Pressesprecher haben eine verzwickte Rolle: Die Chefs sollen zufrieden sein - aber auch die, die kritisch über die Chefs berichten wollen
Als Angela Merkel noch nicht lange Kanzlerin war, reiste sie eines Tages nach Russland. Ihr damaliger Sprecher Ulrich Wilhelm wurde vorher von Journalisten gefragt, ob Merkel bei Präsident Wladimir Putin auch die Menschenrechte ansprechen werde. Ohne mit der Kanzlerin Rücksprache zu halten, bejahte Wilhelm die Frage. Als sich Merkel und ihr Sprecher später im Flugzeug trafen, moserte die Kanzlerin, sie lasse sich von ihm nicht öffentlich die Themen ihrer Gespräche vorschreiben. Dann traf sie Putin - und redete mit ihm auch über Menschenrechte.
Sprecher oder Sprecherin in der Politik, das ist ein eigentümlicher Job, eine eigentlich unlösbare Aufgabe: Der Chef soll zufrieden sein, aber auch diejenigen, die - selbstverständlich kritisch - über den Chef berichten wollen. Sprecher dienen also in zwei entgegengesetzte Richtungen. Sie sind dazu da, die Distanz zwischen Politik und Medien zu überwinden, ohne sie aufzuheben. Sie brauchen das Vertrauen beider Seiten. An die Grenzen stoßen sie dann, wenn sie selbst zum Akteur werden. Denn sie sprechen für einen Politiker, machen aber keine Politik. Und sie sprechen mit Journalisten, machen aber keinen Journalismus. Letzteres beschreibt die Grenze, die nun offenbar CSU-Sprecher Hans Michael Strepp überschritten hat.
Für die Qualität von Sprechern gibt es keine festen Regeln, nur Erfahrungswerte. Einer davon lautet, dass Sprecher einerseits umso besser sind, je näher sie ihren Chef oder ihre Chefin erleben - andererseits brauchen sie auch eine gewisse Distanz, um ihnen nicht nur nach dem Mund zu reden, sondern sie zu erklären, ihre Worte einzuordnen, ihre Handlungen zu rechtfertigen, auch mal einen Fehler einzuräumen. Gute Sprecher sind loyal. Aber richtig gut können sie erst sein, wenn der Chef auch loyal ist. In der Eigenständigkeit steckt die große Chance eines Sprechers. Und sein größtes Risiko.
Eigenständigkeit und Eigenmächtigkeit liegen eben nahe beieinander. Christian Wulff wäre ohne seinen langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker wahrscheinlich niemals Ministerpräsident und mithin auch nicht Bundespräsident geworden. Aber ohne Glaeseker wäre er vielleicht länger Bundespräsident geblieben. In der guten alten Zeit nannte Wulff Glaeseker seinen siamesischen Zwilling. Sie waren auf Gedeih miteinander verbunden - und, wie man jetzt erlebt, auch auf Verderb.
Solche Symbiosen sind keine Einzelfälle. Aber sie enden nicht zwangsläufig im politischen Untergang. Peter Struck und Norbert Bicher waren ein ähnlich unzertrennliches Paar. Der manchmal ruppige SPD-Fraktionsvorsitzende, zwischenzeitliche Verteidigungsminister und jetzige Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt bis heute selten ohne sein besänftigendes Faktotum aus, der ihm Sprecher war, Berater, Freund und manchmal auch nur Gedächtnisstütze. Bicher wusste alles, aber er redete nur, wenn er gefragt wurde. Was nicht heißt, dass er dann alles erzählte.
Glaeseker und Bicher hatten definitiv nur eines gemeinsam: Sie arbeiteten beide zunächst als Journalisten. Viele, sehr viel Sprecher haben einst die Seite gewechselt. Journalisten sind neugierig, weshalb manche irgendwann nicht mehr erzählt bekommen, sondern erleben wollen, wie das Geschäft auf der anderen Seite abläuft. Der amtierende Regierungssprecher Steffen Seibert hat dies nach seiner Berufung als ein Motiv für seinen Wechsel vom Heute-Journal ins Bundespresseamt angeführt.
Auffallend ist aber, dass nur wenige Journalisten Politiker wurden. Spiegel-Gründer Rudolf Augstein mag ihnen ein abschreckendes Beispiel gewesen sein, der es genau drei Monate als Abgeordneter im Bundestag aushielt. Erfolgreicher war der spätere Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Im aktuellen Bundestag sitzt mit Reinhard Grindel (CDU) nur ein Parlamentarier, der sich als Journalist - beim ZDF - einen Namen gemacht hat. Peer Steinbrück hätte ein zweiter sein können, ließ aber seinen Berufswunsch Journalist frühzeitig fallen.
Wenn Politiker Journalisten als Sprecher holen, dann versprechen sie sich davon das Wissen, was die Medien wollen, wie man am besten mit ihnen umgehen kann. Traditionell besteht die Aufgabe, Politikern die Medien zu erklären, allerdings vor allem darin, ihnen zu sagen, wie man mit ihnen nicht umgehen kann. Schon Felix von Eckardt, legendärer Regierungssprecher von Konrad Adenauer, musste den ersten Kanzler der jungen Demokratie in den 50er Jahren wiederholt belehren, dass der Chef des Presse- und Informationsamtes nicht das Recht habe, Journalisten vorzuschreiben, worüber sie wie berichten dürften. Adenauer wollte daraufhin ein Staatsfernsehen gründen, was ihm vom Bundesverfassungsgericht untersagt wurde. Stattdessen entstand das ZDF. Und es entstanden Fernsehräte und sonstige Gremien voller Politiker.
Nicht alle früheren Journalisten wurden gute Sprecher. Und schon gar nicht waren alle guten Sprecher früher Journalisten. Manch ein Journalist hat seiner Glaubwürdigkeit sogar einen Tort angetan, indem er als Reporter oder Verfasser von Leitartikeln hinter jeder Ecke den Skandal witterte, als Sprecher aber zum großen Beschwichtiger mutierte. Die angesehensten Sprecher sind wohl jene, die sich glaubwürdig an eine Regel halten: Sie erzählen vielleicht nicht immer alles, aber sie lügen nie.
Felix von Eckardt übrigens wurde auch Regierungssprecher, weil er, wie er mal sagte, 'ein interessantes Leben führen' wollte. Damals gab es Zeitungen, einige Radiosender, eine Fernsehanstalt. Eckardts Urenkel, egal ob in der Regierung oder in Parteien, sind heute mit Heeren von Journalisten konfrontiert, müssen allzeit erreichbar sein, auch am Wochenende (übrigens oft auch für verärgerte oder gelangweilte Politiker), müssen telefonieren, Kurznachrichten schreiben, mailen, Kaffee trinken und auch noch twittern. Die Beschleunigung und Vervielfachung der Medien schafft ein Paradoxon: Sprecher müssen heute immer mehr Infos parat haben, die einzuholen ihnen aber immer weniger Zeit bleibt.
Es ist ein Trend, der Eigenständigkeit nicht nur fördert, sondern regelrecht verlangt. Ein guter Sprecher braucht keine Anweisungen mehr. Er weiß, was sein Chef will, wie er tickt, was ihm gefiele. Hans Michael Strepp war ein guter Sprecher. Für seine Chefs und für die Journalisten. Viele Jahre lang. Ein guter Sprecher, der jetzt einen verhängnisvollen Fehler begangen hat. Aber nur mal angenommen, Strepps telefonischer Diskussionsbeitrag zur Programmplanung der ZDF-Nachrichten hätte den gewünschten Erfolg gehabt, dann hätte das Horst Seehofer bestimmt gefallen. Und womöglich hätte er nicht mal erfahren, wie es dazu kam. Denn gute Sprecher wissen zwar fast alles über ihren Chef. Aber schlechte Chefs wollen lieber gar nicht alles über ihre Sprecher wissen.
Als Angela Merkel noch nicht lange Kanzlerin war, reiste sie eines Tages nach Russland. Ihr damaliger Sprecher Ulrich Wilhelm wurde vorher von Journalisten gefragt, ob Merkel bei Präsident Wladimir Putin auch die Menschenrechte ansprechen werde. Ohne mit der Kanzlerin Rücksprache zu halten, bejahte Wilhelm die Frage. Als sich Merkel und ihr Sprecher später im Flugzeug trafen, moserte die Kanzlerin, sie lasse sich von ihm nicht öffentlich die Themen ihrer Gespräche vorschreiben. Dann traf sie Putin - und redete mit ihm auch über Menschenrechte.
Sprecher oder Sprecherin in der Politik, das ist ein eigentümlicher Job, eine eigentlich unlösbare Aufgabe: Der Chef soll zufrieden sein, aber auch diejenigen, die - selbstverständlich kritisch - über den Chef berichten wollen. Sprecher dienen also in zwei entgegengesetzte Richtungen. Sie sind dazu da, die Distanz zwischen Politik und Medien zu überwinden, ohne sie aufzuheben. Sie brauchen das Vertrauen beider Seiten. An die Grenzen stoßen sie dann, wenn sie selbst zum Akteur werden. Denn sie sprechen für einen Politiker, machen aber keine Politik. Und sie sprechen mit Journalisten, machen aber keinen Journalismus. Letzteres beschreibt die Grenze, die nun offenbar CSU-Sprecher Hans Michael Strepp überschritten hat.
Für die Qualität von Sprechern gibt es keine festen Regeln, nur Erfahrungswerte. Einer davon lautet, dass Sprecher einerseits umso besser sind, je näher sie ihren Chef oder ihre Chefin erleben - andererseits brauchen sie auch eine gewisse Distanz, um ihnen nicht nur nach dem Mund zu reden, sondern sie zu erklären, ihre Worte einzuordnen, ihre Handlungen zu rechtfertigen, auch mal einen Fehler einzuräumen. Gute Sprecher sind loyal. Aber richtig gut können sie erst sein, wenn der Chef auch loyal ist. In der Eigenständigkeit steckt die große Chance eines Sprechers. Und sein größtes Risiko.
Eigenständigkeit und Eigenmächtigkeit liegen eben nahe beieinander. Christian Wulff wäre ohne seinen langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker wahrscheinlich niemals Ministerpräsident und mithin auch nicht Bundespräsident geworden. Aber ohne Glaeseker wäre er vielleicht länger Bundespräsident geblieben. In der guten alten Zeit nannte Wulff Glaeseker seinen siamesischen Zwilling. Sie waren auf Gedeih miteinander verbunden - und, wie man jetzt erlebt, auch auf Verderb.
Solche Symbiosen sind keine Einzelfälle. Aber sie enden nicht zwangsläufig im politischen Untergang. Peter Struck und Norbert Bicher waren ein ähnlich unzertrennliches Paar. Der manchmal ruppige SPD-Fraktionsvorsitzende, zwischenzeitliche Verteidigungsminister und jetzige Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt bis heute selten ohne sein besänftigendes Faktotum aus, der ihm Sprecher war, Berater, Freund und manchmal auch nur Gedächtnisstütze. Bicher wusste alles, aber er redete nur, wenn er gefragt wurde. Was nicht heißt, dass er dann alles erzählte.
Glaeseker und Bicher hatten definitiv nur eines gemeinsam: Sie arbeiteten beide zunächst als Journalisten. Viele, sehr viel Sprecher haben einst die Seite gewechselt. Journalisten sind neugierig, weshalb manche irgendwann nicht mehr erzählt bekommen, sondern erleben wollen, wie das Geschäft auf der anderen Seite abläuft. Der amtierende Regierungssprecher Steffen Seibert hat dies nach seiner Berufung als ein Motiv für seinen Wechsel vom Heute-Journal ins Bundespresseamt angeführt.
Auffallend ist aber, dass nur wenige Journalisten Politiker wurden. Spiegel-Gründer Rudolf Augstein mag ihnen ein abschreckendes Beispiel gewesen sein, der es genau drei Monate als Abgeordneter im Bundestag aushielt. Erfolgreicher war der spätere Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Im aktuellen Bundestag sitzt mit Reinhard Grindel (CDU) nur ein Parlamentarier, der sich als Journalist - beim ZDF - einen Namen gemacht hat. Peer Steinbrück hätte ein zweiter sein können, ließ aber seinen Berufswunsch Journalist frühzeitig fallen.
Wenn Politiker Journalisten als Sprecher holen, dann versprechen sie sich davon das Wissen, was die Medien wollen, wie man am besten mit ihnen umgehen kann. Traditionell besteht die Aufgabe, Politikern die Medien zu erklären, allerdings vor allem darin, ihnen zu sagen, wie man mit ihnen nicht umgehen kann. Schon Felix von Eckardt, legendärer Regierungssprecher von Konrad Adenauer, musste den ersten Kanzler der jungen Demokratie in den 50er Jahren wiederholt belehren, dass der Chef des Presse- und Informationsamtes nicht das Recht habe, Journalisten vorzuschreiben, worüber sie wie berichten dürften. Adenauer wollte daraufhin ein Staatsfernsehen gründen, was ihm vom Bundesverfassungsgericht untersagt wurde. Stattdessen entstand das ZDF. Und es entstanden Fernsehräte und sonstige Gremien voller Politiker.
Nicht alle früheren Journalisten wurden gute Sprecher. Und schon gar nicht waren alle guten Sprecher früher Journalisten. Manch ein Journalist hat seiner Glaubwürdigkeit sogar einen Tort angetan, indem er als Reporter oder Verfasser von Leitartikeln hinter jeder Ecke den Skandal witterte, als Sprecher aber zum großen Beschwichtiger mutierte. Die angesehensten Sprecher sind wohl jene, die sich glaubwürdig an eine Regel halten: Sie erzählen vielleicht nicht immer alles, aber sie lügen nie.
Felix von Eckardt übrigens wurde auch Regierungssprecher, weil er, wie er mal sagte, 'ein interessantes Leben führen' wollte. Damals gab es Zeitungen, einige Radiosender, eine Fernsehanstalt. Eckardts Urenkel, egal ob in der Regierung oder in Parteien, sind heute mit Heeren von Journalisten konfrontiert, müssen allzeit erreichbar sein, auch am Wochenende (übrigens oft auch für verärgerte oder gelangweilte Politiker), müssen telefonieren, Kurznachrichten schreiben, mailen, Kaffee trinken und auch noch twittern. Die Beschleunigung und Vervielfachung der Medien schafft ein Paradoxon: Sprecher müssen heute immer mehr Infos parat haben, die einzuholen ihnen aber immer weniger Zeit bleibt.
Es ist ein Trend, der Eigenständigkeit nicht nur fördert, sondern regelrecht verlangt. Ein guter Sprecher braucht keine Anweisungen mehr. Er weiß, was sein Chef will, wie er tickt, was ihm gefiele. Hans Michael Strepp war ein guter Sprecher. Für seine Chefs und für die Journalisten. Viele Jahre lang. Ein guter Sprecher, der jetzt einen verhängnisvollen Fehler begangen hat. Aber nur mal angenommen, Strepps telefonischer Diskussionsbeitrag zur Programmplanung der ZDF-Nachrichten hätte den gewünschten Erfolg gehabt, dann hätte das Horst Seehofer bestimmt gefallen. Und womöglich hätte er nicht mal erfahren, wie es dazu kam. Denn gute Sprecher wissen zwar fast alles über ihren Chef. Aber schlechte Chefs wollen lieber gar nicht alles über ihre Sprecher wissen.