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Zu zufrieden

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Norwegen geht es bestens. Trotzdem muss die regierende Linkskoalition eine schwere Niederlage bei der Wahl am 9. September befürchten. Warum? Weil den Leuten in all dem Wohlstand anscheinend langweilig ist und sie etwas Neues ausprobieren wollen

In Tøyen, einem Viertel im Osten von Oslo, hat Marit Nybakk nicht viel zu gewinnen. Wenn die altgediente sozialdemokratische Abgeordnete an die Apartmenttüren klopft, lachen die meisten und sagen: 'Wir wählen euch doch sowieso.' Hier wohnen viele Angestellte des öffentlichen Dienstes und Migranten - Stammklientel. Also geht es weniger ums Überzeugen als ums Mobilisieren. Jede Stimme zählt, der größte Feind der Arbeiterpartei ist die Enthaltung. Wie Nybakk versuchen 13000 Genossen in ganz Norwegen, in den verbleibenden Tagen bis zur Wahl am

9. September den Wind noch zu drehen. Sie drücken den Leuten Rosen in die Hand und erzählen ihnen, was alles Schlimmes passieren würde, wenn die rot-rot-grüne Koalition ihres Premierministers Jens Stoltenberg abgelöst würde.





Danach sieht es aber stark aus. In den Umfragen liegen Arbeiterpartei, Linke und das ökologisch angehauchte Zentrum fast zwanzig Prozent hinter einer denkbaren Rechts-Allianz unter Führung der Konservativen (Høyre). Zwar haben die Sozialdemokraten leicht aufgeholt und könnten sogar wieder die stärkste Partei werden - wie immer seit 1924 -, aber ihre Partner bleiben zurück. 'Es müsste schon etwas Gewaltiges passieren, damit es noch reicht für die regierende Koalition', sagt der Wahlexperte Johannes Bergh vom Osloer Institut für Sozialforschung. Selbst die spektakuläre Aktion des Premierministers, der kürzlich als Taxifahrer auf Wählerfang ging, was via Youtube um die Welt ging, hat wohl mehr Aufmerksamkeit als Wählerstimmen gebracht - auch weil später bekannt wurde, dass einige der vermeintlich unwissenden Kunden Stoltenbergs von einer Werbeagentur engagiert worden waren.

Wäre ein Regierungswechsel folgerichtig, gar zwingend? Im Gegenteil: Dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen geht es hervorragend, gerade im Vergleich zum notleidenden europäischen Umland. Die Finanzkrise hat die norwegische Wirtschaft kaum getroffen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,5 Prozent. Die Häuserpreise steigen weiter, anders als in Dänemark oder den Niederlanden. Das alles hat sehr viel mit den seit Jahrzehnten sprudelnden Gewinnen aus dem Öl- und Gasgeschäft zu tun, aber die Regierung hat den Reichtum nach Ansicht der meisten Beobachter insgesamt vernünftig gemanagt.

Auch das Breivik-Trauma hat das Land offenbar einigermaßen überwunden. Nach den Anschlägen vom 22. Juli 2011 war der Polizei heftig kritisiert worden, ein Bericht zählte furchtbare Pannen auf, Justizminister und Polizeichef traten zurück.

Inzwischen hat die Regierung in der inneren Sicherheit aufgerüstet, etwa mit neuen Polizeihubschraubern und mehr Geld für alle Beteiligten. Das reiche nicht, monierte die konservative Spitzenkandidatin Erna Solberg im ersten TV-Duell mit Stoltenberg. Wahlentscheidend wird das Thema aber auf keinen Fall sein.

Nicht einmal die Person Stoltenberg gäbe Anlass für eine Abwahl. Mit 53 wirkt der Premier trotz seiner acht Jahre an der Regierungsspitze noch schwungvoll, er ist ein guter Redner, wie er nach den Anschlägen bewies, und unumstritten im eigenen Lager. Kurz vor der Sommerpause hat er selber auf den Punkt gebracht, woran er scheitern könnte: 'Die Herausforderung besteht darin, dass die Bürger zufrieden sind.' Er sehe eine 'Müdigkeit' bei den Norwegern, bestätigt Wahlforscher Bergh. 'Die Leute wollen etwas Neues ausprobieren'; ein Wechsel nach einer Periode liege, mit der Ausnahme von 2009, im Trend der vergangenen zwanzig, dreißig Jahre.

Die großen ideologischen Schlachten wurden in Norwegen in den Siebziger- und Achtzigerjahren geschlagen, in Wahrheit unterscheiden sich Sozialdemokraten und Konservative in zentralen Feldern - Arbeit, Soziales, Energie, Umwelt, Renten, Außen- und Verteidigung - nur in Nuancen. Im Wahlkampf hat die Konservative Solberg der Links-Regierung vorgeworfen, sie unternehme zu wenig, um das Wirtschaftswachstum zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern. Doch tut sie sich schwer damit, Differenzen herauszustellen; das meiste würde sie nicht wesentlich anders machen, nur 'bessere Lösungen' suchen.

Werden die Konservativen stärkste Kraft, ist denkbar, dass sie sich unter anderem mit der Fortschrittspartei zusammenspannen. Das wäre ein großer Umbruch in der norwegischen Politik, denn die Partei war noch nie in der Regierung, ist aber in den vergangenen Jahren unter der Vorsitzenden Siv Jensen immer stärker geworden. Bekannt ist die Fremskrittspartiet (FrP) für zweierlei: Zum einen will sie einen größeren Anteil der Gewinne des 540Milliarden Euro umfassenden Öl-Fonds ausgeben, mit dem die Norweger ihre Zukunft sichern, und zwar für Investitionen in Infrastruktur, Gesundheitssystem, Bildung. Vor allem aber fordert sie strengere Regeln für Immigranten und Flüchtlinge, gern auch mit polemischen Sprüchen. Wenn Jensen, wie vor ein paar Wochen, ein härteres Vorgehen gegen bettelnde Zigeuner anregt, pfeffert sie das mit dem Satz: 'Setzt sie in einen Bus und schickt sie zurück nach Rumänien.' Damit schöpft sie - mangels ernsthafter Konkurrenz auf diesem Gebiet - den rechten Rand ab.

Trotzdem lässt sich die Partei nicht einfach in eine rechtspopulistische Schublade stecken zusammen mit Islamkritikern und ähnlichen Bewegungen in Skandinavien und anderen Teilen Europas. Mit Leuten wie Geert Wilders, Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider habe man nichts gemein, sagt Thor Bostad, ein Parteistratege, mit Nachdruck und verweist auf die Verwurzelung im klassischen Liberalismus à la Thatcher: mehr Wettbewerb, niedrige Steuern, freier Handel. 'Wir sehen uns zwischen CDU und FDP.' Im Wahlkampf haben die Fortschrittlichen versucht, ihr ausländerfeindliches Image loszuwerden, zumal sie mit dem Makel kämpfen, dass der Massenmörder Anders Breivik einst der Jugendorganisation der Partei angehörte, die ihm dann aber nicht radikal genug war. Christdemokraten und Liberale wollen aber auf keinen Fall mit ihnen zusammengehen.

Auch als inzwischen zweitstärkste Kraft im Parlament bleibt die FrP eine typische Protestpartei, die gegen den wohlfahrtsstaatlichen Konsens und staatliche Bevormundung rebelliert. Sollte sie in eine Koalition eintreten, könnte ihr dasselbe wie anderen Gruppierungen passieren, etwa den bislang mitregierenden Linkssozialisten: Sie sind abgestürzt, weil ihre Wähler Kompromisse hassen.

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