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Exporteure des Dschihad

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Die somalische al-Shabaab-Miliz sieht sich als Teil eines weltweiten heiligen Krieges - deshalb mordet sie in Kenia

Gegen 13.30 Uhr waren plötzlich Explosionen zu hören, noch kilometerweit vom Westgate entfernt, dem Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt, in dem sich seit Samstagmittag islamistische Terroristen mit Geiseln verschanzt haben. Dann begann dicker schwarzer Rauch aus dem Gebäude aufzusteigen. Zunächst hieß es, die Sicherheitskräfte hätten die Explosionen ausgelöst, um sich den Weg für die gerade begonnene Aktion zur Befreiung der Geiseln freizusprengen. Wenig später aber dementierte Innenminister Ole Lenku bei einer Pressekonferenz die Meldungen und erklärte, die Terroristen hätten Feuer gelegt, um die Sicherheitskräfte abzulenken. Seit Samstag, so der Minister, seien insgesamt 62 Menschen im Verlauf der Terrorattacke ums Leben gekommen. Von den mehr als 170 Verletzten würden etwa 50 nach wie vor in Krankenhäusern stationär behandelt. Zwei Terroristen seien während der fortdauernden Operation der Sicherheitskräfte getötet, mehrere weitere seien verletzt worden. Das Gebäude sei ringsum gesichert, die Geiselnehmer könnten "nicht mehr entkommen". Armeechef Julius Karange bestätigte frühere Meldungen, dass es sich bei den Attentätern, deren Zahl auf 10 bis 15 geschätzt wird, um Angehörige verschiedener Nationalitäten gehandelt habe, ohne Details zu nennen: "Dies hier ist keine lokale Angelegenheit. Wir haben es mit globalem Terrorismus zu tun."



Kenianische Polizisten während einer Lagebesprechung in der Nähe des Westgate Einkaufszentrums in Nairobi

Zu dem Anschlag hatte sich bereits am Samstagabend die islamistische Al-Shabaab-Miliz aus dem Nachbarland Somalia bekannt: Die Kämpfer in dem Einkaufszentrum seien dabei, "die kenianischen Ungläubigen in ihrem eigenen Revier zu bekämpfen", hieß es in einer Twitter-Meldung vom "Pressebüro" der Terrorgruppe. Kenia schickt seit Oktober 2011 Truppen in das Nachbarland, um dort die islamistischen Extremisten zu bekämpfen. Am Montag hieß es in einer weiteren Twitter-Meldung, während Armee-Einheiten in das Einkaufszentrum vordrangen: "Wir gestatten den Mudschaheddin in dem Gebäude, gegen die Gefangenen vorzugehen."

Die Al-Shabaab-Miliz, die in weiten Teilen des Bürgerkriegslandes Somalia präsent ist, war in den vergangenen Monaten aus mehreren Städten zurückgedrängt worden, Berichten zufolge verliert sie an Rückhalt in der Bevölkerung und gilt als geschwächt. Zuletzt war innerhalb der Miliz ein Machtkampf ausgebrochen, Anführer Ahmed Abdi Godane hat mehrere Rivalen hinrichten lassen. Godane gilt als fanatischer Vertreter des Dschihad. Er soll für ein Attentat in der ugandischen Hauptstadt Kampala im Juli 2010 verantwortlich sein, bei dem 74 Menschen starben. Uganda stellt Truppen im Rahmen der afrikanischen Militärmission Amisom, die in Somalia gegen die Extremisten kämpft.

Im Gegensatz zu anderen Führungsfiguren vertritt Godane die Position, dass Al-Shabaab über die Grenzen Somalias hinaus Teil der weltweiten Dschihad-Bewegung sein solle. 2011 verkündete er, dass die Gruppe sich der al-Qaida angeschlossen habe. In einer Video-Botschaft mit dem Titel "Zu deinen Diensten, Osama" erklärte er: "Die Kriege werden nicht enden, ehe nicht die Scharia in allen Ländern der Welt in Kraft gesetzt ist."

Am Montagvormittag brach in dem Katastrophenzentrum, das Sicherheitskräfte und das Rote Kreuz etwa 200 Meter entfernt von der Mall in einem hinduistischen Gemeindezentrum eingerichtet haben, eine Massenpanik aus. Nachdem von der Straße, die an dem Gebäude vorbeiführt, plötzlich Schuss-Salven zu hören gewesen waren, stürmten Dutzende Nothelfer und Journalisten vom Vorplatz ins Innere des Gebäudes. Unter ihnen war Shreena Shah, 32, die am Samstag um ein Haar durch einen Hinterausgang des Einkaufszentrums entkommen war. "Ich wollte nicht grübelnd zu Hause sitzen, statt dessen hatte ich beschlossen, in das Zentrum zu gehen und mitzuhelfen, Verletzte zu versorgen", sagt die gelernte Krankenschwester.

Die Panik im Katastrophenzentrum war für sie, als würden sich die Erlebnisse vom Samstag wiederholen: Die Sicherheitskräfte wiesen die Helfer an, Zuflucht in Nebenräumen zu suchen, sich ruhig zu verhalten und ihre Mobiltelefone auszuschalten, um Attentäter nicht auf sich aufmerksam zu machen. "Das war zuviel für mich", sagt sie. Nach etwa zehn Minuten flüchtete sie durch einen Hinterausgang und fuhr zurück zu ihrer Wohnung. Mehrere andere Freiwillige liefen in Panik zu Fuß nach Hause. Später stellte sich heraus, dass im Zentrum keine Gefahr bestanden hatte. Sicherheitskräfte hatten offenbar auf der Straße Schuss-Salven abgegeben, um einen Verdächtigen zu stellen.

Im Stadtteil Eastleigh, der von schätzungsweise 250000 Somalis bewohnt und deshalb auch "Little Mogadishu" genannt wird, war die Lage am Montag zunehmend angespannt. "Wir haben Angst, niemand weiß, was als nächstes passieren wird", sagte einer der Bewohner des Viertels. Im November vergangenen Jahres, nachdem mutmaßlich islamistische Attentäter mehrmals Handgranaten in Minibusse geworfen hatten, waren aufgebrachte Kenianer steinewerfend auf Somalis losgegangen, hatten Scheiben von Geschäften und Wohnungen zerschlagen. Die kenianische Regierung hatte später angekündigt, alle Somalis aus der Stadt zu verbannen und in Flüchtlingslager in der Wüste zu verfrachten, rückte jedoch von dem Vorhaben wieder ab.

Gegen 16.20 Uhr am Montag waren aus der Westgate-Mall erneut Schüsse zu hören, die Rauchwolken verdichteten sich. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war die Militäroperation noch im Gange. Unter den Todesopfern sind der prominente ghanaische Dichter Kofi Awoonor sowie Bürger diverser anderer Nationen, darunter Europäer. Deutsche Staatsangehörige sind nach bisherigem Erkenntnisstand nicht unter den Opfern.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gestattete am Montag dem kenianischen Vizepräsidenten William Ruto, gegen den ein Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit läuft, für eine Woche nach Kenia zurückzureisen, um bei der Bewältigung des Geiseldramas helfen zu können.

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