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"Wir trauen euch nicht"

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15.000 Menschen protestierten in Berlin gegen Datenspionage. Als prominenter Redner trat unter Jubel der US-Internetaktivist Jacob Applebaum auf.

Sie sind jung und wütend. Sehr jung und sehr wütend. Max und Mike, beide zwölf Jahre alt, haben sich gut vorbereitet: 'Security is Illusion' steht auf dem selbst gebastelten Schild der beiden Buben aus Berlin-Kreuzberg - Sicherheit als Illusion. 'Ich habe keinen drauf Bock, dass die alles von mir wissen', sagt Max, der kleinere der beiden jungen Demonstranten und hält sein Schild nach oben, 'die machen mit uns, was sie wollen. Das geht doch nicht.' Die, damit sind die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und aus Großbritannien gemeint, gegen deren Ausspähprogramme am Samstag mehr als 15000 Menschen in Berlins Mitte auf die Straße gehen. Und natürlich geht es gegen die Bundesregierung, vor allem gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzleramtschef Ronald Pofalla.

Ein breites Bündnis von 86 Organisationen und Vereinen hat unter dem Motto 'Freiheit statt Angst' zum Widerstand aufgerufen: von der Berliner Aids-Hilfe über Attac, den Chaos Computer Club, der Freien Ärzteschaft, dem Verein Netzwerk Recherche bis hin zu den Jugendorganisationen der etablierten Parteien - alle sind sie da, bis auf die Junge Union.



Etwa 15.000 Menschen nahmen an der Demonstration gegen Überwachung und für Datenschutz teil.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie der Wahlkampfauftakt der Piraten: Ein Segelboot ist mit Parteiflaggen gespickt. Einige Fahnen im Publikum sind so groß, dass die Träger Probleme haben, sie bei Wind oben zu halten. Die Farbe orange ist so dominant, dass der Moderator darauf hinweist, dass Parteien zwar willkommen seien. Es handle sich aber um eine Demonstration der Bürger. Die Flaggen müssen nach hinten weichen. Die Julis, der Nachwuchs der FDP, haben sich in der letzten Reihe positioniert - so recht passen sie als Anhänger einer der drei Regierungsparteien nicht ins Bild. 'Aber trotzdem gehören wir dazu', sagt Juli-Mitglied Alexander Mechter, 'wir sind liberaler als viele meinen. Und ich persönlich kann mit der Haltung der Regierung in der Spy-Affäre nicht viel anfangen.'

Damit trifft der Jungliberale - bei all seiner Zurückhaltung - den Kern der Großdemonstration. 'Wir trauen euch nicht', ruft Kai-Uwe Steffen vom Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung von der Bühne aus und die Adressaten sind schnell ausgemacht: 'Das ist ein Wahlkampf mit gespaltener Zunge. Wir wollen Freiheit statt Angst - auch an der Wahlurne.' Plakate wie 'Angie, mach deinen Job' lassen erahnen, dass der Großteil der Demonstranten der Kanzlerin am Wahltag die Stimme eher verweigern wird. 'Weil die Bundesregierung und vor allem die Kanzlerin ihrem beeideten Auftrag nicht gerecht wird. Sie schützen unsere Rechte und unsere Freiheit nicht', poltert Christoph Bautz von der Nichtregierungsorganisation Campact.

Zu einer Demonstration dieser Art in Berlin gehört auch, dass sie mehr an ein Volksfest denn an eine Revolte erinnert. Aus drei Kisten und einem Kübel wird eine Kamera, vereinzelt sind Guy-Fawkes-Masken zu sehen, die Botschaften auf den Schildern machen die Wut der Menschen deutlich. 'Interessante Menschen haben Geheimnisse' lässt ein junger Berliner wissen. 'Es betrifft uns alle', sagt er, 'wir sind wie gelähmt, aber wir dürfen uns nicht lähmen lassen. Sonst geht unsere Freiheit drauf.'

Von Freiheit wird viel gesprochen, auch von Jacob Appelbaum. Der US-amerikanische Internetaktivist wird wie ein Star empfangen. Die Masse jubelt, trillert, klatscht als er auf die Bühne tritt. Appelbaum unterstützt Wikileaks und führte ein Interview mit Snowden. Jetzt stört er auch für kurze Zeit die beinahe kuschelige Atmosphäre der Kundgebung. Er schmettert seinen Zuhörern Sätze wie diese entgegen: 'Meine Regierung hat eure angelogen, damit sie euch anlügen kann.' Und: 'Diejenigen, die uns schützen sollten, tun das nicht. Die NSA hat gute Menschen gezwungen, Schlechtes zu tun; sie hat die Menschen zu Agenten des Staates gemacht.' Dagegen müssten die Aufrechten aufstehen, sagt Appelbaum.

Gerd Billen, Vorstand der Verbraucherzentrale, ruft derweil zur Wachsamkeit auf: 'Pofalla kann diese Affäre nicht einfach so beenden. Wir müssen uns wehren. Mit Freiheit und Mut. Nicht mit Angst.' Einen konkreten Vorschlag habe er auch: Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, wäre doch ein guter Datenschutzminister: 'Der Datenschutz gehört nicht ins Innenministerium. Er gehört umgesetzt.'

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