Seit ein paar Tagen ist Jeff Bezos einer der wichtigsten Verleger Amerikas. Der Amazon-Gründer und Milliardär mischt sich gerne ein. Er gilt als große Hoffnung der Zeitungsbranche. Aber ist er das zu Recht?
Es ist eines seiner absurdesten Investments, aber vielleicht das vielsagendste. In einem Berg im staubtrockenen Nirgendwo von West-Texas baut Jeff Bezos eine Uhr. Sie sieht aus wie eine riesige Großvater-Uhr, meterhohe Zahnräder greifen ineinander, irgendwie aus der Zeit gefallen. Dabei ist sie genau das nicht. Die Uhr soll 10000 Jahre lang die Zeit messen, das erfordert ganz viel moderne Technik. Die Uhr soll den Menschen daran erinnern, wie klein er ist und wie kurz ein Leben in den Zeitläuften. Sie ist die Manifestation der Langfristigkeit.
Jeff Bezos, Gründer von Amazon und neuerdings Besitzer der Washington Post
Jeff Bezos lebt in einer schnellen Welt, der Welt des World Wide Web, von Unternehmensgründungen und Unternehmenskäufen, Quartalszahlen, Millionendeals und durcharbeiteten Nächten. Dass es in ihm auch diese Sehnsucht nach Langfristigkeit gibt, macht seit einer Woche einer ganzen Branche Hoffnung: der Zeitungsbranche. Denn Bezos, der Multimilliardär, Technikfreak, Gründer und Chef von Amazon, hat die Washington Post gekauft.
250 Millionen Dollar hat er dafür bezahlt, das ist weniger als ein Prozent seines Vermögens. Die Washington Post ist die erste Zeitung, die Washingtons Entscheider morgens aufschlagen, ihre Journalisten haben einst die Watergate-Affäre aufgedeckt. Nichts beschäftigt Journalisten derzeit mehr als eine Frage: Wer ist dieser Jeff Bezos? Und was will er mit einer Zeitung?
In seinem Leben deutete wenig darauf hin, dass er einmal zu einem der wichtigsten Verleger Amerikas werden würde. Seine Mutter ist 17 Jahre alt, als er 1964 auf die Welt kommt in Albuquerque am Rio Grande. Seinen leiblichen Vater lernt er nie kennen. Als Bezos vier ist, heiratet seine Mutter einen Einwanderer aus Kuba, der ihren Sohn adoptiert. Bezos erzählt gern von seiner Kindheit, er ist ein bisschen stolz, dass sich ein Charakterzug schon so früh zeigt, der ihn zum erfolgreichen Geschäftsmann machte - und vielleicht auch zu einem guten Verleger: seine Neugier.
Als Dreijähriger soll er mit einem Schraubenzieher sein eigenes Bettchen auseinandergebaut haben. Als Achtjähriger war sein Hobby, das gesamte Haus mit Mini-Sprengsätzen zu präparieren. 'Meine Eltern hatten Angst, dass ihnen plötzlich 30 Pfund Nägel auf den Kopf fallen, wenn sie eine Tür öffnen', sagt er. Mit 14 will er Astronaut werden, die Garage ist voll mit seinen Erfindungen, da liegt zum Beispiel ein Schirm, der sich in einen Solarkocher verwandeln soll. In der Schule ist er besser als alle anderen, an der Eliteuni in Princeton auch. Er studiert Physik, später Elektrotechnik und Informatik. Es ist faszinierend, sagt er, dass Computer immer exakt das machen, was man ihnen sagt.
Man muss ein Produkt nicht lieben, um es zu revolutionieren. Kurz nach der Uni, Anfang der 90er-Jahre, programmiert Bezos die Computer an der Wall Street, und die Computer machen die Investments. Er arbeitet für einen Hedgefonds und verdient viel Geld. Doch da ist etwas, das spannender ist: das Internet. Die Nutzerzahlen im Web wachsen damals um 2300 Prozent pro Jahr, erzählt Bezos. 'Da habe ich mich gefragt, welcher Businessplan vor dem Hintergrund von diesem Wachstum Sinn macht.' Er geht systematisch vor, nicht nach Vorliebe. Er ist Geschäftsmann, nicht Nostalgiker. Er sammelt Ideen, am Ende hat er eine Liste mit 20 verschiedenen Produkten, die sich im Internet gut verkaufen lassen würden. Ganz oben: Bücher. Millionen Bücher kann kein Mensch so gut sortieren wie ein Computer, denkt er. Und im Internet ist mehr Platz als in jedem Buchladen. So wird Bezos Buchhändler.
Bezos liest Bücher. Aber wenn man ihn nach Literatur fragt, kommt kein Hemingway, kein Joyce, Steinbeck oder Orwell. Zu Qualitätsliteratur, sagt er, zwinge ihn ab und zu seine Frau, selbst mittelerfolgreiche Romanautorin. Ansonsten liest er Wirtschaftssachbücher und viel, viel Science-Fiction. Fragen nach Büchern beantwortet er aus der Sicht des Geschäftsmanns: 'Das gedruckte Buch hat schon seit 500 Jahren einen Lauf', sagt er einmal in einem Interview. 'Es ist die wahrscheinlich erfolgreichste Technologie der Geschichte. Aber keine Technologie, selbst wenn sie so elegant ist wie das Buch, wird es ewig geben.'
Seine Eltern geben ihm 1994 fast ihre gesamten Altersersparnisse, 300000 Dollar, als Startkapital. Am Anfang hat er die Bücher nachts selbst in Kisten gepackt mit zehn Mitarbeitern in seiner Garage in
Seattle. 'Wenn ich eine Entscheidung treffen muss, überlege ich mir immer, wie ich darüber denken werde, wenn ich 80 bin', sagt er. Das helfe ihm, den kurzfristigen Kleinkram zu vergessen, das große Bild zu sehen. Mit einem Scheitern von Amazon hätte er leben können, das gehöre nun mal dazu, wenn man etwas Neues wagt. 'Ich wusste, das Einzige, was ich je bereuen würde, wäre, es nicht versucht zu haben.'
Da sind sie, die Bezos-Eigenschaften: Neugier, langfristiges Denken, Experimentierfreude. Das endlose und dynamische Probierfeld des Internets fasziniert ihn. 'Wir sind immer noch am ersten Tag im Leben des Internets', glaubt er auch heute. Die Gebäude am Amazon-Stammsitz in
Seattle heißen darum auch 'Day One North' und 'Day One South'.
Wenn der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter von kreativer Zerstörung schrieb, meinte er Unternehmen wie Amazon mit Unternehmern wie Bezos. Zerstörung ist nötig für den Fortschritt, Innovation ist der Wachstumsmotor. Das Auto verdrängt die Pferdekutsche, die CD die Kassette, und das Internet zerstört die traditionellen Geschäftsmodelle ganzer Branchen. Jetzt hofft die Zeitungswelt, dass Bezos, der Internetmogul, seine Finanzkraft und seinen Unternehmergeist nutzt, um ein neues Geschäftsmodell für den Journalismus zu erfinden - aus der Zerstörung soll kreative Zerstörung werden.
Erst hat Amazon den Buchhandel verändert. Es folgten CDs, Möbel, Kleidung, Videos, Cloud Computing. Bezos hat das E-Book und den Leseapparat Kindle erfunden; wie man gedruckte Medien in der digitalen Welt verkauft, weiß er schon. Inzwischen gibt es kaum etwas, das es bei Amazon nicht gibt. 61 Milliarden Dollar setzte er 2012 um - mehr als alle amerikanischen Zeitungen zusammen. Bei der Washington Post will er sich aber nicht stark einmischen. 'Ich habe ja schon einen Job, den ich liebe', sagt er und meint Amazon. So recht glauben will ihm das keiner.
Bezos mischt sich in alles ein, sagen seine Mitarbeiter. 'Neben ihm sehen normale Kontrollfreaks aus wie bekiffte Hippies', schreibt der bekannte Blogger Steve Yegge, der Amazon gut kennt. Bezos liest und beantwortet viele Beschwerde-E-Mails von Kunden selbst. Manche leitet er an seine Manager weiter, mit vielen Fragezeichen versehen, sofortige Aufklärung erbeten. Er bezeichnet sich selbst als stur. Bezos ist klein, schmal und sportlich, die Haare sind nur noch Stoppeln an der Seite, das asymmetrische Gesicht wird von seinen braunen Augen bestimmt, sie sind schnell und wach, das eine größer als das andere. 'In Bewerbungsgesprächen sage ich den Leuten: Es gibt drei Arten zu arbeiten: lang, hart oder schlau. Bei Amazon.com kannst du dir nicht einfach zwei davon aussuchen', schreibt er 1997 in einem Brief an die Aktionäre.
Wer schlecht vorbereitet in ein Gespräch mit ihm komme, dürfe keine Gnade verlangen, schreibt die Washington Post über ihren Neu-Verleger. Inkompetenz ärgert ihn. Wobei sich seine Gnadenlosigkeit nicht in Wutausbrüchen zeigt, sondern in Missachtung. Wenn ihn etwas nervt, zieht er sein Smartphone aus der Hosentasche und fängt an, E-Mails zu tippen, manchmal mitten in einem Vortrag. In Extremfällen steht er auf und geht - wortlos. Wenn Mitarbeiter ihm Ideen präsentieren, sollen sie sechsseitige Aufsätze schreiben, bloß keine Stichpunkte. 'Ganze Sätze sind schwerer zu schreiben', sagt er. 'Es ist schlicht unmöglich, ein sechsseitiges, gut strukturiertes Memo zu schreiben, ohne dabei klar zu denken.' Er liebt es eben doch, das geschriebene Wort.
Bezos ist mehr als der knallharte und geniale Geschäftsmann, er kann sehr charmant sein, seine Energie steckt an. In seinem langfristigen Denken steckt auch ein grundsätzlicher Optimismus. Junge Gründer verehren seine Kreativität. 'Wenn man hundert Start-up-Unternehmer fragen würde, welchen Konzernchef sie am meisten bewundern, würden 95 seinen Namen nennen', sagt der Wagniskapital-Investor Bill Gurley. 'Wenn Jeff mal unglücklich ist, muss man einfach fünf Minuten warten', sagt seine Frau MacKenzie, mit der er vier Kinder hat. Bezos" Lachen ist legendär. Es bricht unvermittelt hervor, mitten im Satz, viel tiefer und lauter als seine Stimme, wenn er spricht. Bei Amazon kann man es über zwei Stockwerke hinweg hören.
Mit Investments hat er mehr Geduld als mit seinen Mitarbeitern. Wenn er an die Zukunft einer Idee glaubt, macht es ihm nichts, wenn sie nicht sofort Profit bringt. 'Wir machen kühne Investitionen, keine schüchternen, wenn wir eine hinreichende Wahrscheinlichkeit sehen, dass sie uns Vorteile bei der Marktführerschaft bringen', schreibt er in seinem Investorenbrief von 1997. 'Manche dieser Investitionen werden sich lohnen, andere nicht, und wir werden in jedem Fall etwas daraus lernen.'
Bezos kultiviert diese Langfristigkeit, er erwähnt sie in jedem Interview. Das Gehalt bei Amazon ist im Vergleich zu anderen Tech-Firmen eher niedrig, selbst Topmanager fliegen Economy. Aber die Aktienpakete sind groß, nach und nach erst dürfen die Leute sie in Geld umwandeln; so sollen sie angehalten werden, am langfristigen Erfolg des Unternehmens zu arbeiten. Aber irgendwann will er auch Geld verdienen: 'Wir glauben an langfristige Ergebnisse, aber die langfristigen Ergebnisse müssen auch irgendwann kommen.'
Wie viel Geduld wird er mit der Washington Post haben, diesem verlustträchtigen Blatt, das von seiner Tradition lebt? Bezos glaubt an guten Journalismus, aber nicht an gedruckte Zeitungen, sagt er. Seine Tage beginnt er mit New York Times, Wall Street Journal und der Washington Post - er liest sie online oder auf dem Kindle. 'Die Printmedienbranche macht schon länger eine sehr schwierige Übergangsphase durch, die noch nicht abgeschlossen ist. Ich persönlich habe den Übergang schon abgeschlossen und lese Zeitungen nur noch digital', sagt er. 'Über eines bin ich mir sicher: In zwanzig Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben.'
Aber 20 Jahre sind kurzfristig für ihn. Seine Uhr tickt dann noch 9980 Jahre.
Es ist eines seiner absurdesten Investments, aber vielleicht das vielsagendste. In einem Berg im staubtrockenen Nirgendwo von West-Texas baut Jeff Bezos eine Uhr. Sie sieht aus wie eine riesige Großvater-Uhr, meterhohe Zahnräder greifen ineinander, irgendwie aus der Zeit gefallen. Dabei ist sie genau das nicht. Die Uhr soll 10000 Jahre lang die Zeit messen, das erfordert ganz viel moderne Technik. Die Uhr soll den Menschen daran erinnern, wie klein er ist und wie kurz ein Leben in den Zeitläuften. Sie ist die Manifestation der Langfristigkeit.
Jeff Bezos, Gründer von Amazon und neuerdings Besitzer der Washington Post
Jeff Bezos lebt in einer schnellen Welt, der Welt des World Wide Web, von Unternehmensgründungen und Unternehmenskäufen, Quartalszahlen, Millionendeals und durcharbeiteten Nächten. Dass es in ihm auch diese Sehnsucht nach Langfristigkeit gibt, macht seit einer Woche einer ganzen Branche Hoffnung: der Zeitungsbranche. Denn Bezos, der Multimilliardär, Technikfreak, Gründer und Chef von Amazon, hat die Washington Post gekauft.
250 Millionen Dollar hat er dafür bezahlt, das ist weniger als ein Prozent seines Vermögens. Die Washington Post ist die erste Zeitung, die Washingtons Entscheider morgens aufschlagen, ihre Journalisten haben einst die Watergate-Affäre aufgedeckt. Nichts beschäftigt Journalisten derzeit mehr als eine Frage: Wer ist dieser Jeff Bezos? Und was will er mit einer Zeitung?
In seinem Leben deutete wenig darauf hin, dass er einmal zu einem der wichtigsten Verleger Amerikas werden würde. Seine Mutter ist 17 Jahre alt, als er 1964 auf die Welt kommt in Albuquerque am Rio Grande. Seinen leiblichen Vater lernt er nie kennen. Als Bezos vier ist, heiratet seine Mutter einen Einwanderer aus Kuba, der ihren Sohn adoptiert. Bezos erzählt gern von seiner Kindheit, er ist ein bisschen stolz, dass sich ein Charakterzug schon so früh zeigt, der ihn zum erfolgreichen Geschäftsmann machte - und vielleicht auch zu einem guten Verleger: seine Neugier.
Als Dreijähriger soll er mit einem Schraubenzieher sein eigenes Bettchen auseinandergebaut haben. Als Achtjähriger war sein Hobby, das gesamte Haus mit Mini-Sprengsätzen zu präparieren. 'Meine Eltern hatten Angst, dass ihnen plötzlich 30 Pfund Nägel auf den Kopf fallen, wenn sie eine Tür öffnen', sagt er. Mit 14 will er Astronaut werden, die Garage ist voll mit seinen Erfindungen, da liegt zum Beispiel ein Schirm, der sich in einen Solarkocher verwandeln soll. In der Schule ist er besser als alle anderen, an der Eliteuni in Princeton auch. Er studiert Physik, später Elektrotechnik und Informatik. Es ist faszinierend, sagt er, dass Computer immer exakt das machen, was man ihnen sagt.
Man muss ein Produkt nicht lieben, um es zu revolutionieren. Kurz nach der Uni, Anfang der 90er-Jahre, programmiert Bezos die Computer an der Wall Street, und die Computer machen die Investments. Er arbeitet für einen Hedgefonds und verdient viel Geld. Doch da ist etwas, das spannender ist: das Internet. Die Nutzerzahlen im Web wachsen damals um 2300 Prozent pro Jahr, erzählt Bezos. 'Da habe ich mich gefragt, welcher Businessplan vor dem Hintergrund von diesem Wachstum Sinn macht.' Er geht systematisch vor, nicht nach Vorliebe. Er ist Geschäftsmann, nicht Nostalgiker. Er sammelt Ideen, am Ende hat er eine Liste mit 20 verschiedenen Produkten, die sich im Internet gut verkaufen lassen würden. Ganz oben: Bücher. Millionen Bücher kann kein Mensch so gut sortieren wie ein Computer, denkt er. Und im Internet ist mehr Platz als in jedem Buchladen. So wird Bezos Buchhändler.
Bezos liest Bücher. Aber wenn man ihn nach Literatur fragt, kommt kein Hemingway, kein Joyce, Steinbeck oder Orwell. Zu Qualitätsliteratur, sagt er, zwinge ihn ab und zu seine Frau, selbst mittelerfolgreiche Romanautorin. Ansonsten liest er Wirtschaftssachbücher und viel, viel Science-Fiction. Fragen nach Büchern beantwortet er aus der Sicht des Geschäftsmanns: 'Das gedruckte Buch hat schon seit 500 Jahren einen Lauf', sagt er einmal in einem Interview. 'Es ist die wahrscheinlich erfolgreichste Technologie der Geschichte. Aber keine Technologie, selbst wenn sie so elegant ist wie das Buch, wird es ewig geben.'
Seine Eltern geben ihm 1994 fast ihre gesamten Altersersparnisse, 300000 Dollar, als Startkapital. Am Anfang hat er die Bücher nachts selbst in Kisten gepackt mit zehn Mitarbeitern in seiner Garage in
Seattle. 'Wenn ich eine Entscheidung treffen muss, überlege ich mir immer, wie ich darüber denken werde, wenn ich 80 bin', sagt er. Das helfe ihm, den kurzfristigen Kleinkram zu vergessen, das große Bild zu sehen. Mit einem Scheitern von Amazon hätte er leben können, das gehöre nun mal dazu, wenn man etwas Neues wagt. 'Ich wusste, das Einzige, was ich je bereuen würde, wäre, es nicht versucht zu haben.'
Da sind sie, die Bezos-Eigenschaften: Neugier, langfristiges Denken, Experimentierfreude. Das endlose und dynamische Probierfeld des Internets fasziniert ihn. 'Wir sind immer noch am ersten Tag im Leben des Internets', glaubt er auch heute. Die Gebäude am Amazon-Stammsitz in
Seattle heißen darum auch 'Day One North' und 'Day One South'.
Wenn der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter von kreativer Zerstörung schrieb, meinte er Unternehmen wie Amazon mit Unternehmern wie Bezos. Zerstörung ist nötig für den Fortschritt, Innovation ist der Wachstumsmotor. Das Auto verdrängt die Pferdekutsche, die CD die Kassette, und das Internet zerstört die traditionellen Geschäftsmodelle ganzer Branchen. Jetzt hofft die Zeitungswelt, dass Bezos, der Internetmogul, seine Finanzkraft und seinen Unternehmergeist nutzt, um ein neues Geschäftsmodell für den Journalismus zu erfinden - aus der Zerstörung soll kreative Zerstörung werden.
Erst hat Amazon den Buchhandel verändert. Es folgten CDs, Möbel, Kleidung, Videos, Cloud Computing. Bezos hat das E-Book und den Leseapparat Kindle erfunden; wie man gedruckte Medien in der digitalen Welt verkauft, weiß er schon. Inzwischen gibt es kaum etwas, das es bei Amazon nicht gibt. 61 Milliarden Dollar setzte er 2012 um - mehr als alle amerikanischen Zeitungen zusammen. Bei der Washington Post will er sich aber nicht stark einmischen. 'Ich habe ja schon einen Job, den ich liebe', sagt er und meint Amazon. So recht glauben will ihm das keiner.
Bezos mischt sich in alles ein, sagen seine Mitarbeiter. 'Neben ihm sehen normale Kontrollfreaks aus wie bekiffte Hippies', schreibt der bekannte Blogger Steve Yegge, der Amazon gut kennt. Bezos liest und beantwortet viele Beschwerde-E-Mails von Kunden selbst. Manche leitet er an seine Manager weiter, mit vielen Fragezeichen versehen, sofortige Aufklärung erbeten. Er bezeichnet sich selbst als stur. Bezos ist klein, schmal und sportlich, die Haare sind nur noch Stoppeln an der Seite, das asymmetrische Gesicht wird von seinen braunen Augen bestimmt, sie sind schnell und wach, das eine größer als das andere. 'In Bewerbungsgesprächen sage ich den Leuten: Es gibt drei Arten zu arbeiten: lang, hart oder schlau. Bei Amazon.com kannst du dir nicht einfach zwei davon aussuchen', schreibt er 1997 in einem Brief an die Aktionäre.
Wer schlecht vorbereitet in ein Gespräch mit ihm komme, dürfe keine Gnade verlangen, schreibt die Washington Post über ihren Neu-Verleger. Inkompetenz ärgert ihn. Wobei sich seine Gnadenlosigkeit nicht in Wutausbrüchen zeigt, sondern in Missachtung. Wenn ihn etwas nervt, zieht er sein Smartphone aus der Hosentasche und fängt an, E-Mails zu tippen, manchmal mitten in einem Vortrag. In Extremfällen steht er auf und geht - wortlos. Wenn Mitarbeiter ihm Ideen präsentieren, sollen sie sechsseitige Aufsätze schreiben, bloß keine Stichpunkte. 'Ganze Sätze sind schwerer zu schreiben', sagt er. 'Es ist schlicht unmöglich, ein sechsseitiges, gut strukturiertes Memo zu schreiben, ohne dabei klar zu denken.' Er liebt es eben doch, das geschriebene Wort.
Bezos ist mehr als der knallharte und geniale Geschäftsmann, er kann sehr charmant sein, seine Energie steckt an. In seinem langfristigen Denken steckt auch ein grundsätzlicher Optimismus. Junge Gründer verehren seine Kreativität. 'Wenn man hundert Start-up-Unternehmer fragen würde, welchen Konzernchef sie am meisten bewundern, würden 95 seinen Namen nennen', sagt der Wagniskapital-Investor Bill Gurley. 'Wenn Jeff mal unglücklich ist, muss man einfach fünf Minuten warten', sagt seine Frau MacKenzie, mit der er vier Kinder hat. Bezos" Lachen ist legendär. Es bricht unvermittelt hervor, mitten im Satz, viel tiefer und lauter als seine Stimme, wenn er spricht. Bei Amazon kann man es über zwei Stockwerke hinweg hören.
Mit Investments hat er mehr Geduld als mit seinen Mitarbeitern. Wenn er an die Zukunft einer Idee glaubt, macht es ihm nichts, wenn sie nicht sofort Profit bringt. 'Wir machen kühne Investitionen, keine schüchternen, wenn wir eine hinreichende Wahrscheinlichkeit sehen, dass sie uns Vorteile bei der Marktführerschaft bringen', schreibt er in seinem Investorenbrief von 1997. 'Manche dieser Investitionen werden sich lohnen, andere nicht, und wir werden in jedem Fall etwas daraus lernen.'
Bezos kultiviert diese Langfristigkeit, er erwähnt sie in jedem Interview. Das Gehalt bei Amazon ist im Vergleich zu anderen Tech-Firmen eher niedrig, selbst Topmanager fliegen Economy. Aber die Aktienpakete sind groß, nach und nach erst dürfen die Leute sie in Geld umwandeln; so sollen sie angehalten werden, am langfristigen Erfolg des Unternehmens zu arbeiten. Aber irgendwann will er auch Geld verdienen: 'Wir glauben an langfristige Ergebnisse, aber die langfristigen Ergebnisse müssen auch irgendwann kommen.'
Wie viel Geduld wird er mit der Washington Post haben, diesem verlustträchtigen Blatt, das von seiner Tradition lebt? Bezos glaubt an guten Journalismus, aber nicht an gedruckte Zeitungen, sagt er. Seine Tage beginnt er mit New York Times, Wall Street Journal und der Washington Post - er liest sie online oder auf dem Kindle. 'Die Printmedienbranche macht schon länger eine sehr schwierige Übergangsphase durch, die noch nicht abgeschlossen ist. Ich persönlich habe den Übergang schon abgeschlossen und lese Zeitungen nur noch digital', sagt er. 'Über eines bin ich mir sicher: In zwanzig Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben.'
Aber 20 Jahre sind kurzfristig für ihn. Seine Uhr tickt dann noch 9980 Jahre.