Ein ganzes Land will Rache nehmen: Im Prozess um die Massen-Vergewaltigung und den Tod einer jungen Frau steht ein erstes Urteil bevor
Bis er elf war, lebte er auf dem Dorf, weit weg von der Hauptstadt. Er fiel dort nie besonders auf, er galt, wie ein früherer Nachbar sagte, als guter Junge. Dann ging er fort nach Delhi, suchte Arbeit. Zur Tatzeit war der junge Mann 17 Jahre, sechs Monate und elf Tage alt, ein Detail, auf das man leicht verzichten könnte, würde es nicht eine so große Rolle spielen in diesem Fall, der die indische Nation empört.
Polizisten führen den Verdächtigen (mit Tuch über dem Kopf) aus dem Gerichtssaal
Jedes Mal, wenn sich in den vergangenen Monaten Kameras auf den jungen Mann richteten, verhüllte er sein Gesicht. Man kennt ihn nur mit einem Tuch über dem Kopf. Die Gesetze erlauben es nicht, seinen Namen in den Medien zu nennen, deshalb schreiben alle nur über "den Jugendlichen". Viele Inder aber wollen in ihm gar keinen Minderjährigen sehen, nicht nach der grausamen Tat vom 16. Dezember 2012, die Indien aufgewühlt hat wie kaum ein anderes Verbrechen.
In jener Nacht begann die Höllenfahrt einer 23-jährigen Studentin in einem Bus in Delhi. Sechs Männern wird vorgeworfen, die Frau während der Fahrt immer wieder vergewaltigt und so schlimm verletzt zu haben, dass sie später in einer Klinik in Singapur starb. Der jüngste der mutmaßlichen Täter war 17, und er wird Indien an diesem Wochenende wieder besonders beschäftigen.
Mehr als acht Monate nach dem Angriff erwartet das Land nun ein erstes Urteil, womöglich fällt es an diesem Samstagmorgen. Dem Angeklagten werden Kidnapping, Vergewaltigung und Mord zur Last gelegt. Viermal schon hat das Jugendgericht in Delhi eine Entscheidung im Verfahren gegen den jüngsten Angeklagten vertagt, auch das Oberste Gericht befasst sich indirekt mit seinem Fall. Gegen die anderen, älteren Angeklagten läuft ein separates Verfahren, das ebenfalls in Kürze enden soll. Einer der Männer sitzt nicht mehr auf der Anklagebank, er wurde im März tot in seiner Zelle aufgefunden, manche vermuten, dass er umgebracht und die Tat als Selbstmord getarnt wurde. Die Untersuchungen laufen noch.
Den jüngsten Angeklagten nannte ein Magazin kürzlich "India"s Most Hated", den meist gehassten Menschen auf dem Subkontinent. Schon früh nach der Tat berichteten Zeitungen unter Berufung auf Polizeiquellen und die Anklage, dass der 17-jährige Verdächtige der brutalste von allen gewesen sei. Doch die Presse blieb vom Prozess gegen ihn ausgeschlossen, auch im anderen Verfahren gegen die älteren Angeklagten hat die Regierung den Zugang der Medien stark beschränkt. So wissen die Inder wenig über den Verlauf der Prozesse, über Aussagen, Gutachten und Zeugen. Stattdessen blühen Gerüchte.
Unstrittig ist, dass der junge Mann aus sehr armen Verhältnissen stammt, er schlug sich in Delhi als Tagelöhner durch. Er wusch Teller, er verkaufte Fahrkarten, fuhr Milch aus. Manchmal schickte er Geld nach Hause, berichtete seine Mutter. Aber seit zwei Jahren bekam sie nichts mehr. Bei einem seiner Jobs lernte er offenbar den mutmaßlichen Anführer der Gruppe kennen, die das Opfer im Dezember in den Bus lockte.
Was treibt junge Männer in so schreckliche Verbrechen? Viele Inder stellen sich diese Frage, auch Psychiater Kushal Jain, der geistig kranke Menschen in Delhi behandelt. Sind die Täter geisteskrank? "Soweit wir wissen, gibt es dafür keine Hinweise", erklärte der Arzt kürzlich beim Gespräch in Delhi. Man müsse nicht krank sein, um monströse Verbrechen zu begehen. Und man müsse auch nicht arm sein. "Wir hören ja auch von Fällen, wo sich gerade reiche Männer über das Internet verabreden, ihre Opfer betäuben und dann vergewaltigen."
Nach Angaben von Jain sollte man immer auf beides achten, die Anlagen eines Menschen und sein Umfeld. "Wir denken, dass Genetik eine Rolle spielen kann. Manche neigen einfach mehr zu Gewalt als andere." Aber das alleine dürfte kaum ausreichen, um die Tat von Delhi zu erklären. Sollte der jüngste Angeklagte schuldig sein, dann könnten für die Tat Erfahrungen von Straflosigkeit eine Rolle gespielt haben. "Wenn Menschen in Indien aufwachsen, sehen sie viele Verbrechen um sich herum, die nie geahndet werden." Die Gewalt entlädt sich häufig gegen Frauen, deren Ausbeutung und Unterdrückung in Indien viele Formen annimmt.
Das tatsächliche Alter des jüngsten Angeklagten ist umstritten, doch selbst wenn es stimmt, dass er zur Tatzeit siebzehn war, fordern doch viele Inder, dass er verurteilt wird wie ein Erwachsener. Wen man auch befragte in Delhi - - Straßenkehrer, Bauern, Lehrer, Krankenschwester, Banker - alle argumentierten ähnlich: Bei einer so schrecklichen Tat dürfe ein 17-Jähriger nicht mehr als Jugendlicher gelten.
Ein indischer Abgeordneter hat denn auch das Oberste Gericht angerufen, er will erreichen, dass nicht alleine das Alter zählt, wenn es darum geht, ob Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird. Bei so schweren Taten wie in Delhi müsse es möglich sein, härtere Strafen zu verhängen.
Die Obersten Richter Indiens kündigten an, sich mit diesem Thema noch eingehender zu beschäftigten, gestatteten aber gleichzeitig, dass ein erstes Urteil im Verfahren gegen den jüngsten Angeklagten gesprochen werde. Ihm drohen maximal drei Jahre Jugendarrest in einem speziellen Heim. Viele rechnen allerdings damit, dass der Fall die indische Justiz noch lange beschäftigen wird. Den älteren Angeklagten droht die Todesstrafe, aber viele Inder fordern den Strang für alle - auch für den Jüngsten.
Bis er elf war, lebte er auf dem Dorf, weit weg von der Hauptstadt. Er fiel dort nie besonders auf, er galt, wie ein früherer Nachbar sagte, als guter Junge. Dann ging er fort nach Delhi, suchte Arbeit. Zur Tatzeit war der junge Mann 17 Jahre, sechs Monate und elf Tage alt, ein Detail, auf das man leicht verzichten könnte, würde es nicht eine so große Rolle spielen in diesem Fall, der die indische Nation empört.
Polizisten führen den Verdächtigen (mit Tuch über dem Kopf) aus dem Gerichtssaal
Jedes Mal, wenn sich in den vergangenen Monaten Kameras auf den jungen Mann richteten, verhüllte er sein Gesicht. Man kennt ihn nur mit einem Tuch über dem Kopf. Die Gesetze erlauben es nicht, seinen Namen in den Medien zu nennen, deshalb schreiben alle nur über "den Jugendlichen". Viele Inder aber wollen in ihm gar keinen Minderjährigen sehen, nicht nach der grausamen Tat vom 16. Dezember 2012, die Indien aufgewühlt hat wie kaum ein anderes Verbrechen.
In jener Nacht begann die Höllenfahrt einer 23-jährigen Studentin in einem Bus in Delhi. Sechs Männern wird vorgeworfen, die Frau während der Fahrt immer wieder vergewaltigt und so schlimm verletzt zu haben, dass sie später in einer Klinik in Singapur starb. Der jüngste der mutmaßlichen Täter war 17, und er wird Indien an diesem Wochenende wieder besonders beschäftigen.
Mehr als acht Monate nach dem Angriff erwartet das Land nun ein erstes Urteil, womöglich fällt es an diesem Samstagmorgen. Dem Angeklagten werden Kidnapping, Vergewaltigung und Mord zur Last gelegt. Viermal schon hat das Jugendgericht in Delhi eine Entscheidung im Verfahren gegen den jüngsten Angeklagten vertagt, auch das Oberste Gericht befasst sich indirekt mit seinem Fall. Gegen die anderen, älteren Angeklagten läuft ein separates Verfahren, das ebenfalls in Kürze enden soll. Einer der Männer sitzt nicht mehr auf der Anklagebank, er wurde im März tot in seiner Zelle aufgefunden, manche vermuten, dass er umgebracht und die Tat als Selbstmord getarnt wurde. Die Untersuchungen laufen noch.
Den jüngsten Angeklagten nannte ein Magazin kürzlich "India"s Most Hated", den meist gehassten Menschen auf dem Subkontinent. Schon früh nach der Tat berichteten Zeitungen unter Berufung auf Polizeiquellen und die Anklage, dass der 17-jährige Verdächtige der brutalste von allen gewesen sei. Doch die Presse blieb vom Prozess gegen ihn ausgeschlossen, auch im anderen Verfahren gegen die älteren Angeklagten hat die Regierung den Zugang der Medien stark beschränkt. So wissen die Inder wenig über den Verlauf der Prozesse, über Aussagen, Gutachten und Zeugen. Stattdessen blühen Gerüchte.
Unstrittig ist, dass der junge Mann aus sehr armen Verhältnissen stammt, er schlug sich in Delhi als Tagelöhner durch. Er wusch Teller, er verkaufte Fahrkarten, fuhr Milch aus. Manchmal schickte er Geld nach Hause, berichtete seine Mutter. Aber seit zwei Jahren bekam sie nichts mehr. Bei einem seiner Jobs lernte er offenbar den mutmaßlichen Anführer der Gruppe kennen, die das Opfer im Dezember in den Bus lockte.
Was treibt junge Männer in so schreckliche Verbrechen? Viele Inder stellen sich diese Frage, auch Psychiater Kushal Jain, der geistig kranke Menschen in Delhi behandelt. Sind die Täter geisteskrank? "Soweit wir wissen, gibt es dafür keine Hinweise", erklärte der Arzt kürzlich beim Gespräch in Delhi. Man müsse nicht krank sein, um monströse Verbrechen zu begehen. Und man müsse auch nicht arm sein. "Wir hören ja auch von Fällen, wo sich gerade reiche Männer über das Internet verabreden, ihre Opfer betäuben und dann vergewaltigen."
Nach Angaben von Jain sollte man immer auf beides achten, die Anlagen eines Menschen und sein Umfeld. "Wir denken, dass Genetik eine Rolle spielen kann. Manche neigen einfach mehr zu Gewalt als andere." Aber das alleine dürfte kaum ausreichen, um die Tat von Delhi zu erklären. Sollte der jüngste Angeklagte schuldig sein, dann könnten für die Tat Erfahrungen von Straflosigkeit eine Rolle gespielt haben. "Wenn Menschen in Indien aufwachsen, sehen sie viele Verbrechen um sich herum, die nie geahndet werden." Die Gewalt entlädt sich häufig gegen Frauen, deren Ausbeutung und Unterdrückung in Indien viele Formen annimmt.
Das tatsächliche Alter des jüngsten Angeklagten ist umstritten, doch selbst wenn es stimmt, dass er zur Tatzeit siebzehn war, fordern doch viele Inder, dass er verurteilt wird wie ein Erwachsener. Wen man auch befragte in Delhi - - Straßenkehrer, Bauern, Lehrer, Krankenschwester, Banker - alle argumentierten ähnlich: Bei einer so schrecklichen Tat dürfe ein 17-Jähriger nicht mehr als Jugendlicher gelten.
Ein indischer Abgeordneter hat denn auch das Oberste Gericht angerufen, er will erreichen, dass nicht alleine das Alter zählt, wenn es darum geht, ob Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird. Bei so schweren Taten wie in Delhi müsse es möglich sein, härtere Strafen zu verhängen.
Die Obersten Richter Indiens kündigten an, sich mit diesem Thema noch eingehender zu beschäftigten, gestatteten aber gleichzeitig, dass ein erstes Urteil im Verfahren gegen den jüngsten Angeklagten gesprochen werde. Ihm drohen maximal drei Jahre Jugendarrest in einem speziellen Heim. Viele rechnen allerdings damit, dass der Fall die indische Justiz noch lange beschäftigen wird. Den älteren Angeklagten droht die Todesstrafe, aber viele Inder fordern den Strang für alle - auch für den Jüngsten.