In wenigen Tagen zieht Carsten Schatz für die Linkspartei ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Er ist der erste offen HIV-Infizierte in einem deutschen Parlament
Als sein Freund starb, hätten Menschen Beifall geklatscht, sagt Carsten Schatz. Heute ist er 43, damals war er 26. 'In deren Augen war der Tod die gerechte Strafe für Menschen wie ihn.' Der Ring an seinem Mittelfinger schlägt auf die Tischplatte. Es geht um den Spiegel, der den Deutschen die Immunkrankheit Aids in den 1980ern als homosexuelle 'Lustseuche' erklärte. Vor zwei Monaten verlieh das Schwule Netzwerk NRW dem Magazin aus Hamburg einen Preis: für vorbildliche Berichterstattung. Aus heutiger Sicht sei das vielleicht in Ordnung, sagt Schatz. Aber damals? Für ihn ist der Preis eine Tragödie: 'Das kann ich denen nicht verzeihen.' Er quält seinen Mund zu einem Lächeln, das einen stocken lässt. Ein Schutzwall aus Zähnen.
Carsten Schatz ist HIV-positiv. Seit 1991. Das sollen alle wissen. Am 26. September zieht er für die Linke ins Berliner Abgeordnetenhaus. Er übernimmt den Platz von Martina Michels, die für den verstorbenen Lothar Bisky nach Brüssel ins Europaparlament geht. Damit ist Schatz der erste offen HIV-Infizierte in einem deutschen Parlament.
Noch kann man sich nicht mit ihm im Abgeordnetenhaus treffen. Aber gleich gegenüber. Schatz sitzt im Bistro des Martin-Gropius-Bau, in der hintersten Ecke. Alle 20 Minuten hört man den Knall einer Kanone; im Erdgeschoss stellt der indische Künstler Anish Kapoor aus und lässt rotes Wachs in eine Ecke feuern. Echtes Kriegsgerät, für viele Besucher ein Kick. Nicht so für Schatz. Er hat für Kunst keine Zeit. Politik, Job, Ehrenämter: Bezirksvorsitzender der Linken in Treptow-Köpenick, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich, Vorstand bei Positiv e.V. und der Deutschen Aidshilfe. Und seit 15 Jahren in einer Beziehung.
Schatz ist ein Plattenkind aus Berlin Lichtenberg. Pionier, FDJ"ler mit Funktion, SED-Mitglied. Als die Mauer fiel, saß er im sächsischen Löbau. Er wollte Offizier werden, in Zeiten der Blockkonfrontation helfen, die Bedrohung aufrechtzuerhalten. Als die Kollegen nach dem Mauerfall am 9. November 1989 nach Berlin fuhren, blieb Schatz auf seinem Posten. Dafür gab es einen Tag mehr Urlaub am Wochenende darauf. 'Juter Deal', berlinert er.
Mit den Überzeugungen von damals hat Schatz nicht gebrochen. Es habe eine Zeit der Orientierung gegeben, aber die Ost-SPD sei von Pfarrern beherrscht gewesen, und die Ost-Grünen waren ihm zu 'teesockig'. Mit dem 'Glauben an eine Gesellschaft, in der Geld nicht alles ist' ging er zur PDS. Seit 2001 war er zehn Jahre lang Geschäftsführer der Berliner PDS, seit 2007 der Linken Berlin.
Und dazwischen? War ein politisches Amt undenkbar. HIV-positiv mit 21 Jahren. Das Testergebnis als Schock zu bezeichnen, ist zu wenig. Schatz sucht nach Worten, die das Gefühl von damals richtig beschreiben, die Konfrontation mit dem Tod. Er lehnt sich nach vorne, die Ellenbogen auf dem Tisch, dazwischen sein Pott Kaffee. Er findet die Worte nicht. Er kann nur sagen, dass er es hingenommen habe, 'bleibt einem ja nichts anderes übrig'.
Nach dem Testergebnis sei er erst mal in eine Buchhandlung gegangen, sagt Schatz. Sich belesen. Da fand er einen Sinnspruch des Aids-Aktivisten Siegfried Dunde: 'Ich will mein Leben nicht leben, ohne Spuren zu hinterlassen.' Er klebte den Spruch an seinen Spiegel im Badezimmer. Damit er nicht vergisst, weiterzuleben. 1995 erkrankte er an Aids. Nur ein Jahr später starb sein damaliger Freund, ein Amerikaner 'mit der vollen Packung, schwul und "ne Drogenkarriere'. 1997 kamen dann die ersten wirksamen Therapien auf den Markt. Schatz gehört zur ersten Generation HIV-Infizierter, für die es eine gesundheitliche Perspektive und Hoffnung auf Leben gab. Bis heute nimmt er jeden Tag Medikamente. 'Die Grundregel lautet: Never change a winning team.'
Drei Ohrringe rechts, zwei Ohrringe links, schmale Jeans mit Turnschuhen, braun gebrannt, trainierter Oberkörper. Man könnte sagen, Schatz sieht nicht aus wie ein normaler Politiker. Er mag das Wort ohnehin nicht. Wenn Schatz 'normal' sagt, klingt es fast wie ein Schimpfwort. Für ihn ist Normalität das Hilfsmittel einer Gesellschaft, die sich lieber auf einen Durchschnittswert reduziert, als der Realität ins Auge zu sehen.
Die Realität, das sind laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 78000 HIV-positive Menschen in Deutschland. 14000 von ihnen wissen nicht mal, dass sie infiziert sind. Jeden Tag stirbt in diesem Land ein Mensch an Aids, statistisch gesehen sogar eineinhalb Menschen.
HIV und Aids: Für viele ist das lange her. Oder es sind die anderen, in Afrika. Aber bestimmt ist es nicht die Lebensrealität eines deutschen Politikers. Und das, obwohl Aids in der Popkultur längst zu Hause ist. Zuletzt spielte Michael Douglas einen HIV-infizierten Las-Vegas-Star im Film 'Liberace'. Momentan sind Jared Leto und Matthew McConaughey in den Klatschspalten, zwei heterosexuelle Schauspieler, die sich für ihre Rollen als aidskranke Transvestiten aus den 1980ern im Film 'The Dallas Buyers Club' auf jeweils 60 Kilo runtergehungert haben.
'Im Rückblick ist Aids besser darstellbar', sagt Schatz. Da sei es in gewisser Weise sogar sexy geworden, der Rausch, der Glamour, die befreite Sexualität. 'Aber sobald es irdisch wird, wollen die Leute nichts mehr davon wissen.' Wegen der Medikamente sei das alltägliche Leiden unsichtbar geworden. Der Anpassungsdruck ist dementsprechend hoch.
Ein HIV-Coming-out ist immer noch ein Risiko, erst recht für eine öffentliche Person. Wieso macht einer das: seinen Immunstatus mit zur Wahl stellen? Für den künftigen Abgeordneten Schatz ist es eine Frage von Sichtbarkeit. Die Diagnose habe ihn verändert, sagt er. 'Wie ich mich verhalte, ist für Menschen, die nicht wissen, warum ich mich so verhalte, schwer zu vermitteln.' Er spricht von seiner Ungeduld. Vom Gefühl, nicht genug Zeit zu haben für Dinge, die ihn nicht interessieren.
Eine HIV-Infektion könne man den Wählern nicht verheimlichen, findet Schatz. Doch wie haben die Menschen reagiert? Die Parteifreunde? Die Bürger? 'Eigentlich gar nicht.' Und wieder geht es darum, was normal ist und was nicht. 'Die Leute bemühen sich um Normalität', sagt er. 'Aber das ist eine falsch verstandene Normalität. Weil die HIV-Infektion darauf verweist, dass ich mich nicht der Norm entsprechend verhalte, dass ich entweder intravenös Drogen gebraucht habe oder eine promiske Sexualität auslebe'. Solche Verhaltensweisen seien für viele Leute immer noch ein Problem. Auch in der schwulen Community. 'Die heiraten alle und sind auf einmal auch ganz nett.' Da komme es nicht gut an, wenn einer das positive Image mit der Erinnerung an Aids und den dazugehörigen Sex wieder zerstöre.
Trotzdem will Carsten Schatz im politischen Betrieb nicht der HIV-Funktionär sein. Hinter die Mitteilung über seine Infektion komme nun ein Punkt, und dann beginne die Arbeit - im Untersuchungsausschuss des BER-Flughafens und im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Dort will er sich als 'der Schatz' einen Namen machen, 'ein Positiver von der Straße'.
Als sein Freund starb, hätten Menschen Beifall geklatscht, sagt Carsten Schatz. Heute ist er 43, damals war er 26. 'In deren Augen war der Tod die gerechte Strafe für Menschen wie ihn.' Der Ring an seinem Mittelfinger schlägt auf die Tischplatte. Es geht um den Spiegel, der den Deutschen die Immunkrankheit Aids in den 1980ern als homosexuelle 'Lustseuche' erklärte. Vor zwei Monaten verlieh das Schwule Netzwerk NRW dem Magazin aus Hamburg einen Preis: für vorbildliche Berichterstattung. Aus heutiger Sicht sei das vielleicht in Ordnung, sagt Schatz. Aber damals? Für ihn ist der Preis eine Tragödie: 'Das kann ich denen nicht verzeihen.' Er quält seinen Mund zu einem Lächeln, das einen stocken lässt. Ein Schutzwall aus Zähnen.
Carsten Schatz ist HIV-positiv. Seit 1991. Das sollen alle wissen. Am 26. September zieht er für die Linke ins Berliner Abgeordnetenhaus. Er übernimmt den Platz von Martina Michels, die für den verstorbenen Lothar Bisky nach Brüssel ins Europaparlament geht. Damit ist Schatz der erste offen HIV-Infizierte in einem deutschen Parlament.
Noch kann man sich nicht mit ihm im Abgeordnetenhaus treffen. Aber gleich gegenüber. Schatz sitzt im Bistro des Martin-Gropius-Bau, in der hintersten Ecke. Alle 20 Minuten hört man den Knall einer Kanone; im Erdgeschoss stellt der indische Künstler Anish Kapoor aus und lässt rotes Wachs in eine Ecke feuern. Echtes Kriegsgerät, für viele Besucher ein Kick. Nicht so für Schatz. Er hat für Kunst keine Zeit. Politik, Job, Ehrenämter: Bezirksvorsitzender der Linken in Treptow-Köpenick, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich, Vorstand bei Positiv e.V. und der Deutschen Aidshilfe. Und seit 15 Jahren in einer Beziehung.
Schatz ist ein Plattenkind aus Berlin Lichtenberg. Pionier, FDJ"ler mit Funktion, SED-Mitglied. Als die Mauer fiel, saß er im sächsischen Löbau. Er wollte Offizier werden, in Zeiten der Blockkonfrontation helfen, die Bedrohung aufrechtzuerhalten. Als die Kollegen nach dem Mauerfall am 9. November 1989 nach Berlin fuhren, blieb Schatz auf seinem Posten. Dafür gab es einen Tag mehr Urlaub am Wochenende darauf. 'Juter Deal', berlinert er.
Mit den Überzeugungen von damals hat Schatz nicht gebrochen. Es habe eine Zeit der Orientierung gegeben, aber die Ost-SPD sei von Pfarrern beherrscht gewesen, und die Ost-Grünen waren ihm zu 'teesockig'. Mit dem 'Glauben an eine Gesellschaft, in der Geld nicht alles ist' ging er zur PDS. Seit 2001 war er zehn Jahre lang Geschäftsführer der Berliner PDS, seit 2007 der Linken Berlin.
Und dazwischen? War ein politisches Amt undenkbar. HIV-positiv mit 21 Jahren. Das Testergebnis als Schock zu bezeichnen, ist zu wenig. Schatz sucht nach Worten, die das Gefühl von damals richtig beschreiben, die Konfrontation mit dem Tod. Er lehnt sich nach vorne, die Ellenbogen auf dem Tisch, dazwischen sein Pott Kaffee. Er findet die Worte nicht. Er kann nur sagen, dass er es hingenommen habe, 'bleibt einem ja nichts anderes übrig'.
Nach dem Testergebnis sei er erst mal in eine Buchhandlung gegangen, sagt Schatz. Sich belesen. Da fand er einen Sinnspruch des Aids-Aktivisten Siegfried Dunde: 'Ich will mein Leben nicht leben, ohne Spuren zu hinterlassen.' Er klebte den Spruch an seinen Spiegel im Badezimmer. Damit er nicht vergisst, weiterzuleben. 1995 erkrankte er an Aids. Nur ein Jahr später starb sein damaliger Freund, ein Amerikaner 'mit der vollen Packung, schwul und "ne Drogenkarriere'. 1997 kamen dann die ersten wirksamen Therapien auf den Markt. Schatz gehört zur ersten Generation HIV-Infizierter, für die es eine gesundheitliche Perspektive und Hoffnung auf Leben gab. Bis heute nimmt er jeden Tag Medikamente. 'Die Grundregel lautet: Never change a winning team.'
Drei Ohrringe rechts, zwei Ohrringe links, schmale Jeans mit Turnschuhen, braun gebrannt, trainierter Oberkörper. Man könnte sagen, Schatz sieht nicht aus wie ein normaler Politiker. Er mag das Wort ohnehin nicht. Wenn Schatz 'normal' sagt, klingt es fast wie ein Schimpfwort. Für ihn ist Normalität das Hilfsmittel einer Gesellschaft, die sich lieber auf einen Durchschnittswert reduziert, als der Realität ins Auge zu sehen.
Die Realität, das sind laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 78000 HIV-positive Menschen in Deutschland. 14000 von ihnen wissen nicht mal, dass sie infiziert sind. Jeden Tag stirbt in diesem Land ein Mensch an Aids, statistisch gesehen sogar eineinhalb Menschen.
HIV und Aids: Für viele ist das lange her. Oder es sind die anderen, in Afrika. Aber bestimmt ist es nicht die Lebensrealität eines deutschen Politikers. Und das, obwohl Aids in der Popkultur längst zu Hause ist. Zuletzt spielte Michael Douglas einen HIV-infizierten Las-Vegas-Star im Film 'Liberace'. Momentan sind Jared Leto und Matthew McConaughey in den Klatschspalten, zwei heterosexuelle Schauspieler, die sich für ihre Rollen als aidskranke Transvestiten aus den 1980ern im Film 'The Dallas Buyers Club' auf jeweils 60 Kilo runtergehungert haben.
'Im Rückblick ist Aids besser darstellbar', sagt Schatz. Da sei es in gewisser Weise sogar sexy geworden, der Rausch, der Glamour, die befreite Sexualität. 'Aber sobald es irdisch wird, wollen die Leute nichts mehr davon wissen.' Wegen der Medikamente sei das alltägliche Leiden unsichtbar geworden. Der Anpassungsdruck ist dementsprechend hoch.
Ein HIV-Coming-out ist immer noch ein Risiko, erst recht für eine öffentliche Person. Wieso macht einer das: seinen Immunstatus mit zur Wahl stellen? Für den künftigen Abgeordneten Schatz ist es eine Frage von Sichtbarkeit. Die Diagnose habe ihn verändert, sagt er. 'Wie ich mich verhalte, ist für Menschen, die nicht wissen, warum ich mich so verhalte, schwer zu vermitteln.' Er spricht von seiner Ungeduld. Vom Gefühl, nicht genug Zeit zu haben für Dinge, die ihn nicht interessieren.
Eine HIV-Infektion könne man den Wählern nicht verheimlichen, findet Schatz. Doch wie haben die Menschen reagiert? Die Parteifreunde? Die Bürger? 'Eigentlich gar nicht.' Und wieder geht es darum, was normal ist und was nicht. 'Die Leute bemühen sich um Normalität', sagt er. 'Aber das ist eine falsch verstandene Normalität. Weil die HIV-Infektion darauf verweist, dass ich mich nicht der Norm entsprechend verhalte, dass ich entweder intravenös Drogen gebraucht habe oder eine promiske Sexualität auslebe'. Solche Verhaltensweisen seien für viele Leute immer noch ein Problem. Auch in der schwulen Community. 'Die heiraten alle und sind auf einmal auch ganz nett.' Da komme es nicht gut an, wenn einer das positive Image mit der Erinnerung an Aids und den dazugehörigen Sex wieder zerstöre.
Trotzdem will Carsten Schatz im politischen Betrieb nicht der HIV-Funktionär sein. Hinter die Mitteilung über seine Infektion komme nun ein Punkt, und dann beginne die Arbeit - im Untersuchungsausschuss des BER-Flughafens und im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Dort will er sich als 'der Schatz' einen Namen machen, 'ein Positiver von der Straße'.