und durch die Maske der Teilnahmslosigkeit auffällt, und Meese, der gestenreich seine Diktatur der Kunst ins NS-Retrodesign kleidet.
Meese freisprechen? Unbedingt! Nicht zuletzt in Reaktion auf den Umgang der Nationalsozialisten mit der modernen Kunst garantiert das Grundgesetz die Kunstfreiheit so großzügig. Sie schützt aber natürlich auch die ewiggestrige Kunst.