Die Londoner Wende macht Syrien zum Wahlkampfthema
Jürgen Trittin hat es vorher gewusst. "Das hat sich in Großbritannien abgezeichnet", sagt der Spitzenkandidat der Grünen am frühen Morgen im Deutschlandfunk. Wenige Stunden zuvor ist zumindest der britische Premierminister David Cameron von seiner Abstimmungsniederlage im Unterhaus noch überrascht worden. Durch sie ist eine neue Lage entstanden - auch in Deutschland. Die im Wahlkampfmodus laufenden Apparate sehen sich gezwungen, zu reagieren.
So tritt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der erst am Vortag der Hauptstadtpresse sein 100-Tage-Programm präsentiert hatte, am Vormittag vor die Kameras, um einen Sechs-Punkte-Plan für Syrien zu präsentieren. Es sei falsch gewesen, beginnt Steinbrück, dass nach dem "Zivilisationsverbrechen" des Giftgaseinsatzes in Syrien "sehr schnell einer militärischen Logik Raum gegeben" worden sei. Jetzt aber gebe es eine Entwicklung, in der "das Nachdenken doch stärker eingesetzt hat entlang der Linie, die die SPD sehr früh vertreten hat". Damit ist offenkundig das britische Parlament gemeint, das Steinbrück allerdings nicht ausdrücklich erwähnt. Er beruft sich vielmehr auf Altkanzler Helmut Schmidt. Er sei Anhänger von dessen Maxime: "Hundert Stunden Verhandlungen sind besser als eine Minute Schießen."
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bei einer Wahlkampfveranstaltung
Die Wende von London hat das Thema Syrien mit Wucht in den deutschen Wahlkampf befördert. Hatten mit Ausnahme der jedweden Militäreinsatz ablehnenden Linken alle Bundestagsparteien das Thema bis dahin mit größter Vorsicht behandelt, sehen sich nun auch SPD und Grüne zu sehr klaren Positionierungen veranlasst. Noch am Donnerstag hatte Steinbrück staatsmännisch erklärt: "Ich werde keine vorauseilenden Bewertungen ... oder abschließenden Stellungnahmen abgeben, wenn ich nicht weiß, wie die Lage konkret aussieht." Kaum 24 Stunden später weiß es der Kanzlerkandidat offenbar genauer: "Ich will für mich und für die SPD ganz deutlich machen, dass wir eine militärische Intervention für falsch halten, weil wir nicht sehen können, dass sie den Menschen in Syrien nützt und dass sie ergebnisführend ist im Sinne einer Befriedung Syriens und einer Einigung." Etwas vorsichtiger bleibt der Grüne Trittin: Eine militärische Antwort schade mehr als sie nütze und bedürfe außerdem einer Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat.
Nicht ganz so leicht wie für die Opposition ist es für die Bundesregierung, zu einer klaren Sprache zu finden. Entscheidungen des britischen Parlaments habe er nicht zu kommentieren, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. "Unsere Überzeugung bleibt: Ein solch grausamer Chemiewaffen-Einsatz gegen Hunderte Männer, Frauen und Kinder ist ein Verbrechen, ist ein Verstoß gegen internationale Normen, der nicht ohne Konsequenzen bleiben darf", wiederholt er die bekannte Linie. Deshalb müsse die internationale Gemeinschaft eine "klare Haltung einnehmen". Die Antwort, worin diese Haltung bestehen könnte, bleibt Seibert schuldig. Er verweist auf die zahlreichen Telefonate von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit US-Präsident Barack Obama, Kremlchef Wladimir Putin und anderen Staatschefs. Deutschland setzt nach Seiberts Worten auf den in Sachen Syrien seit Jahren blockierten UN-Sicherheitsrat. "Wir hoffen, dass das Gremium seiner Verantwortung gerecht werden wird", sagt er.
Die Berliner Bemühungen gelten dabei keineswegs nur den Russen, die ihre schützenden Hände über das syrische Regime halten. In der Bundesregierung herrscht Sorge, dass UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nun zu sehr zaudert und zögert. Im Ermessen des Generalsekretärs nämlich liegt es, ob er mit einem Zwischenbericht der UN-Inspektoren schnell, also womöglich noch an diesem Samstag, vor den Sicherheitsrat tritt. Je länger die Vereinten Nationen aber zögern, desto unwahrscheinlicher wird es wohl, dass US-Präsident Barack Obama mit der Entscheidung für militärische Aktionen abwartet, bis der Bericht der UN-Inspektoren vorliegt.
Was der "UN-Prozess" angesichts des nahezu sicheren russischen Vetos aber bringen soll, kann auch die Bundesregierung nicht wirklich erklären. Worum es nämlich eigentlich geht, kann sie zumindest nicht offen sagen: darum, es vor einem US-Militärschlag zumindest noch einmal in New York versucht zu haben. Für diesen Fall würde die Bundesregierung wohl ungeachtet der Londoner Wende dabei bleiben, den USA ihre politische Unterstützung nicht zu versagen. Nicht mehr den geringsten Zweifel lassen die Berliner Koalitionäre allerdings daran, dass eine militärische Beteiligung der Bundeswehr ausgeschlossen ist. "Eine solche Beteiligung ist weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen", erklärt Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) - und Seibert macht klar, dass das auch die Haltung der Kanzlerin ist.
Die mögliche Konfliktlinie im Wahlkampf ist also bereits gezogen: Die Regierung äußert politische Unterstützung für einen amerikanischen Militäreinsatz auch ohne UN-Mandat, um das sich die USA allerdings wenigstens bemühen sollen. Die Opposition dürfte diese Unterstützung dann verurteilen. In seinem Sechs-Punkte-Plan fordert Steinbrück eine 72-stündige Waffenruhe zum Zwecke der humanitären Hilfe. Für die UN fordert er ein klares Mandat, um nach den Urhebern des Chemiewaffenangriffs zu fahnden. Syrien solle das Chemiewaffenabkommen ratifizieren und eine neue Syrien-Konferenz auf den Weg gebracht werden. In der Bundesregierung werden die Punkte für unrealistisch gehalten - mit Ausnahme des letzten. Beim G-20-Gipfel Ende kommender Woche in St.Petersburg soll es auch darum gehen. Die US-Angriffe sind dann womöglich schon wieder beendet.
Jürgen Trittin hat es vorher gewusst. "Das hat sich in Großbritannien abgezeichnet", sagt der Spitzenkandidat der Grünen am frühen Morgen im Deutschlandfunk. Wenige Stunden zuvor ist zumindest der britische Premierminister David Cameron von seiner Abstimmungsniederlage im Unterhaus noch überrascht worden. Durch sie ist eine neue Lage entstanden - auch in Deutschland. Die im Wahlkampfmodus laufenden Apparate sehen sich gezwungen, zu reagieren.
So tritt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der erst am Vortag der Hauptstadtpresse sein 100-Tage-Programm präsentiert hatte, am Vormittag vor die Kameras, um einen Sechs-Punkte-Plan für Syrien zu präsentieren. Es sei falsch gewesen, beginnt Steinbrück, dass nach dem "Zivilisationsverbrechen" des Giftgaseinsatzes in Syrien "sehr schnell einer militärischen Logik Raum gegeben" worden sei. Jetzt aber gebe es eine Entwicklung, in der "das Nachdenken doch stärker eingesetzt hat entlang der Linie, die die SPD sehr früh vertreten hat". Damit ist offenkundig das britische Parlament gemeint, das Steinbrück allerdings nicht ausdrücklich erwähnt. Er beruft sich vielmehr auf Altkanzler Helmut Schmidt. Er sei Anhänger von dessen Maxime: "Hundert Stunden Verhandlungen sind besser als eine Minute Schießen."
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bei einer Wahlkampfveranstaltung
Die Wende von London hat das Thema Syrien mit Wucht in den deutschen Wahlkampf befördert. Hatten mit Ausnahme der jedweden Militäreinsatz ablehnenden Linken alle Bundestagsparteien das Thema bis dahin mit größter Vorsicht behandelt, sehen sich nun auch SPD und Grüne zu sehr klaren Positionierungen veranlasst. Noch am Donnerstag hatte Steinbrück staatsmännisch erklärt: "Ich werde keine vorauseilenden Bewertungen ... oder abschließenden Stellungnahmen abgeben, wenn ich nicht weiß, wie die Lage konkret aussieht." Kaum 24 Stunden später weiß es der Kanzlerkandidat offenbar genauer: "Ich will für mich und für die SPD ganz deutlich machen, dass wir eine militärische Intervention für falsch halten, weil wir nicht sehen können, dass sie den Menschen in Syrien nützt und dass sie ergebnisführend ist im Sinne einer Befriedung Syriens und einer Einigung." Etwas vorsichtiger bleibt der Grüne Trittin: Eine militärische Antwort schade mehr als sie nütze und bedürfe außerdem einer Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat.
Nicht ganz so leicht wie für die Opposition ist es für die Bundesregierung, zu einer klaren Sprache zu finden. Entscheidungen des britischen Parlaments habe er nicht zu kommentieren, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. "Unsere Überzeugung bleibt: Ein solch grausamer Chemiewaffen-Einsatz gegen Hunderte Männer, Frauen und Kinder ist ein Verbrechen, ist ein Verstoß gegen internationale Normen, der nicht ohne Konsequenzen bleiben darf", wiederholt er die bekannte Linie. Deshalb müsse die internationale Gemeinschaft eine "klare Haltung einnehmen". Die Antwort, worin diese Haltung bestehen könnte, bleibt Seibert schuldig. Er verweist auf die zahlreichen Telefonate von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit US-Präsident Barack Obama, Kremlchef Wladimir Putin und anderen Staatschefs. Deutschland setzt nach Seiberts Worten auf den in Sachen Syrien seit Jahren blockierten UN-Sicherheitsrat. "Wir hoffen, dass das Gremium seiner Verantwortung gerecht werden wird", sagt er.
Die Berliner Bemühungen gelten dabei keineswegs nur den Russen, die ihre schützenden Hände über das syrische Regime halten. In der Bundesregierung herrscht Sorge, dass UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nun zu sehr zaudert und zögert. Im Ermessen des Generalsekretärs nämlich liegt es, ob er mit einem Zwischenbericht der UN-Inspektoren schnell, also womöglich noch an diesem Samstag, vor den Sicherheitsrat tritt. Je länger die Vereinten Nationen aber zögern, desto unwahrscheinlicher wird es wohl, dass US-Präsident Barack Obama mit der Entscheidung für militärische Aktionen abwartet, bis der Bericht der UN-Inspektoren vorliegt.
Was der "UN-Prozess" angesichts des nahezu sicheren russischen Vetos aber bringen soll, kann auch die Bundesregierung nicht wirklich erklären. Worum es nämlich eigentlich geht, kann sie zumindest nicht offen sagen: darum, es vor einem US-Militärschlag zumindest noch einmal in New York versucht zu haben. Für diesen Fall würde die Bundesregierung wohl ungeachtet der Londoner Wende dabei bleiben, den USA ihre politische Unterstützung nicht zu versagen. Nicht mehr den geringsten Zweifel lassen die Berliner Koalitionäre allerdings daran, dass eine militärische Beteiligung der Bundeswehr ausgeschlossen ist. "Eine solche Beteiligung ist weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen", erklärt Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) - und Seibert macht klar, dass das auch die Haltung der Kanzlerin ist.
Die mögliche Konfliktlinie im Wahlkampf ist also bereits gezogen: Die Regierung äußert politische Unterstützung für einen amerikanischen Militäreinsatz auch ohne UN-Mandat, um das sich die USA allerdings wenigstens bemühen sollen. Die Opposition dürfte diese Unterstützung dann verurteilen. In seinem Sechs-Punkte-Plan fordert Steinbrück eine 72-stündige Waffenruhe zum Zwecke der humanitären Hilfe. Für die UN fordert er ein klares Mandat, um nach den Urhebern des Chemiewaffenangriffs zu fahnden. Syrien solle das Chemiewaffenabkommen ratifizieren und eine neue Syrien-Konferenz auf den Weg gebracht werden. In der Bundesregierung werden die Punkte für unrealistisch gehalten - mit Ausnahme des letzten. Beim G-20-Gipfel Ende kommender Woche in St.Petersburg soll es auch darum gehen. Die US-Angriffe sind dann womöglich schon wieder beendet.