Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Eine Klasse für sich

$
0
0
Drei Jugendliche türkischer und arabischer Herkunft klagen gegen hohen Migrantenanteil unter Mitschülern. Dieser sei die Ursache ihrer schlechten Noten. Ein Berliner Gericht weist das zurück - doch die Debatte bleibt

Nach Auffassung von Heinz Buschkowksy, dem wortmächtig-gewitzten Bürgermeister von Berlin-Neukölln, ist es die "irrste Klage des Jahres". Drei türkisch- und arabischstämmige Schüler, die im Schuljahr 2011/2012 ein Gymnasium in dem Bezirk besuchten, fühlen sich wegen der vielen ausländischen Mitschüler benachteiligt. Der Anteil von 63 Prozent an Nicht-Muttersprachlern in ihrer siebten Klasse habe dazu geführt, dass sie in bis zu neun Fächern die Note fünf erhielten und so ihr Probejahr nicht bestanden haben. Da es in der Hauptstadt keine verbindlichen Schullaufbahn-Empfehlungen mehr gibt, ist ein Probejahr am Gymnasium üblich. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte die Klagen am Donnerstag zurückgewiesen. In nächster Instanz kann noch die Zulassung der Berufung beantragt werden. In Berlin hat der Fall eine Debatte über die Verteilung von Kindern auf Klassen ausgelöst. Und er bringt eben Buschkowksy, den integrationspolitischen Praktiker, in Rage.



In Berlin klagen Migranten über zu viele Migranten als Mitschüler

Ähnlich wie beim Fußball oft das Wetter, der Rasen und der Schiedsrichter beschuldigt würden, werde hier nun den Klassenkameraden die Schuld in die Schuhe geschoben, sagte Buschkowksy dem Sender N24. Man stelle sich vor, Deutsche hätten eine solche Klage geführt - "man würde sie Rassisten schimpfen". In seinem Bezirk hätten 65 Prozent der Schulanfänger einen Migrationshintergrund, im Norden Neuköllns 90 Prozent. "Und so sehen die Klassen nun mal aus. Man muss den Realitäten ins Auge sehen, man kann die Schüler ja nicht durch die Stadt karren". Schüler können nicht beanspruchen, dass ihre Klassen nur einen bestimmten Anteil von Einwandererkindern haben, meinten auch die Richter. Die schlechten Noten seien allein auf die Leistungen zurückzuführen.

Die Kläger besuchen nun eine Sekundarschule, das ist die Fusion aus Haupt- und Realschule, man kann dort auch Abitur machen. Kurioserweise wollen sie aber gar nicht ans Gymnasium zurück. Mit der Klage wollten sie aber feststellen lassen, warum sie damals durchs Probejahr fielen. Ihre Noten begründeten sie damit, dass fast zwei Drittel der Mitschüler in der Klasse Nicht-Muttersprachler gewesen seien. Hingegen habe der Anteil in einer der Parallelklassen nur 13 Prozent betragen. Unterstützt wurden die Klage von der Open-Society-Justice-Initiative, die weltweit Diskriminierung anprangert und durch "strategische Prozessführung" darauf aufmerksam machen will. Die Schüler und deren Eltern waren nicht zum Prozess erschienen.

Die Pflicht, Schüler deutscher und nichtdeutscher Herkunft gemeinsam zu unterrichten, bedeute nicht, dass Kinder gleichmäßig auf Klassen verteilt werden müssen, so das Gericht. Es gebe Spielräume, besagt auch das Berliner Schulgesetz: Für Schulleiter sei "jedes sachliche Kriterium bei der Zusammensetzung einer Klasse zulässig", solange keine Diskriminierung vorliege. Der Neuköllner Direktor führte Berichten zufolge auf, dass er die Kinder gemäß ihrer Fremdsprachen verteilt hat. Da Migrantenkinder seltener Latein wählten, seien etwa in den Lateinklassen mehr Deutsche. Zudem habe er die Planung des Religionsunterrichts einbezogen sowie Elternwünsche - wonach etwa Schüler im Gymnasium zusammen lernen sollten, die sich von der Grundschule kennen. In einer Parallelklasse mit einem vergleichbar hohen Anteil an Nicht-Muttersprachlern sei darüber hinaus nur ein Schüler am Probejahr gescheitert, in der Klasse mit nur 13 Prozent Migrantenanteil dagegen sogar fünf.

Auch die Bildungsverwaltung wies auf Anfrage zurück, dass es sich in dem Fall um Diskriminierung gehandelt habe. Ohnehin sei ein Migrationshintergrund nicht automatisch Merkmal für schwache Leistungen. Bis in die Neunzigerjahre waren "Ausländerklassen" in Berlin erlaubt. Schulen dürften nicht durch die Hintertür diese Klassen wieder einrichten, mahnte der Grünen-Bildungsexperte Özcan Mutlu. Dass oft Klassen mit hohem Migrantenanteil gebildet würden, sei ein "Skandal".

Das kennt man in Berlin vor allem bei Grundschulen. Ein hoher Ausländeranteil treibt deutsche Eltern oft dazu, ihr Kind nicht auf die nächstgelegene Grundschule zu schicken. Sie beantragen einen Wechsel oder tricksen gar die Behörden aus, durch Ummeldung des Wohnsitzes etwa. So besuchen in Berlin laut Studien zwei Drittel der Grundschüler mit Migrationshintergrund eine Klasse, in der die Mehrheit nichtdeutscher Herkunft ist. Zuletzt hatte die Politik eingegriffen, als es in einigen Schulen zu fast reinen Herkunftsklassen gekommen war. Strittig ist, ob derlei nur durch die organisatorischen Zwänge entsteht; oder ob die Trennung mitunter auch bewusst geschaffen wird - von Direktoren, die ihre Schule durch einige Klassen mit weniger Migranten attraktiver für deutsche Eltern aus dem Bildungsbürgertum machen wollen. Letzteres behauptet das Open-Society-Justice-Projekt, das durch den Neuköllner Fall nun im Fokus steht. Wie erhofft.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345