Fast jeder zweite Wähler der Alternative für Deutschland hat sich erst im letzten Augenblick dazu entschieden, den Euro-Skeptikern die Zweitstimme zu geben. Vor allem in Ostdeutschland schnitt die neue Gruppe stark ab.
Es ist kurz nach 21 Uhr, die Luft im Saal des Berliner Maritimhotels steht. Die Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) hoffen, dass ihre Partei es doch noch schafft in den Bundestag. Die Hochrechnungen sehen sie knapp unter fünf Prozent, doch Dr. Rainer von Raemdonck, Vize-Chef der AfD in Brandenburg, hat noch immer auf seinem Handybildschirm die traumhaften Zahlen eines Wahl-o-Meters. Der Telekom-Manager aus Falkensee in Brandenburg zeigt auf seine Partei und die Wahl-o-Meter-Prozente: 10,5. Er wirkt bedrückt, Schweiß steht ihm auf der Stirn. Den Abend hat er sich anders vorgestellt.
AfD-Chef Lucke gelang beinahe der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde
Seit dem Fall der Mauer war die CDU seine politische Heimat, sagt Raemdonck, doch dann sei ihm der Kragen geplatzt: "Merkel ist so ein Wendehals, die konnte man nicht mehr wählen." Atomkraft und Wehrpflicht habe sie abgeschafft, Mindestlöhne eingeführt, "ständig macht sie eine Rolle rückwärts". In Brandenburg, sagt Raemdock, "kenne ich sehr viele, die in der AfD ein neues politisches Zuhause gefunden haben." Die Ergebnisse geben ihm recht: Aus dem Stand hat die nur fünf Monate junge AfD in Brandenburg 5,9 Prozent der Stimmen erhalten.
Überhaupt ist Ostdeutschland AfD-Land. Der übermüdet wirkende Chef der Anti-Euro-Partei bestätigt das am Montagmittag auf einer Pressekonferenz in Berlin: "Wir haben", sagt Bernd Lucke, "in Ostdeutschland signifikant mehr Wähler als in Westdeutschland." Wie er sich das erklärt? Vor allem Wähler der Linken seien zur AfD übergelaufen.
Sein Stellvertreter Alexander Gauland fügt hinzu: "Die Parteienbindung im Osten Deutschlands ist weniger starr als in Westdeutschland. Ostdeutsche Wähler haben kein Problem damit, eine andere Partei zu wählen als die, der sie bisher ihre Stimme gegeben haben." Das Potenzial der AfD in Ostdeutschland, sagt der frühere hessische CDU-Staatssekretär Gauland, "ist noch längst nicht ausgeschöpft".
Die AfD setzt jetzt auf die drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im kommenden Jahr - und auf die Europawahl. Der Frage, ob er für die Europawahl kandidieren werde, weicht Lucke aus: "Ich kann mir vieles vorstellen." Er sagt, das knappe Scheitern der AfD erfülle ihn "mit Stolz, in den sich ein Gefühl der Enttäuschung mischt". Aber an eine Rückkehr an die Hamburger Universität denkt er offenbar auch nicht. Für den Wahlkampf hatte sich der Experte für Makroökonomie ein Urlaubssemester genommen - gerade verhandelt er mit der Uni-Leitung und seiner Partei, ob er künftig hauptberuflich AfD-Politik betreiben wird.
Auf ihrer Internetseite bedankt sich die Partei am Montag bei ihren 17000 Mitgliedern und bei "über zwei Millionen Bürgern für Ihr Vertrauen". Darüber steht, mit Ausrufezeichen: "Die Alternative für Deutschland macht weiter". Weitermachen, das bedeutet in diesem Fall auch zerstören. Denn am kläglichen Ende der FDP trägt die AfD eine Mitschuld. Viele Deutsche, haben Wählerwanderungsanalysen ergeben, haben sich von den Freien Demokraten abgewandt und sind in Scharen in Prof. Dr. Luckes Arme gelaufen. Die Partei, die den Euro am liebsten abschaffen oder einen Nord-Euro für die reichen und einen Süd-Euro für die armen Euro-Staaten einführen möchte, hat ihr beachtliches Ergebnis vor allem Last-Minute-Wählern zu verdanken: 46 Prozent ihrer Wähler, haben die Meinungsforscher von Infratest dimap herausgefunden, hätten sich erst in den letzten Tagen vor der Wahl für das Zweitstimmen-Kreuz bei der AfD entschieden. Überhaupt hat die AfD reiche Beute beim Wildern in anderen politischen Lagern gemacht: 450000 FDP-Wähler haben sich nach dimap-Analysen den Euro-Skeptikern und Banken-Kritikern zugewandt sowie 360000 eigentliche Linke-Unterstützer und 300000 CDU-Wähler. So fischt die Alternative für Deutschland gleich in zwei großen Becken: im bürgerlich-liberalen Lager und im Arbeitermilieu. In Berlin etwa hat die Partei in bürgerlichen Stadtteilendes Westens wie Steglitz-Zehlendorf mit 4,2 Prozent genau so viele Anhänger gefunden wie im Osten der Stadt, in der Hartz-IV-Hochburg Marzahn-Hellersdorf (4,9 Prozent). Die Forschungsgruppe Wahlen berichtet, die meisten AfD-Wähler (67 Prozent) hätten ihr Kreuz aus Enttäuschung über die etablierten Parteien bei der AfD gemacht.
Zu Beginn ihrer Gründung war die AfD eine reine Ein-Thema-Partei, die den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als "Rechtsbruch" geißelte und die Abschaffung des Euro und die Wiedereinführung nationaler Währungen forderte. Inzwischen hat sie auch zu anderen Themen Stellung bezogen, so fordert sie etwa ein Familiensplitting. Auch für Zuwanderung ist die AfD offen - allerdings nur für "qualitative Zuwanderung". Hartz-IV-Empfänger möchte AfD in Deutschland nicht alimentiert sehen, sondern die Zuwanderung nach einem Punktesystem regulieren, wie es etwa Kanada praktiziert. Noch kurz vor der Wahl erklärte Lucke, Menschen aus anderen Ländern im deutschen Sozialsystem seien "sozialer Bodensatz".
Angesprochen darauf, dass die AfD auch vom äußerst rechten Rand Zulauf bekomme, sagt Lucke auf der Pressekonferenz: "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir uns in den letzten Monaten gegen die Unterstellung gewehrt haben, wir würden von rechtsextremen Kräften unterwandert." Die AfD sei keine konservative oder rechte Partei, "sondern wir sind eine Partei, die unideologisch Lösungen für Probleme finden möchte. Wir stehen quer zu den Schubladen rechts oder links."
Als sich im Hotel Maritim in der Nacht zu Montag abzeichnet, dass es die Alternative für Deutschland doch nicht in den Bundestag schafft, beschließt auch Telekom-Manager Raemdonck, nach Hause zu fahren. Er verabschiedet sich mit einer Warnung, die aus der AfD-Requisitenkammer stammt, und sagt: Die Wucht der Finanzkrise und ihre Kosten werde diejenigen noch sehr überraschen, die Merkel Sonntagabend erneut auf den Thron geholfen hätten. "Die Rechnung kommt noch", sagt er, "wenn Griechenland in ein paar Monaten wieder gerettet werden muss."
Es ist kurz nach 21 Uhr, die Luft im Saal des Berliner Maritimhotels steht. Die Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) hoffen, dass ihre Partei es doch noch schafft in den Bundestag. Die Hochrechnungen sehen sie knapp unter fünf Prozent, doch Dr. Rainer von Raemdonck, Vize-Chef der AfD in Brandenburg, hat noch immer auf seinem Handybildschirm die traumhaften Zahlen eines Wahl-o-Meters. Der Telekom-Manager aus Falkensee in Brandenburg zeigt auf seine Partei und die Wahl-o-Meter-Prozente: 10,5. Er wirkt bedrückt, Schweiß steht ihm auf der Stirn. Den Abend hat er sich anders vorgestellt.
AfD-Chef Lucke gelang beinahe der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde
Seit dem Fall der Mauer war die CDU seine politische Heimat, sagt Raemdonck, doch dann sei ihm der Kragen geplatzt: "Merkel ist so ein Wendehals, die konnte man nicht mehr wählen." Atomkraft und Wehrpflicht habe sie abgeschafft, Mindestlöhne eingeführt, "ständig macht sie eine Rolle rückwärts". In Brandenburg, sagt Raemdock, "kenne ich sehr viele, die in der AfD ein neues politisches Zuhause gefunden haben." Die Ergebnisse geben ihm recht: Aus dem Stand hat die nur fünf Monate junge AfD in Brandenburg 5,9 Prozent der Stimmen erhalten.
Überhaupt ist Ostdeutschland AfD-Land. Der übermüdet wirkende Chef der Anti-Euro-Partei bestätigt das am Montagmittag auf einer Pressekonferenz in Berlin: "Wir haben", sagt Bernd Lucke, "in Ostdeutschland signifikant mehr Wähler als in Westdeutschland." Wie er sich das erklärt? Vor allem Wähler der Linken seien zur AfD übergelaufen.
Sein Stellvertreter Alexander Gauland fügt hinzu: "Die Parteienbindung im Osten Deutschlands ist weniger starr als in Westdeutschland. Ostdeutsche Wähler haben kein Problem damit, eine andere Partei zu wählen als die, der sie bisher ihre Stimme gegeben haben." Das Potenzial der AfD in Ostdeutschland, sagt der frühere hessische CDU-Staatssekretär Gauland, "ist noch längst nicht ausgeschöpft".
Die AfD setzt jetzt auf die drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im kommenden Jahr - und auf die Europawahl. Der Frage, ob er für die Europawahl kandidieren werde, weicht Lucke aus: "Ich kann mir vieles vorstellen." Er sagt, das knappe Scheitern der AfD erfülle ihn "mit Stolz, in den sich ein Gefühl der Enttäuschung mischt". Aber an eine Rückkehr an die Hamburger Universität denkt er offenbar auch nicht. Für den Wahlkampf hatte sich der Experte für Makroökonomie ein Urlaubssemester genommen - gerade verhandelt er mit der Uni-Leitung und seiner Partei, ob er künftig hauptberuflich AfD-Politik betreiben wird.
Auf ihrer Internetseite bedankt sich die Partei am Montag bei ihren 17000 Mitgliedern und bei "über zwei Millionen Bürgern für Ihr Vertrauen". Darüber steht, mit Ausrufezeichen: "Die Alternative für Deutschland macht weiter". Weitermachen, das bedeutet in diesem Fall auch zerstören. Denn am kläglichen Ende der FDP trägt die AfD eine Mitschuld. Viele Deutsche, haben Wählerwanderungsanalysen ergeben, haben sich von den Freien Demokraten abgewandt und sind in Scharen in Prof. Dr. Luckes Arme gelaufen. Die Partei, die den Euro am liebsten abschaffen oder einen Nord-Euro für die reichen und einen Süd-Euro für die armen Euro-Staaten einführen möchte, hat ihr beachtliches Ergebnis vor allem Last-Minute-Wählern zu verdanken: 46 Prozent ihrer Wähler, haben die Meinungsforscher von Infratest dimap herausgefunden, hätten sich erst in den letzten Tagen vor der Wahl für das Zweitstimmen-Kreuz bei der AfD entschieden. Überhaupt hat die AfD reiche Beute beim Wildern in anderen politischen Lagern gemacht: 450000 FDP-Wähler haben sich nach dimap-Analysen den Euro-Skeptikern und Banken-Kritikern zugewandt sowie 360000 eigentliche Linke-Unterstützer und 300000 CDU-Wähler. So fischt die Alternative für Deutschland gleich in zwei großen Becken: im bürgerlich-liberalen Lager und im Arbeitermilieu. In Berlin etwa hat die Partei in bürgerlichen Stadtteilendes Westens wie Steglitz-Zehlendorf mit 4,2 Prozent genau so viele Anhänger gefunden wie im Osten der Stadt, in der Hartz-IV-Hochburg Marzahn-Hellersdorf (4,9 Prozent). Die Forschungsgruppe Wahlen berichtet, die meisten AfD-Wähler (67 Prozent) hätten ihr Kreuz aus Enttäuschung über die etablierten Parteien bei der AfD gemacht.
Zu Beginn ihrer Gründung war die AfD eine reine Ein-Thema-Partei, die den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als "Rechtsbruch" geißelte und die Abschaffung des Euro und die Wiedereinführung nationaler Währungen forderte. Inzwischen hat sie auch zu anderen Themen Stellung bezogen, so fordert sie etwa ein Familiensplitting. Auch für Zuwanderung ist die AfD offen - allerdings nur für "qualitative Zuwanderung". Hartz-IV-Empfänger möchte AfD in Deutschland nicht alimentiert sehen, sondern die Zuwanderung nach einem Punktesystem regulieren, wie es etwa Kanada praktiziert. Noch kurz vor der Wahl erklärte Lucke, Menschen aus anderen Ländern im deutschen Sozialsystem seien "sozialer Bodensatz".
Angesprochen darauf, dass die AfD auch vom äußerst rechten Rand Zulauf bekomme, sagt Lucke auf der Pressekonferenz: "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir uns in den letzten Monaten gegen die Unterstellung gewehrt haben, wir würden von rechtsextremen Kräften unterwandert." Die AfD sei keine konservative oder rechte Partei, "sondern wir sind eine Partei, die unideologisch Lösungen für Probleme finden möchte. Wir stehen quer zu den Schubladen rechts oder links."
Als sich im Hotel Maritim in der Nacht zu Montag abzeichnet, dass es die Alternative für Deutschland doch nicht in den Bundestag schafft, beschließt auch Telekom-Manager Raemdonck, nach Hause zu fahren. Er verabschiedet sich mit einer Warnung, die aus der AfD-Requisitenkammer stammt, und sagt: Die Wucht der Finanzkrise und ihre Kosten werde diejenigen noch sehr überraschen, die Merkel Sonntagabend erneut auf den Thron geholfen hätten. "Die Rechnung kommt noch", sagt er, "wenn Griechenland in ein paar Monaten wieder gerettet werden muss."