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Die Rache der Spielverderber

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Es war eine bizarre Aktion: Zwei Geheimdienst-Mitarbeiter überwachten, wie im Keller des "Guardian"-Gebäudes einige Festplatten zerstört wurden. Da auch andere die Daten haben, war das offenbar ein symbolischer Akt.

Die Redaktion des Guardian ist bei vielen britischen Journalisten-Kollegen nicht sonderlich beliebt. Das hat viel mit Neid zu tun, weil dem Blatt in den vergangenen Jahren einige spektakuläre Enthüllungen gelungen sind. Zuletzt hatte der Guardian weltweit für Aufsehen gesorgt, indem er Informationen aus Unterlagen des ehemaligen amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden veröffentlichte, aus denen hervorgeht, dass amerikanische und britische Geheimdienste ihre Bürger flächendeckend überwachen. Die Kollegen der anderen Zeitungen berichteten darüber eher zurückhaltend, der lapidare Tenor in Teilen der britischen Presse lautete: "Spione spionieren nun einmal."



Guardian-Redaktionsgebäude in London 

Zum Teil sind die Guardian-Leute auch deshalb unbeliebt, weil sie aufgrund ihrer journalistischen Erfolge als selbstgefällig gelten. Dennoch war es erstaunlich, wie verhalten das Echo am Dienstag in der britischen Presse ausfiel, nachdem Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger öffentlich gemacht hatte, dass die britische Regierung das Blatt offenbar unter Druck gesetzt und dazu gezwungen hat, Festplatten zu zerstören. Vermutlich hätte es einen Aufschrei der Empörung gegeben, wenn gleiches bei einem anderen Blatt geschehen wäre. Da es den Guardian getroffen hatte, reagierte die übrige Presse fast unisono mit dem publizistischen Äquivalent eines Schulterzuckens.

Rusbridgers Enthüllung kommt zu einem interessanten Zeitpunkt. Die erzwungene Zerstörung der Festplatten liegt nach seinen Angaben bereits einen Monat zurück, damals hatte der Guardian kein Wort über den Vorfall verloren. An diesem Sonntag aber hatte die britische Polizei den Brasilianer David Miranda unter Berufung auf das Antiterrorgesetz neun Stunden lang am Londoner Flughafen Heathrow festgehalten. Miranda ist Lebensgefährte des amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald, der für den Guardian schreibt und dafür verantwortlich ist, dass das Blatt in den Besitz der Geheimdienst-Akten von Edward Snowden gelangte. Die beiden leben zusammen in Rio. Dorthin wollte Miranda, von Berlin kommend, weiterfliegen, als ihn die britische Polizei festnahm.

Der Guardian hatte die Aktion verurteilt und die Überzeugung geäußert, Miranda sei nicht wegen angeblicher Terrorgefahr festgehalten worden, sondern um Greenwald und das Blatt unter Druck zu setzen. Die jüngsten Äußerungen von Chefredakteur Rusbridger können daher wohl als Gegenoffensive verstanden werden.

Rusbridger berichtet, dass er erstmals vor zwei Monaten von einem Regierungs-Offiziellen angesprochen wurde; der habe gesagt, er vertrete in dem Gespräch die Ansichten des Premierministers. Damals hatte der Guardian gerade angefangen, die Snowden-Akten auszuwerten und umfänglich über die Ausspähung der Bürger durch die Dienste zu berichten. Der Offizielle habe gefordert, dass der Guardian das Geheimdienst-Material herausgibt oder zerstört. Einen Monat später sei der Ton schärfer geworden. Rusbridger habe einen Anruf aus dem "Zentrum der Regierung" erhalten, bei dem es wörtlich geheißen habe: "Ihr habt euren Spaß gehabt. Jetzt wollen wir das Zeug zurückhaben." Es folgten laut Rusbridger mehrere Debatten mit Vertretern aus Whitehall, dem Regierungsviertel. Auf seinen Einwand, ohne das Material könne man nicht mehr fundiert berichten, habe ein Whitehall-Mann gesagt: "Ihr hattet eure Debatte. Es gibt keinen Grund, noch mehr zu schreiben."

Offenbar haben die Regierungsvertreter gedroht, juristisch gegen den Guardian vorzugehen und auf diese Weise weitere Berichterstattung zu unterbinden. Rusbridger sagte der BBC am Dienstag, in den USA sei ein solches Vorgehen undenkbar, weil dort der 1. Zusatzartikel zur Verfassung jede Einschränkung der Meinungs- oder Pressefreiheit verbiete.

Der Chefredakteur ließ sich offenbar auf ein seltsames Schauspiel ein: Zwei Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes (GCHQ) überwachten, wie im Untergeschoss des Guardian-Gebäudes unweit des Londoner Bahnhofs King"s Cross einige Festplatten zerstört wurden. Es sei einer der "bizarrsten Momente in der langen Geschichte des Guardian" gewesen, sagt Rusbridger. Natürlich ist den Geheimdienstleuten klar, dass das Material damit nicht aus der Welt ist. Rusbridger hat ihnen nach eigener Aussage offen erklärt, dass es mehrere Kopien gebe, sowohl in den amerikanischen Büros der Zeitung wie auch in Rio bei Glenn Greenwald. Da der GCHQ offenkundig wusste, dass er die Berichterstattung auf diese Weise nicht unterbinden kann, handelte er wohl symbolisch, womöglich, um die Redaktion unter Druck zu setzen oder einzuschüchtern.

Dass die britischen Zeitungen das Thema nur zögerlich aufnahmen, ist auch deshalb verwunderlich, weil es sich bei dem Vorgehen um einen Angriff auf die Pressefreiheit handelt. Es sei ihm klar, sagt Rusbridger, dass es schwierig sei, eine Balance zu finden zwischen der Sicherheit des Staates und dem Recht auf Veröffentlichung geheimer Daten. Doch der britische Staat - und er wisse gar nicht so genau, mit welcher Form des britischen Staates man es da jeweils zu tun gehabt habe - könne nicht so vorgehen wie bei der Festnahme David Mirandas und der offenkundig sinnlosen Zerstörung der Festplatten.

Das britische Innenministerium hat am Dienstag in einer Stellungnahme erklärt, das Festhalten Mirandas in Heathrow sei "nötig und angemessen" gewesen. Weitere Kommentare gab das Ministerium nicht ab und verwies darauf, es handele sich um eine Polizeiangelegenheit. Zur Zerstörung der Festplatten gab es zunächst keine Stellungnahme. Miranda hat am Dienstag angekündigt, er wolle rechtliche Schritte gegen das Innenministerium einleiten. Auch der Guardian wollte zunächst juristisch dagegen vorgehen, dass die britische Polizei die beschlagnahmten elektronischen Geräte Mirandas weiterhin auswertet, überlässt nun aber Miranda die Initiative. Die Beamten hatten Kamera, Laptop, DVDs, USB-Sticks und Spielekonsolen des Brasilianers beschlagnahmt, bevor sie ihm den Weiterflug nach Rio erlaubten.

Diese jüngsten Vorfälle zeigen, wie sehr der Guardian wegen seiner Enthüllungen unter Druck von offizieller Seite steht -und damit auch, wie sehr die Pressefreiheit in Großbritannien unter Druck gerät. Das britische Verteidigungsministerium hatte bereits am 7. Juni, einen Tag nach der ersten Guardian-Story auf Grundlage des Snowden-Materials, eine vertrauliche "Defence Advisory Notice" an britische Medien verschickt. Es war der Versuch, die ins Rollen geratene Berichterstattung über den globalen Lauschangriff des britischen GCHQ und der amerikanischen National Security Agency (NSA) zu unterbinden: Aus Gründen der nationalen Sicherheit, hieß es, solle weitere Berichterstattung unterlassen werden. Das war keine zwingende Anweisung, aber doch eine sehr, sehr dringliche Bitte.

Der Guardian ignorierte den Hinweis und schrieb beispielsweise am 17. Juni darüber, wie der britische Geheimdienst internationale Konferenzen überwacht. Beim G-20-Gipfel in London soll der GCHQ im Jahr 2009 ein Internetcafé für die Gipfelteilnehmer aufgebaut haben, um diese ausspähen zu können. Dank präparierter Computer wurde der E-Mail-Verkehr von Diplomaten dem Geheimdienst frei Haus geliefert. Es war ein diplomatischer Skandal. Doch auch in diesem Fall war es so: Ein Großteil der britischen Presse schwieg oder berichtete nur in Randspalten.

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