In Ägypten wird eine neue Verfassung ausgearbeitet. Entwürfe wirken weniger islamistisch wie die alte - aber ähnlich vage
Kairo - In Ägypten dringen Details für den neuen Verfassungsentwurf an die Öffentlichkeit. Sie zeigen, dass auch Ägyptens neues Grundgesetz, das zweite in drei Jahren, der radikalen politischen Trendwende Rechnung trägt. Ein zehnköpfiges Komitee aus Juristen hat die Verfassung von 2012, damals von den Islamisten mit provozierender Eile durchgesetzt, überarbeitet. Ein erster Blick zeigt keinen komplett neuen Wurf, eher schon einige, wenn auch bemerkenswerte Veränderungen
InÄgypten wird gerade an einer neuen Verfassung gearbeitet. Große Veränderungen wird es aber wahrscheinlich nicht geben.
Der Artikel 2 über die "Prinzipien der Scharia" als wichtigste Grundlage der Rechtsprechung bleibt erhalten, Artikel 219 aber wird abgeschafft - so wie mehr als 40 weitere Artikel aus der letzten Verfassung. Artikel 219 hatte detaillierte religiöse Quellen angeführt, auf denen die Scharia-Prinzipien beruhten - was in den Augen vieler Ägypter Tür und Tor für eine wörtliche Auslegung der Scharia-Gesetze öffnete. Die Salafisten, nicht die Muslimbrüder, hatten vor einem Jahr darauf gedrängt. Nun hat die salafistische Nur-Partei ("Licht") wegen der Abschaffung von Artikel 219 mit dem Boykott des Verfassungsprozesses gedroht. Die Partei ist die einzige islamistische Gruppe, die die Entmachtung von Muslimbruder-Präsident Mohammed Mursi mitgetragen hat und sich seitdem in einer schwierigen Position befindet. Nun hat sie sich offenbar entschieden, doch Vertreter in die 50-köpfige Kommission zu schicken, die den Entwurf diskutieren soll - und so für Artikel 219 zu kämpfen.
Ähnlich umstritten war die Rolle der Ashar-Universität, höchster Sitz sunnitischer Gelehrsamkeit und seit Jahrzehnten staatsnah, aber inzwischen von Muslimbrüdern und Salafisten unterwandert. In der Verfassung von 2012 hatten die Islamisten ihr beratende Funktion zugesprochen; die neue tut das nicht mehr. Auch Artikel 44, der die Verleumdung des Propheten unter Strafe stellte, wurden abgeschafft.
Der religiöse Rahmen aber, so hat der Blogger Bassem Sabry festgestellt, bleibt bestehen, etwa in der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau, die ebenfalls gemäß den Prinzipien der Scharia geregelt werden soll. Ohnehin scheint ein Defizit der alten Verfassung in der neuen beibehalten worden zu sein: Vieles ist vage, vieles bleibt künftigen Gesetzen überlassen, etwa Menschen- und Bürgerrechte. Auch die Ausführungen zur Pressefreiheit bleiben bedenklich relativ. Sie wird offenbar nicht mehr - wie 2012 - gewährleistet im Rahmen "der gesellschaftlichen Werte" und der Traditionen. Nun soll sie - ähnlich dehnbar - garantiert werden unter der Prämisse, dass die "nationale Einheit und der gesellschaftliche Frieden" geschützt sind. Tradition gegen Nation, beides lässt Raum für Interpretationen. Angesichts so großer Spielräume für den Gesetzgeber kommt der politischen Architektur besondere Bedeutung zu. Das teure, überflüssige Oberhaus, der so genannte Schura-Rat wird abgeschafft. Das Unterhaus, die Volksversammlung, hat 450 statt bisher 350 Sitze.
Das Wahlrecht, zumindest für die kommenden Wahlen, schafft die bisherige Mischung zwischen Direkt- und Listenkandidaten ab und erlaubt nur noch Direktkandidaten. Dies könnte zur Zersplitterung führen, aber auch den Muslimbrüdern die Möglichkeit bieten, wie bei früheren Wahlen unter Mubarak Kandidaten ins Parlament zu bringen. Religiöse Parteien soll es nicht mehr geben, wobei nicht klar ist, was mit den bestehenden geschieht, etwa der salafistischen Nur-Partei.
Dafür ebnet der Verfassungsentwurf verdächtigerweise den Funktionären der Mubarak-Partei NDP den Weg zurück in die Politik. Ihr Ausschluss war für einen großen Teil der Ägypter nach dem Sturz Mubaraks Konsens, nun dürfen sie wieder antreten, was all jene zu bestätigen scheint, die in der eigensinnigen Richterschaft ohnehin eine Bastion des alten, also des Mubarak-Regimes sieht. Dazu passt, dass die Richterschaft ihre Stellung bei der Gesetzgebung stärkt.
Auch die Armee kann ihre übermächtige Stellung halten. In einem Versuch, das Militär auf ihre Seite zu ziehen, hatten die Islamisten der Armee größte Freiheiten gelassen. Dies setzt sich nun fort: Der Wehretat soll eine einzige Zahl im Haushalt sein, der Verteidigungsminister Soldat, die umstrittene Militärjustiz für Zivilisten bleibt bestehen. Theoretisch ist nun Raum für Debatten über den Entwurf, aber die 50-köpfige Kommission hat nur beratende Funktion und ist zum Ärger vieler Aktivisten, fast frauenfrei. Zudem spotten Kritiker über die konstitutionelle Theorie angesichts der wahren Machtverhältnisse.
Kairo - In Ägypten dringen Details für den neuen Verfassungsentwurf an die Öffentlichkeit. Sie zeigen, dass auch Ägyptens neues Grundgesetz, das zweite in drei Jahren, der radikalen politischen Trendwende Rechnung trägt. Ein zehnköpfiges Komitee aus Juristen hat die Verfassung von 2012, damals von den Islamisten mit provozierender Eile durchgesetzt, überarbeitet. Ein erster Blick zeigt keinen komplett neuen Wurf, eher schon einige, wenn auch bemerkenswerte Veränderungen
InÄgypten wird gerade an einer neuen Verfassung gearbeitet. Große Veränderungen wird es aber wahrscheinlich nicht geben.
Der Artikel 2 über die "Prinzipien der Scharia" als wichtigste Grundlage der Rechtsprechung bleibt erhalten, Artikel 219 aber wird abgeschafft - so wie mehr als 40 weitere Artikel aus der letzten Verfassung. Artikel 219 hatte detaillierte religiöse Quellen angeführt, auf denen die Scharia-Prinzipien beruhten - was in den Augen vieler Ägypter Tür und Tor für eine wörtliche Auslegung der Scharia-Gesetze öffnete. Die Salafisten, nicht die Muslimbrüder, hatten vor einem Jahr darauf gedrängt. Nun hat die salafistische Nur-Partei ("Licht") wegen der Abschaffung von Artikel 219 mit dem Boykott des Verfassungsprozesses gedroht. Die Partei ist die einzige islamistische Gruppe, die die Entmachtung von Muslimbruder-Präsident Mohammed Mursi mitgetragen hat und sich seitdem in einer schwierigen Position befindet. Nun hat sie sich offenbar entschieden, doch Vertreter in die 50-köpfige Kommission zu schicken, die den Entwurf diskutieren soll - und so für Artikel 219 zu kämpfen.
Ähnlich umstritten war die Rolle der Ashar-Universität, höchster Sitz sunnitischer Gelehrsamkeit und seit Jahrzehnten staatsnah, aber inzwischen von Muslimbrüdern und Salafisten unterwandert. In der Verfassung von 2012 hatten die Islamisten ihr beratende Funktion zugesprochen; die neue tut das nicht mehr. Auch Artikel 44, der die Verleumdung des Propheten unter Strafe stellte, wurden abgeschafft.
Der religiöse Rahmen aber, so hat der Blogger Bassem Sabry festgestellt, bleibt bestehen, etwa in der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau, die ebenfalls gemäß den Prinzipien der Scharia geregelt werden soll. Ohnehin scheint ein Defizit der alten Verfassung in der neuen beibehalten worden zu sein: Vieles ist vage, vieles bleibt künftigen Gesetzen überlassen, etwa Menschen- und Bürgerrechte. Auch die Ausführungen zur Pressefreiheit bleiben bedenklich relativ. Sie wird offenbar nicht mehr - wie 2012 - gewährleistet im Rahmen "der gesellschaftlichen Werte" und der Traditionen. Nun soll sie - ähnlich dehnbar - garantiert werden unter der Prämisse, dass die "nationale Einheit und der gesellschaftliche Frieden" geschützt sind. Tradition gegen Nation, beides lässt Raum für Interpretationen. Angesichts so großer Spielräume für den Gesetzgeber kommt der politischen Architektur besondere Bedeutung zu. Das teure, überflüssige Oberhaus, der so genannte Schura-Rat wird abgeschafft. Das Unterhaus, die Volksversammlung, hat 450 statt bisher 350 Sitze.
Das Wahlrecht, zumindest für die kommenden Wahlen, schafft die bisherige Mischung zwischen Direkt- und Listenkandidaten ab und erlaubt nur noch Direktkandidaten. Dies könnte zur Zersplitterung führen, aber auch den Muslimbrüdern die Möglichkeit bieten, wie bei früheren Wahlen unter Mubarak Kandidaten ins Parlament zu bringen. Religiöse Parteien soll es nicht mehr geben, wobei nicht klar ist, was mit den bestehenden geschieht, etwa der salafistischen Nur-Partei.
Dafür ebnet der Verfassungsentwurf verdächtigerweise den Funktionären der Mubarak-Partei NDP den Weg zurück in die Politik. Ihr Ausschluss war für einen großen Teil der Ägypter nach dem Sturz Mubaraks Konsens, nun dürfen sie wieder antreten, was all jene zu bestätigen scheint, die in der eigensinnigen Richterschaft ohnehin eine Bastion des alten, also des Mubarak-Regimes sieht. Dazu passt, dass die Richterschaft ihre Stellung bei der Gesetzgebung stärkt.
Auch die Armee kann ihre übermächtige Stellung halten. In einem Versuch, das Militär auf ihre Seite zu ziehen, hatten die Islamisten der Armee größte Freiheiten gelassen. Dies setzt sich nun fort: Der Wehretat soll eine einzige Zahl im Haushalt sein, der Verteidigungsminister Soldat, die umstrittene Militärjustiz für Zivilisten bleibt bestehen. Theoretisch ist nun Raum für Debatten über den Entwurf, aber die 50-köpfige Kommission hat nur beratende Funktion und ist zum Ärger vieler Aktivisten, fast frauenfrei. Zudem spotten Kritiker über die konstitutionelle Theorie angesichts der wahren Machtverhältnisse.