Rosemarie Tietze hielt ihre Antrittsvorlesung als August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung
Von den literarischen Übersetzern des Landes kann jeder lernen, wie man sich gegen Geringschätzung, Knebelverträge und schlechte Bezahlung wehrt. Sie, die nie zu den Privilegierten des Kulturbetriebs gehörten, haben es in den vergangenen zwanzig Jahren verstanden, aus dem Schatten herauszutreten und ihrem Beruf ein neues Ansehen zu verschaffen, indem sie ihn gegen ästhetische Vorurteile verteidigten und sich nicht scheuten, über die Produktionsbedingungen zu sprechen. Beides hängt unauflöslich zusammen.
Literarische Übersetzer sind wichtig für den Kulturbetrieb, werden aber oft gering geschätzt
Wer glaubt, Übersetzungen seien dem Original gegenüber grundsätzlich nachrangig und prinzipiell unter dem Schlagwort 'Verlust' zu verbuchen, der wird wenig dabei finden, wenn Übersetzer wie literarische Hilfsarbeiter behandelt und bezahlt werden.
Dass dies heute niemand mehr guten Gewissens tun kann, ist auch Rosemarie Tietze zu verdanken. Gemeinsam mit Burkhart Kroeber verfasste sie Mitte der neunziger Jahre ein Memorandum über 'neue Wege der Übersetzerförderung' und wurde die erste Vorsitzende des Deutschen Übersetzerfonds. In diesem Wintersemester ist Rosemarie Tietze August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin. Ihre Antrittsvorlesung hielt sie am Montag dieser Woche in der Bayerischen Landesvertretung.
Sie hat Andrei Bitow und Jewgeni Popow übersetzt, Tolstois 'Anna Karenina' übertragen und Gaito Gasdanow für die deutschen Leser entdeckt. Nun entfaltete sie ihre Utopie einer blühenden Übersetzungskultur, eine Utopie, die nichts Unmögliches, Forciertes enthielt, und geschickt die Prosa des Arbeitsalltags mit der Poetik des Übersetzens verband.
An einem Tage im Jahre X also werde die Westlastigkeit der Verlagsprogramme endgültig der Vergangenheit angehören, werden die Auftraggeber Stärken und Stil der Übersetzer genau kennen und diese zu nutzen versuchen. Hat sich die Zusammenarbeit zwischen einem Autor und seinem Übersetzer bewährt, wird es selbstverständlich sei, diese weiterzuführen, anders zu verfahren gelte für barbarisch. Keiner werde einen Text von mehreren übersetzen lassen, Knebelparagraphen - 'der Verlag hat das Recht die Übersetzung durch Dritte überarbeiten zu lassen' - werden unbekannt sein. Übersetzer können von ihrer Arbeit auf Studienratsniveau leben. Sie werden fünf Tage die Woche je vier Stunden am Text arbeiten, die verbleibende Zeit für Lektüre, Reisen, Seminare, Recherchen nutzen.
Das Idyll dürfte in der krisenanfälligen Verlagsbranche Kopfschütteln provozieren, es führte aber mitten hinein in die Poetik. Wie wäre besser zu übersetzen, wie am geschicktesten das Niemandsland auf beiden Seiten des Grenzflusses zwischen den Sprachen zu überwinden? Die Zunft muss ihr Wissen festhalten. Es fehle, so Tietze, an Kompendien. Zwar gibt es Sprachlehren auf der einen und kontrastive Grammatiken auf der anderen Seite, aber dazwischen klaffe meist eine Lücke. Zu wünschen wäre für möglichst viele Sprachen ein Vademecum des Sprachgefühls, anhand dessen man lernen könne - nicht abstrakt, sondern durch Analogien und Assoziationen. Als Vorbild nannte Rosemarie Tietze etwa den 'Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen', 1752 verfasst von Johann Joachim Quantz.
So geduldig, anschaulich und verständlich müsse man auch über Sprache und Übersetzen reden. Wobei sich herausstellt, dass das Niemandsland auf der eigenen Seite tückischer ist, auf Grund der scheinbaren Vertrautheit weniger leicht zu überwinden, auch verändere es sich ständig: 'Wir müssen endlich unsere Aufklärung nachholen'. Die klare, anschauliche Prosa der Antrittsvorlesung Rosemarie Tietzes zeigte, dass der eigenen Sprache am besten gedient ist durch Übersetzungsförderung.
Von den literarischen Übersetzern des Landes kann jeder lernen, wie man sich gegen Geringschätzung, Knebelverträge und schlechte Bezahlung wehrt. Sie, die nie zu den Privilegierten des Kulturbetriebs gehörten, haben es in den vergangenen zwanzig Jahren verstanden, aus dem Schatten herauszutreten und ihrem Beruf ein neues Ansehen zu verschaffen, indem sie ihn gegen ästhetische Vorurteile verteidigten und sich nicht scheuten, über die Produktionsbedingungen zu sprechen. Beides hängt unauflöslich zusammen.
Literarische Übersetzer sind wichtig für den Kulturbetrieb, werden aber oft gering geschätzt
Wer glaubt, Übersetzungen seien dem Original gegenüber grundsätzlich nachrangig und prinzipiell unter dem Schlagwort 'Verlust' zu verbuchen, der wird wenig dabei finden, wenn Übersetzer wie literarische Hilfsarbeiter behandelt und bezahlt werden.
Dass dies heute niemand mehr guten Gewissens tun kann, ist auch Rosemarie Tietze zu verdanken. Gemeinsam mit Burkhart Kroeber verfasste sie Mitte der neunziger Jahre ein Memorandum über 'neue Wege der Übersetzerförderung' und wurde die erste Vorsitzende des Deutschen Übersetzerfonds. In diesem Wintersemester ist Rosemarie Tietze August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin. Ihre Antrittsvorlesung hielt sie am Montag dieser Woche in der Bayerischen Landesvertretung.
Sie hat Andrei Bitow und Jewgeni Popow übersetzt, Tolstois 'Anna Karenina' übertragen und Gaito Gasdanow für die deutschen Leser entdeckt. Nun entfaltete sie ihre Utopie einer blühenden Übersetzungskultur, eine Utopie, die nichts Unmögliches, Forciertes enthielt, und geschickt die Prosa des Arbeitsalltags mit der Poetik des Übersetzens verband.
An einem Tage im Jahre X also werde die Westlastigkeit der Verlagsprogramme endgültig der Vergangenheit angehören, werden die Auftraggeber Stärken und Stil der Übersetzer genau kennen und diese zu nutzen versuchen. Hat sich die Zusammenarbeit zwischen einem Autor und seinem Übersetzer bewährt, wird es selbstverständlich sei, diese weiterzuführen, anders zu verfahren gelte für barbarisch. Keiner werde einen Text von mehreren übersetzen lassen, Knebelparagraphen - 'der Verlag hat das Recht die Übersetzung durch Dritte überarbeiten zu lassen' - werden unbekannt sein. Übersetzer können von ihrer Arbeit auf Studienratsniveau leben. Sie werden fünf Tage die Woche je vier Stunden am Text arbeiten, die verbleibende Zeit für Lektüre, Reisen, Seminare, Recherchen nutzen.
Das Idyll dürfte in der krisenanfälligen Verlagsbranche Kopfschütteln provozieren, es führte aber mitten hinein in die Poetik. Wie wäre besser zu übersetzen, wie am geschicktesten das Niemandsland auf beiden Seiten des Grenzflusses zwischen den Sprachen zu überwinden? Die Zunft muss ihr Wissen festhalten. Es fehle, so Tietze, an Kompendien. Zwar gibt es Sprachlehren auf der einen und kontrastive Grammatiken auf der anderen Seite, aber dazwischen klaffe meist eine Lücke. Zu wünschen wäre für möglichst viele Sprachen ein Vademecum des Sprachgefühls, anhand dessen man lernen könne - nicht abstrakt, sondern durch Analogien und Assoziationen. Als Vorbild nannte Rosemarie Tietze etwa den 'Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen', 1752 verfasst von Johann Joachim Quantz.
So geduldig, anschaulich und verständlich müsse man auch über Sprache und Übersetzen reden. Wobei sich herausstellt, dass das Niemandsland auf der eigenen Seite tückischer ist, auf Grund der scheinbaren Vertrautheit weniger leicht zu überwinden, auch verändere es sich ständig: 'Wir müssen endlich unsere Aufklärung nachholen'. Die klare, anschauliche Prosa der Antrittsvorlesung Rosemarie Tietzes zeigte, dass der eigenen Sprache am besten gedient ist durch Übersetzungsförderung.