Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Erregung im Schuhschrank

$
0
0
Sofia Coppola folgt ein paar Kids auf ihren Diebestouren bei Paris Hilton und Lindsay Lohan. Ihr Film 'The Bling Ring' ist ein Dokument des gelangweilten Lebens. In dem nur der Lifestyle für Leidenschaft gut ist


Es gibt ganze Magazine, die nur darüber berichten, wem in Hollywood welches Chanel-Dings auf welchem roten Teppich besser stand. Es gibt Webseiten, die darüber informieren, wer gerade wo dreht und wer wo feiert. Es gibt Adressen, die im Internet stehen. Es gibt Google Maps. Und es gab einmal ein paar Jugendliche, die aus all dem, was sie da so gelesen hatten, den Schluss zogen, dass Paris Hilton doof genug sein muss, ihren Haustürschlüssel unter dem Fußabtreter zu verstecken. Sie lagen damit nur zur Hälfte richtig. Der Schlüssel lag zwar unter dem Abtreter. Aber die Tür war ohnehin offen.



Von links nach rechts: Sam (Taissa Farmiga), Mark (Israel Broussard), Nicki (Emma Watson), Rebecca (Katie Chang) und Chloe (Claire Julien) in "The Bling Ring".

Zwischen 2008 und 2009 stieg eine Gruppe von Schulfreunden aus Calabasas in Kalifornien regelmäßig in die Villen von Celebrities wie Orlando Bloom, Lindsay Lohan oder eben Paris Hilton ein, klaute Mode, Schmuck und Geld, ging vom Erlös feiern, wurde verhaftet, kam ins Gefängnis. Man nannte sie 'The Bling Ring'. Soweit die wahre Geschichte.

Diese Woche kam nun unter dem gleichen Namen die Verfilmung von Sofia Coppola in die deutschen Kinos, und man verrät jetzt wirklich nicht zu viel, wenn man preisgibt, dass darin genau das Gleiche passiert, allerdings auch kein bisschen mehr: Einbruch, Schuhschrank, Kreischen, mit der Beute in die Disco, Knutschmund für das Facebook-Foto - immer wieder aufs Neue, und sonst nichts. Aber das Wetter in Los Angeles ist ja aufs Ganze gesehen auch nicht besonders abwechslungsreich und trotzdem jeden Tag eine Freude.

Die 90 Minuten sind mit anderen Worten schon gut langweilig, aber sie sehen fast immer ganz hinreißend aus dabei. Das liegt daran, dass Coppola, die ja im normalen Leben selbst nicht gerade als Aschenputtel durch Beverly Hills schleicht, gar keine Anstalten macht, irgendeine Geschichte zu erzählen. Dinge wie Psychologie, Moral, Entwicklung von Figuren oder gar Brüche haben in ihrer Tüte nichts verloren, und das ist sogar ziemlich konsequent, denn das alles hätte zwar vielleicht etwas mit Dramaturgie und Spannung zu tun, aber eben nicht unbedingt mit dem Leben, schon gar nicht dem rund um Hollywood. Coppola setzt dafür alles auf die Bilder, ihre Argumentation ruht ganz auf der Ästhetik, die Kostüme begründen die Handlung: Der Schuhschrank von Paris Hilton - und das unbändige Glück, das er bei den Mädchen auslöst, die nachts darin herumwühlen. Die Pointe, dass der Einzige, dem die Louboutins dort passen, ein Junge ist, weil Hiltons Füße, wie man aus der Lektüre der einschlägigen Zeitschriften wissen könnte, spektakulär groß sind - die stammt schon aus der Wirklichkeit, es waren auch beim echten Bling-Ring die Jungs, die in ihren Heels herumgestiefelt sind. Für die Doofheit von Frau Hilton spricht tatsächlich, dass sie sich das gleich sechs- oder siebenmal hintereinander gefallen lassen hat. Für ihren Humor spricht, dass sie danach auch das Filmteam einlud, sich in ihrer Wohnung gütlich zu tun. Das macht den Film in gewisser Weise auch zur Dokumentation der Verhältnisse, von denen seine Protagonisten so fasziniert sind, dass sie die Zäune, die ihre Vorstadt-Existenzen davon trennen, irgendwann einfach überklettern. Ein bisschen irritierend ist vielleicht, was der Junge mit den Pumps an den Füßen (Israel Broussard) da überhaupt will, und warum er, wo er schon mal da ist, nicht andauernd mit einer oder allen von diesen in immer knapperen Fummeln herumstaksenden Mädchen schlafen gehen möchte, denn schwul ist er irgendwie auch nicht. Aber um Sex geht es in dem ganzen Film tatsächlich niemandem, nur um Sexyness. Es hat noch nicht einmal jemand irgendein Interesse daran, was die angehimmelten Opfer beruflich so machen, es geht ausschließlich um die Akzidenzien ihres Star-Daseins, die aus diesem Blickwinkel ganz logisch zum Kern und Eigentlichen werden: Die Leidenschaften richten sich komplett auf die Mode, den Lifestyle und auf die Anzahl der Facebook-Freunde, die sich durch Bilder aus dem V. I. P.-Bereich von Nachtklubs generieren lassen. Sofia Coppola hätte sich darüber noch wesentlich lustiger machen können, sie hätte es noch viel stärker als falsches Leben im falschen brandmarken können, als oberflächlich, hohl und vor allem sagenhaft trashig.

Das wäre dann zwar so etwas wie eine Moral, aber leider auch nur eine verlogene, jedenfalls solange Selbstporträts aus einem gelungenen Leben in Saus und Braus tatsächlich eine harte soziale Währung sind und Mädchen nicht unbedingt Shakespeare kennen müssen, wenn sie gut genug aussehen, um als Model oder Real-Life-Soap-Figur oder sonst was von der Straße weg in irgendeine Art von Ruhm hineingecastet zu werden. Eine weniger ernsthafte Berufsoption, als Schauspieler zu werden, ist das in Los Angeles auch nicht.

Man könnte das vielleicht einfach Naturalismus nennen. Einen Naturalismus der Opulenz. Am Ende geht es in der Hauptsache wieder darum, die bewegten Bilder so einzufrieren, dass man sie aus der Leinwand schneiden und an eine Museumswand hängen könnte. Was bei 'Lost in Translation' der einsame Bill Murray in seinem Bademantel auf dem Hotelbett in Tokio war, ist in 'The Bling Ring' ein minutenlanger, fast schon nach holländischem Altmeister ausschauender Blick in die Küche so einer Familie in Los Angeles. Der Business-Vati, die Hausfrau, die verzogene Göre und die mexikanische Hausangestellte, alle in sich selbst verkapselt, als würden sie auf dem Highway zufällig nebeneinanderher im Stau stehen.

Und dann ist da vor allem aber sie: Emma Watson, die sich in rosa Juicy-Couture-Plüsch und mit Uggs an den Füßen auf dem Sofa langweilt, während ihre von allen esoterischen Sonnen Kaliforniens spektakulär gehirnerweichte Mutter ihren Töchtern Heimunterricht in Ethik erteilt: 'Was macht Angelina Jolie zu einem so großartigen Menschen?'

'Ihr Ehemann?'

'Well, yes, O.K., was noch?'

Das ist also jetzt aus der vorbildlichen Hermine Granger geworden. Kaum dass sie aus den Harry-Potter-Filmen raus ist, sieht man sie in superkurzen Jeansshorts und mit Arschgeweih an der Lap-Dance-Stange von Paris Hiltons Partykeller herummachen. Emma Watson ist natürlich das eigentliche Zentrum des ganzen Films und der triftigste Grund, ihn sich selbst dann anzuschauen, wenn man die 2009-er Kollektion von Miu Miu alleine noch nicht für abendfüllende Kinounterhaltung hält. Es ist absolut hinreißend, mit welchem Einsatz Watson an ihrer endgültigen Exmatrikulation von der Zauberschule von Hogwarts arbeitet.

Und dann ist sie im Fach 'superstumpfe Modetussi aus Südkalifornien' auch gleich wieder Klassenbeste.

The Bling Ring, USA 2013 - Regie, Buch: Sofia Coppola. Kamera: Christopher Blauvelt, Harris Savides. Schnitt: Sarah Flack. Mit: Katie Chang, Israel Broussard, Emma Watson, Leslie Mann, Taissa Famiga. Tobis, 90 Minuten.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345